Verwaltungsrecht

Wegen unglaubhaften Vortrags erfolglose Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 1 K 16.32047

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4

 

Leitsatz

1 Ergibt der klägerische Vortrag in der Gesamtschau eine Vielzahl markanter und nicht nachvollziehbarer Widersprüche, kann den Klägern der Fluchtvortrag in Gänze nicht geglaubt werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson in der Zentralregion, zu der die Herkunftsregion der Kläger, die Provinz Kapisa gehört, schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Oktober 2016 ist, soweit er noch Gegenstand dieses Verfahrens ist, rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Den Klägern kann ihr dahingehender Verfolgungsvortrag, dass sie, insbesondere der Kläger zu 1), in ihrem Heimatland von den Taliban gesucht worden seien und umgebracht werden sollten, in Gänze nicht geglaubt werden. Die Kläger sind nach Überzeugung des Gerichts vielmehr nicht vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht.
Zunächst ist bereits nicht ersichtlich, woraus die Kläger ableiten, dass der Kläger zu 1) bzw. weitere Familienmitglieder verfolgt bzw. sogar umgebracht werden sollten. Nach Aussagen der Klägerin zu 2) vor dem Bundesamt hätten die Männer sie abends an der Haustüre gefragt, wo sich ihr Ehemann befinde. Sie solle ihm ausrichten, dass sie da gewesen seien, ihn bräuchten und morgen wiederkämen. Dies hat die Klägerin, die als einziges Familienmitglied mit den Männern selbst gesprochen hat, im Kern auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Von einer wie auch immer gearteten Bedrohung war hierbei nicht die Rede. Aus der Bewaffnung der Männer kann – angesichts der allgemein großen Verbreitung von Waffen in Afghanistan – nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht geschlossen werden, dass diese dem Kläger zu 1) bzw. weiteren Familienmitgliedern etwas antun oder diese gar umbringen wollten (wozu im Übrigen bei dem Aufeinandertreffen an der Haustüre die Möglichkeit bestanden hätte). Auch der Freund des Klägers zu 1), Nur Mohammad, der den Kläger zu 1) auf dessen Feld gewarnt haben soll, hat dem Kläger entsprechend seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung allein mitgeteilt, dass 7-8 Personen auf ihn warten würden; zu dem Nur Mohammad hätten die Männer nur gesagt, dass er weggehen solle. Auch hieraus lässt sich keine Bedrohung für die Kläger ableiten. Wenn der Kläger zu 1) vor dem Bundesamt insoweit erklärt hat, dass die bewaffneten Männer den Nur Mohammad hätten erschießen wollen, so kann er dies zum einen nicht selbst mitbekommen haben, da er sich auf seinem Feld aufgehalten haben will, zum anderen stellt dies einen aus einer ganzen Reihe von Widersprüchen (hier zwischen Bundesamtsanhörung und mündlicher Verhandlung) dar, die das Vorverfolgungsvorbringen der Kläger insgesamt als unglaubhaft erscheinen lassen. Auch die Klägerin zu 2) hat vor dem Bundesamt hinsichtlich des Nur Mohammad lediglich erklärt, dass dieser den Ehemann benachrichtigt habe, dass er nicht nach Hause kommen solle, da bewaffnete Männer auf ihn warteten. Eine Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG ergibt sich aus alldem jedenfalls nicht.
Dem Vortrag kann darüber hinaus auch nicht glaubhaft entnommen werden, dass es sich bei den bewaffneten Männern überhaupt um Angehörige der Taliban gehandelt hat. Der Kläger zu 1) hat insoweit vor dem Bundesamt erklärt, dass er eine Ortsverteidigungswehr gegründet habe, von der die Taliban erfahren hätten. Deswegen „denke er“, dass die Taliban ihn als Anführer gesehen und es auf ihn abgesehen hätten. Hierbei handelt es sich letztlich lediglich um eine Mutmaßung, zumal der Vorfall sich seinerzeit bei Dunkelheit abgespielt haben soll, so dass die Männer auch nicht ausreichend erkennbar gewesen sein dürften. Überzeugende objektive Anhaltspunkte für die Annahme, dass es sich bei den Männern um Taliban gehandelt hat, die den Kläger zu 1) umbringen wollten, sind vielmehr nicht ersichtlich. Der diesbezügliche Anknüpfungspunkt, dass die Taliban den Kläger zu 1) wegen der Gründung einer Ortsverteidigungswehr verfolgt hätten, ist bereits nur sehr oberflächlich, vage und detailarm vorgetragen worden. Bezeichnenderweise hat der Kläger zu 1) diesen Punkt bei der Befragung zu seinen Fluchtgründen in der mündlichen Verhandlung von sich aus im Freivortrag zunächst auch gar nicht erwähnt, sondern erst auf explizite Nachfrage des Gerichts. Die Klägerin zu 2) hat von einer durch ihren Ehemann gegründeten Ortsverteidigungswehr weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung etwas berichtet. Ebenso wenig glaubhaft erscheint dem Gericht die substanzlose Erklärung, dass der Kläger 15 Jahre lang als Mudjaheddin gegen die Taliban gekämpft habe. Worin dieser Kampf – abgesehen von der behaupteten Ortsverteidigungswehr im Jahr vor der Ausreise – bestanden haben soll, erschließt sich nach den Ausführungen des Klägers zu 1) in keiner Weise. Hinsichtlich der erwähnten Parteimitgliedschaft hat der Kläger bereits selbst nicht ins Feld geführt, dass er aufgrund dieser verfolgt worden sei. Auch diesbezüglich hat der Kläger sein politisches Engagement nicht glaubhaft machen können, sondern nur lapidar berichtet, dass er seinen Mitgliedsausweis in Griechenland verloren habe.
Unabhängig von vorstehenden Ausführungen bestehen in den Erklärungen der Kläger zu ihren Fluchtgründen zahlreiche und erhebliche Widersprüche, aufgrund derer ihnen eine Vorverfolgung im Heimatland ebenfalls nicht geglaubt werden kann. Diese betreffen zunächst den Aufenthaltsort des Ehemannes nach dem angeblichen nächtlichen Vorfall mit den Taliban. Hierzu hat der Kläger zu 1) vor dem Bundesamt angegeben, dass der Vorfall vier oder fünf Tage vor der Ausreise aus Afghanistan stattgefunden habe. Er selbst sei in diesem Zeitraum noch zu Hause gewesen, einige andere Familienmitglieder seien jedoch bei Verwandten untergebracht gewesen. Er selbst habe dann nur die letzte Nacht bei seinen Schwiegereltern im Geburtshaus seiner Ehefrau übernachtet. Hierzu in Widerspruch hat der Kläger zu 1) sodann in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er bereits am Tag nach dem Vorfall nach etwa 2-3 Stunden Aufenthalt zu Hause ebenfalls zu seinem Schwiegervater gegangen sei. Die Klägerin zu 2) wiederum hat vor dem Bundesamt zunächst ausgeführt, dass ihr Ehemann nicht nach Hause gekommen sei, sondern in ein Dorf zu Verwandten gegangen und dort 6-7 Tage geblieben sei, da er gewusst habe, dass die Männer wiederkämen. Auf erneute Frage vor dem Bundesamt gab die Klägerin zu 2) dann abweichend an, dass ihr Ehemann nach zwei Tagen wieder nach Hause gekommen sei, während sie schließlich auf einen diesbezüglichen Vorhalt hin ausführte, dass der Ehemann nicht mehr nach Hause gekommen sei und falls doch, dann wisse sie nichts davon. In der mündlichen Verhandlung wiederum hat die Klägerin zu 2) auf Befragen des Gerichts erklärt, dass der Ehemann am gleichen Tage wie sie selbst zum Schwiegervater gekommen sei. Die vorstehend dargestellten Aussagen sind in einer Art und Weise widersprüchlich, dass hieraus nach Überzeugung des Gerichts nur die Unglaubhaftigkeit des gesamten Verfolgungsvorbringens abgeleitet werden kann, da es sich hierbei auch keineswegs um nebensächliche Details handelt. Die ganz erheblichen Abweichungen können jedenfalls nicht damit erklärt werden, dass die Klägerin zu 2) angegeben hat, dass sie bei der Befragung vor dem Bundesamt krank gewesen sei; sie habe Kopfschmerzen gehabt. Zudem habe der Zug nach Schweinfurt Verspätung gehabt und es habe Probleme mit dem Dolmetscher gegeben. Denn zum einen lassen sich der Niederschrift über die Anhörung keinerlei ernsthafte gesundheitliche Beschwerden entnehmen. Die Klägerin hat vielmehr zu Beginn der Anhörung bestätigt, dass sie sich gesundheitlich für die Anhörung in der Lage fühle. Lediglich während der Anhörung hat sie auf einen Vorhalt hin einmal erklärt, dass sie etwas durcheinander sei und leichte Kopfschmerzen habe. Gesundheitliche Beschwerden dieser Art, sollten sie denn tatsächlich vorgelegen haben, sind jedenfalls in keiner Weise geeignet, derartige Widersprüchlichkeiten zu erklären. Sie lassen nach Überzeugung des Gerichts einzig und allein den Schluss zu, dass vorliegend über nicht tatsächlich vorgefallene Begebenheiten berichtet wird. Zum anderen hat die Klägerin zu 2) bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben habe; sie habe in der Anhörung alles verstanden, die Anhörung sei ohne Beanstandungen verlaufen. Der Klägerin wurde zudem die Niederschrift rückübersetzt. All dies hat sie mittels Daumenabdruck auch bestätigt. Im Schreiben des Klägers zu 1) vom 15. März 2017 räumt diese selber ein, dass die Klägerin zu 2) hinsichtlich beschriebener Auslassungen bei der Rückübersetzung nicht sicher sei. Auch der Erklärungsversuch des Klägers zu 1) auf Vorhalt des Gerichts in der mündlichen Verhandlung zu seinem eigenen diesbezüglichen Widerspruch vermag nicht zu überzeugen. Wenn der Kläger dort erwähnt, dass er sich während dieser sechs Tage in dem gleichen Dorf, aber bei anderen Leuten aufgehalten habe und nur die letzte Nacht bei seinem Schwiegervater verbracht habe, zuvor aber bei einem Neffen seines Schwiegervaters, so widerspricht dies weiterhin klar seiner Aussage vor dem Bundesamt, wonach er sich die vier oder fünf Tage vor der Ausreise noch zu Hause aufgehalten und nur die letzte Nacht bei seinen Schwiegereltern übernachtet habe. Soweit der Kläger zu 1) darüber hinaus im Schreiben vom 15. März 2017 auf Probleme im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt und Unrichtigkeiten in der Niederschrift über die Anhörung verweist, so gilt hier nichts anderes als bei der Klägerin zu 2). Auch der Kläger zu 1) hat bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben habe, er habe alles verstanden und die Niederschrift sei ihm rückübersetzt worden, was er schließlich auch unterschriftlich bestätigt hat. Die entsprechenden Vorwürfe vermögen das Gericht nicht zu überzeugen.
Darüber hinaus enthält der Vortrag weitere Widersprüche. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Familie zwischen dem Verlassen ihres Wohnhauses und der Ausreise nicht direkt beim Schwiegervater gelebt habe, sondern zwei Häuser weiter; es sei das Haus des Bruders seiner Ehefrau gewesen. Die Klägerin zu 2) dagegen hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Familie in dieser Zeit im Haus des Schwiegervaters gelebt habe. Eine nachvollziehbare Erklärung für diese markante Abweichung ist für das Gericht nicht ersichtlich. Desweiteren ergibt sich ein zentraler Widerspruch auch dahingehend, dass die Klägerin zu 2) vor dem Bundesamt auf die Frage, wie oft die Taliban bei ihnen an der Haustür gewesen seien, geantwortet hat, dass dies zweimal der Fall gewesen sei. Das erste Mal hätten sie an die Tür geklopft und seien wieder gegangen. Beim zweiten Mal hätten sie sie gefragt, wo ihr Ehemann sei und dass sie ihn bräuchten und mit ihm reden möchten. In Widerspruch hierzu hat die Klägerin zu 2) (insoweit in Übereinstimmung mit dem Kläger zu 1)) in der mündlichen Verhandlung auf Befragen ausgesagt, dass die Taliban nur einmal am Haus der Familie gewesen seien. Auf diesen Widerspruch angesprochen hat die Klägerin wiederum auf ihre gesundheitlichen Beschwerden am Tag der Anhörung vor dem Bundesamt verwiesen, was – wie oben bereits dargestellt – auch hier nicht zu überzeugen vermag. Widersprüchlich ist überdies, dass die Klägerin zu 2) vor dem Bundesamt erklärt hat, dass ihr Schwager, der Bruder des Klägers zu 1), das Haus nach dem Vorfall mit den Taliban ebenfalls verlassen habe; er sei zu seinen Schwiegereltern gegangen. Während der Kläger zu 1) im Hinblick hierauf in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass er nicht wisse, ob der Bruder letztlich zu seinem Schwiegervater gegangen sei, hat die Klägerin zu 2) in Widerspruch zu ihren Aussagen vor dem Bundesamt angegeben, dass der Bruder nach dem Vorfall mit den Taliban das Haus nicht verlassen habe. Schließlich hat die Klägerin zu 2) hinsichtlich des Vorfalls mit den Taliban vor dem Bundesamt angegeben, dass die Taliban kurz nach Sonnenuntergang gekommen seien. Sie habe beim Klopfen an der Tür gedacht, dass es ihr Ehemann sei, der immer nach Sonnenuntergang zum Abendessen nach Hause komme. Dies hat die Klägerin zu 2) sodann auch in der mündlichen Verhandlung im Kern so angegeben. Demgegenüber hat jedoch der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er in dieser Nacht gegen 1:00 Uhr aufgestanden und zu seinem Feld gegangen sei, um nach der Bewässerung zu schauen. Im Schreiben vom 15. März 2017 wird zudem darauf hingewiesen, dass der Familie Wasser nachts von 21.00 Uhr bis 1:00 Uhr zur Verfügung gestanden habe. Demnach muss sich der Vorfall mit den Taliban nach Darstellung der Klägerin zu 2) kurz nach Sonnenuntergang, jedoch noch vor dem Abendessen, zugetragen haben, während der Kläger zu 1) den Vorfall auf einen Zeitpunkt nach 1:00 Uhr nachts datiert. In der Gesamtschau ergibt sich damit eine derartige Vielzahl markanter und nicht nachvollziehbare Widersprüche, dass den Klägern ihr Fluchtvortrag in Gänze nicht geglaubt werden kann.
Nach alldem ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger nicht vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist sind. Dies gilt in gesteigertem Maße für die Kläger zu 2) – 6), da diese bereits nach dem eigenen (nicht glaubhaften) Klägervortrag keiner Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen sind. Die angebliche Verfolgung im Heimatland bezieht sich allein auf den Kläger zu 1). Dies wird objektiv gerade auch dadurch bestätigt, dass die Klägerin zu 2) den angeblichen Taliban die Türe geöffnet habe. Es wäre für diese somit ein Leichtes gewesen, der Ehefrau und auch den Kindern etwas anzutun, wenn diese Personen tatsächlich ein Interesse an deren Verfolgung gehabt hätten.
Darüber hinaus droht den Klägern auch bei einer jetzigen Rückkehr nach Afghanistan – welche aufgrund der erteilten Abschiebungsverbote nicht erfolgen kann – nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung nach § 3a AsylG. Hierfür ist nichts ersichtlich, wofür unabhängig von der fehlenden Glaubhaftigkeit des Vorverfolgungvortrages zusätzlich spräche, dass der erwähnte Vorfall bereits Ende des Jahres 2011 stattgefunden haben soll, somit also bereits 6 Jahre zurückliegt, und von einer Nachsuche nach den Klägern im Zeitraum nach ihrer Ausreise nichts berichtet wurde, was jedoch zu erwarten wäre, wenn die Taliban der Kläger tatsächlich noch habhaft werden wollten.
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG ist damit nicht begründet.
II.
Die Kläger haben weiterhin auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Den Klägern droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihnen ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt insoweit bereits an einem glaubhaften Vortrag; auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 3 AsylG wird vollumfänglich verwiesen.
2. Den Klägern droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in ihrer Herkunftsregion, der Provinz Kapisa. In der Zentralregion, zu der die Provinz Kapisa gehört, wurden im Jahre 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Annual Report 2016 Afghanistan, Februar 2017, S. 11 f.). Die Anschlagswahrscheinlichkeit für die Zentralregion lag damit im Jahr 2016 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Im Jahr 2017 hat sich diese Zahl (unter Verdoppelung der Halbjahreszahlen) bis zur Jahresmitte in der Zentralregion leicht erhöht. Dort wurden im ersten Halbjahr 2017 bisher 1.254 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Midyear Report 2017, Juli 2017, S. 10). Auch damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Relevante individuelle gefahrerhöhende Umstände sind bei den Klägern darüber hinaus nicht erkennbar. Auch insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG vollumfänglich verwiesen.
Nach alledem ist auch ein Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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