Verwaltungsrecht

Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung

Aktenzeichen  M 9 E 20.3623

Datum:
27.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21872
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60b, § 60c

 

Leitsatz

Unternimmt der Antragsteller viele Jahre trotz vielfacher Aufforderungen keine ernsthaften Bemühungen zur Beschaffung eines Passes, bleibt ihm eine Ausbildungs- und Beschäftigungserlaubnis verwehrt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 22. April 2020 hat das Verwaltungsgericht München einen Antrag gemäß § 123 VwGO auf Erteilung einer Ausbildungsduldung sowie einer Beschäftigungserlaubnis zur Ausbildung in einem Bäckereibetrieb abgelehnt (M 9 E 19.5879), da der angeblich aus dem Senegal stammende Antragsteller sich seit Juli 2015 und nach bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet ohne gültigen Pass im Bundesgebiet aufhält. Auf den Beschluss wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Aktuell begehrt der Antragsteller eine Beschäftigungserlaubnis und Ausbildungsduldung für die qualifizierte Berufsausbildung zum Gesundheits-/Krankenpfleger bei einem ambulanten Pflegedienst O. GmbH in Bad … ab dem 1. September 2020.
Der Antragsteller hat bis heute keinen Pass. Er wurde fortlaufend aufgefordert, Identitätsdokumente zu beschaffen; am 31. Januar 2019 (Blatt 461 BA) legte er eine Bescheinigung der Botschaft der Republik Senegal über die Vorsprache zur Passbeschaffung vor, wonach er weitere Nachweise und Dokumente vorlegen müsse. Der letzte Stand ist, dass ausweislich einer Mail seines Bevollmächtigten vom 20. August 2020 die Senegalesische Botschaft in Berlin einer Helferin des Antragstellers die Auskunft gegeben habe, dass dieser zur Ausstellung einer ID-Karte nach Frankreich reisen müsse und eine Geburtsurkunde des Klägers nach Deutschland geschickt würde. Mit Schreiben vom 26. August 2020 wurde eine Kopie einer Geburtsurkunde vorgelegt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte am 5. Juli 2020 unter Vorlage einer Ausbildungszusage vom 1. Juli 2020 bei der Zentralen Ausländerbehörde Oberbayern die Zustimmung zur Beschäftigung und Ausbildung ab dem 1. September 2020 unter Hinweis darauf, dass bei Erteilung einer Ausbildungsduldung die noch anhängige Klage M 9 K 19.5877 bzgl. der Beschäftigungserlaubnis und Ausbildungsduldung in einem Bäckereibetrieb zurückgenommen werde. Nach mehreren Aufforderungen legte der Bevollmächtigte am 15. Juli 2020 den Ausbildungsvertrag vor, wonach eine Ausbildung zum Altenpfleger am 1. September 2020 beginne. Ausweislich der Akten wurde der Antragsteller, sein Bevollmächtigter und eine Helferin mehrfach im Zusammenhang mit dem Angebot einer Rückkehrberatung, der Prüfung des Ausbildungsvertrags und der Anhörung vom 28. Juli 2020 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf die Notwendigkeit der Beschaffung von Papieren bei der Botschaft hingewiesen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schriftsatz vom 10. August 2020 Klage und beantragte gemäß § 123 VwGO:
1. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Beschäftigungserlaubnis und Ausbildungsduldung für die qualifizierte Berufsausbildung zum Gesundheits-/Krankenpfleger bei der Firma Ambulanter Pflegedienst O. GmbH, Bad …, mit Wirkung ab dem 1. September 2020 zu erteilen bis in der Hauptsache über den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis entschieden ist,
2. hilfsweise:
Zug um Zug gegen die sofortige Rücknahme der Klage zum Verfahren M 9 K 19.5877 (VG München) durch den Kläger.
Die Beiziehung der Akten der bisherigen Verfahren M 9 K 19.5877, M 19 K 16.50772 und M 10 K 17.46627, alle VG München, werde beantragt, die den Aufenthalt und den Status des Antragstellers bestätigten. Der Antragsteller habe fortlaufend eine Duldung erhalten, zuletzt mit der Gestattung einer Tätigkeit als Erntehelfer vom 14. Mai 2020 bis 31. Oktober 2020. Der Antragsteller habe die B2-Deutschprüfung bestanden und sei engagiert und sozial integriert. Dem Antragsteller sei unmissverständlich durch die Zentrale Ausländerbehörde klargemacht worden, dass er keine Ausbildungsduldung erhalte. Nach dieser Sachlage sei es nicht länger zuzumuten, auf eine förmliche Entscheidung der Regierung zu warten. Die Frist des § 75 Satz 2 VwGO gelte aufgrund besonderer Umstände hier nicht. Ein Anordnungsgrund bestehe. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) und dem subjektiven Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stehe der Erteilung einer Ausbildungsduldung bzw. der Beschäftigungserlaubnis nicht entgegen. Mit weiterem Schriftsatz vom 20. August 2020 legte der Bevollmächtigte eine Kopie einer Wohnortbestätigung, angeblich aus dem Senegal vor. Der Antragsteller habe die Beschaffung eines Passes bereits in die Wege geleitet. Die ehrenamtliche Betreuerin des Antragstellers habe mit einer deutschsprachigen senegalesischen Rechtsanwältin Kontakt aufgenommen, um die Passbeschaffung zu beschleunigen. Die Senegalesische Botschaft in Berlin habe der Betreuerin gesagt, der Antragsteller benötige dazu einen senegalesischen Personalausweis, da er keine Kopie seines alten Reisepasses besitze; dazu müsse er zur Botschaft des Senegal nach Paris reisen. Telefonisch habe dem Antragsteller der Bürgermeister seines ehemaligen senegalesischen Wohnortes eröffnet, ihm könne seine senegalesische ID übermittelt werden. Die Botschaft in Berlin habe auf Anruf des Antragstellers hin jedoch erklärt, die Fahrt nach Paris sei unumgänglich und eine entsprechende Reisegenehmigung sei mit Mail vom 20. August 2020 beantragt worden.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 24. August 2020:
Antragsablehnung.
Die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage lägen nicht vor, da der Antragsteller und sein Bevollmächtigter erst nach mehreren Mahnungen am 15. Juli 2020 den Ausbildungsvertrag vorgelegt hätten. Vorher habe keine Prüfung stattfinden können. Das durch die Helferin zugesandte Dokument des Antragstellers sei kein Ausdruck aus dem Geburtenregister, sondern nach Mitteilung der überprüfenden Behörde vom 21. August 2020 eine Wohnsitzbescheinigung. Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung der Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis sei der Helferin am 30. Juli 2020 und 31. Juli 2020 mitgeteilt worden, wie der Antragsteller sich ID-Dokumente beschaffen und einen Pass oder Passersatz beantragen könne und dass mittlerweile die senegalesischen Behörden und die senegalesische Botschaft in Berlin nach der coronabedingten Unterbrechung wieder geöffnet hätten. Erst mit Mail vom 20. August 2020 habe der Bevollmächtigte mitgeteilt, dass die Helferin des Antragstellers am 18./19. August 2020 nach Rücksprache mit der senegalesischen Botschaft die Auskunft erhalten habe, dass der Antragsteller zur Ausstellung einer ID-Karte nach Paris reisen müsse. Die Geburtsurkunde wäre auf dem Weg nach Deutschland. Nach dieser Sachlage könne nicht von einer Untätigkeit der Behörde ausgegangen werden. Es werde darauf hingewiesen, dass bereits im Zusammenhang mit früheren Anträgen der Helferin des Antragstellers bereits am 26. Juni 2019 die ausländerrechtliche Situation und die Möglichkeiten für einen Ausbildungsantritt mitgeteilt worden seien. Außerdem genüge die Nennung der ID-Nummer für die Beantragung einer ID-Karte im Senegal, wenn es stimme, dass der Antragsteller bereits eine ID-Karte im Senegal gehabt habe, da er dann bereits biometrisch erfasst worden sei. Im Übrigen fehle ein Anordnungsanspruch, da Voraussetzung für die Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AufenthG sei, dass die Identität des Antragstellers geklärt sein müsse. Dies sei seit seiner Einreise im Jahre 2015 nicht der Fall. Seit mehr als drei Jahren sei der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig und habe nichts unternommen. Eine Passbeschaffung im Senegal sei möglich. Voraussetzung sei, dass das senegalesische Innenministerium der Botschaft in Berlin die Identifizierung des Betroffenen mitteile wozu neben den Fingerabdrücken möglichst viele Personen- und Dokumentenangaben vorliegen müssten. Der Antrag sei in Deutschland stets in der konsularischen Abteilung der senegalesischen Botschaft in Berlin zu stellen. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, die zur Identifizierung beitragenden Papiere und Unterlagen und Dokumente durch Familie und Freunde im Senegal beschaffen zu lassen. Kopien genügten, da die nationale ID-Nummer auf allen biometrischen Dokumenten angegeben sei. Sofern der Antragsteller tatsächlich nie biometrische Ausweisdokumente besessen hätte, müsse er beim zuständigen Bezirksgericht seines Geburtsortes die Feststellung seiner Staatsbürgerschaft beantragen lassen und eine entsprechende Urkunde vorlegen. In jedem Aufforderungsschreiben sei der Antragsteller auf seine Passbeschaffungspflicht hingewiesen worden. Seit Juli habe die Senegalesische Botschaft in Berlin und die Deutsche Botschaft in Dakar wieder geöffnet. Es träfe nicht zu, dass zur Ausstellung einer ID-Karte die Reise nach Italien/Frankreich erforderlich sei. Nach dieser Sachlage lägen auch die Voraussetzungen des § 60c Abs. 7 AufenthG nicht vor. Eine Ausbildungsduldung sei außerdem auch nach § 60c Abs. 2 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, § 29a AsylG zu versagen, da wegen der Herkunft aus einem sicheren Herkunftsstaat ein Beschäftigungsverbot bestehe. Ergänzend werde auf die Ausführungen im Bescheid vom 22. Oktober 2019 und die Klageerwiderung (M 9 K 19.5877) und die Stellungnahme im Verfahren M 9 E 19.5879 vom 12. Dezember 2019 verwiesen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte sowie die Akten im Verfahren M 9 K 19.5877, M 9 E 19.5879 und M 9 K 20.3622 Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, d.h. der Eilbedürftigkeit, sowie eines Anordnungsanspruchs, d.h. der materiell-rechtliche Anspruch in der Hauptsache, § 123 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Danach stellt sich die Sachlage so dar, dass der Antragsteller seit vielen Jahren trotz vielfacher Aufforderungen keine ernsthaften Bemühungen zur Beschaffung eines Passes unternommen hat. Über viele Jahre hinweg blieb er untätig. Bereits mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 22. April 2020 wurde ein Antrag für eine Ausbildungs- und Beschäftigungserlaubnis wegen fehlender Identitätsnachweise abgelehnt ohne dass der Antragsteller, seine ehrenamtliche Helferin oder der Bevollmächtigte daraufhin tätig wurden. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nach Kenntnis der Kammer sowohl die Behörden als auch die Botschaft pandemiebedingt im April/Mai 2020 geschlossen waren, ist vor dem Hintergrund dieses Beschlusses nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller, seine Helferin und sein Bevollmächtigter nicht umgehend bereits im Juni 2020 zur Beschaffung von Identitätspapieren tätig wurden. Unter Berücksichtigung des langjährigen illegalen Aufenthalts genügen die ab Ende Juli unternommenen Anstrengungen nicht, um von ernsthaften Bemühungen zur Beschaffung eines Passes auszugehen. Nach aktuellem Stand liegt lediglich die Kopie einer Geburtsurkunde, wohl beschafft durch einen Verwandten im Senegal und eine Wohnsitzbestätigung aus dem Senegal vor, die beide bei weitem nicht als Grundlage zur Beschaffung eines Passes oder ID geeignet sind. Da der Antragsteller angeblich bereits eine ID in Senegal besessen hat, kann mit oder ohne biometrische Angaben bei der ausstellenden Behörde eine neue beschafft oder zumindest eine Bestätigung der früheren besorgt werden; der Antragsteller hat dazu zunächst angegeben, dass ihm solche Papiere in Libyen abhandengekommen seien.
Nach dieser Sachlage erfüllt der Antragsteller nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG. Nach § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG wird eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn die Identität nicht geklärt ist bei einer Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31. Dezember 2016 bis zum Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung (Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a). Da der Antragsteller nicht innerhalb dieser in Buchstabe a genannten Frist alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat, tritt auch nicht die Fiktion einer Fristwahrung ein. Nach wie vor hat der Antragsteller nicht alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen, sondern nur ungeeignete Unterlagen vorgelegt. Der Antragsteller muss sich daran festhalten lassen, dass er selber angegeben hat, dass er im Senegal eine ID besessen hat. Solange der Antragsteller, wie er gegenüber der Beklagten vorgetragen hat, im Senegal eine Verfolgung wegen dort von ihm begangener Straftaten fürchtet, bestätigt dies den objektiven Tatbestand, dass er alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen noch nicht ergriffen hat um seine Identität zu klären. Die Frage einer Unzumutbarkeit einer bestimmten Maßnahme stellt sich nach Auffassung der Kammer nicht, wenn Straftäter aus Furcht vor Verfolgung ihre wirkliche Identität nicht offenbaren. Eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts der telefonischen Auskunft vom 14. Juli 2020 gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde bedarf es vor dem Hintergrund, dass ausweislich eines Gesprächs mit der Helferin vom 30. Juli 2020 der Antragsteller dieser mitgeteilt habe, er sei im Besitz eines Reisepasses, nicht. In beiden Fällen verbleibt es dabei, dass die Identität nicht geklärt ist und nach Aktenlage auch nicht geklärt werden wird.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine Duldung gemäß § 60c Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Nach der vorliegenden Sachlage hat der Antragsteller nicht die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen.
Da der Antragsteller nach Aktenlage nach wie vor lediglich im Besitz einer Duldung für Personen mit ungeklärter Identität ist (§ 60b AufenthG) bleibt ihm eine Ausbildung weiterhin verwehrt (§ 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG).
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.

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