Verwaltungsrecht

Widerruf der Rücknahme eines Asylantrages – Abschiebungsschutz Irak

Aktenzeichen  Au 5 K 16.31640

Datum:
24.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 25 Abs. 2 S. 1, § 32
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
BGB BGB § 130 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die Rücknahme eines Asylantrages hat in der gleichen Form wie eine Antragstellung (§ 14 AsylG) zu erfolgen, sie muss also schriftlich oder zur Niederschrift des Bundesamts vorgenommen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung ist – wie bei Prozesshandlungen – grundsätzlich nicht möglich. Ausnahmen sind nur bei arglistiger Täuschung, bei Drohung und unzulässigem Druck, bei unzutreffender Belehrung durch das Bundesamt, beim Vorliegen von Wiederaufnahmegründen oder im Falle eines offensichtlichen Versehens anzuerkennen. In dem Hinweis des Bundesamtes auf die Selbstständigkeit des Einbürgerungsverfahrens liegt keine unzutreffende Belehrung. (redaktioneller Leitsatz)
Die Erlasslage in Bayern, wonach irakische Staatsangehörige vorübergehend nicht abgeschoben werden, bietet hinsichtlich der allgemeinen Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz, so dass es keiner zusätzliche Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des  § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bedarf. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2016 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 9. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Das Bundesamt hat das Asylverfahren nach wirksamer Rücknahme des Asylantrags durch den Kläger gemäß § 32 AsylG zu Recht eingestellt.
Die anlässlich der persönlichen Anhörung des Klägers am 7. Juli 2016 abgegebene Erklärung des Klägers über die Rücknahme seines Asylantrages ist rechtswirksam.
Für die Antragsrücknahme bestehen anders als für die Antragstellung (§ 14 AsylG) keine Formvorschriften. Die überwiegend vertretene Auffassung geht jedoch davon aus, dass die Rücknahmeerklärung in der gleichen Form wie ein Antrag im Sinne des § 14 AsylG zu erfolgen hat, die Rücknahme also schriftlich oder zur Niederschrift erfolgen müsse (Hailbronner, AuslR, § 32 AsylG Rn. 7). Die Rücknahme kann daher insbesondere zur Niederschrift beim Bundesamt erklärt werden.
Diese Rücknahmeerklärung ist vom Kläger nicht wirksam widerrufen bzw. angefochten worden.
Ein Widerruf kann nach dem allgemeinen in § 130 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) niedergelegten Rechtsgedanken solange erklärt werden, als die Rücknahmeerklärung dem Bundesamt nicht zugegangen ist. Da die Rücknahmeerklärung anlässlich der persönlichen Anhörung des Klägers gegenüber dem Bundesamt selbst erklärt wurde, scheidet ein Widerruf aus.
Eine Anfechtung wegen Willensmängeln ist – nicht anders als bei Prozesshandlungen – nicht möglich (vgl. Hailbronner, a. a. O., § 32 AsylG, Rn. 12 ff).
Ausnahmen vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit sind nur bei arglistiger Täuschung, bei Drohung und unzulässigem Druck, bei unzutreffender Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt oder der Ausländerbehörde, beim Vorliegen von Wiederaufnahmegründen oder im Falle eines offensichtlichen Versehens anzuerkennen (Hailbronner, a. a. O., § 32 AsylG, Rn. 14).
Die genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Ausweislich der Niederschrift über die persönliche Anhörung des Klägers am 7. Juli 2016 hat dieser seinen Asylantrag auch nicht aufgrund einer unzutreffenden Empfehlung oder Belehrung durch das Bundesamt zurückgenommen. Insoweit wurde der Kläger lediglich darüber belehrt, dass das Einbürgerungsverfahren, welches der Kläger anstrebt, selbstständig neben der Durchführung eines Asylverfahrens steht. Insoweit erweist sich die Belehrung des Bundesamtes als nicht fehlerhaft. Auch der erfolgte Hinweis auf § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt hat, weist keine Rechtsmängel auf. Das Bundesamt hat ausweislich der Niederschrift über die persönliche Anhörung des Klägers lediglich darauf verwiesen, dass ein erfolgreicher Abschluss des Asylverfahrens für den Kläger nicht gleichbedeutend mit dessen Einbürgerung ist. Insoweit kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger vor Abgabe der Erklärung der Rücknahme seines Asylantrages von Seiten der Beklagten fehlerhaft belehrt bzw. unterrichtet worden sei. Auch ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass der Kläger bei der Anhörung am 7. Juli 2016 zur Abgabe der entsprechenden Erklärung unter Druck gesetzt worden sei. Sollten weitere Erklärungen des Bundesamtes über die Folgen der Rücknahme des Asylantrages erfolgt sein, ohne dass diese in der Niederschrift festgehalten worden sind, wäre es am Kläger gelegen, der der deutschen Sprache mächtig ist, darauf hinzuwirken, dass diese Aussagen des Bundesamtes über Folgen einer Antragsrücknahme in der Niederschrift vermerkt würden. Dies hat der Kläger jedenfalls unterlassen.
Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 AufenthG, über die die Beklagte nach Antragsrücknahme auf der Grundlage des § 32 Satz 1 AsylG zu entscheiden hatte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG, insbesondere asylrelevante Eingriffe in die Religionsfreiheit, sind nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 (Az. IA-2086.10-439), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter sind oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erlasslage hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren erfasst werden, sind nicht ersichtlich bzw. vom Kläger nicht vorgetragen.
Soweit sich die Klage sinngemäß auch gegen das in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheides vom 9. August 2016 gegen den Kläger verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 AufenthG richtet, bleibt die Klage ebenfalls erfolglos. Einwände gegen die Rechtmäßigkeit dieses Einreise- und Aufenthaltsverbotes und dessen Dauer sind von Seiten des Klägers bzw. dessen Bevollmächtigten nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG:
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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