Verwaltungsrecht

Vorläufige Zulassung zum Auswahlverfahren für den gehobenen Polizeivollzugsdienst

Aktenzeichen  6 CE 18.2481

Datum:
25.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1044
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BPolBG § 2, § 4
GG Art. 33 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Bei der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Ist nach der körperlichen oder psychischen Konstitution eines Bewerbers die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, kann er unabhängig von seiner fachlichen Eignung nicht verbeamtet werden. Das Vorliegen der erforderlichen Eignung ist damit eine Einstellungsvoraussetzung. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Verlangt der Dienstherr für die Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdiensts ein gutes Farbunterscheidungsvermögen als zwingende körperliche Anforderung, liegt dies im Rahmen seines weiten Einschätzungsspielraums. (Rn. 10 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 E 18.911 2018-11-06 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 6. November 2018 – B 5 E 18.911 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Zulassung zum Auswahlverfahren für den gehobenen Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei.
Seine Bewerbung wurde von der Bundespolizeiakademie durch Bescheid vom 14. Juni 2018 mit der Begründung abgelehnt, er erfülle die besonderen gesundheitlichen Anforderungen nicht und könne deshalb nicht zu einem Eignungsauswahlverfahren eingeladen werden. Zugrunde lag eine Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes der Bundespolizei, wonach der Antragsteller aufgrund des augenärztlichen Befundberichts (Dr. W. vom 2.5.2018) zur Fehleranzahl beim Test des Farbensinns nicht zur polizeiärztlichen Auswahluntersuchung herangezogen werde. Den Widerspruch des Antragstellers wies die Bundespolizeiakademie unter Berücksichtigung eines weiteren augenärztlichen Befundberichts (MVZ vom 6.7.2018) mit dem Ergebnis „farbenuntüchtig“ und nach Einholung einer erneuten sozialmedizinischen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2018 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei gesundheitlich für den Polizeivollzugsdienst nicht geeignet. Bei ihm sei mindestens ein Merkmal festgestellt, das nach der Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 “Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit“ zur Polizeidienstuntauglichkeit führe (Merkmalnummer 5.3.1 der Anlage 1.1 zur PDV 300). In dem vorgelegten augenärztlichen Befundbericht werde eine Farbfehlsichtigkeit dokumentiert. Im Rahmen der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung sei jedoch eine sichere Farbsichtigkeit unerlässlich.
Daraufhin hat der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, über die bislang nicht entschieden ist. Zugleich hat er beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache am Bewerbungsverfahren um die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei weiter teilnehmen zu lassen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. November 2018 mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung weiter. Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Aus den mit der Beschwerde fristgerecht dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hätte stattgeben müssen.
Dem Antragsteller steht zwar ein Anordnungsgrund nach § 123 Abs. 1 VwGO für sein Begehren zur Seite, weil die begehrte Teilnahme am Bewerbungsverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei durch fortschreitenden Zeitablauf unmöglich wird. Der Antragsteller hat aber keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat. Denn er verfügt – bei summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – nicht über die gesundheitliche Eignung für die angestrebte Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdienstes bei der Bundespolizei.
1. Die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei richtet sich gemäß Art. 33 Abs. 2 GG und dessen Ausgestaltung durch § 2 BPolBG in Verbindung mit § 9 BBG nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Geeignet in diesem Sinn ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist (vgl. BVerfG, B.v. 21.2.1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140/151). Bei der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht (BVerfG, B.v. 10.12.2008 – 2 BvR 2571/07 – juris Rn. 11). Ist nach der körperlichen oder psychischen Konstitution eines Bewerbers die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, kann er unabhängig von seiner fachlichen Eignung nicht verbeamtet werden. Das Vorliegen der erforderlichen Eignung ist damit eine Einstellungsvoraussetzung.
Die Voraussetzungen, denen ein Bewerber in gesundheitlicher Hinsicht genügen muss, ergeben sich aus den körperlichen Anforderungen, die der Beamte erfüllen muss, um die Ämter seiner Laufbahn wahrnehmen zu können. Der Dienstherr legt diese Anforderungen in Ausübung seiner Organisationsgewalt fest. Dabei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der jeweiligen Dienstposten zu orientieren hat. Diese Vorgaben bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist (BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 12.11 – juris Rn. 12). Hinsichtlich der anschließenden Frage, ob der einzelne Bewerber den laufbahnbezogen festgelegten Voraussetzungen in gesundheitlicher Hinsicht genügt, ist dem Dienstherrn hingegen kein Beurteilungsspielraum eröffnet. Darüber haben letztverantwortlich die Verwaltungsgerichte zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Bewertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16.12 – BVerwGE 148, 204 Rn. 18 f.; BayVGH, B.v. 18.8.2016 – 6 ZB 15.1933 – juris Rn. 8; B.v. 12.12.2016 – 6 CE 16.2250 – juris Rn. 14).
Die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung eines Bewerbers für das von ihm angestrebte öffentliche Amt bezieht sich zum einen auf den gegenwärtigen Stand und zum anderen auch auf die künftige Amtstätigkeit und enthält eine Prognose, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers verlangt. Die gesundheitliche Eignung eines im Zeitpunkt der Einstellungsuntersuchung dienstfähigen Beamtenbewerbers kann daher im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder eine chronische Erkrankung mit fortschreitendem Verlauf verneint werden. Die prognostische Beurteilung, ob der Bewerber den gesundheitlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn voraussichtlich genügen wird, ist aufgrund einer fundierten medizinischen Tatsachengrundlage zu treffen. Mit Blick auf den dabei anzuwendenden Prognosemaßstab hat das Bundesverwaltungsgericht – unter Änderung seiner früheren Rechtsprechung – entschieden, dass ein Beamtenbewerber gesundheitlich (erst) dann nicht geeignet ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist (BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 12.11 – BVerwGE 147, 244 ff.). Die gesundheitliche Eignung fehlt auch, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16.12 – BVerwGE 148, 204 ff.).
2. Gemessen an diesem Maßstab ist die Antragsgegnerin ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass dem Antragsteller aufgrund einer Farbsinnwahrnehmungsstörung die gesundheitliche Eignung für die angestrebte Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdienstes bei der Bundespolizei (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a BPolBG) fehlt.
Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen (vgl. § 4 Abs. 1 BPolBG) an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit. Der Polizeivollzugsbeamter muss zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar sein, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht (BVerwG, B.v. 6.11.2014 – 2 B 97.13 – juris Rn. 10). Welche gesundheitlichen Anforderungen das im Bereich der Bundespolizei im Einzelnen sind, hat der Dienstherr in Ausübung seiner Organisationsgewalt in der Polizeidienstvorschrift 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit“ (PDV 300) im Einzelnen festgelegt. In dieser Verwaltungsvorschrift sind die auf Grund besonderer Sachkunde gewonnenen, auf die spezifischen Anforderungen des Polizeidienstes zugeschnittenen ärztlichen Erfahrungswerte zusammengefasst. Dort ist bestimmt, dass eine Farbsinnstörung zu den Merkmalen zählt, die unter den im Einzelnen genannten Umständen – bereits für sich allein – eine Polizeidiensttauglichkeit ausschließen (Nr. 2.3.3 i.V.m. Anlage 1.1 Merkmalnummer 5.3.1). Damit wird eine solche Farbsinnstörung als – absolutes – Untauglichkeitskriterium festgelegt, mit anderen Worten – positiv gewendet – ein gutes Farbunterscheidungsvermögen als zwingende körperliche Anforderung für den Polizeivollzugsdienst verlangt, über die ein Bewerber als Eignungsvoraussetzung verfügen muss.
Es ist nichts Greifbares dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Dienstherr mit dieser Anforderung die rechtlichen Grenzen des ihm insoweit eingeräumten – weiten – Einschätzungsspielraum überschritten haben könnte. Die zugrunde liegende Erwägung, die Farbsichtigkeit sei im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit unerlässlich, weil etwa beim Prüfen von Dokumenten, einer polizeilichen Alltagstätigkeit, Fälschungen durch eine Farbsinnstörung nicht erkannt werden könnten, orientiert sich in der gebotenen Weise am typischen Aufgabenbereich der jeweiligen Dienstposten und erscheint ohne weiteres sachgerecht.
Wie das Verwaltungsgericht eingehend dargelegt hat, bestehen keine Zweifel daran, dass der Antragsteller diese körperliche Anforderung nicht erfüllt. Im ärztlichen Befundbericht des Augenarztes Dr. W. vom 2. Mai 2018 wird mitgeteilt, dass die Farbsinnprüfung nach Velhagen eine Fehleranzahl von 10 ergeben habe. Das entspricht nach der Bewertung des sozialmedizinischen Dienstes der Bundeswehr im Allgemeinen einer Farbfehlsichtigkeit. Bestätigt wird diese Diagnose durch den weiteren augenärztlichen Befundbericht des MVZ vom 6. Juli 2018, der bei einer Fehleranzahl von 12 zu dem Ergebnis „farbenuntüchtig“ kommt. Dieser augenärztlichen Bewertung hält die Beschwerde nicht Stichhaltiges entgegen.
Der allgemeine Einwand, die „strikte“ Anwendung der Polizeidienstvorschrift 300 ohne individuelle Prüfung der gesundheitlichen Eignung sei nach Maßgabe der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtswidrig, kann ebenfalls nicht überzeugen. Die als Beleg angeführten Gerichtsentscheidungen betreffen nicht den hier inmitten stehenden – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren – Maßstab für die gesundheitlichen Eignung, konkret also die Frage, ob der Dienstherr sich bei der Festlegung eines gutes Farbunterscheidungsvermögens als körperlicher Anforderung für die Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdienst im Rahmen des ihm (nicht den Gerichten) eröffneten weiten Einschätzungsspielraums (BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 12.11 – BVerwGE 147, 244 Rn. 12) gehalten hat. Sie thematisieren vielmehr die sich daran anschließende Frage, ob der einzelne Bewerber den (jeweiligen) Anforderungen in gesundheitlicher Hinsicht genügt, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der prognostischen Bewertung künftiger Entwicklungen bei Bewerbern, die zwar aktuell, aber möglicherweise nicht auf Dauer den gesundheitlichen Anforderungen entsprechen. Auf dieser – zweiten – gerichtlich uneingeschränkt zu überprüfende Stufe bestehen indes mit Blick auf den Antragsteller angesichts der übereinstimmenden und eindeutigen augenärztlichen Befunde keine Zweifel daran, dass dieser die Eignungsanforderung eines guten Farbunterscheidungsvermögens nicht erfüllt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG (BayVGH, B.v. 16.4.2013 – 6 C 13.284 – juris).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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