Verwaltungsrecht

Vorläufige Erteilung einer Erlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung für afghanischen Asylbewerber

Aktenzeichen  Au 1 E 17.1304

Datum:
11.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 61 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4
BeschV BeschV § 32 Abs. 2 Nr. 2
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist für den Erlass einer Regelungsanordnung gerade nicht notwendig, denn auch ein Anspruch auf erneute fehlerfreie Ausübung des Ermessens kann mit einer vorläufigen Regelung gesichert werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Anwendung der Vorschrift des § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG (Duldung für die Dauer einer Ausbildung), die zu einer Verfestigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland führt, ist gerade Voraussetzung, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dies ist mithin dann der Fall, wenn ein Asylantrag abgelehnt worden ist. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig (bis zwei Wochen nach Erlass der Entscheidung über den Antrag auf Beschäftigungserlaubnis) die Aufnahme der Berufsausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer bei der Firma … GmbH zu erlauben.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einstweilen den Beginn einer Berufsausbildung zu gestatten.
Der am … 1999 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 29. September 2015 als unbegleiteter Minderjähriger in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2015 ordnete das Amtsgericht … für den Antragsteller die Vormundschaft an. Seit 26. November 2015 hält sich der Antragsteller in einem Kinder- und Jugendhilfezentrum in … auf.
Am 23. Mai 2016 stellte der Vormund für den Antragsteller einen förmlichen Asylantrag. Am 27. April 2017 wurde der Antragsteller in Begleitung seines Vormunds durch das Bundesamt zu seinen Fluchtgründen angehört und gab in der Befragung an, in seinem Heimatland noch nie Personalpapiere besessen zu haben. Seine Mutter und seine Geschwister lebten noch in seinem Heimatdorf. Mit Bescheid vom 19. Mai 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab. Über die hiergegen erhobene Klage (Au 8 K 17.33270) wurde noch nicht entschieden.
Am 9. August 2017 übernahm die Regierung von, Zentrale Ausländerbehörde, die ausländerrechtliche Zuständigkeit für den Antragsteller und wies den Antragsteller auf seine gesetzliche Pflicht zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätsdokumenten hin. Er wurde auch aufgefordert, alle Urkunden und sonstige Unterlagen, die für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können, der Ausländerbehörde vorzulegen.
Am 8. Juli 2017 schloss der Antragsteller einen Berufsausbildungsvertrag (Blatt 84 der Behördenakte), den die die … am 11. August 2017 genehmigte.
Am 17. August 2017 beantragte der Vormund des Antragstellers die Genehmigung der Ausbildung des Antragstellers als Maschinen- und Anlagenführer und legte eine handschriftliche Bestätigung des Imams aus dem Heimatdorf des Antragstellers über dessen Geburt und Herkunft sowie die vom Antragsteller dokumentierten Schritte seiner Aktivitäten zur Beschaffung von Identitätspapieren seit dem 19. Juli 2017 vor.
Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte die Antragsgegnerin mit, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf unselbständige Beschäftigung im Rahmen der Ausbildung abzulehnen. Zum einen liege nur die erste Seite des Ausbildungsvertrags vor. Zum anderen habe der Antragsteller trotz Belehrung über seine Mitwirkungspflichten keine Identitätsdokumente beschafft. Bemühungen zur Erlangung eines Identitätsdokuments seien erst mit dem Antrag auf Ausbildung nachgewiesen worden. Das vom Antragsteller beigebrachte Schreiben des Imams genüge nicht, um den Mitwirkungspflichten nachzukommen. Aufgrund der noch bestehenden Kontakte in Afghanistan sei es dem Antragsteller möglich und zumutbar, die erforderlichen Dokumente für die Beantragung einer Tazkira beim afghanischen Generalkonsulat in München zu beschaffen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, bis spätestens 29. August 2017 identitätsklärende Dokumente, insbesondere seine Tazkira, im Original vorzulegen. Dem Schreiben war ein Merkblatt der Regierung von Oberbayern über das Vorgehen zur Ausstellung einer Tazkira beigefügt. In diesem Merkblatt ist unter anderem ausgeführt, dass eine Tazkira nur vom Innenministerium in Kabul ausgestellt werden könne. Das Generalkonsulat sei hierzu nicht befugt, eine Beantragung der Tazkira sei aber über das Generalkonsulat möglich. Ein Bevollmächtigter müsse beim afghanischen Innenministerium und anschließend beim afghanischen Außenministerium vorsprechen. Die Ausstellung dauere ein bis vier Wochen.
Mit Schreiben vom 23. August 2017 teilte der Vormund des Antragstellers mit, dass der vollständige Ausbildungsvertrag noch am 17. August 2017 beim Antragsgegner durch den Betreuer des Antragstellers persönlich abgegeben worden sei. Auch sei die Annahme falsch, der Antragsteller bemühe sich nicht darum, Identitätsdokumente vorzulegen bzw. bei der Identitätsklärung mitzuwirken. Er habe Kontakt mit seiner Mutter aufgenommen, um eine Bestätigung über seine Geburt zu erhalten. Das Schreiben des Mullahs seines Geburtsortes habe er vorgelegt. Außerdem sei er weiter bemüht, eine Tazkira zu beschaffen und habe dazu ebenfalls seine Mutter kontaktiert. Die Mutter sei aber Analphabetin und benötige die Hilfe Dritter. Da sich der Antragsteller im laufenden Asylverfahren befinde, sei ihm nicht zuzumuten, beim Generalkonsulat vorzusprechen.
Mit E-Mail vom 28. August 2017 übersandte der Vormund eine Kopie der Tazkira, die die Mutter des Antragstellers in der Provinzstadt seiner Heimat angefordert habe. Bei der Übersetzung des Tazkira stellte der Antragsgegner fest, dass die Tazkira mit dem (umgerechneten) Ausstellungsdatum 17. Juli 2014 versehen ist. Auf Nachfrage erklärte der Antragsteller, dass seine Mutter die Tazkira erst jetzt beantragt habe. Das Original könne noch nicht übersandt werden, weil noch Bestätigungsstempel fehlen würden und seine Mutter hierzu erst ist die Provinzstadt fahren müsse. Daraufhin teilte der Antragsgegner dem Vormund des Antragstellers mit Schreiben vom 29. August 2017 mit, dass die Tazkira zu einem Zeitpunkt ausgestellt worden sei, in dem sich der Antragsteller noch in Afghanistan befunden habe. Er habe aber beim Bundesamt angegeben, keine Personalpapiere zu besitzen. Das jetzt vorgelegte Lichtbild der Tazkira lasse den Schluss zu, dass der Antragsteller schon in Afghanistan eine Tazkira besessen habe und wissentlich beim Bundesamt falsche Angaben gemacht habe. Daher könne keine Genehmigung der Ausbildung erfolgen. Die Ausbildung dürfe am 1. September 2017 nicht begonnen werden.
Am 28. August 2017 stellte der Vormund des Antragstellers einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig eine Beschäftigungserlaubnis für die Berufsausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer bei der Firma … GmbH zu erteilen.
Der Antragsteller habe an der Klärung seiner Identität mitgewirkt. Er habe seine Mutter in Afghanistan beauftragt, sich um Identitätspapiere zu bemühen. Es bestehe die Gefahr, dass der Antragsteller seinen Ausbildungsplatz verliere, wenn er ihn nicht bzw. nicht rechtzeitig antreten könne. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Bei der hier vorliegenden Sachlage sei sogar von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Die Mutter des Antragstellers sei Analphabetin und habe das Ausstellungsdatum der Tazkira nicht erkennen können. Sie sei bei der Beantragung gefragt worden, wann der Antragsteller Afghanistan verlassen habe, und habe erklärt, dies sei etwa im Sommer vor drei Jahren gewesen. Vermutlich habe der Beamte dann ein Datum im Sommer 2014 eingetragen. Tatsächlich sei die Tazkira aber im August 2017 ausgestellt worden. Dies könne man auch an dem Foto erkennen, das auf der Tazkira enthalten sei. Dieses Foto sei im April 2017 in … aufgenommen und der Mutter geschickt worden. Unter Mithilfe des Betreuers und unter Einschaltung eines afghanisch sprechenden Mitarbeiters der … seien weitere Schritte zur Erlangung einer Tazkira mit zutreffendem Ausstellungsdatum unternommen worden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unbegründet. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Genehmigung der Berufsausbildung, sondern lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Der Antragsteller habe nur eine geringe Bleibeperspektive, weil sein Asylantrag abgelehnt worden sei. Solange sein endgültiges Bleiberecht nicht feststehe, sei es zulässig, die Verfestigung des Aufenthalts nicht weiter zu unterstützen. Zudem sei die Identität des Antragstellers nicht geklärt. Alle Daten zu seiner Person beruhten auf seinen eigenen Angaben. Objektive und nachprüfbare Nachweise habe er nicht vorgelegt. Zum anderen habe er bis heute keinen Pass oder sonstige Identitätsdokumente vorgelegt, obwohl er hierzu verpflichtet sei. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG seien Ausländer verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken Die vom Antragsteller vorgelegten Bemühungen genügten jedoch nicht, um eine ausreichende Mitwirkung nachzuweisen. Erst im Juli 2017 habe er sich um Identitätsdokumente bemüht. Das ausgedruckte Foto einer Tazkira genüge nicht als Identitätsnachweis. Auch weigere sich der Antragsteller, sich über das afghanische Generalkonsulat eine Tazkira ausstellen zu lassen.
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag hat in dem im Tenor ausgesprochenen Umfang Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller verfolgt das Ziel, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig eine Erlaubnis für die Aufnahme einer Berufsausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer bei der Firma … GmbH zu erteilen. Es entspricht dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung, dass das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen kann und dem Betroffenen nicht schon in vollem Umfang das gewähren kann, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Vorliegend wird die Hauptsache aber nicht in diesem Sinne vorweggenommen, sondern die Erlaubnis zur Ausbildung nur einstweilen beantragt. Das Rechtsschutzbegehren richtet sich daher nicht auf eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung, so dass es nicht darauf ankommt, ob zur Gewährung effektiven Rechtschutzes von diesem Grundsatz ausnahmsweise eine Ausnahme zu machen wäre.
2. Der Antrag ist begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
a) Ein Anordnungsgrund bzw. die dafür erforderlichen Tatsachen wurden geltend und hinreichend glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 29. August 2017 und nochmals telefonisch am 31. August 2017 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die beantragte Genehmigung nicht erteilt werden wird. Angesichts des Beginns des Ausbildungsjahrs und der Gefahr des Verlusts des Ausbildungsplatzes besteht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein Bedürfnis für eine vorläufige Regelung.
b) Der Antragsteller hat einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung.
aa) Rechtsgrundlage der begehrten Erlaubnis oder Gestattung ist, da sich der Antragsteller noch im laufenden Asylverfahren befindet, § 61 Abs. 2 AsylG. Die behördliche Ablehnung seines Asylantrags ändert daran nichts, da diese Entscheidung noch nicht bestandskräftig ist (vgl. das anhängige Klageverfahren Au 8 K 17.33270 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg).
Nach § 61 Abs. 2 AsylG kann einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhält, die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne deren Zustimmung zulässig ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm liegen vor. Der Antragsteller ist Asylbewerber und hält sich seit mehr als drei Monaten gestattet im Bundesgebiet auf. Bei der von ihm angestrebten Berufsausbildung handelt es sich zudem um eine zustimmungsfreie Beschäftigung (vgl. § 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV).
bb) Die Entscheidung über die Genehmigung liegt im Ermessen der Behörde.
(1) Streitgegenstand des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO ist die vorläufige Sicherung eines materiellen Anspruchs. Dieser muss nicht in einem strikten Rechtsanspruch bestehen, sondern es kann – korrespondierend zu einer sogenannten Verbescheidungsklage im Hauptsacheverfahren – auch ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung sein. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist für den Erlass einer Regelungsanordnung gerade nicht notwendig, denn auch ein Anspruch auf erneute fehlerfreie Ausübung des Ermessens kann mit einer vorläufigen Regelung gesichert werden (vgl. VGH BW, B.v. 27.6.2017 – 11 S 1067/17 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 Rn. 12). Ist einer Behörde ein Ermessenspielraum eingeräumt, so hat sie unter Berücksichtigung des Normzwecks in ihre Entscheidung alle maßgeblichen Umstände des Falles einzubeziehen und sie bezogen auf den konkreten, zu entscheidenden Fall entsprechend ihrer objektiven Gewichtung abzuwägen.
(2) Der Antragsgegner hat noch keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern lediglich in der Antragserwiderung Erwägungen vorgetragen, die im Fall eine Entscheidung zur Ablehnung des Antrags geführt hätten. Diese Erwägungen sind aus Sicht des Gerichts unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedoch voraussichtlich nicht geeignet, die Ablehnung des Antrags zu tragen.
Als Gründe für die Ablehnung der Genehmigung nennt der Antragsgegner, die negative Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag, die ungeklärte Identität des Antragstellers und seine fehlende Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung. Diese Umstände sind zwar dem Grundsatz nach geeignet, eine ablehnende Entscheidung zu tragen, doch kommt es auf den jeweiligen konkreten Einzelfall an. Angesichts der individuellen Umstände des Antragstellers und seiner persönlichen Situation können die vom Antragsgegner genannten Gründe vorliegend voraussichtlich nicht durchgreifen.
Insbesondere die Bezugnahme auf die nicht geklärte Identität des Antragstellers kann die Ablehnung der Berufsausbildung nicht ohne weiteres stützen. Beim Antragsteller handelt es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen, der im Alter von 15 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Er hat gegenüber der Behörde und dem Bundesamt von Anfang an seine Personalien angegeben und vorgetragen, im Heimatland keine Personaldokumente besessen zu haben. Diese Angabe hält das Gericht nach Aktenlage für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung des Antragsgegners, dass der Antragsteller bereits in Afghanistan eine Tazkira besessen und diese dem Bundesamt zur Verschleierung seiner Identität vorenthalten hat. Der Antragsgegner zieht diesen Schluss aus dem Umstand, dass das Ausstellungsdatum der als Handyausdruck vorgelegten Tazkira den 17. Juli 2014 ausweist, einem Zeitpunkt zu dem sich der Antragsteller noch in Afghanistan aufgehalten hätte. Die Angaben des Antragstellers, wie es zu diesem Ausstellungsdatum kam, hält das Gericht für glaubhaft und nachvollziehbar. Der Umstand, dass die Ausstellung der Tazkira vom Antragsteller von Deutschland aus initiiert worden war, zeigt aus Sicht des Gerichts eindeutig das der Tazkira beigefügte Farbfoto des Antragstellers, das in Aussehen und Gestaltung in keiner Weise den in Afghanistan auf Dokumenten üblicherweise enthaltenen Fotos gleicht. Wie der Vormund des Antragstellers glaubhaft vorgetragen hat, handelt es sich hierbei um ein Foto, dass einem in … gefertigten Bild entnommen ist.
Dem Antragsteller kann auch nicht vorgehalten werden, dass er nicht versucht hat, die Tazkira über das afghanische Generalkonsulat zu beantragen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass dieser Weg sich primär für die Personen anbietet, die über keine persönlichen Verbindungen in Afghanistan mehr verfügen und denen es somit nicht möglich ist, direkt mit den Heimatbehörden in Kontakt zu treten. Da der Kläger aber mit seiner Mutter in Verbindung steht, ist es nachvollziehbar, dass er sich zunächst an seine Mutter im Heimatland wendet, um Nachweise für seine Identität zu erhalten. Dass seine Bemühungen nicht immer zielführend waren, wie insbesondere der handgeschriebene Zettel des Imams aus seinem Heimatdorf belegt, der für eine Identitätsklärung vor deutschen Behörden nicht ausreichend ist, kann ihm nicht zur Last gelegt werden. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass es sich bei dem Antragsteller um einen 17-jährigen Jugendlichen handelt, bei dem andere Maßstäbe zu gelten haben als bei Erwachsenen mit ausreichender Lebenserfahrung. Zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass es dem Antragsteller nicht zuletzt auch aufgrund des Merkblatts über die Beantragung der Tazkira über das Afghanische Generalkonsulat, das einen komplizierten und zeitaufwendigen Weg aufzeigt, erfolgversprechender erschien, die Tazkira über seine Mutter im Heimatland zu besorgen. Jedenfalls hat der Antragsteller sich in keiner Weise geweigert, an seiner Identitätsklärung mitzuwirken. Angesichts der auch im weiteren Verlauf mit Hilfe der … und den dem Antragsteller zur Seite gestellten Erziehern gezeigten Bemühungen kann eine fehlende Mitwirkung zur Identitätsklärung nicht angenommen werden.
Dass diese Bemühungen erst im Sommer 2017 unternommen wurden, kann ebenfalls nicht ausschlaggebend sein. Zum einen ist auch hier zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit 15 Jahren nach Deutschland kam und darauf angewiesen war, bei der Wahrnehmung seiner behördlichen Pflichten Unterstützung und Anleitung durch Erwachsene (Vormund/Erzieher) zu erhalten. Es ist in keiner Weise erkennbar, dass sich der Antragsteller geweigert hat, an Maßnahmen mitzuwirken. Er ist nur von sich aus nicht tätig geworden, was ihm angesichts seines jungen Alters und seiner Unerfahrenheit nicht vorgehalten werden kann. Sein Bemühen – mit Unterstützung erwachsener Personen – alles in die Wege zu leiten, eine aktuelle Tazkira zu erhalten, zeigt, dass er bereit und willig ist, seinen Pflichten nachzukommen.
Zu Gunsten des Antragstellers ist weiterhin zu berücksichtigen, dass dieser sich bereits seit zwei Jahren im Bundesgebiet aufhält, sich durch seinen schulischen Werdegang und diverse Praktika für die Aufnahme einer Berufsausbildung als geeignet erwiesen hat. Auch bemühen sich die … sowie der Arbeitgeber um den Antragsteller.
Die Tatsache, dass der Asylantrag des Antragstellers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt wurde, dürfte nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Zum einen ist die Entscheidung des Bundesamts noch nicht bestandskräftig. Die gegen die Ablehnungsentscheidung erhobene Klage ist noch nicht entschieden worden. Darüber hinaus ist auch die gesetzliche Regelung in § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG bei der Gewichtung dieses Kriteriums heranzuziehen. Nach dieser Vorschrift ist Duldung für die Dauer einer Ausbildung zu erteilen, wenn ein Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt und eine Aufenthaltsbeendigung nicht konkret bevorsteht. Für die Anwendung dieser Vorschrift, die zu einer Verfestigung des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland führt, ist aber gerade Voraussetzung, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Dies ist mithin dann der Fall, wenn ein Asylantrag abgelehnt worden ist.
cc) Mit der vom Gericht getroffenen Entscheidung wurde nur eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung des Antragsgegners getroffen. Es ist Sache des Antragstellers, alles ihm Mögliche und angesichts seines noch minderjährigen Alters Zumutbare dazu beizusteuern, dass die Identität durch eine Tazkira dokumentiert ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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