Verwaltungsrecht

Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Rahmen einer Ausbildungsduldung

Aktenzeichen  W 7 E 18.824

Datum:
26.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38501
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 4, § 60a
BeschV § 32
VwGO § 123

 

Leitsatz

1 Durch die Einfügung von § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG ist davon auszugehen, dass das der Ausländerbehörde bei der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis eingeräumte Ermessen im Hinblick auf die Ausbildungsduldung intendiert ist, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung vorliegen. Es würde dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, wenn der gebundene Anspruch nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG mit anderem Gewicht und anderer Zielrichtung in das Ermessen der Behörde gestellt werden könnte (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 8610). (Rn. 16 – 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Sofern die in § 60a Abs. 2 S. 4, Abs. 6 AufenthG normierten Voraussetzungen vorliegen, ist im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen (vgl. HessVGH BeckRS 2018, 3531). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Der gesetzliche Ausschlussgrund des Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung für die Erteilung einer Ausbildungsduldung liegt bereits dann vor, wenn Pass(ersatz)papiere beantragt worden sind, die Abschiebung terminiert ist oder ein Verfahren zur Dublin-Überstellung läuft. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG sind grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen. Demgegenüber kommt es für das Vorliegen des Versagungsgrunds konkret bevorstehender Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise an (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 3047). (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 In der unzureichenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung kann grundsätzlich ein Versagungsgrund nach § 60a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG gesehen werden. Gründe, die den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben, sind jedoch insoweit unbeachtlich, da § 60 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG auf eine aktuelle Vollzugshinderung abstellt (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 3047) (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung im Verfahren W 7 K 18.823 die Erlaubnis für eine Berufsausbildung als Bäcker bei der Bäckerei …, Würzburg, zu erteilen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Januar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31. Juli 2015 einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. November 2016 abgelehnt. Der Antragsteller ist derzeit im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Am 7. Dezember 2017 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Erlaubnis zur Berufsausbildung als Bäcker bei der Bäckerei …, Würzburg, ab dem 1. September 2018.
Mit Schreiben vom 8. Januar 2018 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken dem Antragsteller mit, dass sie beabsichtige den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis abzulehnen und gab ihm Gelegenheit zur Äußerung.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2018 lehnte die Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde – den Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für eine Berufsausbildung zum Bäcker bei der Bäckerei …, Würzburg ab (Ziffer 1). Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 26. Mai 2018 zugestellt.
In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Ermessensentscheidung nach § 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG falle zulasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an einer Versagung der Beschäftigung überwiege das private Interesse des Antragstellers an der Aufnahme einer Berufsausbildung. Gründe für eine Ermessensreduktion auf Null seien nicht ersichtlich. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig und halte sich nur noch zur Vorbereitung der Ausreise im Bundesgebiet auf. Insbesondere aus einwanderungspolitischen Erwägungen bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass abgelehnten Asylbewerbern bis zu deren Ausreise keine Beschäftigungserlaubnis erteilt werde. Es seien auch keine besonderen Umstände erkennbar, die für ein überwiegend privates Interesse des Antragstellers an der Erlaubnis einer Berufsausbildung sprächen. Auch die Neuregelung des § 60a Abs. 2 Satz 3, 4 AufenthG führe nicht zu einem Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungserlaubnis. Denn zum einen habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Verhältnis zwischen Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis dahingehend geklärt, dass § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG keinen Anspruch auf eine Beschäftigungserlaubnis vermittele sondern einen solchen voraussetze (BayVGH Beschluss vom 25. Januar 2017 – 10 CE 16.2342). Darüber hinaus lägen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht vor, da konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstünden. Der Antragsteller sei bereits am 19. Februar 2017 zur Sammelabschiebung nach Afghanistan angemeldet worden. Im Übrigen sei – ohne, dass es darauf noch ankäme – zu berücksichtigen, dass die Identität des Antragstellers ungeklärt sei und er keine Nachweise erbracht habe, die seine Bemühungen zur Identitätsklärung belegen könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides vom 25. Mai 2018 Bezug genommen.
2. Gegen den Bescheid vom 24. Mai 2018 ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 19. Juni 2018, bei Gericht eingegangen am 21. Juni 2018, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und gleichzeitig beantragen,
„den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig eine Erlaubnis für eine Berufsausbildung zum Bäcker bei der Bäckerei …, … … … Würzburg, zu erteilen.“
Zur Begründung wurde vorgetragen, der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass der Antragsteller ein ganzes Ausbildungsjahr verliere, wenn er die Ausbildung nicht zum 1. September 2018 beginnen könne. Zudem könne die Ausbildungsstelle verloren gehen.
Der Anordnungsanspruch ergebe sich daraus, dass das nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV bestehende Ermessen intendiert sei, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erfüllt seien. Dies sei der Fall, da im maßgeblichen Zeitpunkt der Beantragung einer Erlaubnis für eine Berufsausbildung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gerade nicht bevorstünden. Insbesondere mangele es in Bezug auf die Anmeldung zur Sammelrückführung vom 19. Februar 2017 am sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Ferner seien zum maßgeblichen Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung der Erlaubnis für eine Berufsausbildung am 7. Dezember 2017, die Abschiebungen nach Afghanistan nach einem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul vom Mai 2017 ausgesetzt gewesen. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2017 ließ der Antragsteller ferner mitteilen, dass er mittlerweile im Besitz seiner Tazkira sei. Diese wurde in Kopie beigefügt. Er kündigte ferner an, diese auch der Zentralen Ausländerbehörde Unterfranken vorzulegen, sobald er die Originale erhalten habe.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde insbesondere auf den Bescheid vom 24. Mai 2018 verwiesen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass der Ausschlussgrund des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG wegen Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorliege. Die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken habe nämlich am 21. Juni 2018 – unmittelbar nach Bekanntgabe der Wiederaufnahme der Rückführungen nach Afghanistan – ein Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers eingeleitet. Schließlich sei zu Lasten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass dessen Identität nach wie vor ungeklärt sei und keine Reisedokumente vorlägen. Es sei daher an ein Beschäftigungsverbot nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG wegen unzureichender Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu denken.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder aber zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl den Anordnungsanspruch, mithin also den materiellen Anspruch, für den er vorläufigen Rechtsschutz ersucht, als auch den Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO).
1.1. Ein Anordnungsgrund liegt vor, denn die Berufsausbildung soll bereits zum 1. September 2018 beginnen.
1.2. Der Antragsteller hat auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruches glaubhaft gemacht. Denn das nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV bestehende Ermessen zur Erteilung der Beschäftigungserlaubnis ist vorliegend auf Null reduziert, da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erfüllt sind.
Maßgebliche Normen für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis sind §§ 4 Abs. 2 Satz 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 32 BeschV. Nach § 32 BeschV kann Ausländern, die eine Duldung besitzen, eine Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn sie sich seit drei Monaten erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten, wobei eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nicht erforderlich ist, soweit wie im vorliegenden Fall eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf gegenständlich ist (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV) bzw. ein vierjähriger erlaubter, geduldeter oder gestatteter Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 BeschV) vorliegt. Diese Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis steht im behördlichen Ermessen (Breidenbach, in: Kluth/Heusch, Beck-OK, Ausländerrecht, 18. Edition, Stand: 01.05.2018, § 39, Rn. 22; Hailbronner, Ausländerrecht, Band 4, Stand: September 2013, C 1.1., Rn. 239). Dabei hat die Ausländerbehörde in ihre Ermessenserwägungen alle persönlichen Belange einzustellen und diese mit dem öffentlichen Interesse an einer Versagung der Beschäftigung abzuwägen. Zu diesen persönlichen Belangen gehören sowohl die privaten Interessen wie z. B. Bindungen im Bundesgebiet als auch finanzielle Belange des Antragstellers. Auf der anderen Seite können die Interessen des Staates, lediglich geduldete Ausländer – sei es aus aufenthaltsrechtlichen oder aus anderen Gründen – von einer Beschäftigung fernzuhalten, einen öffentlichen Belang darstellen (VG Würzburg, Beschluss vom 26. September 2016 – W 7 E 16.953).
Selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. 32 BeschV erfüllt sind besteht zwar grundsätzlich kein Anspruch auf Erteilung der Beschäftigungserlaubnis, sondern lediglich ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.
Durch die Einfügung von § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG im Zuge des sog. „Integrationsgesetzes“ (G.v. 31.7.2016, BGBl. 2016 I 1639) ist aber nunmehr davon auszugehen, dass das der Ausländerbehörde in § 32 Abs. 1 Satz 1 BeschV i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis eingeräumte Ermessen in Bezug auf die Ausbildungsduldung intendiert ist, wenn die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG tatsächlich vorliegen. Hierfür spricht insbesondere, dass es dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde, wenn der gebundene Anspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG mit anderem Gewicht und anderer Zielrichtung in das Ermessen der Behörde gestellt werden könnte (BayVGH, Beschluss vom 09. Mai 2018 – 10 CE 18.738 -, juris, Rn. 12). Sofern die in § 60a Abs. 2 Satz 4, Abs. 6 AufenthG normierten Voraussetzungen vorliegen ist somit im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen (VGH Hessen, Beschluss vom 15. Februar 2018 – 3 B 2137/17 -, juris Ls. 2, Rn. 12; BayVGH, Beschluss vom 09. Mai 2018 – 10 CE 18.738 -, juris Rn. 3).
Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung liegen die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz. 4 AufenthG vor. Insbesondere stehen keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor und auch der Versagungsgrund des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht erfüllt.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach § 60a Abs. 6 AufenthG nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Bei letzterem Tatbestandsmerkmal handelt es sich um einen gesetzlich vorgeschriebenen Ausschlussgrund und nicht um eine bloße Kann-Bestimmung. Daher stehen derartige Maßnahmen der Duldungserteilung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG entgegen, ohne dass insoweit ein Ermessensspielraum bestünde. Nach der Gesetzesbegründung zum sog. „Integrationsgesetz“ soll in Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung absehbar ist, der Durchsetzung der Ausreisepflicht gegenüber der Erteilung einer Ausbildungsduldung grundsätzlich der Vorrang eingeräumt werden. Eine konkrete Vorbereitung der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG liegt bereits dann vor, wenn Pass(ersatz) papiere beantragt worden sind, die Abschiebungen terminiert sind oder ein Verfahren zur Dublin-Überstellung läuft (BT-Drs. 18/9090, S. 25 f. v. 6.7.2016).
Während für die Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG grundsätzlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist, kommt es für die Frage, ob der Versagungsgrund konkret bevorstehender Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorliegt, auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise an (in Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung BayVGH, B. v. 22. 1. 2018 – 19 CE 18.51 -, juris Rn. 18 sowie BayVGH, B.v. 31.7.2017 – 19 CE 17.1032 – juris; B.v. 24.4.2017 – 19 CE 17.619 – juris Rn. 17, wo es auf diese Differenzierung nicht entscheidend ankam).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im maßgeblichen Beurteilungszeitraum keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vor. Zwar erfolgte die Anmeldung zur Sammelabschiebung vom 19. Januar 2017 noch vor der Stellung des Antrages auf Erlaubnis einer Berufsausbildung am 7. Dezember 2017. Allerdings ging die Anmeldung zur Sammelabschiebung ins Leere. Denn die Abschiebungen nach Afghanistan waren ab Juni 2017 vorübergehend auf bestimmte Personengruppen nach vorangehender Einzelfallprüfung beschränkt (siehe LT-Drs. 17/17864, S. 10), zu denen der Antragsteller nicht gehörte. Damit standen im Zeitpunkt des Antrags keine konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor. Die Beantragung der Passersatzpapiere vom 21. Juni 2018 erfolgte erst nach Beantragung der Ausbildungserlaubnis und ist somit für die Frage, ob im maßgeblichen Zeitpunkt aufenthaltsbeendende Maßnahmen bevorstanden, nicht mehr beachtlich.
Schließlich ist der Ausschlusstatbestand des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG scheidet die Erteilung einer Ausbildungsduldung aus, wenn beim Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. In der unzureichenden Mitwirkung an der Passbeschaffung kann zwar grundsätzlich ein Versagungsgrund in diesem Sinne gesehen werden. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG stellt jedoch darauf ab, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme aktuell nicht vollzogen werden kann. Gründe, die den Vollzug ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben sind unbeachtlich (BayVGH, Beschluss vom 22. Januar 2018 – 19 CE 18.51 -, juris, Rn. 26; 09. Mai 2018 – 10 CE 18.738 -, juris, Rn. 5). Da der Antragsteller mittlerweile seine Tazkira vorgelegt hat, die zum Nachweis seiner Identität geeignet ist, scheitert der Vollzug der aufenthaltsbeenden Maßnahmen jedenfalls aktuell nicht an Gründen, die der Antragsteller zu vertreten hat.
Da die Voraussetzungen der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erfüllt sind, ist das Ermessen im Rahmen der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis nach § 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV intendiert. Da auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, hat der Antragsteller das Vorliegen des Anordnungsanspruches glaubhaft gemacht.
2. Schließlich liegt auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Denn vor dem Hintergrund des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), ist es dem Antragsteller nicht zumutbar, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Denn es besteht die Gefahr, dass der Antragsteller ein ganzes Ausbildungsjahr verliert und der Ausbildungsplatz unwiederbringlich verloren geht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG. In dem vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes ist dabei nach dem Streitwertkatalog von der Hälfte des Regelstreitwertes auszugehen.

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