Verwaltungsrecht

Wegen fehlender Prüfung des subsidiären Schutzes erfolgreicher Eilrechtsschutz gegen die Ablehnung eines Zweitantrages als unzulässig

Aktenzeichen  M 11 S 17.48158

Datum:
20.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4 S. 1. § 71a Abs. 4, § 77 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU muss sich auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen. (Rn. 24 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.09.2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben ein somalischer Staatsangehöriger.
Am 8. Mai 2015 stellte der Antragsteller einen Asylantrag in der Schweiz.
Mit Bescheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements – Staatssekretariat für Migration – Direktionsbereich Asyl vom 7. Juli 2016 (Bl. 69 ff. der Behördenakte) wurde der Asylantrag des Antragstellers in der Schweiz abgelehnt und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verneint. Eine Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes erfolgte nicht (Bl. 75 der Behördenakte). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller seine Herkunft und seine Clanzugehörigkeit nicht glaubhaft gemacht habe und sein Vorbringen widersprüchlich sei (Bl. 70 ff. der Behördenakte).
Der Antragsteller reiste dann nach eigenen Angaben am 8. Oktober 2016 nach Deutschland ein.
Am 18. Oktober 2016 stellte der Antragsteller einen Asylantrag in Deutschland.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) hörte ihn am 23. Dezember 2016 persönlich an. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift (Bl. 83 ff. d. A.) verwiesen.
Am 28. Juli 2017 fand eine weitere persönliche Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt statt. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift (Bl. 147 ff. d. A.) verwiesen.
Mit Bescheid vom 6. September 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragsteller als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2), forderte den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Somalia auf, Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Der Bescheid wurde hinsichtlich Nr. 1 im Wesentlichen damit begründet, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die Sach- und Rechtslage habe sich nicht nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert. Er habe im Rahmen seiner Anhörung nur Asylgründe vorgetragen, die zeitlich vor seiner Ausreise aus seinem Heimatland gelegen hätten und die sich seit seiner Anhörung in der Schweiz nicht geändert hätten. Alle Gründe, die er jetzt vorgetragen habe, hätten daher bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Schweiz vorgelegen haben müssen. Auch habe der Antragsteller neue Beweismittel weder vorgelegt noch angekündigt. Auch die Voraussetzungen des § 580 der Zivilprozessordnung lägen nicht vor. Hinsichtlich Nr. 2 des Bescheids wurde im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt, dass das geltend gemachte Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft sei. Der Kläger habe in der Schweiz andere Gründe vorgetragen als in Deutschland. Auch in Deutschland habe er im Rahmen seiner zwei informatorischen Anhörungen beim Bundesamt unterschiedliche Angaben gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 20. September 2017 zugestellt.
Der Antragsteller ließ am 27. September 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben (M 11 K 17.48157).
Gleichzeitig ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Nummer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.09.2017, Az. … anzuordnen.
Zur Begründung nahm er zunächst auf seine bisherigen Angaben Bezug.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch die des zugehörigen Klageverfahrens (M 11 K 17.48157) und die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
1. Der zulässige Antrag ist begründet.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung (vgl. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und auch begründet.
Nach dem gemäß § 71a Abs. 4 AsylG anwendbaren Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach– und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 71a AsylG ist im Falle eines Zweitantrags ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt.
Deutschland ist auf Grund des Ablaufs der Zwei-Monats-Frist des Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO für die Entscheidung zuständig.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat der EU betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 30 ff.). Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedsstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Rn. 33 ff.). Diese Voraussetzungen müssen feststehen – bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG Rn. 9). Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen Info– Request (vgl. Art. 34 Dublin –III– VO; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Erforderlich sind danach stets die Informationen zum Verfahrensstand und zum Tenor einer ggf. getroffenen Entscheidung in dem Mitgliedsstaat (vgl. Art. 34 Abs. 2 Buchst. g Dublin –III– VO) und zudem – im Hinblick auf eine Beurteilung der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG – zumindest in der Regel die Entscheidungsgründe der Ablehnung in dem anderen Mitgliedstaat (vgl. Art. 34 Abs. 3 Dublin –III– VO; weitergehend – Kenntnis der Entscheidungsgründe stets erforderlich – z.B. VG München, B.v. 27.12.2016 – M 23 16.33585 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Das erfolglos abgeschlossene Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat muss sich auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen (ebenso VG München, B. v. 03.04.2017 – M 21 S. 16.36125; VG Trier, U.v. 10.2.2016 – 5 K 3875/15.TR – juris Ls. 2 und Rn. 54 ff.; VG Hamburg, B.v. 14.07.2016 – 1 AE 2790/16 – juris Ls. 2 und Rn. 10 u. 16 ff.). Das ergibt sich sowohl aus der Begriffsbestimmung des Asylantrags nach nationalem Recht (§ 13 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) als auch aus der europarechtlichen Definition des Antrags auf internationalen Schutz (Art. 2 Buchst. h RL 2011/95/EU) sowie aus dem hierauf aufbauenden und § 71a AsylG (im Sinne einer mitgliedstaatenübergreifenden Anwendung) zugrunde gelegten Folgeantragskonzept in Art. 40 ff. RL 2013/32/EU. Auch die für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebliche Dublin III-VO stellt auf den weiten Antrag auf internationalen Schutz i.S.v. Art. 2 Buchst. h RL 2011/95/EU ab (Art. 2 Buchst. b Dublin –III–Verordnung).
Entsprechend diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG im Hinblick auf die Prüfung des subsidiären Schutzes nicht vor.
Zwar liegt der Bescheid der schweizerischen Behörden vom 7. Juli 2016 vollständig vor. Zwar handelt es sich um eine Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des Asylantrags in der Sache. Jedoch geht aus dem Bescheid weder aus dem Tenor noch aus der Begründung hervor, dass die Zuerkennung subsidiären Schutzes geprüft worden ist. Da subsidiärer Schutz noch nicht geprüft worden ist, ist die Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a AsylG rechtswidrig.
Im Hinblick auf die vom Bundesamt getroffene Verfahrensentscheidung ist eine Sachprüfung hinsichtlich des subsidiären Schutzstatus im gerichtlichen Verfahren – wie auch im Hauptsacheverfahren (BVerwG, U.v. 14.12.2016 a.a.O. – juris Ls. 1 und Rn. 16) – nicht veranlasst.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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