Verwaltungsrecht

Wahlanfechtung und Berichtigung des Wahlergebnisses

Aktenzeichen  Au 1 K 20.928

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28624
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GLKrWG Art. 50 Abs. 2 S. 3, Art. 51a, § 75 Nr. 3, § 85 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts … vom 5. Mai 2020 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Wahlanfechtung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (Gültigkeit des Stimmzettels …) neu zu entscheiden und das Wahlergebnis zu berichtigen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Gegenstand der Klage ist nach dem zuletzt gestellten Antrag des Klägers die Berichtigung der Gemeinderatswahl des Marktes … vom 15. März 2020 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Gültigkeit des Stimmzettels …
Es konnte verhandelt und entschieden werden, obwohl die Beigeladene zu 1 nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Hierauf wurde gemäß § 102 Abs. 2 VwGO in der Ladung hingewiesen.
II.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, insbesondere traten ihr nach Art. 51a Nr. 2 GLKrWG fünf im Wahlkreis wahlberechtigte Personen bei. Sie ist zudem begründet, so dass das Wahlergebnis auf die Wahlanfechtung des Klägers hin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu berichtigten ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GLKrWG i.V.m. Art. 51 Satz 2 GLKrWG hat die Rechtsaufsichtsbehörde die Wahl unter anderem zu berichtigen, wenn bei der Gemeinderatswahl die Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge aufgrund der Verletzung von Wahlvorschriften anders wäre. Die Rechtsaufsichtsbehörde ist hierbei gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 3 GLKrWG befugt, die Bewertung der Stimmzettel einschließlich der Entscheidungen der Wahlvorstände zu berichtigen.
1. Nach dem durch den Wahlausschuss gemäß Art. 19 Abs. 3 GLKrWG festgestellten und durch den Wahlleiter nach Art. 19 Abs. 5 GLKrWG verkündeten abschließenden Ergebnis der Wahl des Gemeinderats am 15. März 2020 wurde gemäß Niederschrift der Stimmzettel … des Stimmbezirks … als „ungültig“ gewertet, da bei den Bewerbern Nr., … und … durch Kennzeichnung insgesamt 4 Stimmen vergeben worden seien und somit zusammen mit den übrigen Stimmen insgesamt 22 statt 20 Stimmen verteilt worden wären.
2. Die Beteiligten stellten unstreitig, dass es durch eine abweichende Wertung dieses Stimmzettels als „gültig“ zu einer anderen Verteilung der Sitze im Marktgemeinderat von … kommt.
3. Es wurde die Wahlvorschrift des Art. 35 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG verletzt, da entgegen dieser Bestimmung die zu vergebenen Sitze des Marktgemeinderats nicht anhand der Gesamtzahl der gültigen Stimmen verteilt worden sind. Der Stimmzettel … des Stimmbezirks … ist entgegen der im Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2020 vertretenen Auffassung gültig. Insbesondere liegt hinsichtlich des Stimmzettels … keine Ungültigkeit nach § 85 Nr. 2 GLKrWO wegen des Überschreitens der Gesamtstimmenzahl vor. Dem Wähler standen nach Art. 34 Nr. 1 GLKrWG i.V.m. Art. 31 Abs. 2 Satz 2 GO insgesamt 20 Stimmen zur Verfügung, von welchen er an die Bewerber Nr. … und … jeweils eine und die Bewerber Nr., … und … jeweils drei Stimmen, somit insgesamt 17 Stimmen, vergab.
a) Nach § 75 Nr. 3 GLKrWO erfolgt die Stimmvergabe dadurch, dass die stimmberechtigte Person den Wahlvorschlag oder die Namen der sich bewerbenden Personen in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise kennzeichnet. Für Wahrscheinlichkeitserwägungen ist hier kein Raum (BayVGH, B.v. 29.10.2008 – 4 ZB 08.2434 – Rn. 10 juris m.w.N.). Will die stimmberechtigte Person häufeln, kennzeichnet sie die sich bewerbende Person so, dass eindeutig ersichtlich ist, ob sie der sich bewerbenden Person zwei oder drei Stimmen geben will (§ 75 Nr. 4 GLKrWO).
b) Bei dem genannten Stimmzettel ist der Wille der abstimmenden Person zweifelsfrei erkennbar. Unsicherheiten oder Unklarheiten hinsichtlich des Wählerwillens bestehen für das Gericht nicht. Der Wähler hat die Bewerber Nr., … und … jeweils im vor dem Bewerber befindlichen Kasten mit einem „X“ gekennzeichnet. Zusätzlich dazu wurden die Bewerber Nr., … und … nach ihrer Nennung innerhalb des Feldes ihres Namens mit jeweils drei Strichen („III“) markiert. Durch das Kreuz („X“) macht der Wähler in einem ersten Schritt entsprechend § 75 Nr. 3 GLKrWO deutlich, für welche Bewerber er sich entschieden hat. Durch die drei Striche („III“) macht er in einem zweiten Schritt nach § 75 Nr. 4 GLKrWO deutlich, welchen Kandidaten er drei Stimmen geben wollte. Dies ergibt sich insbesondere durch die klare optische Trennung der Kennzeichnungsarten, bei welcher das Kreuz jeweils im Bereich vor dem Namen und die drei Striche jeweils im Bereich hinter dem Namen des jeweiligen Bewerbers angebracht wurden. Maßgeblich ist auch, dass die wählende Person diese Kennzeichnungsart auf dem gesamten Stimmzettel ohne Ausnahme angewendet hat, sodass der Wählerwille auch in der Gesamtbetrachtung des Stimmzettels ein in sich stimmiges Bild ergibt und deutlich zum Ausdruck kommt. Der Wähler hat strukturiert, planmäßig und überlegt den Stimmzettel ausgefüllt und hierbei ohne jeglichen Zweifel eine eindeutige Wahlentscheidung getroffen. Soweit der Beklagte einwendet, dass konsequenterweise auch bei den Bewerbern Nr. … und … ein Strich hätte gemacht werden müssen, ist dem der Wortlaut des § 75 Nr. 4 GLKrWO entgegenzuhalten, wonach bei der Vergabe von nur einer Stimme gerade keine entsprechende Kennzeichnung erforderlich ist. Nur wenn die bewerbende Person zwei oder drei Stimmen erhalten soll, ist eine deutliche Kennzeichnung erforderlich.
c) Die Ansicht des Beklagten und des Beigeladenen zu 3, wonach nach der Kommentarliteratur jedes Kennzeichnungselement des Stimmzettels eine Stimme darstellen soll, überspannt die Anforderungen des § 75 Nr. 3 GLKrWO. Wie der Beklagte selbst ausführt, hat der Gesetzgeber für die Stimmabgabe kein besonderes Zeichen oder eine besondere Abstimmungsweise vorgegeben. Auch Wechsel der Kennzeichnungsart sind grundsätzlich unbeachtlich. Vielmehr wollte der Gesetzgeber zur möglichst uneingeschränkten und unkomplizierten Ausübung des Wahlrechts durch sämtliche Bürgerinnen und Bürger diesen grundsätzlich die Möglichkeit geben, mit ihren eigenen Mitteln und Möglichkeiten den Stimmzettel zu kennzeichnen, um die Möglichkeit der Teilhabe aller Wahlberechtigten an demokratischen Wahlen sicherzustellen. Es ist daher grundsätzlich unerheblich, wie viele Zeichen ein Wähler auf dem Stimmzettel anbringt, solange der in § 75 Nr. 3 GLKrWO niedergelegte Grundsatz der zweifelsfreien Kennzeichnung gewahrt bleibt. Hierbei sind vier oder mehr Markierungen je Bewerber grundsätzlich eher als andere Kennzeichnungsarten geeignet, am konkreten Wählerwillen zu zweifeln. Ein absoluter, stets beachtlicher Zweifel an vier oder mehr Markierungen je Bewerber ergibt sich daraus jedoch nicht. Vielmehr hat der Wähler, wenn er seinen Stimmzettel auf diese Weise kennzeichnen möchte, wie im vorliegenden Fall durch eine sehr strukturierte, klar erkennbare Vorgehens- und Markierungsweise sicherzustellen, dass sein Wahlverhalten unmissverständlich erkannt und verstanden wird.
Die durch den Beklagten angesprochene Entscheidung des OVG Lüneburg (U.v. 30.5.1995 – 10 L 345/93) steht dem – soweit überhaupt eine Vergleichbarkeit der entsprechenden Landeswahlvorschriften vorliegt – nicht entgegen. In dem dort beurteilten Einzelfall war neben Kreuzen nur ein einziger schräger Strich angebracht worden, welcher Raum für verschiedene Interpretationen ließ. Eine klar erkennbare und auf dem gesamten Stimmzettel bezogene Struktur war somit in diesem Fall gerade nicht erkennbar.
4. Da das Gericht aufgrund der nicht vorliegenden vollständigen Wahlunterlagen nicht in der Lage war, abschließend über die Berichtigung bzw. Neubesetzung des Marktgemeinderats zu entscheiden, war der Beklagte nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu verpflichten, über die Wahlanfechtung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (Gültigkeit des Stimmzettels …) neu zu entscheiden und das Wahlergebnis zu berichtigen.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich so keinem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben, entspricht es nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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