Aktenzeichen 24 ZB 19.1363
WaffG § 5 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 154 Abs. 2
Leitsatz
1. Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind oder die sich deren ideologisches Gedankengut zu eigen gemacht und die sich später hiervon nicht glaubwürdig distanziert haben, fehlt es an der waffen-, jagd- und sprengstoffrechtlichen Zuverlässigkeit. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem klägerischen Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, die – was er mehrfach forderte – nach dem RuStAG 1913 zu erfolgen habe, kann der Rückschluss auf die Zugehörigkeit zur Szene der Reichsbürgerschaft gezogen werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 7 K 17.1354 2019-05-08 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 16.000, … Euro festgesetzt.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte und die Ungültigerklärung und Einziehung seines Jagdscheines mit Bescheid vom 8. März 2017.
Seine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 8. Mai 2019 ab. Der Kläger habe vorliegend durch sein Verhalten Tatsachen geschaffen, die die Annahme rechtfertigten, dass er der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sei bzw. sich deren Ideologie bindend zu eigen gemacht habe. Er habe, nachdem er auf seinen Antrag hin einen Staatsangehörigkeitsausweis ausgestellt bekommen hatte, die Übersendung eines EStA-Registerauszuges sowie eine Ausstellung nach RuStAG 1913 eingefordert. Damit habe der Kläger eindeutig nach außen gegenüber einer Behörde zu erkennen gegeben, dass es ihm nicht nur um den Erwerb eines Staatsangehörigkeitsausweises an sich gehe, sondern dass er ideologische, für Reichsbürger typische Ziele verfolge. Auch die Einlassung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass er sich auf das RuStAG 1913 bezogen habe, weil er keine Staatsangehörigkeit nach 1937 hätte haben wollen, passe in dieses Bild. Sowohl die vom Kläger geschilderten Umstände seiner „Kenntnis-/Überzeugnisbildung“ als auch der lange Zeitraum, in welchem der Kläger wiederholt und nachdrücklich diese Ideologie unter anderem gegenüber dem Landratsamt zum Ausdruck gebracht habe, würden unterstreichen, dass der Kläger diese Überzeugung bzw. Ideologie für sich als verbindlich erachte und auch vertrete. Eine glaubhafte Distanzierung von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ sei im Fall des Klägers nicht festzustellen.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger durch seinen Bevollmächtigten sein Rechtsschutzziel weiter. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Der Kläger sei nicht der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen. Der Kläger habe lediglich einen Antrag nach § 30 StAG gestellt. Die Tatsache, dass er noch das RuStAG 1913 als verbindlich angesehen habe, sei unschädlich. Der Kläger sei verunsichert gewesen und habe deswegen den sogenannten „gelben Schein“ beantragt. Die gegenüber der Behörde geäußerten Sorgen des Klägers spiegelten das „Lagebild der Angstschürerei im Internet“ wider und seien keinesfalls Themen, die ausschließlich bei der Reichsbürgerszene beheimatet seien. Eine Ablehnung der geltenden Rechtsordnung sei damit nicht verbunden. Zudem sei im vorliegenden Fall kein echter Zusammenhang zum Waffenbesitz des Klägers hergestellt worden. Es bleibe offen, welche nachgewiesene und erhebliche Tatsache im Sinne des § 5 Abs. 1 WaffG hier sanktionswürdig sei. Einzig die Äußerung des Klägers hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit könne eine solche Tatsache sein; dieser fehle aber die waffenrechtliche Relevanz. Der Schluss der Behörde, der Kläger sei durch seine Äußerungen der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen und würde dadurch leichtfertig mit Waffen umgehen, gehe fehl. Dieser generalpräventive Verdacht ohne Hinzutreten weiterer, waffenrechtlich relevanter und durch das Verhalten des Waffenbesitzers begründeter Tatsachen stelle eine unzulässige Durchbrechung der Unschuldsvermutung dar, zumal der Kläger sich von der Reichsbürgerbewegung insgesamt distanziere. Das Gericht habe pauschal von der Gruppe der Reichsbürger auf den Kläger geschlossen und diesem das waffenrechtliche Fehlverhalten eines Reichsbürgers ohne weitere individualisierte Begründung angelastet.
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Der Bevollmächtigte des Klägers macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Solche sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden können (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl. 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel genügt keine unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung.
In Ansehung des Vortrags in der Zulassungsbegründung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Bescheid des Beklagten vom 8. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Beklagte hat zu Recht die waffenrechtliche Erlaubnis des Klägers widerrufen und seinen Jagdschein für ungültig erklärt und eingezogen. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Begründung ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Zusammenfassend und ergänzend bleibt folgendes anzumerken:
Das Erstgericht hat unter Anlegung der Maßstäbe des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zutreffend ausgeführt, dass es Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind oder die sich deren ideologisches Gedankengut zu eigen gemacht und die sich später hiervon nicht glaubwürdig distanziert haben, an der waffen-, jagd- und sprengstoffrechtlichen Zuverlässigkeit fehlt. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts, die sich der Senat zu eigen macht und die ergeben hat, dass der Kläger diesem Personenkreis zuzurechnen ist, ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Zulassungsverfahren nicht zu beanstanden. Der Kläger hat durch sein von außen wahrnehmbares Verhalten eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung erkennen lassen und dadurch berechtigte Zweifel an seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit geweckt. Folglich muss er diese Zweifel selbst entkräften. Soweit ihm dies nicht gelingt, liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass ihm die waffenrechtliche Zuverlässigkeit fehlt (BayVGH, B.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500). So liegt der Fall hier.
Das Verwaltungsgericht kam unter Anlegung der Maßstäbe des Bayerischen Verwaltungsgerichts bei einer Gesamtschau bzw. -würdigung der vom Kläger getätigten Äußerungen gegenüber dem Landratsamt wie auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung zutreffend zu dem Ergebnis, dass im vorliegendem Fall Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet und sich die Ideologie der Reichsbürger zu eigen gemacht hat (UA Rn. 32), weshalb von seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit auszugehen ist (UA Rn. 29). So führte das Gericht aus, für die Nähe des Klägers zur Reichsbürgerbewegung spreche sein Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises und hier insbesondere seine wiederholte Forderung, dass in diesem zu vermerken sei, dass die Ausstellung nach dem RuStAG 1913 zu erfolgen habe. Er habe sich weiter im Rahmen der mündlichen Verhandlung dahingehend eingelassen, dass er sich auf das RuStAG 1913 bezogen habe, weil er keine Staatsangehörigkeit nach 1937 hätte haben wollen (UA Rn. 33). Aus diesem Verhalten einen Rückschluss auf die Zugehörigkeit zur Szene der Reichsbürgerschaft zu ziehen, ist nach Ansicht des Senats nicht zu beanstanden, da Personen aus dem Umfeld der Reichsbürgerbewegung unter anderem dafür bekannt sind, dass sie sich gegenüber Behörden explizit auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 beziehen und vielfach die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises beantragen, da in der Reichsbürgerszene die Behauptung kursiert, das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in seiner Fassung vom 22. Juli 1913 sei unverändert gültig (BayVGH, B.v. 30.7.2020, a.a.O., mit Verweis auf OVG RhPf., U.v. 23.10.2019 – 7 A 10555/19 – juris Rn. 36 und OVG NRW, B.v. 26.6.2019 – 20 B 822/18 – juris Rn. 49). Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren auch die vom Kläger geschilderten Umstände seiner „Kenntnis- und Überzeugnisbildung“ sowie seine etlichen bis Ende 2016 versandten E-Mails, in denen er unter anderem die Auffassung vertrat, dass es keine rechtliche Verpflichtung dazu gebe, dass er sein Kraftfahrzeug anmelden müsse, dahingehend gewertet, dass der Kläger reichsbürgertypisches Gedankengut verinnerlicht habe (UA Rn. 34). Hiergegen ist aus zulassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.
Da dieses, von außen wahrnehmbare Verhalten des Klägers auf eine ideologische Nähe zur Reichsbürgerbewegung schließen lässt und es sich bei einer inneren Einstellung bzw. Geisteshaltung um Umstände handelt, die in die Sphäre des jeweiligen Betroffenen fallen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – NVwZ 1985,36), wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, die von ihm selbst hervorgerufenen, berechtigten Zweifel im Hinblick auf seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit zu entkräften (BayVGH, B.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – UA Rn. 16). Dies ist ihm weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in seiner Berufungszulassungsbegründung gelungen.
Soweit der Kläger im Berufungszulassungsverfahren vorträgt, er habe bei seinem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises irrtümlich das RuStAG 1913 als verbindlich angesehen, überzeugt dies nicht. Der Kläger hat gegenüber dem Landratsamt mehrfach darauf beharrt, dass in dem Staatsangehörigkeitsausweis ausdrücklich vermerkt wird, dass dieser auf der Grundlage des RuStAG 1913 – das der Kläger nach wie vor als vollumfänglich geltend ansah (E-Mail vom 15.1.2015) – basiert. Auch das Erstgericht führte hierzu aus, dass der Kläger durch seine Einlassung im Rahmen der mündlichen Verhandlung widerlegt habe, dass er hinsichtlich der Geltung des RuStAG 1913 nur einem schlichten Irrtum unterlegen sei (UA Rn. 35). Gegen eine nur irrtümliche Rechtsauffassung des Klägers spricht auch der Vorschlag des Klägers, sich mit dem Landrat zusammenzusetzen, um „die Abwicklung im Ausländeramt zu vereinfachen“, verbunden mit der Weiterleitung einer E-Mail, in der er darlegt, dass es bei dem Ausfüllen des Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit wichtig sei, in der Spalte „erworben durch“ den Text „Abstammung gemäß RuStAG 1913 §§ 1, 3 Nr. 1, 4(1)“ einzufügen. Dieses Verhalten ist vielmehr als reichsbürgertypisches Auftreten gegenüber einer Behörde zu charakterisieren, das bestätigt, dass der Kläger zumindest einen Teil der geltenden Rechtsordnung ablehnt. Schließlich mag auch der Einwand des Klägers, dass die in den E-Mails genannten Themenfelder nicht ausschließlich bei der Reichsbürgerszene beheimatet seien, sondern in der breiten Öffentlichkeit diskutiert würden, zwar richtig sein. Die vom Kläger an das Landratsamt weitergeleiteten Themen u.a. zu Chemtrails, der Migrantenkrise, dem Retransferierungsabkommen oder dem Verlust von Eigentumsrechten an Grund und Boden passen allerdings auch zum Weltbild der Reichsbürger, die ebenfalls gerne eine verschwörungstheoretische Benachteiligung des für sie nach wie vor existierenden Deutschen Reichs durch die USA, Israel oder die deutsche Bundesregierung vermuten. Dass der Kläger nur aus allgemeiner Verunsicherung den sogenannten „gelben Schein“ beantragt habe, lässt sich dem gesamten Verhalten des Klägers nicht entnehmen. Gegen diese Argumentation spricht bereits der Umstand, dass der Kläger offenbar auch Bekannte aus der Reichsbürgerszene hat (vgl. UA Rn. 35), was nach der Rechtsprechung den Verdacht der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe verstärkt (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2018 – 21 CS 17.2459 – juris Rn. 25). Schließlich hat auch das Verwaltungsgericht keine glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der sog. Reichsbürgerbewegung feststellen können. Es hat vielmehr in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass die Vermutung naheliege, dass der Kläger nur aus verfahrenstaktischen Gründen aufgehört habe, dem Landratsamt weitere E-Mails mit Veröffentlichungen zu gerichtsbekannten und für Reichsbürger typischen und gängigen Motivationslagen bzw. Argumentationsmuster zu senden (UA Rn. 66).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht infrage gestellten Streitwertfestsetzung in der ersten Instanz.