Verwaltungsrecht

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Einziehung von Kinderreisepässen

Aktenzeichen  5 CS 16.2133

Datum:
8.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 6 Abs. 1, Art. 116 Abs. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 146 Abs. 1, Abs. 4
PassG PassG § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 4 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 2, § 12 Abs. 1 S. 1, § 13, § 14
StAG StAG § 4 Abs. 3 S. 1, S. 2
AufenthG AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Hängt die Rechtmäßigkeit der Passeinziehung davon ab, ob die Betroffenen entgegen den Eintragungen in ihren Kinderreisepässen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und ist diese Frage bislang nicht verbindlich bzw. rechtskräftig geklärt, so sind die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage gegen die Passeinziehung zumindest als offen anzusehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 S 16.1264 2016-09-30 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. September 2016 wird in Nr. I, II und IV aufgehoben.
II.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerinnen gegen Nr. 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. August 2016 wird wiederhergestellt.
III.
Den Antragstellerinnen wird für das Verfahren in beiden Rechtszügen Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B., Augsburg, als Bevollmächtigter beigeordnet.
IV.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
V.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragstellerinnen begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. August 2016 angeordnete und für sofort vollziehbar erklärte Einziehung von Kinderreisepässen. Die Antragstellerin zu 1 ist die Mutter der Antragstellerinnen zu 2 und 3, auf deren Kinderreisepässe sich die Einziehung bezieht.
Die im Jahr 1988 in Deutschland geborene Antragstellerin zu 1 ist türkische Staatsangehörige. Im Jahr 2004 wurde ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die ab 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt. 2012 heiratete sie einen in der Türkei wohnhaften türkischen Staatsangehörigen. Die Antragstellerinnen zu 2 und 3 wurden 2013 und 2015 in Deutschland geboren; ihnen wurden deutsche Kinderreisepässe ausgestellt. Bis Anfang 2016 hielten sich die Antragstellerinnen teils in Deutschland, teils in der Türkei auf (vgl. die Übersicht im Bescheid vom 16.8.2016 sowie in der Klageschrift vom 1.9.2016 im Verfahren Au 1 K 16.1263); seit Februar 2016 befinden sie sich in Augsburg. Im Juni 2016 beantragte die Antragstellerin zu 1 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Feststellung, dass ihre Niederlassungserlaubnis und ihr Aufenthaltsrecht aus ARB 1/80 fortbestünden. Im Juli 2016 beantragten die Antragstellerinnen zu 2 und 3 die Feststellung der deutschen Staatangehörigkeit, hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Nach Anhörung forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. August 2016 die Antragstellerin zu 1 zum Verlassen der Bundesrepublik auf (Nr. 1), stellte fest, dass die Antragstellerinnen zu 2 und 3 die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besäßen, und forderte sie zum Verlassen der Bundesrepublik auf (Nr. 2), lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerinnen zu 2 und 3 ab (Nr. 3), drohte den Antragstellerinnen zu 1 bis 3 die Abschiebung an (Nr. 4), ordnete die Einziehung der Kinderreisepässe der Antragstellerinnen zu 2 und 3 an (Nr. 5), ordnete den Sofortvollzug der Einziehung an (Nr. 6) und drohte ein Zwangsgeld für den Fall der nicht fristgerechten Rückgabe der Kinderreisepässe an (Nr. 7). Zur Begründung von Nr. 5 des Bescheids wurde ausgeführt, die Kinderreisepässe seien als ungültig einzuziehen, weil die Eintragung der deutschen Staatsangehörigkeit unzutreffend sei. Zur Begründung des Sofortvollzugs hieß es, die aufschiebende Wirkung der Klage würde dazu führen, dass die Antragstellerinnen zu 2 und 3 für einen derzeit unabsehbaren Zeitraum in der Öffentlichkeit durch die Vorlage des Kinderausweises weiterhin die Vermutung der Deutschen-Eigenschaft begründeten; sie könnten daher entsprechende Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen.
Gegen den Bescheid erhoben die Antragstellerinnen beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage (Au 1 K 16.1263), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragten sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Anordnung der Einziehung der Kinderreisepässe sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe hierfür (Au 1 S 16.1264). Zur Begründung wurde unter anderem vorgetragen, die Antragstellerinnen zu 2 und 3 besäßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Zeitpunkt ihrer Geburt sei die Niederlassungserlaubnis ihrer Mutter nicht erloschen gewesen.
Mit Beschluss vom 30. September 2016 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Nr. I) sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Nr. IV) ab und erlegte den Antragstellerinnen die Verfahrenskosten auf (Nr. II). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Interessenabwägung zu Ungunsten der Antragstellerinnen ausfalle, weil die Einziehung der Kinderreisepässe rechtmäßig sei. Die Antragstellerinnen zu 2 und 3 hätten entgegen der Eintragung in ihren Kinderreisepässen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Die Antragstellerin zu 1 habe weder bei der Geburt der Antragstellerin zu 2 noch bei der Geburt der Antragstellerin zu 3 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Die Einziehung der Kinderausweise sei rechtmäßig und ermessensgemäß.
Gegen den Eilbeschluss haben die Antragstellerinnen Beschwerde erhoben. Sie beantragen,
ihnen unter Aufhebung des Beschlusses vom 30. September 2016 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. zu gewähren sowie die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Anordnung der Einziehung der Kinderreisepässe anzuordnen.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Antragstellerinnen zu 2 und 3 hätten die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, so dass ihre Pässe nicht ungültig seien. Im Zeitpunkt der Geburt beider minderjähriger Antragstellerinnen, zumindest aber der Antragstellerin zu 2, habe die Antragstellerin zu 1 über eine Niederlassungserlaubnis sowie ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt. Die Antragstellerin zu 1 habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht einer dauernden Niederlassung in der Türkei gehabt. Bei ihren längeren Türkeiaufenthalten habe es sich um letztlich vorübergehende Aufenthalte bis zum erfolgreichen Abschluss des Ehegattennachzugsverfahrens gehandelt. Da somit die Antragstellerinnen zu 2 und 3 die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einziehungsanordnung betreffend ihre Reisepässe. Angesichts der überragenden Bedeutung der Rechtssicherheit im Staatsangehörigkeitsrecht könne die Antragsgegnerin nicht nachträglich die deutsche Staatsangehörigkeit der Antragstellerinnen zu 2 und 3 in Zweifel ziehen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss und das bisherige Vorbringen verwiesen.
II. Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die von der Antragstellerseite fristgerecht dargelegten und vom Senat geprüften Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO) rechtfertigen und gebieten es, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Einziehung der Kinderreisepässe wiederherzustellen. Dementsprechend ist den Antragstellerinnen sowohl für das Ausgangs- als auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Rechtsanwalt als Bevollmächtigter beizuordnen.
1. Gegenstand des Ausgangs- und Beschwerdeverfahrens ist allein die in Nr. 5 des angefochtenen Bescheids angeordnete und in Nr. 6 des Bescheids für sofort vollziehbar erklärte Einziehung der Kinderreisepässe der Antragstellerinnen zu 2 und 3. Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde nicht nur von den Antragstellerinnen zu 2 und 3, sondern auch von ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 1, mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO angegriffen. Das Verwaltungsgericht ist diesbezüglich ohne nähere Begründung von der Zulässigkeit aller Eilanträge ausgegangen und hat über sie in der Sache entschieden. Schon aus diesem Grund kann der Antragstellerin zu 1 die Beschwerdebefugnis nicht abgesprochen werden. Im Übrigen steht der Antragstellerin zu 1 eine aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitete Antrags- und Klagebefugnis gegen die Einziehung der Kinderreisepässe ihrer Töchter zu (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen BVerwG, U. v. 27.8.1996 – 1 C 8.94 – BVerwGE 102, 12 = NVwZ 1997, 1116/1117; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014; § 42 Rn. 422; bei Sicherstellung eines Kinderreisepasses offen gelassen von NdsOVG, B. v. 12.10.2010 – 11 ME 347/10 – NVwZ-RR 2011, 37). Die streitgegenständliche Einziehung wurde als eine von mehreren behördlichen Anordnungen in Bescheid vom 16. August 2016 verfügt, der in Form eines zusammengefassten Bescheides verschiedene statusrechtliche Regelungen betreffend die Antragstellerinnen zu 1, 2 und 3 enthält und auch an die Antragstellerin zu 1 adressiert war.
2. Es bestehen bereits durchgreifende Zweifel daran, ob die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Passeinziehung entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet hat. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. etwa BVerfG, B. v. 21.2.2011 – 2 BvR 1392/10 – NVwZ-RR 2011, 420/421 m. w. N.). Dieses muss bei der schriftlichen Begründung des besonderen Interesses der Behörde an der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zum Ausdruck kommen. Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid dürften diesen Vorgaben nicht gerecht werden. Die Begründung des Sofortvollzugs erschöpft sich in der (selbstverständlichen) Aussage, dass durch die Weiterverwendung der Pässe falsche Vorstellungen über die Staatsangehörigkeit erweckt werden könnten. Hierbei handelt es sich lediglich um den Hinweis auf die allgemeine Funktion von Pässen (vgl. § 1 Abs. 1 PassG), nicht aber um eine einzelfallbezogene Begründung, warum die damit verbundenen Folgen nicht für den Übergangszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung hingenommen werden können. Insoweit ist die – bei festgestellter Ungültigkeit als endgültige Maßnahme vorgesehene – Einziehung des Passes nach § 12 PassG von der Sicherstellung nach § 13 PassG zu unterscheiden, die vom Gesetzgeber als vorübergehendes Sicherungsinstrument ausgestaltet ist (vgl. Hornung/Möller, PassG und PAuswG, 2011, § 11 PassG Rn. 2, § 12 PassG Rn. 11). Anders als die Sicherstellung hat der Gesetzgeber die Einziehung in § 14 PassG gerade nicht für sofort vollziehbar erklärt (vgl. NdsOVG, B. v. 12.10.2010 – 11 ME 347/10 – NVwZ-RR 2011, 37). Mangels einer besonders begründeten Anordnung des Sofortvollzugs muss es daher bei der nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebenen aufschiebenden Wirkung der Klage verbleiben.
3. Unabhängig davon überwiegt das Interesse der Antragstellerinnen an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Einziehung der Kinderreisepässe das öffentliche Vollzugsinteresse. Die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage gegen die Passeinziehung sind zumindest als offen anzusehen. Vermittelt über die Frage der für sofort vollziehbar erklärten Passeinziehung stellen sich komplexe staatsangehörigkeitsrechtliche und inzident auch aufenthaltsrechtliche Fragen, die einer sorgfältigen Prüfung und Klärung im Hauptsacheverfahren durch den zur Entscheidung berufenen Spruchkörper bedürfen.
a) Rechtsgrundlage für die Passeinziehung ist § 12 Abs. 1 Satz 1 PassG, wonach ein gemäß § 11 ungültiger Pass – also auch ein Kinderreisepass nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 PassG – eingezogen werden. Ungültig ist ein Pass unter anderem, wenn Eintragungen nach dem Passgesetz fehlen oder unzutreffend sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 PassG). Zu den Eintragungen gehört auch die Angabe der Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 PassG). Der Pass darf nur Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ausgestellt werden (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 PassG). Die Passbehörde hat einen Pass für ungültig zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind (§ 11 Abs. 2 PassG). Die Rechtmäßigkeit der Passeinziehung setzt somit voraus, dass die Antragstellerinnen zu 2 und 3 entgegen den Eintragungen in ihren Kinderreisepässen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Diese Frage, die im Unterschied zu anderen Angaben nach § 4 Abs. 1 PassG ein rechtlich geprägtes Kriterium betrifft, ist bislang nicht verbindlich bzw. rechtskräftig geklärt. Nach dem Passgesetz ist die Klärung der Deutscheneigenschaft nicht Aufgabe der Passbehörde im Passverfahren, sondern erfolgt durch die für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten zuständige Behörde im dortigen Verfahren (vgl. HessVGH, B. v. 27.7.2007 – 7 UZ 1218/07 – NVwZ-RR 2008, 108; OVG Berlin-Bbg, B. v. 3.8.2015 – 5 S 9.15 – juris Rn. 6 ff.; jeweils m. w. N.). Schon aus diesem Grund bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Einziehungsverfügung der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren Bestand haben kann.
b) Die Beantwortung der staatsangehörigkeitsrechtlichen (Vor-)Frage ist auch nicht offensichtlich. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt richtet sich nach § 4 StAG. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wird in dem Geburtenregister, in dem die Geburt des Kindes beurkundet ist, eingetragen (§ 4 Abs. 3 Satz 2 StAG). Die Staatsangehörigkeit der in der Bundesrepublik geborenen Antragstellerinnen zu 2 und 3 hängt somit entscheidend von dem ebenfalls nicht rechtsverbindlich geklärten tatsächlichen und (aufenthalts-)rechtlichen Status der Antragstellerin zu 1 ab. Ob diese bei der Geburt der Antragstellerinnen zu 2 und 3 in den Jahren 2013 und 2015 noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und ob zu diesen Zeitpunkten ihr Aufenthaltsrecht – das sie sowohl auf ihre Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) als auch auf das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus ARB 1/80 stützt (vgl. § 4 Abs. 5 AufenthG) – fortbestanden hat, muss einer Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Bei der Geburt der Antragstellerinnen zu 2 und 3 sah die Antragsgegnerin jedenfalls keinen Anlass, an deren deutscher Staatsangehörigkeit zu zweifeln, obwohl zu dieser Zeit die Eheschließung der Antragstellerin zu 1 mit einem in der Türkei wohnhaften türkischen Staatsangehörigen und ihre damit zusammenhängenden Auslandsaufenthalte bereits bekannt waren. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin jeweils kurz nach der Geburt den Antragstellerinnen zu 2 und 3 deutsche Kinderreisepässe ausgestellt. Die Antragstellerin zu 1 hat nach eigenen Angaben bei ihren Aufenthalten in der Türkei stets darauf geachtet, vor Ablauf von sechs Monaten (vgl. den Erlöschensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG) wieder in die Bundesrepublik einzureisen.
c) Sowohl der – den Gegenstand von Nr. 2 des Bescheids bildende – staatsangehörigkeitsrechtliche Status der Antragstellerinnen zu 2 und 3 als auch der – von Nr. 1 des Bescheids erfasste, mittelbar relevante – aufenthaltsrechtliche Status der Antragstellerin zu 1 sind derzeit im Hauptsacheverfahren beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängig. Schon aus diesem Grund sind die Erfolgsaussichten für die Klage gegen die Passeinziehung im Hauptsacheverfahren zumindest als offen anzusehen. Vor diesem Hintergrund fällt die Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerinnen aus. Angesichts ihrer in Rede stehenden Grundrechte ist ihrem Aussetzungsinteresse der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einzuräumen. Anhaltspunkte dafür, warum der Sofortvollzug der passrechtlichen Maßnahme etwa aufgrund einer konkreten Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter bzw. zur wirksamen Aufrechterhaltung der Rechts- und Staatsordnung erforderlich sein sollte, sind weder von der Antragsgegnerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Da der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Passeinziehung auch im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte, war der Beschwerde auch insoweit stattzugeben und den Antragstellerinnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO). Aus den oben dargelegten Gründen ist den Antragstellerinnen auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die subjektiven Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind ausweislich der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerinnen erfüllt.
5. Die Kostenentscheidung für das Eilrechtsschutzverfahren in beiden Rechtszügen ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 30.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. etwa BayVGH, B. v. 11.9.2007 – 5 CS 07.1921 – juris Rn. 5). Von der Einziehung sind zwei Kinderreisepässe betroffen.
Einer Kostenentscheidung für die Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) und Kosten nicht erstattet werden (§ 127 Abs. 4 ZPO). Daher ist auch eine Streitwertfestsetzung insoweit entbehrlich.
Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist ebenfalls gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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