Aktenzeichen S 46 AS 2872/16 ER
SGB III SGB III § 331 Abs. 2
SGG SGG § 86b Abs. 2 S. 1
SGB X SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2, Nr. 3
SGB I SGB I § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2
SGB V SGB V § 16 Abs. 3a, § 19 Abs. 2
Leitsatz
1 Ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht, wenn der Regelbedarf aus dem vorhandenen Vermögen bestritten werden kann, die Unterkunft nicht gefährdet und der Krankenversicherungsschutz sichergestellt ist. (red. LS Andreas Hofmann)
2 Eine vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II iVm § 331 SGB III ist auch noch möglich, wenn die Mitteilung der den Anspruch zum ruhen oder Wegfall führenden Tatsachen schon einige Monate zurück liegt. (red. LS Andreas Hofmann)
Tenor
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Eilverfahren dagegen, dass die Zahlung von Arbeitslosengeld II gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 331 SGB III vorläufig eingestellt wurde.
Der 1965 geborene Antragsteller, von Beruf Chefstewart, beantragte im November 2015 erstmals Arbeitslosengeld II beim Antragsgegner. Im Formblatt VM zur Feststellung der Vermögensverhältnisse gab der Antragsteller Bargeld von 53,- Euro, ein Sparbuch mit einem Guthaben von 1.005,- Euro, Aktien im Wert von 3.832,- Euro, einen Vertrag zur staatlich geförderte Altersvorsorge im Wert von 8.818,- Euro und eine betriebliche Altersvorsorge (private fondsbasierte Rentenversicherung mit Arbeitgeber als Versicherungsnehmer) mit einem aktuellen Wert von 12.990,49 Euro an und fügte diverse Unterlagen dazu bei. Ferner übermittelte er eine Buchungsliste seines Girokontos.
Mit Bescheid vom 07.12.2015 wurde Arbeitslosengeld II für Dezember 2015 bis Mai 2016 bewilligt.
Nach dem Weiterbewilligungsantrag legte der Antragsteller nach Aufforderung Kontoauszüge seines Girokontos für die letzten drei Monate vor. Nach einem Hinweis auf die Angemessenheitsgrenze verminderte sich die vom Antragsteller in bar bezahlte Untermiete von 800,- Euro monatlich auf die Angemessenheitsgrenze. Mit Bescheid vom 27.05.2016 wurde dem Antragsteller Arbeitslosengeld II für die Monate von Juli 2016 bis einschließlich Dezember 2016 in Höhe von monatlich 1.014,- Euro bewilligt.
Mit Schreiben gleichen Datums wurde der Antragsteller aufgefordert, die aktuellen Werte einer Investment-Rentenversicherung zu übermitteln, für die er laut den Kontoauszügen eine laufende monatliche Zahlung in Höhe von 224,51 Euro leistete. Der Antragsteller legte am 21.06.2016 eine Aufstellung der Versicherung vor, wonach eingezahlten Beiträgen von 26.322,22 Euro ein garantierter Rückkaufswert zum 01.07.2016 in Höhe von 35.032,88 Euro gegenüber stand.
Anfang November 2016 erstellte der Antragsgegner nach Auszahlung der Novemberleistung eine Vermögensübersicht und stellte fest, dass der Vermögensfreibetrag von insgesamt 8.250,- Euro weit überschritten war. Mit Schreiben vom 10.11.2016 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass die Leistungszahlung vorläufig ganz eingestellt worden sei. Mit Schreiben gleichen Datums wurde der Antragsteller zu einer beabsichtigten Rücknahme der Bewilligung wegen zumindest grob fahrlässiger Angaben zum Vermögen bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung sowie einer Erstattung von 14.433,- Euro angehört. Eine Äußerung in der Sache erfolgte soweit ersichtlich im Verwaltungsverfahren nicht.
Der Antragsteller stellte am 06.12.2016 beim Sozialgericht München einen Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung. Der Antragsteller habe bei der erstmaligen Antragstellung Unterlagen auch in Bezug auf die Investment-Rente vorgelegt. Aufgrund der erstmaligen Leistungsgewährung und der Weiterbewilligung habe der Antragsteller davon ausgehen müssen, dass diese Rente nicht leistungsrelevant sei. Es gebe Kündigungsfristen für die Investment-Rente. Der Antragsteller lege großen Wert auf die Krankenversicherung, weil noch im Dezember ein operativer Eingriff bevorstehe. Er habe sich wegen der vorläufigen Zahlungseinstellung freiwillig versichern lassen. Das Aktiendepot sei wegen Mietschulden an den Vermieter abgetreten worden.
Auf den Hinweis des Gerichts, dass die Investment-Rente scheinbar kurzfristig veräußerbar sei, teilte der Antragsteller mit, dass nunmehr ein nachträglicher Verwertungsausschluss angestrebt werde. Der Antragsteller habe auch wegen einer mündlichen Auskunft damit rechnen dürfen, die Leistung für den Monat Dezember 2016 ebenfalls zu erhalten.
Der Antragsteller beantragt, durch einstweilige Anordnung die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II für den Monat Dezember 2016 sicherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung ist abzulehnen, weil der Antragsgegner zur vorläufigen Einstellung der Leistungsgewährung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 331 SGB III berechtigt ist.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Die vorläufige Zahlungseinstellung ist ein Fall der vorgenannten Sicherungsanordnung (Bay LSG, Beschluss vom 07.03.2013, L 7 AS 77/13 B PKH). Ein dem § 86b Abs. 1 SGG zugeordneter Fall eines Eingriffs durch belastenden Verwaltungsakt liegt hier nicht vor.
Eine Sicherungsanordnung unterbleibt, weil weder ein Anordnungsanspruch, das ist der Anspruch auf das gefährdete Recht, noch ein Anordnungsgrund, das sind die Beeinträchtigungen oder Nachteile, die durch die Nichtverwirklichung des Rechts drohen, glaubhaft sind.
Zum Anordnungsanspruch ist auszuführen, dass der Antragsgegner zur vorläufigen Zahlungseinstellung gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 331 SGB III berechtigt ist. Die zwei Monate Entscheidungsfrist nach § 331 Abs. 2 SGB III sind nicht überschritten.
Der Antragsgegner hat Kenntnis von Tatsachen erhalten, die zum Wegfall des Anspruchs nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X für die Vergangenheit führen. Der Antragsteller hat weder bei seinem Erstantrag noch bei seinem Folgeantrag mitgeteilt, dass er über eine Investment-Rentenversicherung mit einem aktuellen Rückkaufswert von über 35.000,- Euro verfügt. Er hatte die unbedingte Pflicht, diese Versicherung in das Formblatt VM einzutragen. Das hat er vorsätzlich nicht getan und damit den Tatbestand von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X verwirklicht. Gerade weil er die anderen leistungsunschädlichen Vermögensbestandteile detailliert aufführte und Unterlagen beifügte, ist auszuschließen, dass es sich bei der Nichtangabe des weitaus größten Vermögenspostens um ein Versehen handelte.
Keinen Glauben schenkt das Gericht der Einlassung des Antragstellers, er habe die strittige Versicherung bei der Vorsprache beim Leistungssachbearbeiter angesprochen und dabei sogar Unterlagen vorgelegt. Er hat beim Erstantrag eine Bestätigung der Versicherung zur betrieblichen Altersvorsorge vom 30.11.2015 (Seite 34 der Verwaltungsakte), die er selbst angefordert hatte, vorgelegt, wonach diese Schonvermögen sei. Dies zeigt, dass der Antragsteller ein ausgeprägtes Problembewusstsein hatte. Es bedarf erst Recht im Eilverfahren keiner Zeugenvernehmung eines Sachbearbeiters, ob und wie der Antragsteller die Existenz einer weiteren Versicherung angedeutet hatte. Er hat diese bewusst und pflichtwidrig im Fragebogen verschwiegen.
Mit der Übermittlung der Buchungsliste seines Girokontos hat der Antragsteller seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt. § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I verlangt die Angabe der leistungserheblichen Tatsachen. Vordrucke sollen nach § 60 Abs. 2 SGB I verwendet werden. Das wäre die Angabe der Existenz der Versicherung im Formblatt VM mit deren Wert gewesen. Ein versteckter Hinweis in den seitenlangen Buchungslisten auf eine monatliche Zahlung in Höhe von 224,52 Euro genügt nicht ansatzweise.
Dass die Sachbearbeitung durch die Behörde nicht optimal lief, vgl. nur den Zeitraum zwischen der Vorlage der Versicherungsbestätigung am 21.06.2016 und der vorläufigen Zahlungseinstellung im November 2016, vermag den Antragsteller nicht zu entlasten. Zum einen ging der Zeitverzug zunächst zu seinen Gunsten die Zahlungseinstellung hätte früher erfolgen können. Zum anderen kann ein Mitverschulden der Behörde im Rahmen der Rücknahme nach § 45 SGB X allenfalls bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden; im SGB II handelt es sich wegen § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III aber um eine gebundene Entscheidung.
Unbeachtlich ist auch, dass eventuell die Möglichkeit besteht, die Versicherung durch einen Verwertungsausschluss in der Zukunft zum Schonvermögen zu machen. Ein derartiger Verwertungsausschluss wirkt nicht zurück und es gibt keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Abgesehen davon, bestünde auch deswegen kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, weil der Antragsteller die Versicherung nicht ordnungsgemäß mitgeteilt hatte und so selbst eine Beratung zu einem denkbaren Verwertungsausschluss verhindert hat.
Zum Anordnungsgrund ist auszuführen, dass erhebliche Beeinträchtigungen oder Nachteile durch Vollzug der Zahlungseinstellung nicht erkennbar sind. Der Antragsteller hat seine Krankenversicherung selbst fortgeführt. Im Übrigen ist bei Beitragsrückständen eine Notversorgung gesichert (§ 16 Abs. 3a SGB V) und die die gesetzliche Krankenversicherung hätte bei Beendigung bis zu einem Monat nachgewirkt (§ 19 Abs. 2 SGB V). Die Wohnung ist nicht in Gefahr, vgl. die spontane Verminderung der Untermiete auf die Angemessenheitsgrenze nach dem Hinweis auf diese Grenze. Den Regelbedarf für Dezember kann der Antragsteller aus seinem Restvermögen decken. Zu beachten ist ferner, dass die vorläufige Zahlungseinstellung auch den Zweck hat, vor der Leistungsaufhebung eine Anhörung zu ermöglichen, mithin auch den Interessen des Antragstellers dient.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.