Aktenzeichen 12 ZB 15.1852
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 4
StGB der DDR § 22 Abs. 2, § 63, § 64, § 66, § 115 Abs. 1, § 220 Abs. 1, § 222
VwGO § 86 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
Leitsatz
1 Die Annahme unterlassener Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht erfordert, dass der Kläger vorträgt, welche Beweismittel diesem zur Verfügung gestanden hätten, zu welchem Ergebnis eine Beweiserhebung geführt und wie sich das Beweisergebnis auf die Entscheidung ausgewirkt hätte. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nicht dem Begriff des politischen Gewahrsams iSv § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG unterfallen Zeiten einer Inhaftierung aufgrund von Straftaten, deren Ahndung rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht widerspricht und die auch in der Bundesrepublik Deutschland in vergleichbarer Weise geahndet worden wären. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Gewahrsam erweist sich dann als politisch, wenn er auf aus der marxistisch-leninistischen Lehre stammenden ideologischen Gründen beruht, jedoch gemessen an den allgemein herrschenden Verhältnissen und den zu ihrer Bewältigung getroffenen Maßnahmen auch unter Berücksichtigung der traditionellen Anschauungen im Gewahrsamsstaat nicht mehr vertretbar erscheint. Als Maßstäbe der Vertretbarkeit sind die rechtsstaatlichen Grundsätze der Gerechtigkeit, Verhältnismäßigkeit und Toleranz heranziehen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Aufhebung eines unter Wahrung der Frist des Art. 48 Abs. 4 S. 1 BayVwVfG ergangenen Rücknahmebescheids im Rahmen einer Anfechtungsklage wird der Lauf der Jahresfrist entweder gehemmt oder – nach Rechtskraft des Urteils – sie beginnt neu zu laufen, da in diesem Fall der Rücknahmebehörde noch nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorgelegen haben. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 4 K 13.5041 2015-06-16 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Teilrücknahme einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG).
Er übersiedelte am 27. Mai 1981 aus der damaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war er mit Urteil des Kreisgerichts Dresden-Ost vom 3. Februar 1977 wegen mehrfacher gemeinschaftlich begangener Missachtung staatlicher und gesellschaftlicher Symbole, wegen mehrfacher Staatsverleumdung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach §§ 222, 220 Abs. 1 Ziffer 1, Abs. 2, 115 Abs. 1, 22 Abs. 2 Ziffer 2, 63, 64, 66 StGB der DDR zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 14 Monaten verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilung bildete das Herunterreißen von DDR-Fahnen und das Heraustrennen des DDR-Emblems am Vorabend des 1. Mai 1976 in Dresden, das Bemalen einer weißen Wand des Klassenraums 240 der Betriebsschule „Karl Meseberg“ mit den Worten „Es lebe der Imperialismus – BRD – nieder mit dem Kommunismus“, das Bemalen eines DIN-A4-Blatts mit einem Hakenkreuz und 4 Eisernen Kreuzen sowie dem Satz „Es lebe Großdeutschland“ sowie eine Körperverletzung (mehrere Faustschläge ins Gesicht, Stoß mit dem Knie gegen das Kinn) an einem Mitschüler anlässlich eines Arbeitseinsatzes. Aufgrund dieser Verurteilung befand sich der Kläger vom 22. Oktober 1976 bis 25. August 1977 sowie – nach Bewährungswiderruf – vom 1. September 1978 bis 27. Dezember 1978 in Haft.
Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik beantragte er am 29. Juni 1981 die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG und machte hierzu folgende Angaben: „Festnahme am 22.10.76 in UHA Magdeburg wegen ‚Staatsfeindl. Hetze und Staatsverleumdung‘ danach Überführung in UHA Dresden, danach Jugendhaus Dessau. Verurteilung: 1) am 3.2.77; 2) am 8.8.79, Kreisgericht Dresden-Ost, Strafkammer; 1 Jahr und 2 Monate, ‚Staatsverleumdung und Staatsfeindl. Hetze‘ (Urteil nicht ausgehändigt!)“. In seinem Antrag auf Eingliederungshilfe nach §§ 9a ff. HHG gab er zu seiner Inhaftierung in der DDR als „Grund der Festnahme und des Gewahrsams“ an: „Staatsfeindliche Hetze und Staatsverleumdung während der Lehrausbildung in Magdeburg. Es kam zu einer Verurteilung von 1 Jahr und 2 Monaten, nach zehn Monaten Entlassung wegen guter Führung mit Auferlegung einer Bewährungszeit von zwei Jahren mit Androhung der Reststrafe von vier Monaten bei ‚nichtgesellschaftsmäßigem Verhalten‘. Diese Reststrafe musste ich vom 1.9.78 – 28.12.78 verbüßen, da ich mich nicht ordnungsgemäß ins soziale System eingegliedert habe.“ Darüber hinaus legte der Kläger zwei Entlassungsscheine aus dem Strafvollzug der DDR sowie eine Kopie des Bewährungsbeschlusses des Kreisgerichts Dresden vom 20. Juli 1977 mit dem Betreff „Staatsverleumdung u.a.“ vor.
Mit Erklärung vom 13. Juli 1981 erklärte der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht München die Vollstreckung aus dem Urteil des Kreisgerichts Dresden-Ost vom 3. Februar 1977 insoweit für unzulässig, „als die verhängte Strafe Jugendhaft bzw. Dauerarrest von vier Wochen übersteigt“. Soweit der Kläger nach §§ 106, 220 StGB-DDR verurteilt worden sei, widerspreche dies rechtsstaatlichen Grundsätzen. Demgegenüber könne die Verurteilung nach § 222 StGB-DDR wegen der Beschädigung der DDR-Flaggen nicht als rechtsstaatswidrig angesehen werden. Hierfür wäre die Verhängung einer Jugendhaft bzw. eines Dauerarrests von vier Wochen angemessen gewesen. In Anlehnung an diese Entscheidung erkannte die Regierung von Oberbayern mit Bescheid vom 20. November 1981 13 Monate der vom Kläger verbüßten Haft als politische Haft im Sinne von § 1 Abs. 1 HHG an. Am gleichen Tag wurde dem Kläger eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ausgestellt und ihm darin im Zeitraum zwischen dem 21.11.1976 und 27.12.1978 13 Monate politischer Gewahrsam bescheinigt. In der Folge erhielt der Kläger aufgrund dessen Eingliederungshilfe nach § 9a Abs. 1 HHG sowie Kapitalentschädigungen nach § 17 i.V.m. § 25 Abs. 2 StrRehaG.
Im Zuge eines vom Kläger angestrengten strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens hob das Bezirksgericht Dresden (Senat für Rehabilitierung) mit Beschluss vom 6. November 1991 (Az. BSHR 694/90 – 83 AR 1382/91) das Urteil des Kreisgerichts Dresden-Ost vom 3. Februar 1977 insoweit auf, als der Kläger „in einem Fall wegen Staatsverleumdung (§ 220 StGB-DDR) und zu einer Freiheitsstrafe von mehr als acht Monaten verurteilt worden ist“ und rehabilitierte ihn im Umfang der Urteilsaufhebung. Im Übrigen, also bezüglich der Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, der Missachtung staatlicher Symbole sowie wegen des Aufzeichnens eines Hakenkreuzes lehnte es die Rehabilitierung ab.
Nachdem der Kläger im Zuge der Prüfung möglicher Ersatzzeiten in der Rentenversicherung die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG vorgelegt hatte, bat die Deutsche Rentenversicherung mit Schreiben vom 7. Juni 2011 die Regierung von Oberbayern angesichts der Rehabilitierungsentscheidung des Bezirksgerichts Dresden von 1991 um Klärung, ob es angesichts des anders lautenden Rehabilitierungsbeschlusses bei der Anerkennung der in der Bescheinigung genannten Zeiträume bleibe.
Daraufhin hob die Regierung von Oberbayern nach Anhörung des Klägers mit Änderungs- und Ablehnungsbescheid vom 9. August 2011 die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG dergestalt auf, dass nunmehr lediglich 6 Monate Haft als politische Inhaftierung anerkannt wurden, der darüber hinausgehende Zeitraum von weiteren acht Monaten Haft dagegen nicht. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München (Az. M 4 K 11.4338). Hierfür wurde ihm zunächst mit Beschluss vom 13. Mai 2013 Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung gewährt, wobei das Verwaltungsgericht darauf hinwies, dass die Ermessenserwägungen des angefochtenen Bescheids mit Blick auf die Bedeutung der Teilrücknahme für den Kläger unvollständig seien. Weiter lasse sich dem Bescheid auch nicht entnehmen, ob die Regelung ex tunc oder ex nunc gelten solle. Da diese Mängel jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung behoben werden könnten, seien die Erfolgsaussichten der Klage jedenfalls derzeit als offen anzusehen.
In der Folge erließ die Regierung von O. am 1. Oktober 2013 einen Änderungs- und Ergänzungsbescheid, in dem u.a. klargestellt wurde, dass die Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG mit Wirkung für die Vergangenheit erfolge. Weiter erhielt dieser Bescheid Ermessenserwägungen zur verfügten Rücknahme. Daraufhin erklärte der Kläger zunächst den Rechtsstreit aus dem Jahr 2011 für erledigt, erhob aber zugleich erneut Klage mit dem Antrag, den Änderungs- und Ablehnungsbescheid vom 1. Oktober 2013 teilweise aufzuheben. Mit der Klage sollten die Festsetzungen des Änderungs- und Ergänzungsbescheids, nicht hingegen die damit verbundene Aufhebung des Änderungs- und Ablehnungsbescheids vom 9. August 2011 angefochten werden.
In der mündlichen Verhandlung am 16. Juni 2015 ergänzten die Vertreter des Beklagten nochmals die Ermessenserwägungen des streitgegenständlichen Bescheids. Daraufhin wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Juni 2015 die Klage ab. Als Klagegegenstand sah es dabei den Änderungs- und Ablehnungsbescheid vom 9. August 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. Oktober 2013 an. Trotz der Erledigterklärung des ursprünglichen Rechtsstreits besitze der Kläger für die Aufhebung des Bescheids vom 1. Oktober 2013 ein Rechtsschutzbedürfnis, da im Falle seines Obsiegens die Regelungen in Ziffer 1. und 2. des Bescheids vom 9. August 2011 nicht wiederaufleben würden.
Der Ausgangsbescheid in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. Oktober 2013 erweise sich indes als rechtmäßig. Insbesondere verstoße er, trotz der komplizierten Formulierung in der Tenorierung, nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Die Voraussetzungen einer Teilrücknahme nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG hätten vorgelegen, da die dem Kläger nach § 10 Abs. 4 HHG erteilte Bescheinigung teilweise rechtswidrig gewesen sei.
Bei der Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG sei der Regierung von O. der genaue Inhalt der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers nicht bekannt gewesen. Sie habe sich daher bei ihrer Entscheidung an die Verfügung des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht München vom 13. Juli 1981 angelehnt, mit der die Vollstreckung aus dem Urteil vom 3. Februar 1977 insoweit für unzulässig erklärt worden sei, als die verhängte Strafe Jugendhaft bzw. Jugendarrest von vier Wochen überstiegen habe. Dabei habe sich die Generalstaatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auf die Angaben des Klägers gestützt, der weder die der Verurteilung ebenfalls zugrunde gelegenen Hakenkreuz-Schmierereien noch die Körperverletzung angegeben habe. Soweit der Kläger für letztere Straftaten verurteilt worden sei, liege politischer Gewahrsam im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr.1 HHG nicht vor. Was die Aufteilung des „politischen“ und des „nicht-politischen“ Teils des Gewahrsams des Klägers betreffe, sei dem Beschluss des Bezirksgerichts Dresden vom 6. November 1991 zu folgen. Soweit der Kläger dagegen einwende, das Bezirksgericht sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen bzw. habe den Sachverhalt falsch gewürdigt, müsse dem zunächst die Rechtskraft der genannten Entscheidung entgegengehalten werden. Zum anderen habe der Kläger durch seinen damaligen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 22. November 1991 ausdrücklich seine Zustimmung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft erklärt, der das Bezirksgericht in seiner Entscheidung gefolgt sei. Demgegenüber verharmlose der Kläger die Verurteilung wegen Körperverletzung im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. Juni 2015 erheblich, wenn er von einer „Rangelei zwischen Jugendlichen“ spreche. Vielmehr sei er wegen eines Faustschlages ins Gesicht eines bereits am Boden liegenden Mitschülers gefolgt von einem Stoß mit dem Knie gegen dessen Kinn verurteilt worden. Die am 20. November 1981 dem Kläger ausgestellte Bescheinigung erweise sich daher als rechtswidrig, soweit sie ihm einen politischen Gewahrsam von mehr als sechs Monaten bescheinige.
Dem Kläger komme auch kein Vertrauensschutz zu. Bei ihm lägen die Ausschlussgründe nach Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und Nr. 2 BayVwVfG vor. Denn der Kläger habe die Ausstellung der Bescheinigung durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig sowie unvollständig gewesen seien. Er habe nicht offengelegt, dass er nicht nur wegen „Staatsverleumdung“ sondern auch wegen einer Hakenkreuz-Schmiererei und Körperverletzung verurteilt worden sei. Verschulden auf Seiten des Klägers sei insoweit nicht erforderlich. Außerdem habe der Kläger die Ausstellung der Bescheinigung mittels arglistiger Täuschung bewirkt. Eine solche liege bereits dann vor, wenn der Begünstigte unrichtige Tatsachen vorspiegle und dabei wisse, dass die Behörde auf diese Angaben zurückgreifen wird. Eine arglistige Täuschung könne auch im Verschweigen oder der unrichtigen Darstellung des maßgeblichen Lebenssachverhalts liegen. Auch wenn man vom Vortrag des Klägers ausgehe, ihm sei 1977 das Strafurteil nicht ausgehändigt worden, müsse ihm doch bekannt gewesen sein, wegen welcher Taten er verurteilt worden sei. Gerade die Körperveletzung habe, wie sich aus dem Urteil ergebe, eine umfangreiche Beweisaufnahme im Rahmen der Hauptverhandlung zur Folge gehabt. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger vier Jahre nach seiner Verurteilung keine Erinnerung an die ihm vorgeworfenen Taten gehabt haben könnte. Andere Tatkomplexe habe er ausführlich geschildert. Schließlich habe der Kläger weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung eine Erklärung für seine „lückenhaften“ Angaben geliefert.
Weiter verstoße die Teilrücknahme auch nicht gegen Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG. Die Jahresfrist für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts gelte im hier vorliegenden Fall des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG nicht. Selbst wenn man nicht von einer arglistigen Täuschung ausginge, wäre die Jahresfrist eingehalten. Durch Übersendung der Entscheidung des Bezirksgerichts Dresden durch das Berliner Landesamt für Gesundheit habe die Regierung von O. erstmal am 7. Juni 2011 von dem Sachverhalt Kenntnis erlangt. Nach Eingehen der Äußerung des Klägers hierzu am 22. Juli 2011 sei der Bescheid vom 9. August 2011 rechtzeitig ergangen. Da der Bescheid vom 1. Oktober 2013 den Bescheid vom 9. August 2011 nicht aufgehoben, sondern lediglich neu gefasst habe, habe er seinerseits die Jahresfrist nicht einhalten müssen. Schließlich werde die Jahresfrist auch gewahrt, wenn man die Auffassung vertrete, der Bescheid vom 1. Oktober 2013 habe den Bescheid vom 9. August 2011 aufgehoben. Denn dies hätte gezeigt, dass der Behörde jedenfalls im August 2011 noch nicht alle zur Entscheidung erforderlichen Informationen vorgelegen hätten.
Ferner habe die Regierung von O. zu Recht die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG auch für die Vergangenheit (teilweise) zurückgenommen. Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 4 werde in den Fällen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Ein Ausnahmefall, der es erlaube von einer Rücknahme für die Vergangenheit abzusehen, liege nicht vor.
Schließlich sei auch die vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Regierung von O. habe dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, an der Wiederherstellung eines mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang stehenden Rechtszustands, an dem fiskalischen Interesse der Vermeidung nicht gerechtfertigter Ausgaben, dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, dem Gebot der Rechtssicherheit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein höheres Gewicht beigemessen als den Interessen des Klägers, von künftigen Rückzahlungsforderungen verschont zu bleiben, und seinen Interessen gegenüber anderen Leistungsträgern. Hinsichtlich der vom Kläger gerügten Nichtberücksichtigung der Zeitdauer zwischen Ausstellung der Bescheinigung und Rücknahme habe der Beklagte in der mündlichen Verhandlung seine Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO in zulässiger Weise ergänzt. Er habe zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger spätestens seit der Rehabilitierungsentscheidung des Bezirksgerichts Dresden vom 6. November 1991 damit habe rechnen müssen, dass die Bescheinigung den neuen Erkenntnissen angepasst würde. Eine absolute zeitliche Grenze für die Rücknahme eines Verwaltungsakts lasse sich nicht ziehen. Wenn dem Betroffenen habe bewusst sein müssen, dass sich die Unrichtigkeit der bei Antragstellung gemachten Angaben noch nach einem längeren Zeitraum herausstelle, sei eine Rücknahme auch noch nach einem längeren Zeitraum möglich.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil lässt der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und Verfahrensmängel im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 5 VwGO geltend machen. Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, entweder nicht vorliegen oder nicht entsprechend § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt sind. Mangels entsprechender Erfolgsaussichten scheidet daher auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren aus.
1. Eine vom Kläger im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend gemachte Fehlerhaftigkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erster Instanz liegt nicht vor.
Der Kläger sieht einen Verstoß gegen die Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen nach § 86 Abs. 2 VwGO (gemeint wohl: § 86 Abs. 1 VwGO) darin, dass das Verwaltungsgericht sich kein „Bild“ über die Biographie bzw. die Verhältnisse des Klägers in der DDR vor seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik gemacht habe. Es habe insbesondere unterlassen, Einsicht in die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR durch Beiziehung der Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes oder durch Beiziehung der dem Bescheid der Landesdirektion Sachsen vom 18. Oktober 2010 zugrunde liegenden Verwaltungsakte (des verwaltungsgerichtlichen Rehabilitierungsverfahrens) zu nehmen. Durch eine entsprechende Einsichtnahme hätte sich die politische Verfolgung des Klägers nachvollziehen lassen. Es wäre beispielsweise festgestellt worden, das der Kläger bereits als 15-jähriger Schüler erstmals wegen Vorbereitungshandlungen, die DDR ungesetzlich zu verlassen, erfasst und sein Personalausweis eingezogen worden sei. Angesichts dessen hätte sich gezeigt, dass mit dem Urteil des Kreisgerichts Dresden die oppositionelle Haltung des Klägers gegenüber dem System der DDR gebrochen werden sollte, was sich auch aus den Gründen des Bewährungswiderrufs ablesen lasse. Weiter hätte das Verwaltungsgericht erkannt, dass angesichts der Verfolgung des Klägers das Bezirksgericht Dresden im Zuge des strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens das Urteil des Kreisgerichts Dresden falsch erfasst und gewürdigt habe.
Soweit der Kläger mit diesem Vorbringen zunächst auf eine Verletzung von § 86 Abs. 2 VwGO abstellt, liegt eine solche offensichtlich nicht vor. § 86 Abs. 2 VwGO gebietet dem Verwaltungsgericht, einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nur mittels eines begründeten Beschlusses abzulehnen. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Verfahrensakte des Verwaltungsgerichts München hat der Kläger, wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2015 ergibt, keinen Beweisantrag gestellt, sodass die entsprechende Rüge ins Leere läuft.
Aber auch begriffen als Aufklärungsrüge, mit der ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO behauptet wird, greift das Vorbringen des Klägers nicht durch. Die Annahme unterlassener Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht erfordert, dass der Kläger vorträgt, welche Beweismittel dem Verwaltungsgericht noch zur Verfügung gestanden hätten, zu welchem Ergebnis eine Beweiserhebung geführt und wie sich das Beweisergebnis auf die Entscheidung ausgewirkt hätte. Hat – wie vorliegend – der Kläger durch Stellung entsprechender unbedingter Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung nicht selbst auf eine entsprechende Beweiserhebung hingewirkt, könnte eine unterlassene Sachverhaltsaufklärung nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie sich dem Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen.
Dem genügt das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren nicht. So wird bereits nicht klar, welche Erkenntnisse mit Blick auf das streitgegenständliche Verfahren eine Beiziehung der beim Bundesbeauftragten für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR über den Kläger vorhandenen Unterlagen bzw. die Beiziehung der Verwaltungsakte des verwaltungsgerichtlichen Rehabilitierungsverfahrens hätte erbringen sollen. Auch der insoweit vorgelegte Vermerk eines Abschnittsbevollmächtigten vom 6. Juli 1978 belegt die „politische Intension“ des vorliegend maßgeblichen Urteils des Kreisgerichts Dresden-Ost nicht. Zum einen ist er zu einem Zeitpunkt nach dem Ergehen des Urteils am 3. Februar 1977 erstellt worden. Zum anderen bezieht er sich überwiegend auf ein Ermittlungsverfahren (EV) gegen den Kläger wegen versuchter Republikflucht (§ 115 StGB der DDR), das in das vorliegend maßgebliche Urteil des Kreisgerichts Dresden Ost keinen Eingang gefunden, vielmehr beim Kläger zu einem Personalausweisentzug geführt hat. Von der „schlechten Einstellung“ des Klägers zur DDR, die der Abschnittsbevollmächtigte feststellt, gehen auch die Entscheidungsgründe der Verurteilung durch das Kreisgericht bei der Würdigung der Person des Klägers aus. Angesichts dessen wird nicht deutlich, inwieweit der vorgelegte Vermerk zu einer anderen Würdigung der Haft des Klägers als politischer Gewahrsam im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG führen könnte. Erst recht legt der Kläger nicht dar, inwieweit sich die Beiziehung der von ihm genannten Unterlagen dem Verwaltungsgericht im Rahmen der Amtsermittlung – angesichts unterlassener Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung – hätte aufdrängen müssen. Mithin liegt ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel nicht vor.
2. Die Richtigkeit des streitgegenständlichen Urteils des Verwaltungsgerichts München erweist sich unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens des Klägers auch nicht im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO als ernstlich zweifelhaft.
2.1 Dies gilt zunächst, soweit der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die dem Kläger nach § 10 Abs. 4 HHG erteilte Bescheinigung sei insoweit rechtswidrig, als sie ihm über einen Zeitraum von sechs Monaten hinausgehende Haftzeiten als politischen Gewahrsam bescheinigt habe, für zweifelhaft erachtet.
Nicht dem Begriff des politischen Gewahrsams im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG unterfallen, wie das Verwaltungsgericht auch aus Sicht des Klägers zutreffend angenommen hat, Zeiten einer Inhaftierung aufgrund von Straftaten, deren Ahndung rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht widerspricht und die auch in der Bundesrepublik Deutschland in vergleichbarer Weise geahndet worden wären. Umgekehrt erweist sich ein Gewahrsam dann als politisch, wenn er auf aus der marxistisch-leninistischen Lehre stammenden ideologischen Gründen beruht, darüber hinaus dann, wenn er zwar auf anderen Gründen beruht, jedoch gemessen an den allgemein herrschenden Verhältnissen und den zu ihrer Bewältigung getroffenen Maßnahmen auch unter Berücksichtigung der traditionellen Anschauungen im Gewahrsamsstaat nicht mehr vertretbar erscheint. Als Maßstäbe der Vertretbarkeit sind die rechtsstaatlichen Grundsätze der Gerechtigkeit, Verhältnismäßigkeit und Toleranz heranzuziehen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1985 – 8 C 7.83 – juris Rn. 9).
Gemessen an diesen Grundsätzen gelangt das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bezirksgerichts Dresden vom 6. November 1991 (Az. BSHR 694/90, 83 AR 1382/91) im Rahmen des vom Kläger angestrengten strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens, das ebenfalls seine Verurteilung durch das Kreisgericht Dresden-Ost vom 3. Februar 1977 zum Gegenstand hatte, zu dem Ergebnis, dass politischer Gewahrsam nur insoweit vorgelegen habe, als der Kläger wegen des Bemalens einer weißen Wand des Klassenraums 240 der Betriebsschule „Karl Meseberg“ mit den Worten „Es lebe der Imperialismus – BRD – nieder mit dem Kommunismus“, wegen Staatsverleumdung nach § 220 Abs. 1 StGB der DDR verurteilt worden sei. Demgegenüber sei der Kläger wegen der weiteren, dem Urteil vom 3. Februar 1977 zugrunde liegender Straftaten – Missachtung staatlicher Symbole nach § 222 StGB der DDR wegen des Herunterreißens und Beschädigens der Staatsfahne der DDR am Vorabend des 1. Mai 1976, Staatsverleumdung nach § 220 Abs. 2 StGB wegen des Bemalens eines DIN-A4-Blatts mit einem Hakenkreuz und 4 Eisernen Kreuzen sowie Körperverletzung nach § 115 StGB der DDR wegen mehrfacher Faustschläge und eines Stoßes mit dem Knie gegen das Kinn eines Kollegen beim Arbeitseinsatz – nicht zu rehabilitieren, da die genannten Handlungen des Klägers auch nach der Wende strafbar geblieben seien. Angesichts der ohne Differenzierung nach den Einzeltaten verhängten Gesamtstrafe von 14 Monaten hob das Bezirksgericht die Verurteilung des Klägers im Umfang von sechs Monaten Freiheitsstrafe auf; im Übrigen – d.h. betreffend den Umfang von acht Monaten Freiheitsstrafe – lehnte es eine Rehabilitierung des Klägers ab. Demzufolge geht das Verwaltungsgericht von politischem Gewahrsam des Klägers infolge der Verurteilung wegen Staatsverleumdung nach § 220 Abs. 1 StGB der DDR in einem zeitlichen Umfang von sechs Monaten Freiheitsstrafe aus.
Soweit der Kläger in der vom Verwaltungsgericht rezipierten Entscheidung des Bezirksgerichts Dresden im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren hinsichtlich der drei nicht rehabilitierten Einzeltaten eine „Fehlinterpretation“ des Urteils des Kreisgerichts Dresden-Ost vom 3. Februar 1977 erblickt, kann er damit nicht durchdringen.
So legt er zunächst nicht substantiiert dar, weshalb die Verurteilung des Klägers wegen des gemeinschaftlichen Abreißens von DDR-Staatsfahnen, des Herausschneidens des DDR-Emblems sowie dessen Werfen auf ein Abstreicherloch „augenscheinlich“ maßgeblich dem Strafmaß im Urteil vom 3. Februar 1977 zugrunde gelegt worden sein soll, sodass das Strafmaß in weitergehendem Umfang als vom Bezirksgericht in der Rehabilitierungsentscheidung angenommen „politisch“ motiviert gewesen sei. Denn weder der Verweis auf die Würdigung der Person des Klägers im Urteil vom 3. Februar 1977 (Urteilsabdruck S. 3f.) noch die Erwägungen zum Strafmaß betreffend alle vom Kläger begangenen Straftaten (Urteilsabdruck S. 10) lassen erkennen, dass gerade dem Tatkomplex „DDR-Fahnen“ vom Kreisgericht Dresden-Ost eine besondere Bedeutung beigemessen worden ist, was insbesondere zu einem hohen, „politisch motivierten“ Strafmaß geführt habe. Auch erklärt der Kläger nicht nachvollziehbar, weshalb er angesichts der maßgeblichen Bedeutung gerade des Tatkomplexes „DDR-Fahnen“ weder gegen das Urteil des Bezirksgerichts im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren noch gegen die Unzulässigerklärung der Strafvollstreckung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 13. Juli 1981 vorgegangen ist, die diesen Tatkomplex gerade als eine nicht politisch motivierte Verurteilung angesehen und das „rechtsstaatliche“ Strafmaß für das Herunterreißen und Beschädigen der Flaggen mit einem Monat Dauerarrest bzw. Jugendhaft angesetzt hat. Würde es sich so verhalten, wie es der Kläger nunmehr darstellt, nämlich dass die Verurteilung wegen dieser Straftat maßgeblich die Gesamtstrafe des Urteils des Kreisgerichts Dresden-Ost vom 2. Februar 1977 beeinflusst habe und dass dies – aufgrund der oppositionellen Haltung des Klägers zum DDR-Regime – politisch motiviert gewesen sei, hätte es bereits im Interesse des Klägers gelegen, sowohl die ursprüngliche Bewertung seines Verhaltens durch die Generalstaatsanwaltschaft München wie auch die Rehabilitationsentscheidung des Bezirksgerichts Dresden zu revidieren. Indes ist er gegen beide Entscheidungen nicht vorgegangen. Der Hinweis darauf, dem Kläger sei es im Zuge der strafrechtlichen Rehabilitation nur darum gegangen, wenigstens im Umfang von sechs Monaten rehabilitiert zu werden, steht zu der nunmehr behaupteten maßgeblichen Bedeutung der Verurteilung auch wegen des Beschädigens der DDR-Fahnen im Widerspruch. Demzufolge vermag das Vorbringen des Klägers weder Zweifel an der Bewertung der Verurteilung vom 2. Februar 1977 durch das Bezirksgericht im Rehabilitierungsverfahren noch – daran anknüpfend – im vorliegend streitgegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren begründen.
Soweit der Kläger weiter ausführt, das Verwaltungsgericht habe die Verurteilung wegen Staatsverleumdung aufgrund der sog. „Hakenkreuzschmierereien“ als nicht gegenüber den anderen im Urteil vom 2. Februar 1977 abgeurteilten Straftaten „untergeordnet“ angesehen, legt er nicht dar, weshalb dies hätte anders beurteilt werden sollen.
Gleiches gilt für die Bewertung der Körperverletzung im Rahmen der DDR-Verurteilung. Insofern fehlt es an Darlegungen des Klägers zu seiner Ausgangsprämisse, das Urteil des Kreisgerichts Dresden-Ost habe „diese Handlungen als nachrangig zu den zuvor benannten, politisch motivierten Handlungen des Klägers bewertet“. Zum Beleg dieser These erweist sich weder die ausführliche Wiedergabe dieses Tatkomplexes im verwaltungsgerichtlichen Urteil noch die Differenzen um dessen Bewertung nach aktuellen strafrechtlichen Maßstäben als geeignet. Denn weshalb das Kreisgericht Dresden-Ost im Urteil vom 3. Februar 1977 gerade der vom Kläger begangenen Körperverletzung bei der Bestimmung des Strafmaßes ein geringes, dem Herunterreißen und Beschädigen der DDR-Fahnen hingegen ein großes Gewicht beigemessen haben soll, bleibt nach wie vor unklar. Der Kläger vermag daher nicht Zweifel hinsichtlich der Bewertung des Urteils vom 3. Februar 1977 durch das Bezirksgericht im strafrechtlichen Rehabilitationsverfahren und, daran anknüpfend, der Bewertung der Häftlingshilfebescheinigung als teilweise rechtswidrig durch das Verwaltungsgericht nachvollziehbar darzustellen. Anhaltspunkte für eine rechtlich fehlerhafte Bewertung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht liegen mithin nicht vor.
2.2 Auch mit seiner Auffassung, die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG lägen beim Kläger nicht vor, da er die Ausstellung der Häftlingshilfebescheinigung nicht durch Angaben bewirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, kann der Kläger die Zulassung der Berufung nicht bewirken. Das Verwaltungsgericht geht insoweit davon aus, dass dem Kläger, selbst wenn ihm das Urteil vom 3. Februar 1977 nicht ausgehändigt und der Bewährungswiderruf sich bei der Bezeichnung der Straftaten nur auf „Staatsverleumdung u.a.“ bzw. „Missachtung gesellschaftlicher Symbole u.a.“ beschränkt habe, aufgrund des Verlaufs der dreitägigen Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht Dresden-Ost und der jedenfalls betreffend die Körperverletzung erfolgten Beweisaufnahme habe klar sein müssen, wegen welcher Taten er verurteilt worden war und er dies auch vier Jahre nach seiner Verurteilung hätte entsprechend wiedergeben können. Gründe, die dafür sprächen, dass dem Kläger tatsächlich nicht bekannt gewesen sei, weshalb er seinerzeit verurteilt wurde, legt die Zulassungsbegründung nicht dar. Auch im Übrigen bleibt nicht nachvollziehbar, weshalb dem Kläger, für den die strafrechtliche Verurteilung und anschließende Inhaftierung ein einschneidendes, sein ganzes weiteres Leben bestimmendes Ereignis dargestellt hat, nicht bzw. nicht konkret gewusst haben soll, weswegen genau er verurteilt worden ist.
2.3 Dies gilt in gleicher Weise, soweit die Zulassungsbegründung auch das arglistige Erwirken der Ausstellung der Häftlingshilfebescheinigung im Sinne von Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG in Abrede stellen will. Der Hinweis darauf, dass das Verwaltungsgericht „die besondere Situation des Klägers, dessen Entwicklungsstand usw. in dem Zeitraum vor Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland“ nicht berücksichtigt und es weiter unterlassen habe, „Kenntnis von den hierzu vorliegenden Unterlagen“ zu nehmen, bleibt ausgesprochen vage und vermag die Divergenz zwischen den Angaben des Klägers unmittelbar nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik und dem tatsächlichen Umfang seiner strafgerichtlichen Verurteilung nicht zu erklären. Hinzu kommt, dass der Kläger nach seiner Übersiedlung nicht nur seine Verurteilung wegen bestimmter Straftatbestände nicht angegeben, sondern darüber hinaus unzutreffend vorgetragen hat, auch wegen „staatsfeindlicher Hetze“ (§ 106 StGB-DDR), einem klassischen Delikt des politischen Strafrechts der DDR (vgl. hierzu BGH, U.v. 15.11.1995 – 3 StR 527/94 – MDR 1996, 404 ff.), verurteilt worden zu sein, was indes nicht der Fall war. Ebenso wenig vermag der Kläger in diesem Zusammenhang nachvollziehbar darzulegen, weshalb der „Schwerpunkt“ der strafrechtlichen Verurteilung beim gemeinsamen Abreißen der DDR-Fahnen und dem Heraustrennen von Hammer und Sichel gewesen sein soll, sodass ihm nur dieser Tatkomplex als „wesentlich“ in Erinnerung geblieben sei, die weiteren Verurteilungen wegen der sog. „Hakenkreuzschmierereien“ und der Körperverletzung hingegen nicht.
2.4 Auch soweit der Kläger die Einhaltung der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG in der streitbefangenen Entscheidung falsch bewertet sieht, kann er damit nicht durchdringen. Dies gilt bereits deshalb, weil, worauf auch das Verwaltungsgericht abstellt, im vorliegenden Fall Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG eingreift, wonach die Jahresfrist im Fall des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG, d.h. im Fall der Erwirkung des Verwaltungsakts u.a. durch arglistige Täuschung, keine Anwendung findet. Nachdem die Argumente des Klägers gegen die Annahme fehlenden Vertrauensschutzes aufgrund arglistiger Täuschung, wie oben gezeigt, nicht durchgreifen, kann er sich in der Folge auch nicht auf die Rechtswidrigkeit des Teilrücknahmebescheids wegen Nichteinhaltung der Jahresfrist berufen.
Darüber hinaus unterliegt auch die hilfsweise Argumentation des Verwaltungsgerichts, wonach der Beklagte im vorliegenden Fall die Frist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG gewahrt habe, keinen ernstlichen Zweifeln. Denn insoweit ist anerkannt, dass durch die Aufhebung eines unter Wahrung der Frist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG ergangenen Rücknahmebescheids im Rahmen einer Anfechtungsklage der Lauf der Jahresfrist entweder gehemmt wird oder – nach Rechtskraft des Urteils – neu zu laufen beginnt, da in diesem Fall der Rücknahmebehörde noch nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorgelegen haben (vgl. hierzu Hueck/Müller, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 51; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 48 Rn. 161; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 206; für Ermessensfehler ausdrücklich VGH Mannheim, U.v. 17.2.2000 – 8 S 1817/99 – NVwZ-RR 2001, 6). Weshalb im vorliegenden Fall, in dem die Rücknahmebehörde nach entsprechenden Hinweisen des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe den ursprünglichen Rücknahmebescheid ihrerseits mittels eines neuen Bescheides „klargestellt“ und „ergänzt“ hat, etwas anderes gelten und insbesondere die Erwägung nicht Platz greifen soll, der Rücknahmebehörde hätten bei Erlass des ursprünglichen Rücknahmebescheids noch nicht alle erforderlichen Tatsachen vorgelegen, wird vom Kläger nicht dargelegt. Mithin begegnet die streitbefangene Entscheidung im Hinblick auf die Einhaltung der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG ebenfalls keinen ernsthaften Zweifeln.
2.5 Nicht durchzudringen vermag der Kläger ferner mit seinem Einwand, die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG, wonach in den Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen sei, lägen nicht vor. Seine Darlegungen können bereits deshalb keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bewirken, weil entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten dem Kläger aufgrund der Verwirklichung der Tatbestände des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1, 2 BayVwVfG kein Vertrauensschutz zukommt.
2.6 Soweit der Kläger schließlich sowohl die Ermessensfehlerhaftigkeit der Rücknahmeentscheidung des Beklagten aufgrund einer „unvollständigen Sachverhaltsermittlung“ sowie die aus seiner Sicht unzureichende Ergänzung der Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlung rügt, bleibt dieser Einwand unsubstantiiert, weil er weder erkennen lässt, welchen Sachverhalt der Beklagte rechtsfehlerhaft nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt und in welcher Weise er die Interessen am Bestand bzw. der Aufhebung des ursprünglichen Verwaltungsakts unzutreffend gewichtet hat. In diesem Zusammenhang reicht allein der Verweis auf die „vorstehenden Ausführungen“ zur Erfüllung des Darlegungserfordernisses des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht aus.
2.7 Ohne dass dies vom Kläger in der Zulassungsbegründung ausdrücklich gerügt worden wäre, hat der Beklagte das Rücknahmerecht auch nicht aufgrund des Zeitraums von nahezu 30 Jahren zwischen der Ausstellung der Häftlingshilfebescheinigung und deren Teilrücknahme verwirkt. Anders als nach dem Verfahrensrecht des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), unter dessen Geltung die Rücknehmbarkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts ex tunc nach 30 Jahren auch im Falle einer arglistigen Täuschung ausgeschlossen sein soll (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 203 unter Berufung auf BSGE 72, 139 [145] = NVwZ-RR 1994, 628), besteht die Rücknahmebefugnis nach Art. 48 BayVwVfG jedenfalls in den Fällen des Vorliegens einer arglistigen Täuschung nach Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG grundsätzlich ohne zeitliche Grenze (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 201 ff.). Zwar wird in diesem Zusammenhang auch eine Verwirkung des Rücknahmerechts der Behörde diskutiert. Dem steht jedoch gerade im vorliegenden Fall der Umstand entgegen, dass dem Kläger spätestens mit Ergehen der strafrechtlichen Rehabilitierungsentscheidung 1991 klar sein musste, dass die ihm erteilte Häftlingshilfebescheinigung jedenfalls teilweise unrichtig ist. Diesbezüglich kam ihm daher, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, kein Vertrauensschutz zu.
3. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrags war dem Kläger nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu versagen.
4. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Häftlingshilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung der Berufungszulassung wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.