Verwaltungsrecht

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Quarantäneanordnung

Aktenzeichen  AN 18 E 20.02086

Datum:
7.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30752
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 4, § 28 Abs. 1, § 30 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 88

 

Leitsatz

1. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die gerichtliche Überprüfung des Streitstoffes auf die Einwände beschränkt, die vom Rechtsschutzsuchenden selbst vorgebracht werden, es sei denn, dass sich andere Fehler bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vor dem Hintergrund der Inkubationszeit von 10 bis 14 Tagen beim Coronavirus und der Möglichkeit unzutreffender Negativtestungen ist es nicht zu beanstanden, wenn bei „Kontaktpersonen der Kategorie I“ i.S.d. Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 und der entsprechenden Definition des Robert-Koch-Instituts als der zuständigen nationalen Behörde gem. § 4 IfSG, Personen mit engem Kontakt, unabhängig von der individuellen Risikoermittlung generell einer häuslichen Isolation von 14 Tagen ab dem nachgewiesenen letzten engen Kontakt unterworfen werden, selbst wenn diese später negativ auf das Coronavirus getestet werden sollten. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die mit der Allgemeinverfügung getroffene Anordnung der häuslichen Isolation ist entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie nicht durch einen Richter angeordnet bzw. die behördlicherseits verfügte Regelung nicht unverzüglich einer richterlichen Entscheidung zugeführt worden sei (vgl. Art. 104 Abs. 2 GG). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren und für das Hauptsacheverfahren (AN 18 K 20.02087) wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Mitteilung, dass er sich umgehend in Quarantäne zu begeben habe.
Mit Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 zur „Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen“ erließ das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unter anderem folgende Regelungen:
Nr. 1.1: Betroffene Personen im Sinne der Allgemeinverfügung sind unter anderem Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert-Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie I sind.
Nr. 2.1.1: Kontaktpersonen der Kategorie I müssen sich unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes gemäß Nr. 1.1 und bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall, in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamts erfolgt.
Nr. 6.1: Bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, endet die häusliche Isolation, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind. Hierüber entscheidet das Gesundheitsamt. […].
Nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts gelten als „Kontaktpersonen der Kategorie I mit engem Kontakt („höheres“ Infektionsrisiko)“ insbesondere Personen in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation mit dem bestätigten COVID-19-Fall (z.B. Kitagruppe, Schulklasse), unabhängig von der individuellen Risikoermittlung (https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html#doc13516162bodyText7; Stand: 24.9.2020).
Der Antragsteller ist Schüler der Klasse 10 D des … Ein Lehrer der Schule ist am 30. September 2020 positiv auf das Coronavirus getestet worden. Bevor sich dieser Lehrer am 28. September 2020 freiwillig in Quarantäne begeben hatte, hatte er noch am selben Tag die Klasse des Antragstellers 45 Minuten lang unterrichtet. Der Antragsteller hat auch an diesem Unterricht teilgenommen.
Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 hat der Antragsteller das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach um vorläufigen Rechtsschutz ersucht. Zur Begründung trägt er vor, die Verpflichtung zur häuslichen Isolation sei rechtswidrig. Eine derartige Anordnung einer Absonderung sei ein Verwaltungsakt. Im Schreiben des Gesundheitsamtes vom 2. Oktober 2020 seien jedoch Begriffe wie Bescheid, Anordnung oder Beschluss nirgendwo aufgeführt. Auch sei im Schreiben aufgeführt, dass ein Quarantänebescheid nicht ergehe und dass dieses Schreiben lediglich als Bestätigung für die häusliche Isolation gelte. Ein Verwaltungsakt der die häusliche Isolation anordne, liege damit nicht vor bzw. leide ein solcher an besonders schwerwiegenden Fehlern. Überdies handele es sich bei einer zwangsweisen Unterbringung in Quarantäne stets um eine Freiheitsentziehung, die für ihre Rechtmäßigkeit eines formell zulässigen und inhaltlich begründeten Antrags des zuständigen Gesundheitsamtes sowie eines Beschlusses des zuständigen Amtsgerichtes, der die Quarantäne im Einzelfall anordnet, bedürfe. Das Gesundheitsamt habe festgestellt, dass der Antragsteller als Kontaktperson der Kategorie I einzustufen sei. Es sei jedoch illusorisch, eine solche Kategorisierung anhand von festgeschriebenen Kriterien vornehmen zu können. Auch sei das Klassenzimmer des Antragstellers hier gerade nicht „relativ beengt“ sondern eher „relativ weiträumig“. Der Platz des Lehrers befinde sich vorne rechts. Der Platz des Antragstellers sei mittig links an der Wand. Entsprechend des Hygienekonzepts der Schule seien im Klassenzimmer auch die Fenster und die gegenüberliegende Türe geöffnet, so dass für ausreichend Frischluft gesorgt sei. Auch verfügten die Gesundheitsämter überhaupt nicht über das erforderliche Personal, um Kontaktpersonen und Kontaktsituation zuverlässig und fehlerfrei ermitteln zu können.
Der Antragsteller beantragt unter Verweis auf die Eilbedürftigkeit, da er sich bereits in Quarantäne befinde, wörtlich eine Überprüfung / Feststellung des geschilderten Sachverhaltes, sowie gegebenenfalls die Aufhebung des Verwaltungsaktes des Gesundheitsamtes … vom 02.10.2020.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2020, den Antrag abzulehnen.
Vorliegend sei unstreitig, dass der Antragsteller als Kontaktperson der Kategorie I entsprechend der Nr. 1.1. der Allgemeinverfügung vom 18. August 2018 zu qualifizieren sei. Der Antragssteller habe sich zusammen mit einer erkrankten Person länger als 15 Minuten in einer beengten Raumsituation aufgehalten und erfülle damit eines der seitens des Robert-Koch-Instituts ausformulierten Kriterien. Dem Antragsteller sei jedoch keine „Quarantäne auferlegt“ worden; die Anordnung einer Quarantäne sei nicht erfolgt. Vielmehr sei der Antragsteller am 1. Oktober 2020 per Telefon lediglich auf die aufgrund der Allgemeinverfügung bestehende Isolationspflicht hingewiesen worden. Ein schriftlicher, gleichlautender Hinweis auf die bestehende Isolationspflicht sei am nächsten Tag verfasst und an den Antragsteller auf dem Postweg versandt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Bei sachgerechter Auslegung des Vorbringens des Antragstellers (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ist sein Begehren insbesondere auch mit Blick auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) derart auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer (ggf. noch zu erhebenden) Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 begehrt. Im Kern wendet sich der Antragsteller gegen die Verpflichtung, sich in häusliche Isolation begeben zu müssen bzw. diese nicht umgehend beenden zu können. Anders als der Antragsteller meint, resultiert die Verpflichtung zur Isolation nicht aus einem Handeln des Gesundheitsamtes oder aus einem vom Gesundheitsamt (telefonisch) erlassenen Verwaltungsakt, sondern unmittelbar aus der Allgemeinverfügung vom 18. August 2020. Mittels dieser Allgemeinverfügung hat der Antragsgegner unter anderem angeordnet, dass Kontaktpersonen der Kategorie I sich unverzüglich nach entsprechender Mitteilung des Gesundheitsamtes in Isolation begeben müssen (vgl. Nr. 1.1 und 2.1.1). Aufgrund § 28 Abs. 3, § 16 Abs. 8 IfSG haben eventuelle Rechtsbehelfe gegen diese Allgemeinverfügung bereits kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, so dass vorläufiger Rechtsschutzes hier nur durch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erreicht werden. Während der Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 gerade Verwaltungsaktcharakter im Sinne des Art. 35 BayVwVfG beizumessen ist, dürfte es dem vom Gesundheitsamt an den Antragsteller per E-Mail übermittelten Schreiben vom 2. Oktober 2020 am erforderlichen Regelungsgehalt fehlen (vgl. VG Würzburg, B.v. 18.9.2020 – W 8 S 20.1326 – juris Rn. 19). Vielmehr dienten das Telefonat und das Schreiben des Gesundheitsamtes vom 2. Oktober 2020 nur dazu, die von der Allgemeinverfügung erfassten Personen von ihrer Verpflichtung aus der Allgemeinverfügung zu unterrichten, damit diesen hinreichend bestimmt ihre Pflichten deutlich werden. Dass auch das Gesundheitsamt diesem Schreiben keinen Regelungsgehalt beigemessen hat, offenbart auch der Hinweis im Schreiben – hierauf weist der Antragsteller zu Recht hin -, dass es sich hierbei lediglich um eine Bestätigung der häuslichen Isolation handele. Dass der Vortrag des Antragstellers unter der Überschrift „Feststellungsklage – Einstweiliger Rechtsschutz“ erfolgt und er sich wohl darauf berufen möchte, dass es der „Anordnung“ der Quarantäne-Maßnahme durch das Gesundheitsamt schon am Charakter eines Verwaltungsakts fehle, ist dabei unerheblich, da es insbesondere nicht auf die Bezeichnung, sondern auf das dahinterstehende Begehren des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers ankommt, welches im Ergebnis darauf gerichtet ist, schnellstmöglich aus der Quarantäneverpflichtung entlassen bzw. von dieser befreit zu werden.
Ein derartiger Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer (ggf. noch zu erhebenden) Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 ist zwar zulässig. Insbesondere scheitert die Zulässigkeit nicht schon daran, dass ein Vorgehen in der Hauptsache verfristet und dem Antragsteller für den vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzantrag das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen wäre. Da die Allgemeinverfügung keine Rechtsbehelfsbelehrung:enthält, gilt für die Anfechtbarkeit die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die erst im August nächsten Jahres abläuft.
Letztlich ist der Antrag aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes kraft Gesetzes entfällt, was vorliegend gemäß § 28 Abs. 3, § 16 Abs. 8 IfSG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO der Fall ist, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das erkennende Gericht eine eigenständige und originäre Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu treffen, die notwendigerweise nur vorläufigen summarischen Charakter hat. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht Ersatz für das Verfahren der Hauptsache sein, welches in erster Linie den Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt; demgegenüber dient das Eilverfahren vornehmlich der Verhinderung von Rechtsnachteilen und Rechtsverlusten bis zum (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Diese Zielsetzung bedeutet für die gerichtliche Überprüfung des Streitstoffes im Rahmen des Eilverfahrens, dass in diesem vordringlich nur die Einwände berücksichtigt werden können, die vom Rechtsschutzsuchenden selbst vorgebracht werden, es sei denn, dass sich andere Fehler bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen (vgl. OVG NRW, B.v. 26.1.1999 – 3 B 2861/97 – juris Rn. 4). Im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten bzw. noch einzulegenden Rechtsbehelfs eine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.1994 – 1 VR 10.93 – juris Rn. 4). Dem Interesse des jeweiligen Antragstellers an der Aussetzung kommt hierbei nur dann Vorrang zu, wenn sich das Hauptsacheverfahren entweder mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich erweisen würde oder wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zwar als offen anzusehen wären, eine von der Vorausbeurteilung der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung jedoch zu Gunsten des Aussetzungsinteresses des Antragstellers ausgehen würde (BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 15 CS 16.2253 – juris Rn. 13).
Bei Zugrundelegung dieser Maßgaben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Eine Klage in der Hauptsache wird hier voraussichtlich erfolglos bleiben, da bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Gerichts insbesondere bei Würdigung der seitens des Antragstellers vorgetragenen rechtlichen Bedenken die Verpflichtung zur häuslichen Isolation rechtlich nicht zu beanstanden ist. Insbesondere hegt das Gericht weder Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Allgemeinverfügung bzw. speziell der für die hier in Betracht kommende häusliche Isolation maßgeblichen Nummern 1.1, 2.1.1 und 6.1. (dazu unter 1.1), noch hat es Zweifel daran, dass der Antragsteller der Allgemeinverfügung unterfällt (dazu unter 1.2).
1.1 Bei summarischer Prüfung hat das Gericht weder Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung, insbesondere nicht gegen die Heranziehung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als Rechtsgrundlage, dessen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, noch gegen die Verhältnismäßigkeit der hier maßgeblichen Nummern 1.1, 2.1.1 und 6.1.
Zur Vereinbarkeit der hier streitgegenständlichen Allgemeinverfügung mit der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 IfSG wurde im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bereits seitens der Bayerischen Verwaltungsgerichte Regensburg und Würzburg Stellung genommen und diese bejaht (vgl. VG Regensburg, B.v. 3.9.2020 – RN 14 S 20.1917 – juris Rn. 33 ff.; VG Würzburg, B.v. 18.9.2020 – W 8 S 20.1325 – juris Rn. 23 ff.). Den diesbezüglich überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht vollumfänglich an (vgl. dazu schon VG Ansbach, B.v. 25.9.2020 – AN 18 E 20.01966). Insbesondere ist es vor dem Hintergrund der Inkubationszeit von 10 bis 14 Tagen und der Möglichkeit unzutreffender Negativtestungen jedenfalls bei summarischer Prüfung auch nicht zu beanstanden, wenn bei „Kontaktpersonen der Kategorie I“ i.S.d. Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 und der entsprechenden Definition des Robert-Koch-Instituts als der zuständigen nationalen Behörde gemäß § 4 IfSG, Personen mit engem Kontakt, unabhängig von der individuellen Risikoermittlung generell einer häuslichen Isolation von 14 Tagen ab dem nachgewiesenen letzten engen Kontakt (vgl. Nr. 6.1 der Allgemeinverfügung) unterworfen werden, selbst wenn diese später negativ auf das Coronavirus getestet werden sollten.
Was die seitens des Antragstellers geäußerten Bedenken gegen die Sinnhaftigkeit der Kriterien des Robert-Koch-Instituts zur Bestimmung der Kontaktpersonen der Kategorie I angeht, sei angemerkt, dass der Gesetzgeber dem Robert-Koch-Institut im Zusammenhang mit dem Infektionsschutz gerade eine besondere Rolle eingeräumt hat. So ist ihm durch § 4 IfSG u.a. die Aufgabe übertragen, Konzeptionen zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen zu entwickeln inklusive der Entwicklung und Durchführung epidemiologischer und laborgestützter Analysen sowie Forschung zu Ursache, Diagnostik und Prävention übertragbarer Krankheiten. Gemäß § 4 Abs. 2 IfSG erstellt das Institut u. a. im Benehmen mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden für Fachkreise als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes Richtlinien, Empfehlungen, Merkblätter und sonstige Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten, wertet Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und meldepflichtigen Nachweisen von Krankheitserregern infektionsepidemiologisch aus und stellt die Ergebnisse bestimmten Behörden und Institutionen zur Verfügung. Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, dass den Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht zukommt. Vor diesem Hintergrund vermag der Antragsteller, der die Sinnhaftigkeit der seitens des Robert-Koch-Instituts aufgestellten Kriterien lediglich pauschal in Frage stellt, mit seinem Vortrag nicht durchdringen.
Es ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass die Allgemeinverfügung des Antragsgegners formellen Anforderungen nicht genügen könnte. Bei einer Allgemeinverfügung handelt es sich um eine besondere Art des Verwaltungsaktes, die sich in einem konkreten Einzelfall an eine Vielzahl von Personen richtet (vgl. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) und dementsprechend andere Voraussetzungen hat als ein „gewöhnlicher“ Verwaltungsakt. Insbesondere ist die Allgemeinverfügung auch ohne individuelle Bekanntgabe gegenüber dem Antragsteller wirksam; ist eine solche Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich, darf eine Allgemeinverfügung nach Art. 41 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG – wie hier geschehen – auch öffentlich bekannt gemacht werden. Da die vom Antragsteller gerügten Mängel (Fehlen von Dienstsiegel, Unterschrift, Erlassformel als Mindestinhalt etc.) sich gerade „nur“ auf den vermeintlichen Verwaltungsakt des Gesundheitsamtes beziehen und gerade nicht auch auf die Allgemeinverfügung, kann dahinstehen, ob derartige Mängel überhaupt die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes nach sich ziehen können. Soweit es „auch“ der Allgemeinverfügung an einer Rechtsbehelfsbelehrung:mangelt, hat dies – abgesehen davon, dass in solchen Fällen gemäß § 58 Abs. 1 VwGO die Frist für eine Klage gegen den Verwaltungsakt nicht zu laufen beginnt – keine Auswirkung auf deren Rechtmäßigkeit.
Die mit der Allgemeinverfügung getroffene Anordnung der häuslichen Isolation ist entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie nicht durch einen Richter angeordnet bzw. die behördlicherseits verfügte Regelung nicht unverzüglich einer richterlichen Entscheidung zugeführt worden sei (vgl. Art. 104 Abs. 2 GG). Zwar zielt die häusliche Absonderung gerade darauf ab, die Kontaktperson der Kategorie I in räumlicher Sicht auf die eigene Wohnung zu beschränken. Auch umfasst die häusliche Isolation angesichts der Inkubationszeit von 14 Tagen einen nicht nur unerheblichen Zeitraum. Die Kammer schließt sich diesbezüglich jedoch der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen an (B.v. 13.7.2020 – 13 B 968/20.NE – juris Rn. 40 ff.), wonach die häusliche Absonderung nach §§ 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG lediglich als freiheitsbeschränkende Maßnahme anzusehen ist. Die Maßnahme ergeht zwar in Gestalt eines imperativen Verwaltungsaktes, setzt nach der gesetzgeberischen Konzeption aber die „Freiwilligkeit des Betroffenen und damit seine Einsicht in das Notwendige“ (BT-Drs. 14/2530 S. 75) voraus und begründet deshalb mangels physischer Zwangswirkungen keinen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Bewegungsfreiheit. Erst wenn sich der Betroffene weigert, der Absonderung nachzukommen, ist die Anordnung nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 IfSG, der insbesondere die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 104 Abs. 2 GG berücksichtigt, durchsetzbar.
1.2 Dass beim Antragsteller die in der Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt sein könnten, ist für das Gericht nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht substantiiert in Zweifel gezogen worden.
Nach den Feststellungen des Gesundheitsamtes hat der Antragsteller am 28. September 2020 die Klasse 10 D des … besucht. Im Nachgang ist ein Lehrer, der an diesem Tag auch die Klasse des Antragstellers unterrichtet hat, positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das Gericht hegt keinen Zweifel daran, dass diese Feststellungen nicht zutreffend sein könnten. Dem Antragssteller ist zwar darin zuzustimmen, dass gewisse Kontaktereignisse insbesondere bei situationsbedingt wechselndem Personenkreis wie z.B. in einem Restaurant oder Museum durchaus schwer nachzuvollziehen sind und einen höheren Personaleinsatz erfordern können. Der hier vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich hiervon jedoch erheblich. Aufgrund der dem Schulbetrieb zugrundeliegenden Organisation (Zuweisung der Schüler und der Lehrkräfte zu bestimmten Klassen, Stundenpläne, Zuweisung von Räumen, Mitteilungspflicht bei Fehlen am Unterricht wg. Krankheit etc.) ist jederzeit ohne größeren Aufwand feststellbar, wer sich gemeinsam in einem Raum aufgehalten hat.
Da in Schulklassen naturgemäß eine relativ beengte Raumsituation vorherrscht, in der sich die Schüler über eine längere Dauer hinweg aufhalten, ist der Antragsteller als Schüler des bestätigten COVID-19-Falls als Kontaktperson der Kategorie I i.S.d. Maßgaben des Robert-Koch-Instituts zu qualifizieren und zwar unabhängig von einer individuellen Risikoermittlung (vgl. zu den Kriterien: https://www…de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html#doc13516162bodyText7; Stand: 24.9.2020; hier konkret 4. Aufzählungszeichen) und damit auch unabhängig davon, ob während des Unterrichts – wie der Antragsteller vorträgt – erforderliche Mindestabstände zwischen ihm und dem Lehrer eingehalten wurden oder die Fenster geöffnet waren. Damit hat sich der Antragsteller bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19 Fall in Isolation zu begeben. Nachdem der letzte Kontakt zwischen dem Antragsteller und dem positiv getesteten Lehrer am 28. September 2020 stattfand, ist der seitens des Antragsgegners vorgesehene, dem Antragsteller mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 mitgeteilte, Quarantänezeitraum bis einschließlich 12. Oktober 2020 nicht zu beanstanden.
1.3 Selbst wenn man zu dem Schluss käme, dass die Erfolgsaussichten einer Hauptsacheklage im Hinblick darauf, dass auch negativ getestete Kontaktpersonen der Kategorie I trotz negativer Testung 14 Tage in häuslicher Isolation bleiben müssen, offen wären, so fiele eine dann vorzunehmende Interessenabwägung jedenfalls im Hinblick auf die Regelungen Nr. 2.1.1 und 6.1 der Allgemeinverfügung zu Lasten des Antragstellers aus. In Rede stehen vorliegend hochrangige Gemeinschaftsgüter, wie etwa der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sowie ein funktionsfähiges Gesundheitswesen. Diese überwiegen vorliegend die Interessen der Antragstellerin aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zu letzterem Kießling in Kießling, IfSG, 1. Auflage 2020, § 30 Rn. 29).
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
2. Da nach alledem die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe – ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers – abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Gericht orientiert sich dabei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach dessen Nr. 1.5 beträgt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Streitwert in der Regel ½. Allerdings kann auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden. Hiervon wurde vorliegend Gebrauch gemacht.

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