Aktenzeichen 10 CE 18.769, 10 CS 18.773
AufenthG § 5 Abs. 4 S. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 58 Abs. 2 S. 2, § 60 Abs. 5, § 81 Abs. 4 S. 1, § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EMRK Art. 3, Art. 6 Abs. 2
GRCh Art. 48 Abs. 1
Leitsatz
1. Nach Vollzug der Abschiebung ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel, eine Rückführung in das Bundesgebiet zu erreichen, jedenfalls dann im Hinblick auf § 123 Abs. 5 VwGO nicht statthaft, wenn dieses Rechtsschutzziel über § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO angestrebt werden kann. (Rn. 43)
2. Maßgeblicher Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung des Vorliegens von Abschiebungsverboten ist bei einer bereits vollzogenen Abschiebungsandrohung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Abschiebung. Diese Beurteilung kann jedoch durch Sachverhalte, die sich nachträglich im Zielstaat der Abschiebung ergeben, ergänzt und bestätigt werden. (Rn. 22 – 23)
3 Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht unabhängig von der während des Verfahrens erfolgten Abschiebung fort und zwar zumindest solange, wie über die Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis und die damit verbundene Abschiebungsandrohung nicht unanfechtbar entschieden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine an das zuständige Verwaltungsgericht adressierte behördliche Schutzschrift muss nicht unmittelbar nach Eingang vom Verwaltungsgericht an den potentiell Rechtsschutzsuchenden vor Erhebung des (von der Behörde als unmittelbar bevorstehend bezeichneten) Rechtsmittelverfahrens zugestellt werden. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 25 S 18.1335 2018-03-20 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf insgesamt 5.000 Euro (2 x 2.500 Euro) festgesetzt.
Gründe
I.
Mit seinen Beschwerden verfolgt der Antragsteller, ein 1988 geborener tunesischer Staatsangehöriger, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 18. September 2017 (M 25 K 17.4453) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2017 weiter, mit dem sein – im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und zwei gemeinsamen (2015 und 2017 geborenen) Kindern gestellter – Antrag auf Verlängerung seines am 30. März 2015 ausgelaufenen Aufenthaltsrechts abgelehnt und ihm die Abschiebung unter Bestimmung einer mehrfach verlängerten Ausreisefrist angedroht wurde. Nach Ablauf der zuletzt gesetzten Ausreisefrist wurde er am Dienstag, den 20. März 2018, um 6:22 Uhr per Einzelcharterflug vom Flughafen München nach Tunesien abgeschoben.
Den am 19. März 2018 (um 16:39 Uhr per Telefax) gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 20. März 2018 (M 25 S 18.1335), dem Bevollmächtigten zugestellt am gleichen Tag um 11:37 Uhr, ab. Die Klage auf Erteilung einer Aufenthalts-erlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs werde nach summarischer Prüfung wegen Vorliegens des zwingenden Versagungsgrunds nach § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG keine Aussicht auf Erfolg haben.
Mit Beschluss ebenfalls vom 20. März 2018 (M 25 E 18.1341) lehnte das Verwaltungsgericht den am gleichen Tage (um 10 Uhr per Telefax) gestellten Antrag ab, die Antragsgegnerin gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller nach Deutschland zurückzuführen. Die vollzogene Abschiebung sei rechtmäßig. Dem Antragsteller drohe in Tunesien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weder Folter noch unmenschliche Behandlung; auf die Begründung des Beschlusses vom gleichen Tage im Verfahren M 25 S 18.1335 werde Bezug genommen.
Zur Begründung seiner Beschwerden macht der Antragsteller geltend, die Ablehnung seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, weil die beim Verwaltungsgericht von der Antragsgegnerin eingereichte Schutzschrift vom 15./16. März 2018 erst zwei Stunden vor Zustellung des angefochtenen Beschlusses übersandt worden sei, sodass keine Gelegenheit zur rechtzeitigen Stellungnahme mehr bestanden habe. Die vorgenommene Gefahrenprognose missachte die Unschuldsvermutung, weil sie auf angeblich „festgestellte Tatsachen“ abstelle, obwohl das hierzu geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren bereits seit langem nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Es lägen nur noch Indizien, also nicht beweiskräftig feststehende „Verdachtsmomente“ gegen den Antragsteller vor. Seine angeblichen „Beziehungen“ zu Personen aus dem „salafistischen Umkreis“ seien ebenso ohne Beweiskraft, zumal er die meisten der aufgeführten Personen nicht kenne. Was die angeblich nicht erklärbaren Finanztransaktionen aus den Jahren 2012/2013 angehe, habe der Antragsteller schon vor längerem glaubhaft gemacht, diese Mittel für seine an Krebs erkrankte Mutter aufgebracht zu haben, um ihr in Tunesien eine teure medizinische Behandlung zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund könne man ihm nicht vorwerfen, von seinem „sicherheitsgefährdenden Handeln“ nicht Abstand genommen zu haben. Inwiefern in diesem Zusammenhang die Eingehung einer nach islamischen Recht zulässigen Zweitehe ein sicherheitsgefährdendes Handeln belegen solle, erschließe sich nicht. Auch der durch die Zweitfrau erhobene Vorwurf, der Antragsteller habe im Zusammenhang mit Beziehungsproblemen Gewalt gegen sie verübt, sei kein geeignetes Argument. Dem Antragsteller drohten in Tunesien Folter und unmenschliche Behandlung. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass er mit einem eigens für ihn organisierten Charterflug und unter Mitteilung an die tunesischen Behörden, es lägen „Kontakte in die islamistische Szene“ vor, abgeschoben worden sei. Als Anlage werde ein aktueller Bericht des tunesischen Rechtsanwalts des Antragstellers vom 23. März 2018 über die ersten drei Hafttage vorgelegt. Es wird beantragt,
1. im Verfahren 10 CS 18.773: den angefochtenen Beschluss vom 20. März 2018 (M 25 S 18.1335) aufzuheben und analog § 80 Abs. 5 VwGO festzustellen, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat.
2. im Verfahren 10 CE 18.769 sinngemäß: die Antragsgegnerin
unter Aufhebung des Beschlusses vom 20. März 2018 (M 25 E 18.1341) zu verpflichten, den Antragsteller nach Deutschland zurückzuführen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Der Feststellungsantrag im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO sei schon unzulässig. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor, weil dem Antragsteller bekannt gewesen sei, dass seine bis 19. März 2018 geltende Grenzübertrittsbescheinigung nicht mehr verlängert und seine Abschiebung organisiert werde. Gleichwohl sei um vorläufigen Rechtsschutz erst am späten Nachmittag des 19. März 2018 nachgesucht worden. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren festgestellte Tatsachen könnten im Rahmen der Gefahrenabwehr auch dann herangezogen werden, wenn sie nicht zur Anklageerhebung, sondern zur Einstellung des Verfahrens geführt hätten, denn auch Unterstützungstätigkeiten, die noch nicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten hätten, könnten ausländerrechtlich relevant sein. Der Vortrag des Antragstellers, er kenne die meisten der genannten, sich im islamistischen Umfeld bewegenden Personen nicht, treffe nicht zu; er habe das Gegenteil bereits im Verwaltungsverfahren zugestanden habe. Auch die seit Zustellung des Bescheids zur Ausländerakte genommenen Erkenntnisse rechtfertigten die Schlussfolgerung, dass der Antragsteller die terroristische Organisation IS unterstütze oder unterstützt habe. In tunesischer Haft habe der im Übrigen seit 6. April 2018 wieder in Freiheit befindliche Antragsteller zumindest keine physische Gewalt erlitten. Nach 48 Stunden habe er Kontakt zu einem Rechtsanwalt und zu seiner Schwester aufnehmen und mit ihnen über seine Situation sprechen können.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses schließt sich den Ausführungen der Antragsgegnerin an, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
Der Antragsteller wohnt nach Entlassung aus der Polizeihaft zusammen mit seinen beiden inzwischen aus Deutschland ausgereisten minderjährigen Kindern bei seinen Eltern; der deutschen Ehefrau und Mutter wurde die Einreise nach Tunesien am 31. Mai und 2. Juni 2018 verweigert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf vorliegende Ausländerakte sowie die Gerichtsakten im Klage- und in den Eilverfahren Bezug genommen.
II.
Der Senat hat die beiden Beschwerdeverfahren gemäß § 93 Satz 1 VwGO wegen ihres engen Sachzusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Eine sachgerechte Auslegung des mit den Anträgen in den beiden erstinstanzlichen Verfahren sowie in den Beschwerdeverfahren erkennbar werdenden Rechtsschutzbegehrens (vgl. § 88 VwGO) ergibt, dass der Antragsteller im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine Rückgängigmachung der Folgen seiner Abschiebung nach Tunesien am 20. März 2018 dadurch anstrebt, dass ihm die Wiedereinreise in das Bundesgebiet und der Aufenthalt hier zumindest bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage vom 18. September 2017 ermöglicht wird. Dieses Begehren kann er in zulässiger Weise mit seiner Beschwerde im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, erweitert um den Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO als unselbständiges Annexverfahren (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2009 – 22 CS 07.1502 – juris Rn. 14) verfolgen (1.). Diese Vorschrift hat – ebenso wie § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO für das Hauptsacheverfahren – ausschließlich verfahrensrechtliche Funktion und ermöglicht die Beseitigung bereits eingetretener Vollzugsfolgen im Falle der (späteren) Herstellung der aufschiebenden Wirkung, ohne dass ein andernfalls erforderlicher Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO gestellt werden müsste (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 80 Rn. 163a). Der Senat legt daher den im Beschwerdeverfahren 10 CS 18.773 „analog § 80 Abs. 5 VwGO“ gestellten Feststellungsantrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und auf Aufhebung der Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 und 3 VwGO) aus, womit das verfolgte Rechtsschutzziel einer – wie auch immer praktisch durchzuführenden – Rückgängigmachung der Abschiebung (Folgenbeseitigung) weiter verfolgt werden kann.
Ein parallel dazu durchzuführendes Verfahren (hier: 10 CE 18.769) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO mit identischem Rechtsschutzziel ist im System des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 123 Rn. 10, 28 bis 31) in der vorliegenden ausländerrechtlichen Konstellation, in der die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG durch Stellung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eingetreten ist, und bei noch nicht bestandskräftiger Abschiebungsandrohung nicht statthaft (2.).
1. Die Beschwerde im Verfahren 10 CS 18.773 ist zulässig, jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2017 abgelehnt.
Auch nach vollzogener Abschiebung kann die zugrunde liegende Abschiebungsandrohung (Nr. 2, 4 des Bescheids v. 16.8.2017) – neben der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) – den Gegenstand eines statthaften Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und Aufhebung der Vollziehung bilden (1.1). Die vom Antragsteller in den Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 3, 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen jedoch nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der Senat teilt die dort getroffene Wertung, nach welcher die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers und die Abschiebungsandrohung bei der gebotenen, aber ausreichenden summarischen Prüfung rechtmäßig seien und die auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage daher voraussichtlich ohne Erfolg bleiben werde (1.2). Damit überwiegt das öffentliche Interesse, den Antragsteller bereits während des Klageverfahrens vom Bundesgebiet fernzuhalten, sein privates Interesse, sich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens hier aufhalten zu können.
1.1 Die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 16. August 2017, deren Vollziehung vor Eintritt der Bestandskraft auch den Streitgegenstand bildet, ist nicht infolge der vollzogenen Abschiebung erledigt (BVerwG, U.v. 22.8.2017 – 1 A 3.7 – juris Rn. 12, zur Anordnung der Abschiebung nach § 58a AufenthG). Eine Erledigung wäre allenfalls mit freiwilliger und endgültiger Ausreise aus dem Bundesgebiet anzunehmen (ausführlich Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand: Mai 2018, § 59 Rn. 228 f., 242, 243; Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 59 AufenthG Rn. 61; Sennekamp/Pietzsch in Kluth/Hundt/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 59 Rn. 106).
Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht unabhängig von der während des Verfahrens, noch vor Zustellung des angefochtenen Beschlusses vom 20. März 2016 erfolgten Abschiebung fort und zwar zumindest solange, wie über die Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis und die damit verbundene Abschiebungsandrohung nicht unanfechtbar entschieden ist (BVerwG, B.v. 13.9.2005 – 1 VR 5.05 – juris Rn. 2). Denn der Antragsteller kann auf diesem Wege grundsätzlich auch die Rückgängigmachung des Vollzugs der Abschiebung durch Aufhebung der Vollziehung der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung erreichen, ohne dass ihm in diesem Fall die Sperrwirkung der (dann rechtswidrigen) Abschiebung entgegengehalten werden kann (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 24.6.2008 – 11 S 1136/07 – juris Rn. 10 mit umfänglichen Nachweisen). Es wäre mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht zu vereinbaren, wenn das vorläufige Bleiberecht des Antragstellers, das mit dem streitgegenständlichen Rechtsschutzverfahren (vorläufig) gesichert werden soll, allein deshalb erloschen sein sollte, weil die Abschiebung tatsächlich durchgeführt wurde, bevor – wie hier – effektiver Rechtsschutz gewährt werden konnte (GK-AufenthG, a.a.O., § 81 Rn. 74). Auch der Umstand, dass die Abschiebungsandrohung infolge der auf ihrer Grundlage vollzogenen Abschiebung keine zulässige Grundlage für eine erneute Abschiebung mehr bilden dürfte (VGH BW, B.v. 24.6.2008 – 11 S 1136/07 – juris Rn. 11 m.w.N.), lässt das Bedürfnis für den auf der Grundlage von § 80 Abs. 5 Satz 1, 3 VwGO begehrten Rechtsschutz nicht entfallen.
1.2 Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt indes unter Zugrundelegung der maßgeblichen Zeitpunkte (1.2.1) keine Änderung der angefochtenen Entscheidung (1.2.2).
1.2.1 Im Hinblick auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist der für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige dieses Beschlusses; für die in der Hauptsache erhobene, in erster Instanz anhängige Verpflichtungsklage ist nämlich maßgeblicher Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung (stRspr, BVerwG, B.v. 2.12.2014 – 1 B 21.14 – juris Rn. 6). Das gleiche gilt grundsätzlich für die Abschiebungsandrohung, deren Vollziehbarkeit ihrerseits von der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus der Grundverfügung (hier: Versagung der Verlängerung des Aufenthaltsrechts des Antragstellers) abhängt (§ 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG; vgl. GK-AufenthG, a.a.O., § 59 Rn. 223, 248 bis 252).
Eine Ausnahme vom maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist allerdings bei einer Abschiebungsandrohung in den Fällen zu machen, in denen – wie hier – der Ausländer in Vollzug dieser Androhung bereits abgeschoben worden ist (vgl. GK-AufenthG, a.a.O., § 59 Rn. 252; offen gelassen in BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 13). Zu diesem Zeitpunkt ist der mit dieser Maßnahme verfolgte Zweck eingetreten; die Berücksichtigung nach der Abschiebung eintretender neuer Umstände – zu Gunsten wie zu Lasten des Betroffenen – widerspräche ihrem Charakter als Vollstreckungsmaßnahme (zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG: BVerwG, U.v. 27.03.2018 – 1 A 5.17 – juris Rn. 17; B.v. 14.2.2018 – 1 PK 2.18 u.a. juris Rn. 3). Nach der Abschiebung eingetretene (nachträgliche) Änderungen sind in einem Verfahren nach § 11 AufenthG zu berücksichtigen. In Bezug auf die Prüfung von Abschiebungsverboten (s.u. 2.3) kommt es demnach grundsätzlich nur darauf an, ob diese im Zeitpunkt der Abschiebung bestanden. Diese Handhabung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der hinsichtlich der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Zielstaat einer Abschiebung auf den Zeitpunkt der Abschiebung abstellt und nachträglich bekannt werdende Tatsachen nur ergänzend heranzieht (BVerwG, U.v. 22.8.2017 – 1 A 3.17 – juris Rn. 14 unter Hinweis auf EGMR, U.v. 14.3.2017 – Nr. 47287/15, Ilias u. Ahmed/Ungarn – Rn. 105 m.w.N.).
1.2.2 Wegen der zum demnach jeweils maßgeblichen Zeitpunkt nach summarischer Prüfung geringen Erfolgsaussichten der Klage überwiegt das öffentliche Interesse am gesetzlich vorgesehenen Sofortvollzug der Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis sowie der Abschiebungsandrohung (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, Art. 21a BayVwZVG) das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung der Ausreisepflicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben und infolgedessen die weiter begehrte Anordnung der Aufhebung der Vollziehung zu erhalten. In diesem Zusammenhang teilt der Senat die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, dass ausreichende Tatsachen vorliegen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Antragsteller eine Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, die ihrerseits den Terrorismus unterstützt und damit den zwingenden Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Die Antragsgegnerin hat sämtliche vorliegenden Erkenntnisse, die dafür sprechen, dass der Antragsteller die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet, in umfassender Weise zusammengestellt (Bescheid v. 16.8.2017, S. 6 bis 47) und hieraus nachvollziehbare Schlussfolgerungen gezogen. Das Erstgericht ist dieser Bewertung ohne Rechtsfehler gefolgt. Auch das Beschwerdevorbringen vermag hieran nichts zu ändern.
1.2.2.1 Der Antragsteller hält es für rechtsstaatlich bedenklich, dass ihm trotz der Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eines gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat die den Tatverdacht auslösenden Umstände (insbesondere Überweisungen größerer Geldbeträge 2012/13 sowie Kontakte zu radikal-islamistischen Kreisen) nun im Rahmen eines ausländerrechtlichen Erlaubnisverfahrens entgegengehalten werden könnten. Indes ist damit nicht der gerügte Verstoß gegen die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde, vom Antragsteller „als tragende Säule des Strafprozessrechts“ bezeichnete Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 48 Abs. 1 EU-GR-Charta; BVerfG, B.v. 16.3.2006 – 2 BvR 170/06 – RNr. 21) verbunden. Denn trotz der Verfahrenseinstellung, die hier im Übrigen ausdrücklich damit begründet ist, dass der gegen den Antragsteller gehegte Tatverdacht zwar nicht mit der erforderlichen Verurteilungswahrscheinlichkeit bestätigt, andererseits aber auch nicht ausgeräumt habe werden können, bleibt eine weiterer Vorhalt der im Strafverfahren zutage geförderten tatsächlichen Erkenntnisse – auch wenn es sich dabei tatsächlich nur um „Verdachtsmomente“ handeln sollte – in einem nachfolgendem behördlichen Verfahren, in dem es um die Frage einer fortdauernden Gefährlichkeit und damit um präventives sicherheitsbehördliches Handeln geht, möglich und geboten.
Der Vorwurf einer begangenen strafbaren Handlung ist damit nicht verbunden; ein solcher würde allerdings gegen die Unschuldsvermutung (vgl. BVerwG, B.v. 20.1.2017 – 2 B 75.16 – juris Rn. 8, 11 ff.) verstoßen. Jedoch dürfen auch im Falle eines Freispruchs aus Mangel an Beweisen nicht ausgeräumte Verdachtsmomente zur Rechtfertigung von Rechtsfolgen herangezogen werden, die ihrerseits weder Strafcharakter haben noch dem Betroffenen in einer strafgerichtlichen Entscheidung Schuld zuweisen (BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 11 m.w.N.). Die Unschuldsvermutung schützt daher nur vor Nachteilen, die einem Schuldspruch gleichkommen, nicht jedoch vor Rechtsfolgen ohne Strafcharakter (BVerwG, B.v. 20.1.2017, a.a.O., Rn. 12). Damit können dem Antragsteller grundsätzlich die damals im (später eingestellten) strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegenständlichen Sachverhalte im Rahmen der Erstellung der Gefahrenprognose vorgehalten werden.
1.2.2.2 Soweit der Antragsteller vorträgt, bei den ihm bereits im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorgeworfenen Umständen handele es sich lediglich um „Verdachtsmomente“ und nicht „beweiskräftig festgestellte Tatsachen“, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde. Hinsichtlich der finanziellen Transaktionen aus den Jahren 2012/13 (vgl. Darstellung im angefochtenen Bescheid, S. 12) enthalten die dem Senat vorliegenden Ausländer- und Gerichtsakten keine objektiv nachvollziehbaren Hinweise darauf, dass die im Einzelnen genannten Beträge tatsächlich für die medizinische Behandlung der an Krebs erkrankten Mutter des Antragstellers in Tunesien verwendet wurden, wie dieser mit eidesstattlicher Versicherung vom 19. März 2018 beteuert (vgl. a. Bl. 38 d. VG-Akte M 25 S 18.1335 sowie Bl. 139 f. d. VG-Akte M 25 K 17.4453); jedenfalls liegen keine Bestätigungen etwa medizinischer Einrichtungen in Tunesien über den Erhalt entsprechender Gelder oder auch nur Arztrechnungen vor. Auch weitere Angaben zur Verwendung des Geldes (Aufbau einer Rinderzucht in Tunesien; Autohandel; Vertrieb von Gebetsteppichen: vgl. Bescheid v. 16.8.2017, S. 17-19) wurde nicht belegt. Weitere Aufklärung darüber, aus welchen Quellen die verschiedenen Überweisungen in einer Gesamthöhe von etwa 50.000 Euro stammen und wohin sie geflossen sind, wird möglicherweise das Klageverfahren erbringen.
Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung sämtlicher vorliegender sicherheitsrechtlicher Erkenntnisse bilden die festgestellten finanziellen Transaktionen im Übrigen zumindest nach Würdigung der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid (S. 45, letzter Absatz) nur einen „zusätzlichen“ Baustein, der auch „außer Acht“ gelassen werden könne, ohne dass sich an der Gesamtschau etwas maßgeblich ändere. Für den Senat sind allerdings die festgestellten finanziellen Transaktionen – ebenso wie für das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss (BA S. 10) – für die Feststellung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses maßgebliche objektive, einem Beweis zugängliche Tatsachen. Ebenso entscheidend für die anzustellende Gefahrenprognose sind die (auch) im Zuge von Wohnungsdurchsuchungen am 25. Juni 2013 aufgedeckten, zum Teil engen Kontakte des Antragstellers zu Unterstützern verschiedener islamistisch ausgerichteter Terrororganisationen (vgl. Bescheid S. 12 bis 14). Soweit die Beschwerde hierzu vorträgt, die meisten der genannten Personen kenne der Antragsteller nicht einmal, zudem sei der im Beschluss vom 20. März 2018 verwendete Begriff der „Beziehungen zu Personen aus dem salafistischen Umkreis“ zu vage, vermag dies der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die im Bescheid vom 16. August 2017 (insbesondere S. 23 bis 40) im Einzelnen konkret und ausführlich dargestellten Kontakte des Antragstellers zu den entsprechenden Personen, auf die sich auch der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts bezieht, werden von ihm nicht substantiiert angegriffen; die pauschale Behauptung, er kenne diese Personen zum Großteil nicht, hat er bereits im ausländerbehördlichen Verfahren vorgetragen, ohne damit angesichts der entgegenstehenden Erkenntnisse durchzudringen.
Die zu Lasten des Antragstellers anzustellende Gefährdungsprognose wird auch dadurch erhärtet, dass bei ihm ein Buch sichergestellt wurde, das Islamwissenschaftler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg als jihadistisches Standardwerk (mit terroristischem Inhalt) bezeichnet haben. Aus abgehörten Gesprächen im Jahr 2013 ergibt sich schließlich, dass der Antragsteller darüber nachdachte, mit seiner deutschen Ehefrau nach Afghanistan auszureisen, während er in einem anderen Gespräch mit dritten Personen Möglichkeiten der unbemerkten Einreise nach Syrien, auch mittels eines gefälschten Passes erörterte. Auf diese Sachverhalte geht die Beschwerde nicht ein; der dort erhobene Vorwurf, es sei ein „Unding“, dem Antragsteller mangelnde Distanzierung von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln vorzuwerfen, geht angesichts dieser Sachverhalte ins Leere.
Auf die Frage, ob zur Begründung der Gefahrenprognose auch die dem Antragsteller vorgeworfenen, von ihm bestrittenen Gewalttätigkeiten, die er im Rahmen der Beziehung zu seiner Zweitfrau begangen haben soll, herangezogen werden können, kommt es danach nicht mehr an.
1.2.3 Schließlich bleibt die Beschwerde auch hinsichtlich der durch Abschiebung am 20. März 2018 vollzogenen Abschiebungsandrohung ohne Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verneint. Dem Antragsteller drohte im maßgeblichen Zeitpunkt des Vollzugs der Abschiebung nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche Behandlung in Tunesien. Der Senat vermag in der konkreten Situation des Antragstellers keine ernsthaften Anhaltspunkte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 18.12.2017 – 2 BvR 2259/17 – juris Rn. 18; B.v. 17.5.1996 – 2 BvR 528/96 – juris Rn. 27 ff.) dafür zu erkennen, dass ihm im maßgeblichen Zeitpunkt eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung in Tunesien drohte.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 19. September 2017 (1 VR 8.17 – juris Rn. 55, 56) zur menschenrechtlichen Situation in Tunesien allgemein ausgeführt:
„Tunesien befindet sich in einem allgemeinen demokratischen Transitionsprozess, der in vielen Bereichen, unter anderem auch im Justizbereich, noch nicht abgeschlossen ist. Mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung durch die verfassungsgebende Versammlung am 26. Januar 2014 gelang Tunesien ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer demokratischen Staatsordnung. Sie beinhaltet u.a. die Garantie universeller Menschenrechte und die Garantie der Unabhängigkeit der Justiz. Art. 23 der tunesischen Verfassung garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische und körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Art. 128 der tunesischen Verfassung sieht die Gründung einer unabhängigen Instanz für Menschenrechte („Menschenrechtskommission“) mit beratender Funktion vor (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 S. 5, 16). Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29. Juli 2011 hat sich Tunesien zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus (NPM) verpflichtet. Mit Gesetz vom 23. Oktober 2013 wurde eine innerstaatliche Rechtsgrundlage zur Bildung einer unabhängigen Instanz für Folterprävention (INPT) geschaffen, zu deren Aufgabe die Durchführung unangemeldeter Besuche in allen Orten des Freiheitsentzugs gehört sowie die Beratung von Exekutive und Legislative bei der Verbesserung des rechtlichen Rahmens und der Rechtswirklichkeit. Im Sommer 2016 ist eine überarbeitete Version der Strafprozessordnung in Kraft getreten, wonach der Polizeigewahrsam maximal vier Tage betragen darf. Darüber hinaus wurde das Recht des Verdächtigen auf einen Rechtsbeistand (auch schon während des Polizeigewahrsams) kodifiziert. Generell wird die neue Strafprozessordnung von Nichtregierungsorganisationen als großer Fortschritt beurteilt, wobei aber auch hier Umsetzungsdefizite bestehen, die den Verantwortlichen in Tunesien bewusst sind. Ausnahmen gelten jedoch für Beschuldigte, die unter das Antiterrorgesetz vom 7. August 2015 fallen. Sie dürfen bis zu 15 Tage in polizeiliche Untersuchungshaft genommen werden; der Zugang eines Anwalts kann dabei für 48 Stunden nach Ingewahrsamnahme auf Anordnung des Untersuchungsrichters oder eines Staatsanwalts verweigert werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 S. 12 f.). Bislang liegen nur wenige konkrete Erfahrungen zu der Anwendung des Antiterrorgesetzes vor. Die neu eingeführte Untersuchungsinstanz in Terrorangelegenheiten hat ihre Arbeit jedoch inzwischen aufgenommen und bemüht sich um eine umfassende Aufarbeitung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 S. 12). Den Reformwillen stellt die tunesische Regierung auch dadurch unter Beweis, dass das tunesische Justizministerium mit zahlreichen nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen Vereinbarungen getroffen hat, die ihnen Besuche in Haftanstalten etc. ermöglichen. Seit 2005 besteht überdies eine Vereinbarung zwischen der Regierung und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die es dem IKRK ermöglicht, die Haftanstalten zu besuchen und der Regierung periodisch zu berichten…
Amtliche Informationen oder Statistiken, die belastbare Aussagen über Menschenrechtsverletzungen (insbesondere gegenüber Terrorverdächtigen) zulassen, liegen nicht vor. Die tunesische Regierung räumt aber mit wiederholten Bekenntnissen zur Folterprävention und zum Kampf gegen die Straflosigkeit von Amtspersonen, die sich entsprechender Vergehen schuldig gemacht haben, indirekt Verfehlungen ein und verspricht eine juristische Aufarbeitung solcher Vorwürfe (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 S. 16). Tunesische und internationale Medien sowie spezialisierte Nichtregierungsorganisationen, wie beispielsweise die „Organisation contre la Torture en Tunisie“ (OCTT), berichten über Einzelfälle von rechtswidrigen Verletzungen der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit von Personen bis ins Jahr 2016 hinein (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 S. 16 f.). Amnesty International berichtet davon, dass einige der nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum und dem Angriff auf die Stadt Ben Guerdane festgenommenen Verdächtigen nach eigenen Angaben gefoltert worden seien (Amnesty International Report 2016/2017 S. 2).“
Die vom Bundesverwaltungsgericht wiedergegebenen Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes werden im Wesentlichen in dessen jüngstem Lagebericht für Tunesien (Stand: Dezember 2017) vom 23. April 2018 (S. 16, 17) wiederholt.
Die Beschwerde vermag vor diesem Hintergrund nicht mit ihrem zentralen Vortrag durchzudringen, die Gefahr von Folter und unmenschlicher Behandlung ergebe sich gerade aus der Art der Abschiebung, die mit einem eigens für den Antragsteller organisierten Charterflug durchgeführt worden sei; zugleich müsse man von einer vorherigen Information der tunesischen Behörden auch durch deutsche Geheimdienste zur Person des Antragstellers als „islamistischen Terrorverdächtigen“ ausgehen. In diesem Zusammenhang sei auf einen Bericht des ehemaligen Vorsitzenden der tunesischen Rechtsanwaltskammer vom Oktober 2017 zu verweisen, in dem von einem „erschreckenden Anstieg von Folterfällen in Tunesien in der letzten Zeit“ und der fehlenden Strafverfolgung der mutmaßlichen Folterer gesprochen werde. Außerdem wird ein Bericht des tunesischen Rechtsanwalts des Antragstellers vom 23. März 2018 vorgelegt sowie am 9. Mai 2018 eine Schilderung des Abschiebevorgangs und der ersten Tage in tunesischer Polizeihaft durch den Antragsteller.
Zunächst ist eine besondere „Gefährdungssituation“ für den Antragsteller durch die Art seiner Überstellung durch gesonderten Charterflug, der ihn möglicherweise als besonders gefährlichen islamistischen Gefährder kennzeichnet, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen; auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die „deutschen Behörden“ würden den tunesischen Sicherheitsbehörden keine Informationen mitteilen, die diese nicht sowieso schon – etwa anlässlich des damals laufenden Ermittlungsverfahren – weitergegeben hätten, beruht nur auf der Stellungnahme der Antragsgegnerin und erscheint nicht gesichert. Gleichwohl konnte im maßgeblichen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller bei seiner Überstellung an die tunesischen Behörden keine menschenrechtswidrige Behandlung erfahren würde. Zum einen ist er in den vergangenen Jahren immer wieder nach Tunesien ein- und anschließend wieder nach Deutschland ausgereist, obwohl er schon damals im Fokus der tunesischen Sicherheitsbehörden stand und (nach eigenen Angaben) dabei jedes Mal für längere Zeit am Flughafen festgehalten und zu bestimmten Umständen befragt wurde, ohne in diesem Zusammenhang den Vorwurf einer unmenschlichen Behandlung zu erheben. Auch im vorliegenden Fall stand dies trotz der besonderen Umstände, die seine Abschiebung kennzeichnen, nicht zu erwarten, nachdem auch die in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitgeteilten und für die Abschiebung entscheidenden Erkenntnisse bereits einige Jahre zurückliegen. Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch liegen Erkenntnisse darüber vor, dass ein Interesse der tunesischen Sicherheitsbehörden an der Person des Antragstellers aus Gründen bestanden haben könnte, die ihre Ursache in Tunesien haben und die der Antragsgegnerin nicht bekannt sind. Allein aus dem Umstand, dass der Antragsteller offenbar Kontakte in die islamistische Szene unterhält, vermag der Senat noch nicht die hinreichende Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK abzuleiten. Zu Recht weist die Antragsgegnerin noch darauf hin, dass auch die vom Antragsteller in der Vergangenheit beschriebenen geschäftlichen Pläne, die zu realisieren er in Tunesien offenbar beabsichtigte, gegen eine solche Gefahr sprechen. Im Übrigen reicht allein der Umstand, dass die unmittelbare Inhaftierung des Antragstellers nach Übergabe an die tunesischen Behörden sicher absehbar war, nicht für das Bejahen eines Abschiebungsverbots aus. Der Antragsteller ist jedenfalls auch aus Sicht der tunesischen Behörden nicht verdächtig, bereits eine islamistisch motivierte Straftat begangen zu haben, insbesondere keine solche mit Bezug auf das tunesische Staatsgebiet (anders z.B. in BVerwG, B.v. 26.3.2018 – 1 VR 1.18 u.a. – juris).
Die Richtigkeit der vorliegenden Bewertung wird im Übrigen bestätigt durch die nach erfolgter Abschiebung des Antragstellers bekannt gewordene Entwicklung, die ergänzend herangezogen werden kann (BVerwG, U.v. 22.8.2017 – 1 A 3.17 – juris Rn. 14 unter Hinweis auf EGMR, U.v. 14.3.2017 – Nr. 47287/15, Ilias u. Ahmed/Ungarn – Rn. 105 m.w.N.). Berücksichtigungfähig sind hier insbesondere die vom Antragsteller selbst mitgeteilten Umstände, die die von ihm bis 5. April 2018 verbrachte 15-tägige Polizeihaft kennzeichnen. Dort hatte er, wenn auch erst nach einer offenbar richterlich genehmigten Frist von zwei Tagen, die Möglichkeit, mit einem Rechtsanwalt zu sprechen; dieser hat gegen die polizeilich angeordnete Verlängerung der Haft Beschwerde eingelegt, die jedoch mit richterlichen Beschluss zurückgewiesen worden war. Während der polizeilichen Verhöre in den drei ersten Hafttagen ist es offenbar zu keiner physischen Gewalt gekommen; in dem Schreiben des tunesischen Rechtsanwalts des Antragstellers vom 23. März 2018 (Blatt 12 d. VGH-Akte) wird weiter mitgeteilt, dass „auch keine verbale Gewalt“ feststellbar gewesen sei. Es sei ein strafrechtliches Verfahren eröffnet worden. Schließlich wurde der Antragsteller nach der gemäß dem tunesischen Antiterrorgesetz maximal möglichen Dauer der Inhaftierung von 15 Tagen wieder freigelassen. Inzwischen lebt er mit seinen aus Deutschland nach Tunesien verbrachten Kindern in seinem Elternhaus. Das Auswärtige Amt hat mitgeteilt, dass die deutsche Ehefrau, deren Einreise mit der Autofähre aus Italien von den tunesischen Behörden zweimal verhindert worden sei, eine von der tunesischen Auslandsvertretung in Deutschland ausgestellte Einreiseerlaubnis beantragen müsse; ihr zweiter Einreiseversuch sei von einer gegen die Zurückweisung gerichteten Demonstration, an der auch der Antragsteller teilgenommen habe, begleitet worden. Sämtliche aufgeführten Umstände lassen letztlich keine Zweifel daran aufkommen, dass das Verwaltungsgericht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu Recht verneint hat.
1.2.4 Schließlich führt auch der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe die von der Antragsgegnerin bei Gericht am 16. März 2018 eingereichte Schutzschrift erst zwei Stunden vor Erlass des angefochtenen Beschlusses am 20. März 2018 an den Antragsteller weitergeleitet, so dass keine Stellungnahme hierauf mehr möglich gewesen und damit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, nicht zum Erfolg der Beschwerde.
Eine an das zuständige Verwaltungsgericht adressierte behördliche Schutzschrift muss nicht unmittelbar nach Eingang vom Verwaltungsgericht an den potentiell Rechtsschutzsuchenden vor Erhebung des (von der Behörde als unmittelbar bevorstehend bezeichneten) Rechtsmittelverfahrens zugestellt werden. Die Schutzschrift hat die Funktion, das zuständige Gericht bereits vor der (von der Behörde erwarteten) Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine behördliche Maßnahme, deren Vollziehung alsbald bevorsteht, hierüber zu informieren und ihm auf diese Weise frühzeitig Gelegenheit zu geben, sich zur Vermeidung eines andernfalls erheblichen Zeitdrucks mit der Streitsache bereits vor Anhängigkeit zu beschäftigen; eine Schutzschrift dient dagegen nicht dazu, einem noch unentschlossenem Rechtsmittelführer bereits vorab Informationen der Gegenseite darüber zukommen zu lassen, wie sie sich im Falle der tatsächlichen Einlegung eines Rechtsmittels zu positionieren gedenke, und ihn hierdurch vielleicht erst zur Einlegung eines Rechtsmittels zu „provozieren“. Nachdem im vorliegenden Fall trotz Kenntnis des Auslaufens der letztmals verlängerten Ausreisefrist am 19. März 2018 (24:00 Uhr) erst am späten Nachmittag des gleichen Tages um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht worden war, kann die Zustellung der auch bereits die vorsorglich erhobenen Anträge umfassenden Schutzschrift (erst) am Vormittag des folgenden Tages – ungeachtet des Umstandes, dass zu diesem Zeitpunkt die Abschiebung bereits abgeschlossen war – nicht beanstandet werden. Unabhängig hiervon ist weder dargetan noch ersichtlich, was der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren bei frühzeitiger Zustellung der Schutzschrift ausgeführt hätte und was auszuführen spätestens im vorliegenden Beschwerdeverfahren unter Beachtung der für die Begründung geltenden Monatsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) nicht möglich gewesen wäre.
Scheidet damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO aus, kommt auch eine Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO als Voraussetzung für die begehrte Rückgängigmachung des Vollzugs der Abschiebung nicht in Betracht; es bedarf daher keiner Erörterung, welche konkreten Anordnungen zur Rückführung überhaupt in Frage kämen.
2. Die Beschwerde im Verfahren 10 CE 18.769 ist zulässig, bleibt jedoch ebenfalls in der Sache ohne Erfolg, weil der nach der Abschiebung gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO in der vorliegenden Konstellation unstatthaft ist.
Hierauf wurden die Beteiligten bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 16. April 2018, auf das in vollem Umfang Bezug genommen wird, hingewiesen. Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Vollziehung einer Abschiebungsandrohung im Wege einer Abschiebung ist nach § 123 Abs. 1, 5 VwGO regelmäßig nur dann statthaft, wenn die Abschiebungsandrohung bereits bestandskräftig ist oder wenn zwar Bestandskraft noch nicht eingetreten ist, die Beantragung des – zugleich mit der Androhung der Abschiebung – abgelehnten Aufenthaltstitels aber keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst hatte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., 2017, § 123 Rn. 5 a.E.; vgl.a. BayVGH, B.v. 28.1.2016 – 10 CE 15.2653 – juris Rn. 18). Keiner der beiden Fälle liegt hier vor. Ungeachtet dessen ist auch nicht erkennbar, welcher zusätzliche Vorteil dem Kläger aus seinem „Rückführungsantrag“ nach § 123 Abs. 1 VwGO neben dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 3 VwGO erwachsen sollte, dessen Anspruchsvoraussetzungen bei identischem Rechtsschutzziel grundsätzlich leichter zu erfüllen wären als dies für die gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs gilt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; dabei wurde für jedes Verfahren gesondert der hälftige Regelstreitwert angesetzt, denn Streitgegenstand ist nicht nur eine „Abschiebung“ (Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs), sondern auch ihre tatsächliche Rückgängigmachung im Wege der „Aufhebung der Vollziehung“.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).