Aktenzeichen M 16 K 13.4929
ZHG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1 Die Begriffe „Unwürdigkeit“ und „Unzuverlässigkeit“ in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZHG haben jeweils eine eigenständige Bedeutung. Sie brauchen nicht kumulativ gegeben sein, um den Widerruf der Approbation zu rechtfertigen; es genügt vielmehr das Vorliegen eines dieser Tatbestände. (redaktioneller Leitsatz)
2 Liegt bei einem Arzt „Unwürdigkeit“ oder „Unzuverlässigkeit“ iSv § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZHG vor, hat die Behörde weder einen Beurteilungs- noch einen Ermessensspielraum. Ist einer der Tatbestände verwirklicht, ist die Approbation zwingend zu widerrufen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Gewinnstreben um jeden Preis steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem in der Öffentlichkeit vorhandenen Bild des helfenden Arztes. (redaktioneller Leitsatz)
4 Einem Arzt, der über mehrere Jahre Steuern von rund 60.000 EUR hinterzieht und dafür zu 10 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt wird, kann deswegen die Approbation entzogen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Widerruf der dem Kläger erteilten Approbation als …-arzt ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den Widerruf der Approbation ist § 4 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Ausübung der …-heilkunde (…). Danach ist die Approbation zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZHG weggefallen ist; d. h. wenn sich der Betroffene nach Erteilung der Approbation eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des …ärztlichen Berufes ergibt. Da die Begriffe „Unwürdigkeit“ oder „Unzuverlässigkeit“ jeweils eine eigenständige Bedeutung haben, müssen sie nicht kumulativ gegeben sein, um den Widerruf der Approbation zu rechtfertigen; es genügt vielmehr das Vorliegen eines dieser Tatbestände (vgl. BayVGH, U. v. 8.11.2011 – 21 B 10.1543 – juris Rn. 25). Die Behörde hat weder einen Beurteilungs- noch einen Ermessensspielraum. Ist einer der Tatbestände verwirklicht, ist die Approbation zwingend zu widerrufen.
Der Beklagte ist im vorliegenden Fall zur Recht davon ausgegangen, dass das Verhalten des Klägers den Tatbestand der Unwürdigkeit erfüllt. Unwürdigkeit liegt nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung vor, wenn ein Arzt oder …-arzt durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist (vgl. BVerwG, B. v. 28.1.2003 – 3 B 149/02 – juris; BayVGH, U. v. 22.7.2014 – 21 B 14.463 – juris Rn. 25). Erforderlich ist ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Arztes, das seine Berufsausübung bei Würdigung aller Umstände zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als untragbar erscheinen lässt (vgl. BVerwG, B. v. 18.8.2011 – 3 B 6/11 – juris Rn. 8; BVerwG, B. v. 27.1.2011 – 3 B 63/10 – juris Rn. 4). Einer Prognoseentscheidung in Bezug auf die künftige ordnungsgemäße Erfüllung der Berufspflicht bedarf es – anders als bei der Zuverlässigkeit – nicht (vgl. BVerwG, B. v. 2.11.1992 – 3 B 87/92 – juris). Das schwerwiegende Fehlverhalten muss nicht allein die eigentliche Ausübung der Heilkunst betreffen, sondern kann auch durch ein Verhalten begründet werden, das die ärztliche Pflicht gegenüber dem Patienten nicht betrifft (vgl. BVerwG, B. v. 18.8.2011 – 3 B 6/11 – juris Rn. 4). Der Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit stellt keine Sanktion dar, sondern soll das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit schützen, um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde bzw. …-heilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Dieses Vertrauen würde durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist, zerstört (vgl. BVerwG, B. v. 27.1.2011 – 3 B 63/10 – juris Rn. 4 m. w. N.). Ob ein solches gravierendes Fehlverhalten vorliegt, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Liegt Unwürdigkeit zur Ausübung des …ärztlichen Berufes vor, so ist der im Entzug der Approbation liegende, in jedem Fall sehr schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit sachlich gerechtfertigt, ohne dass es noch einer zusätzlichen Auseinandersetzung mit individuellen Umständen, wie z. B. mit dem Alter des Betroffenen oder den Möglichkeiten einer anderen beruflichen Tätigkeit, bedarf (vgl. BayVGH, B. v. 10.5.2012 – 21 ZB 11.1883 – juris Rn. 15 m. w. N.).
Der Beurteilung, ob beim Kläger die Voraussetzungen für einen Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit gegeben sind, kann der im rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts M. vom … September 2012 festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt werden. Grundsätzlich können Behörden und Verwaltungsgerichte tatsächliche und rechtliche Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil der Beurteilung der Unwürdigkeit im berufsrechtlichen Sinn zugrunde legen, ohne diese selbst auf ihre Richtigkeit überprüfen zu müssen. Anderes gilt nur dann, wenn sich gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben, insbesondere wenn etwa im Fall der Beibringung neuer Tatsachen oder Beweismittel Wiederaufnahmegründe im Sinn des § 359 StPO vorliegen oder wenn die Behörden und Verwaltungsgerichte den Sachverhalt nunmehr besser aufklären können als das Strafgericht (vgl. BVerwG, B. v. 13.2.2014 – 3 B 68/13 – juris Rn. 5; BayVGH, B. v. 14.11.2014 – 21 ZB 14.1072 – juris Rn. 10 m. w. N.; BayVGH, B. v. 10.5.2012 – 21 ZB 11.1883 – juris Rn. 14 m. w. N.). Dabei bedarf es der Darlegung substantiierter, nachprüfbarer Umstände, die eine Unrichtigkeit der im Strafurteil getroffenen Feststellungen belegen könnten (vgl. BVerwG, B. v. 13.2.2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 5; BayVGH, U. v. 22.7.2014 – 21 B 14.463 – juris Rn. 30).
Solche gewichtigen Anhaltspunkte sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der Kläger kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass im Strafurteil vom … September 2012 die aufgrund der finanzgerichtlichen Verständigung erstellten geänderten Bescheide vom … Januar 2012 nicht berücksichtigt worden seien. Diese Einkommenssteuerbescheide sind zeitlich deutlich vor dem Geständnis des Klägers und der Absprache im Strafprozess ergangen. Die hierauf gestützten Einwendungen des Klägers hätten deshalb von ihm oder seinem Verteidiger ohne weiteres im Strafprozess geltend gemacht werden können und müssen (vgl. hierzu auch die Ausführungen des Amtsgerichts F. in seinem Beschluss vom … Februar 2014, mit dem der Wiederaufnahmeantrag des Klägers als unzulässig verworfen wurde). Es ist nicht Aufgabe der Behörden und Verwaltungsgerichte im Approbationswiderrufsverfahren, einen rechtskräftig abgeschlossenen Strafprozess ohne gewichtige neue Erkenntnisse wieder aufzurollen, zumal dann, wenn vor Erlass des Strafurteils – wie hier – zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger des geständigen Klägers eine Absprache getroffen wurde (vgl. BayVGH, B. v. 10.5.2012 – 21 ZB 11.1883 – juris Rn. 14). Im Übrigen ist – wenn es hierauf auch nicht entscheidungserheblich ankommt – schon nicht nachvollziehbar, warum der Kläger überhaupt davon ausgeht, dass die durch die Bescheide vom … Januar 2012 geänderte Steuerfestsetzung nicht in das Strafverfahren eingeflossen sei. Denn immerhin entsprechen die in der Verkürzungsberechnung (Seite 7 des Urteilsgründe) aufgeführten Einkünfte aus „selbstständiger Tätigkeit neu“ und aus „Kapitalvermögen“ der Jahre 1998 bis 2004 exakt den in den Bescheiden vom … Januar 2012 aufgeführten Beträgen. Auch die zeitlich nach dem Strafurteil erfolgte Aufhebung des Hinterziehungsbescheides vermag keine gewichtigen Zweifel an der Richtigkeit des Strafurteils zu begründen. Denn die Aufhebung erfolgte nach Angaben des zuständigen Finanzamts lediglich aus verwaltungsökonomischen Gründen. Zweifel an der Richtigkeit der strafrechtlichen Feststellungen lassen sich hieraus nicht ableiten.
Die vom Kläger begangenen und vom Amtsgericht M. mit rechtskräftigem Urteil vom … September 2012 geahndeten Steuerstraftaten sind geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand der …ärzte auf schwere Weise zu schädigen. Der Kläger hat über mehrere Jahre hinweg Steuern verkürzt. Von einem einmaligen Fehlverhalten kann daher nicht mehr gesprochen werden. Auch das vom Strafgericht verhängte Strafmaß von 10 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verdeutlicht, dass es sich nicht um eine Bagatelle handelt. Insbesondere die Nichtangabe von Einkünften aus Kapitalerträgen in nicht geringer Höhe und über mehrere Jahre zeigt, dass der Kläger um des eigenen Vorteils willen bereit ist, sich über die Interessen der Allgemeinheit hinwegzusetzen und dieser einen nicht unerheblichen Schaden zuzufügen. Ein …-arzt, der ein solches Verhalten an den Tag legt, verliert bei objektiver Würdigung das notwendige Vertrauen in die vorrangig am Wohl der Patienten orientierte Berufsausübung. Er bringt dadurch zum Ausdruck, dass er sein Verhalten primär an seinen eigenen finanziellen Interessen orientiert. Erschwerend kommt das in den Gründen des Strafurteils dargestellte Verhalten des Klägers während des Ermittlungs- und zu Beginn des Strafverfahrens hinzu. All das rechtfertigt auch unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Annahme der Unwürdigkeit des Klägers zur Ausübung des …ärztlichen Berufs. Ein Gewinnstreben um jeden Preis steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem in der Öffentlichkeit vorhandenen Bild des helfenden Arztes, der (so ausdrücklich § 2 Abs. 2 Buchst. a der Berufsordnung der Bayerischen …ärzte) seinen Beruf gewissenhaft und nach den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschenwürde ausübt (vgl. BayVGH, U. v. 21.7.2014 – 21 B 14.463 – juris Rn. 37).
Da der Kläger schon aufgrund dieser Feststellungen untragbar für seinen Berufsstand geworden ist, kommt es auf die weiteren im streitgegenständlichen Bescheid genannten, länger zurückliegenden Straftaten und die vorläufige Dienstenthebung aus seinem Amt als … nicht mehr entscheidungserheblich an.
Schließlich kann sich der Kläger mangels Vergleichbarkeit der beiden Rechtsmaterien auch nicht mit Erfolg auf etwaige für Straftäter günstigere Regelungen und Rechtsfolgen im Beamtendisziplinarrecht berufen (vgl. NdsOVG, B. v. 17.2.2015 – 8 LA 26/14 – juris Rn. 61).
Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 30.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.