Aktenzeichen Au 1 K 18.2048
AufenthG § 5, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 2, § 36 Abs. 2 S. 1, § 54 Abs. 2 Nr. 8a, Nr. 9
GG Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2
Leitsatz
1. Die Titelerteilungssperre greift nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht, wenn ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht, d.h. wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2014 – BeckRS 2015, 41164). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die vorherige Durchführung des Visumverfahrens soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – BeckRS 2013, 48084).(Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die vorübergehende Trennung eines Elternteils von minderjährigen Kindern im Zusammenhang mit der Durchführung eines Visumverfahrens ist zumutbar, vor allem dann, wenn die Trennung nicht unverhältnismäßig lange währt und die übliche Verfahrensdauer nicht deutlich übersteigt (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2010 – BeckRS 2010, 9945). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegenstand der Klage ist die begehrte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs.
2. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht bereits die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Hiernach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Die Titelerteilungssperre greift zwar nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nicht, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Ein solcher Rechtsanspruch liegt aber nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (BVerwG, U.v. 10.12.2014 -1 C 15/14 – juris Rn. 15). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Vorschrift des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die den Nachzug zu ausländischen Kindern regelt, kommt nicht in Betracht. Danach kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die besonderen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt sind und insbesondere eine außergewöhnlich Härte anzunehmen ist, weil der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zumindest die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegensteht, nachdem der Kläger nicht mit dem erforderlichen Visum zum Daueraufenthalt in die Bundesrepublik eingereist ist. Vielmehr ist der Kläger ohne Visum in das Bundesgebiet eingereist und hat erfolglos ein Asylverfahren betrieben. Im Übrigen wurden keine Umstände nachgewiesen oder wenigstens substantiiert vorgetragen, die das Vorliegen einer besonderen Härte begründen könnten.
b) Von der Visumpflicht ist auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthGabzusehen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von der Visumpflicht abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Vorliegend besteht weder nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, noch ist die Nachholung des Visumverfahrens dem Kläger unzumutbar. Ein Rechtsanspruch scheidet bereits deswegen aus, weil § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ins Ermessen der Ausländerbehörde stellt („kann“). Daneben sind im Fall des Klägers auch unter Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen Gesichtspunkte keine Umstände erkennbar, die eine Ausreise nach Nigeria, dem Heimatland des Klägers, unzumutbar erscheinen lassen. Insbesondere ist ihm die Nachholung des Visumverfahrens auch unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK zumutbar.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es jedoch grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 f. m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. In Fällen wie dem vorliegenden soll die vorherige Durchführung des Visumverfahrens gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 35).
Es liegt im Verantwortungsbereich des Klägers, die Ausreisemodalitäten familienverträglich zu gestalten. Eine zumindest vorübergehende Trennung von seiner Tochter (und seinem weiteren Kind) ist sowohl ihm selbst als auch den Kindern zumutbar. Der Kläger befindet sich in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführen. Darüber hinaus hat es der Kläger selbst in der Hand, durch Absprache mit den zuständigen Behörden den Ausreisezeitpunkt und die Ausreisemodalitäten so zu gestalten, dass eventuell eintretende familiäre Belastungen so gering wie möglich gehalten werden können. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte in der mündlichen Verhandlung angeboten hat, eine Vorabzustimmung zu erteilen und dem Kläger Gelegenheit zu geben, durch eine mehrmonatige Erwerbstätigkeit die notwendigen finanziellen Mittel für die freiwillige Ausreise nach Nigeria zu verdienen.
Im Übrigen wäre auch bei Vorliegen der genannten Ausnahmemöglichkeiten das Absehen vom Visumerfordernis nicht zwingend geboten, sondern stünde im Ermessen der Behörde (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), sodass schon allein deswegen kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Von einer Ermessensreduzierung auf Null ist hier nicht auszugehen. In die von der Ausländerbehörde zu treffende Entscheidung kann als Erwägung einfließen, ob im konkreten Fall das Nachholen des Visumverfahrens mit dem dahinter stehenden Grundgedanken vereinbar ist oder umgekehrt, ob ohne Schaden für das Prinzip von ihm abgewichen werden kann. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug stellt auch keine bloße Förmlichkeit dar. Das Visumverfahren ist vielmehr von elementarer Bedeutung als Steuerungsinstrument für die Zuwanderung in das Bundesgebiet und dient somit einem gewichtigen ausländerpolitischen Interesse der Bundesrepublik (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 17.09 – BVerwGE 138, 122). Dass der Beklagte das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens unter Beachtung der privaten Interessen des Klägers höher gewichtet, als dessen privates Interesse an der Einholung des Aufenthaltstitels vom Inland aus, ist auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte nicht zu beanstanden.
c) Zudem steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Dabei ist nicht erforderlich, dass im konkreten Fall eine Ausweisung auch rechtsfehlerfrei verfügt werden könnte. Das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses führt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dazu, dass die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig nicht erteilt werden kann. Damit besteht kein zwingender gesetzlicher Anspruch auf die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, so dass auch diesbezüglich die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG greift.
Der Kläger wurde vom Amtsgericht Sonthofen mit Strafbefehl vom 20. August 2018 wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln oder Duldungen rechtskräftig zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Im Hinblick auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung kommt es nicht darauf an, dass der Kläger behauptet, der Vorwurf entspreche nicht den Tatsachen. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Beklagte ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG angenommen hat. Mit der strafrechtlichen Verurteilung wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln oder Duldungen wurde festgestellt, dass der Kläger einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Auf die Frage, ob auch deswegen ein Ausweisungsinteresse besteht, weil der Kläger im Rahmen der Antragstellung für die Erteilung seiner Aufenthaltserlaubnis eine unrichtige Angabe (Staatsangehörigkeit der Tochter) gemacht hat, kommt es daher nicht mehr an.
d) Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Da sich der Kläger ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält, ist er vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Er ist ein bestandskräftig abgelehnter Asylbewerber und hält sich seither nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis konnten demzufolge keine Fiktionswirkung entfalten.
Die Ausreise des Klägers ist jedoch nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich im Sinne von Art. 25 Abs. 5 AufenthG. Rechtliche Unmöglichkeit liegt unter anderem dann vor, wenn der Ausreise Gründe entgegenstehen, welche diese als unzumutbar erscheinen lassen (Bergmann/Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 25 AufenthG Rn.105). Insbesondere ergibt sich vorliegend eine Unzumutbarkeit der Ausreise und der anschließenden Durchführung des Visumverfahrens nicht aus Art. 6 GG i.V.m. Art. 8 EMRK. Es ist mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zur Familienzusammenführung zu verweisen. Die mit dem Visumverfahren verbundene Trennung des Klägers von seinen Kindern tritt hier hinter dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens zurück. Nach der Rechtsprechung ist die vorübergehende Trennung eines Elternteils von minderjährigen Kindern im Zusammenhang mit der Durchführung eines Visumverfahrens zumutbar, vor allem dann, wenn die Trennung nicht unverhältnismäßig lange währt und die übliche Verfahrensdauer nicht deutlich übersteigt (BayVGH, B.v. 2.2.2010 – 10 ZB 09.2155 – juris Rn. 10). Im vorliegenden Fall ist die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar (siehe bereits oben). Anhaltspunkte für eine längere Trennung sind angesichts der vom Beklagten in Aussicht gestellten Vorabzustimmung derzeit nicht erkennbar. Es ist Sache des Klägers, das Visumverfahren in Kooperation mit der Ausländerbehörde so vorzubereiten, dass die Zeit der Trennung so kurz wie möglich gehalten werden kann.
3. Sofern der Klageantrag dahingehend auszulegen ist, dass hilfsweise die Erteilung einer Duldung nach § 60 a AufenthG begehrt wird, kann auch dies der Klage voraussichtlich nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die Ausreise des Klägers ist, wie oben ausgeführt, nicht rechtlich unmöglich. Für ein tatsächliches Ausreisehindernis bestehen keine Anhaltspunkte.
4. Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Verfahrenskosten zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.