Verwaltungsrecht

Vorliegen eines Abschiebungshindernisses wegen drohender Misshandlung durch den Vater im Heimatland

Aktenzeichen  M 16 S 16.30230

Datum:
11.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a
GG GG Art. 16a Abs. 3 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2016 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Senegals. Am 13. November 2013 stellte er bei dem Bundesamt einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gemäß § 25 AsylG am 17. November 2015 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er gehöre der Volksgruppe der Peul an. Er habe den Senegal bereits im Alter von 15 Jahren verlassen. Er habe zuletzt mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern im Dorf … in der Region … gelebt. Er habe sein Heimatland im März 2009 verlassen. Die Eltern hätten sich getrennt, der Vater habe im selben Dorf gewohnt. Als er sieben Jahre alt gewesen sei, habe sich sein Vater eine zweite Frau genommen. Diese sei dann seine Lieblingsfrau gewesen und habe alles bestimmt. Sein Vater habe dann begonnen, seine Mutter zu schlagen. Der Antragsteller habe dies schwer ertragen können, weil er auf der Seite der Mutter gestanden sei. Als er dreizehn Jahre alt gewesen sei, habe er den Vater, als dieser wieder seine Mutter geschlagen habe, aufgefordert, seine Mutter in Ruhe zu lassen oder sie beide umzubringen. Sein Vater habe ihn dann festgehalten und gesagt, dass er ihn umbringen würde. Er habe ihn dann mit dem Stock geschlagen und am ganzen Körper verletzt. Mit dem Messer habe er ihn an der Hand und am Bein verletzt. Von den Schlägen auf dem Kopf habe er noch heute Schmerzen an einer Stelle. Vielleicht sei sogar noch ein Stück von dem Stock in seinem Kopf. Aufgrund des Lärms seien dann Leute ins Haus gekommen und hätten ihn sozusagen aus dem Haus gerettet. Sein Vater habe sich in dem Moment von seiner ersten Frau, seinen beiden Töchtern von dieser Frau und vom Antragsteller losgesagt. Sie seien dann beim Vater der Mutter untergekommen. Der Antragsteller sei dann ein Jahr dort geblieben und habe der Großmutter in der Landwirtschaft geholfen. Sein Vater habe dann seiner Mutter bei einer Begegnung gesagt, dass er den Antragsteller umbringen würde, wenn er ihn sehen würde. Seine Mutter habe ihm empfohlen, das Land zu verlassen. Wenn er in sein Heimatland zurückkehren müsse, würde ihn sein Vater umbringen. An anderer Stelle im Senegal habe er keine Beziehungen und wüsste nicht, wie er sein Leben organisieren könnte. Zum anderen würde sein Vater, wenn er von seinem neuen Wohnsitz erfahren würde, dorthin reisen und ihn umbringen. Dies würde auch für ein Leben in Mauretanien gelten.
Mit Bescheid vom 14. Januar 2016, zugestellt am 6. Februar 2016, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf die Anerkennung als Asylberechtigter (Nr. 2 des Bescheids) als auch den Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids) als offensichtlich unbegründet ab, ebenso wurde der Antrag auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus abgelehnt (Nr. 3 des Bescheids). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4 des Bescheids), der Antragsteller wurde zur Ausreise aufgefordert, die Abschiebung wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht (Nr. 5 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6 des Bescheids), das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet ab dem Tag der Abschiebung auf 30 Monate (Nr. 7 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG. Er habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat in seinem Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Es drohe dem Antragsteller im Senegal keine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei daher keine andere Bewertung als bei der Prüfung subsidiären Schutzes denkbar. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Senegal führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die vom Antragsteller vorgetragenen Verletzungen und Bedrohungen durch seinen Vater erfüllten nicht ansatzweise die Voraussetzungen für eine Verletzung des Art. 3 EMRK. Es sei durchaus zumutbar, dass der Antragsteller in sein Heimatland zurückkehre und dort Arbeit suche. Entgegenstehende Gründe humanitärer oder wirtschaftlicher Art lägen nicht vor. Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen verwiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers am 11. Februar 2016 Klage. Zudem beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.01.2016 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, die Antragsgegnerin habe fehlerhaft subsumiert, der vom Antragsteller vorgetragene Streit mit seinem Vater und die daraus resultierende Bedrohung mit dem Tod führten nicht zu einer Gewährung eines nationalen Abschiebeverbots. Demgegenüber habe der Antragsteller bereits in seiner Anhörung glaubhaft vorgetragen, dass er im Fall einer Rückkehr konkret befürchten müsse, von seinem Vater aufgefunden zu werden und mit dem Tode bedroht oder sogar umgebracht zu werden. Der Antragsteller trage hierzu ergänzend vor, dass der Volksstamm der Peul, dem er angehöre, zwar eine Minderheit in Senegal darstelle, jedoch einen großen gesellschaftlichen Einfluss im ganzen Land habe. Dies habe zur Folge, dass der Antragsteller, auch wenn er sich in anderen Landesteilen des Senegals niederlassen würde, innerhalb kurzer Zeit von seinem Vater wieder aufgefunden würde und damit erneut der konkreten Bedrohung mit dem Tod ausgesetzt wäre. Damit liege eine besondere Fallkonstellation vor, die als gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutliche übersteige. Schon die Zugehörigkeit zu der Bevölkerungsgruppe der Peul biete ausreichend Möglichkeit, die Tatsache seiner Rückkehr seiner Familie zur Kenntnis zu bringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 16 K 16.30229 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig. Insbesondere wurde die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG eingehalten.
Der Antrag ist auch begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers, nach dem in seinem Fall die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG oder für die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen könnten, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidung. Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die angefochtene Maßnahme jedenfalls in dem für diese Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
Nach dem Vortrag des Antragstellers wurde er in seinem Herkunftsland von seinem Vater misshandelt und es drohen ihm im Falle einer Rückkehr erneute Übergriffe durch seinen Vater. Damit könnten die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erfüllt sein und dem Antragsteller auch die einschlägige Beweiserleichterung zugute kommen.
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 wäre die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Eine Schutzwilligkeit bzw. – fähigkeit des Staates im Sinne von § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3d AsylG dürfte im vorliegenden Fall zweifelhaft sein, da laut des aktuellen Lageberichts der Staat Gewalt gegen Frauen und Kinder durch Dritte billigend in Kauf nimmt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG, vom 21. November 2015, Stand: August 2015, S. 12).
Auch die Frage, ob es für den Antragsteller ggf. eine interne Schutzmöglichkeit gäbe (vgl. § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3e AsylG), lässt sich nicht ohne weiteres bejahen, sondern bedürfte – auch vor dem Hintergrund des Vortrags zu der Volkszugehörigkeit des Antragstellers und der sich daraus möglicherweise ergebenden Besonderheiten – noch weiterer Aufklärung.
Das Bundesamt ist auf diese Punkte im streitgegenständlichen Bescheid nicht eingegangen. In Bezug auf den subsidiären Schutz wurde lediglich auf die allgemeine Lage im Herkunftsland abgestellt, ohne auf den konkreten Vortrag des Antragstellers (Ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure) einzugehen. Nur in Bezug auf das evtl. Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde knapp festgestellt, der Streit liege einige Jahre zurück und der Antragsteller sei in der Lage, sich ggf. an einem anderen Ort im Senegal eine Existenz aufzubauen.
Die nähere Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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