Verwaltungsrecht

Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit aufgrund Zugehörigkeit zur “Reichsbürgerbewegung”

Aktenzeichen  B 1 K 17.634

Datum:
24.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24014
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Verwaltungsgericht anschließt, sind Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, waffenrechtlich unzuverlässig (Anschluss an BayVGH BeckRS 2017, 128941 u.a.). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach neuer Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist für die negative Prognoseentscheidung nicht erforderlich, dass über eindeutig „reichsbürgertypische“ schriftliche Äußerungen im Zusammenhang mit der Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises „weitere negative Erkenntnisse“ vorhanden sind, um zu einem schlüssigen Gesamtbild zu kommen (Anschluss an BayVGH BeckRS 2018, 3042). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 06.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG hat die zuständige Behörde eine waffenrechtliche Erlaubnis, vorliegend also die Waffenbesitzkarte nach § 10 Abs. 1 WaffG, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis ist u.a. zu versagen, wenn eine Person nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG i.V.m. § 5 WaffG. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, b und c WaffG stellt es einen absoluten Unzuverlässigkeitsgrund dar, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden (Buchst. a), mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Hierzu ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen eine Prognose zu erstellen und der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG). Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Dabei ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14 mit Hinweis auf stRspr des BVerwG z.B. B.v. 31.1.2008 – 6 B 4/08 – juris, sowie B.v. 2.11.1994 – 1 B 215/93 – juris). Bloße Vermutungen reichen hingegen nicht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Verwaltungsgericht anschließt, sind Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, waffenrechtlich unzuverlässig (vgl. Beschlüsse des Senats v. 5.10.2017- 21 CS 17.1300; v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332; v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339; v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519 – alle juris).
Der Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundes (S. 90) definiert „Reichsbürger“ als eine organisatorisch wie ideologisch äußerst heterogene Szene, der jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates, seiner Repräsentanten sowie der gesamten Rechtsordnung gemein ist. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 (S. 180 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 185).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.1997 – 1 B 9/97 – juris), muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. zum Ganzen: NdsOVG, B.v. 18.7.2017 – 11 ME 181/17; VG Minden, U.v. 29.11.2016 – 8 K 1965/16; VG Cottbus, U.v. 20.9.2016 – VG 3 K305/16; VG München, B.v. 8.6.2017 – M 7 S 17.933; einschränkend VG Gera, U.v. 16.9.2015 – 2 K 525/14 Ge – jeweils juris).
Nach neuer Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 25.01.2018 – 21 CS 17.2310 – juris) ist für die negative Prognoseentscheidung nicht erforderlich, dass über eindeutig „reichsbürgertypische“ schriftliche Äußerungen im Zusammenhang mit der Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises „weitere negative Erkenntnisse“ vorhanden sind, um zu einem schlüssigen Gesamtbild zu kommen.
b) Die für den Kläger negative Prognose im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG im Hinblick auf seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit stützt sich auf folgende Tatsachen:
Der Kläger hat beim Ausfüllen des Formulars „Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit“ nach außen gegenüber einer Behörde zu erkennen gegeben, dass es ihm nicht nur um den Erwerb eines Staatsangehörigkeitsausweises geht, sondern dass er ideologische, für Reichsbürger typische Ziele verfolgt. Dies ergibt sich daraus, dass er angab, die Staatsangehörigkeit durch
„Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG 1913“ erworben zu haben unter Verweis darauf, dass sein Geburtsstaat und sein Wohnsitzstaat das „Königreich Bayern“ sei.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führte bei ähnlicher Antragstellung (im Verfahren B.v. 25.01.2018 – 21 CS 17.2310 – juris) aus: „Reichsbürger sind davon überzeugt, dass sie aus der Bundesrepublik Deutschland austreten können. Als ersten Schritt zu ihrem vermeintlichen Austritt betrachten sie häufig die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Berufung auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 184). Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis – rechtlich völlig unzutreffend – u.a. den „Ausstieg aus der Firma BRD“ oder die Sicherung vermeintlicher Rechte beim „Untergang des Systems“. Es ist eine „reichsbürgertypische“ Verhaltensweise, eine Eintragung in das EStA-Register und entsprechende EStA-Registerauszüge mit dem Inhalt „Erwerb der Staatsangehörigkeit nach § 4 RuStAG, Stand 1913“ zu erwirken.“
Die Kammer vertritt die Auffassung, dass der von Geburt in … lebende Kläger durch die Antragstellung in Bezug auf diese Angaben „reichsbürgertypisch“ dargelegt hat, dass er sich nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansieht. Zwar hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er denke, dass die Verfassung des Freistaats Bayern und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gültig seien. Diese pauschale Angabe wertet das Gericht aber als Schutzbehauptung. Der Kläger vertrat nicht die Auffassung, dass er von der Gültigkeit der Normen grundsätzlich überzeugt sei, sondern äußerte, „dass es ja keine anderen gebe.“ Eine vernünftige und plausible Erklärung, warum er die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit beantragt habe, konnte er nicht geben. Obwohl er sein gesamtes Leben in … verbracht hatte und auch nicht beabsichtigt, seinen Wohnsitz zu ändern, sei der Staatsangehörigkeitsausweis notwendig, da man ja nie wisse, was in Zukunft sei. Auch die Schilderungen zu seinen Bekannten waren bewusst vage formuliert, um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Die Erklärung, dass er es nur mit „ganz normalen Bürgern“ zu tun habe, hält das Gericht für nicht glaubhaft. Dies ergibt sich für die Kammer aus seinen Angaben zu einem sogenannten „Werner“, der „zufällig in …“ gewesen sei und zum Landratsamt „mitgewollt“ habe, „um zu sehen, wie es da so abläuft.“ Gerade der Hinweis darauf, dass Werner sehen wollte „wie es da so abläuft“, deutet darauf hin, dass dieser beobachten wollte, wie eine bayerische Behörde mit einem Antrag auf Feststellung der Staatsangehörigkeit unter Bezugnahme auf „reichsbürgertypische“ Formulierungen umgeht.
Der Kläger konnte das Gericht nicht davon überzeugen, dass er sich von der nach außen getretenen ideologischen Grundhaltung distanziert hat. Offensichtlich empfindet er bis heute keine Reue, den Staatsangehörigkeitsausweis mit dem angegebenen Vokabular beantragt zu haben. Seiner Ansicht nach sei „von Seiten des Landratsamts ja kein Widerspruch gekommen.“ Dass diese Erklärung reine Schutzbehauptung ist und auch nicht mit den angeblich im Internet getätigten Recherchen zu rechtfertigen ist, ergibt sich auch aus dem eindeutigen Vorgaben des Formulars, das nach Ansicht der Kammer selbsterklärend ist und einfach ohne Internethilfe ausgefüllt werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint die Angabe „Königreich Bayern“ bei den Feldern „Geburtsstaat, Wohnsitzstaat und Staatsangehörigkeit“ als völlig abwegig. Durch diese Angaben zeigt der Kläger die Ablehnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und damit auch deren Rechtssystem.
2. Die an die Bestandskraft des Bescheides anknüpfende Verpflichtung zur Abgabe der Waffenbesitzkarte (Nr. 2.a. des Bescheides) ergibt sich unmittelbar aus § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG und kann ebenso wenig beanstandet werden wie die zugehörige Zwangsgeldandrohung in Nr. 4. des Bescheids. Die weitere Anordnung in Nr. 2.b. findet ihre Rechtsgrundlage in § 46 Abs. 2 WaffG und erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde anordnen, dass jemand, der auf Grund einer widerrufenen Erlaubnis Waffen oder Munition besessen hat, binnen angemessener Frist die Waffen oder Munition dauerhaft unbrauchbar macht oder einem Berechtigten überlässt und den Nachweis darüber gegenüber der Behörde führt.
Der Tenor des Bescheides lässt in einer Zusammenschau mit den Gründen insoweit hinreichend erkennen, dass das Landratsamt bei der verfügten Anordnung eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Im Gegensatz zur Begründung des Widerrufs der Waffenbesitzkarte, bei dem das Landratsamt zutreffend darauf hingewiesen hat, dass für Ermessenserwägungen insoweit kein Raum bleibe, wird auf Seite 3 und 4 des Bescheids zu Recht angeführt, dass das Landratsamt die Anordnungen nach § 46 Abs. 2 WaffG treffen „kann“, was dafür spricht, dass die erforderliche Ermessensbetätigung erfolgt ist, zumal insbesondere die für die Abgabe bzw. Unbrauchbarmachung der Waffen verfügte Frist von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides einzelfallbezogen festgelegt wurde und sich im Übrigen auch im Rahmen des Verhältnismäßigen bewegt. Eine ausdrückliche Begründung der Ermessensentscheidung war angesichts der Gefährlichkeit von Waffen und der Tatsache, dass vom Kläger nichts vorgebracht wurde, was trotz des Entzugs der Waffenbesitzkarte den weiteren Verbleib der Waffe bei ihm rechtfertigen könnte, nicht erforderlich (vgl. VG Ansbach, U.v. 27.9.2012 – AN 5 K 11.1888; VG Würzburg, B.v. 3.4.2009 – W 5 S 09.163 – juris).
3. Schließlich begegnet die Gebührenfestsetzung in Nr. 6. des Bescheids keinen rechtlichen Bedenken, da sie sich innerhalb des der Behörde vorgegebenen Rahmens bewegt (vgl. Tarif-Stellen 39/40 der Lfd. Nr. 2.II.7 des Kostenverzeichnisses).
II.
Die Klage ist daher insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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