Verwaltungsrecht

Widersprüchlicher Sachvortrag eines Asylsuchenden aus Georgien

Aktenzeichen  B 1 K 17.32346

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17191
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Aufgrund des widersprüchlichen Vortrags konnte der georgische Asylsuchende keine relevanten Asylgründe glaubhaft machen.  (Rn. 14 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn es sich aus den Angaben des Asylsuchenden ergibt, dass er im Stande ist eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu erwirtschaften, scheiden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des … vom 7. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Asylanerkennung noch Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung nach Georgien und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht verweist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid.
Ergänzend ist zum Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren Folgendes auszuführen:
1. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG ist nicht gegeben.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG). Dabei ist sowohl bei der Prüfung des Flüchtlingsschutzes (§ 3 Abs. 1 AsylG) als auch des subsidiären Schutzes durch die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote als Prognosemaßstab einheitlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG). Danach besteht bei vorverfolgt Ausgereisten die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (hierzu: BVerwG, U. v. 27. April 2010 – 10 C 5/09 – juris).
Der Kläger hat Georgien nicht wegen Verfolgungsgründe gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG (Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) verlassen. Zwar hat der Kläger bei seiner Anhörung beim Bundesamt vorgetragen, dass seine Ehefrau politisch aktiv gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung gab er aber zu verstehen, dass die politische Betätigung nicht der Auslöser für die Flucht gewesen sei, sondern die behauptete Verfolgung wegen der gesundheitlichen Situation der Ehefrau.
2. Aus den unter 1.) dargestellten Gründen scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus, da auch die Asylanerkennung die Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal voraussetzt (vgl. hierzu Will in Sachs, Grundgesetz, Art. 16a GG, Rn. 24 ff. m.w.N.).
3. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Georgien auch kein ernsthafter Schaden i.S.v. § 4 AsylG.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Georgien weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Asyl) noch Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Er läuft auch nicht Gefahr, wegen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts einer ersthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Soweit der Kläger vortrug, dass er Konflikte mit dem Parlamentspräsidenten, dem Gesundheitsminister und dem Präsidenten gehabt habe, da ihm nötige Unterstützungen wegen der gesundheitlichen Situation seiner Ehefrau verweigert worden seien, ist auszuführen, dass der Kläger vortrug, tatsächlich auch zwei Finanzspritzen erhalten zu haben. Soweit er darüber hinaus von einzelnen Personen eingeschüchtert worden sein sollte, dass er nicht weiter persönlichen Kontakt zu den angerufenen Stellen suchen solle, wäre er gehalten gewesen, sich bei übergeordneten Stellen oder dem georgischen Ombudsmann über das missbräuchliche Verhalten zu beschweren. Der georgische Ombudsmann ist eine Verfassungsinstitution, welche den Schutz der Menschenrechte und Freiheiten innerhalb der Jurisdiktion überwacht. Er stellt Verletzungen der Menschenrechte fest und trägt zu deren Wiederherstellung bei. Er gehört nicht zu einer Regierungsstelle und überwacht staatliche Tätigkeiten. Zwar kann er selbst keine Strafverfolgung anstoßen, er kann aber eine Vorgehensweise empfehlen, worauf die Regierung antworten muss (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Georgien, Gesamtaktualisierung am 22. März 2017, zuletzt geändert am 15. November 2017, Seite 28 f.). Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass der georgische Staat nicht willens oder in der Lage wäre, Schutz vor etwaigen missbräuchlichen Verhalten einzelner Beamter zu bieten (§ 4 Abs. 3 Satz 1, § 3c Nr. 3 AsylG).
Soweit der Kläger im Rahmen der schriftlichen Klagebegründung angab, dass ihm bei der Abmeldung in Georgien mitgeteilt worden sei, dass er als regierungsfeindliche Person in das Zentralregister eingetragen worden sei, wertet das Gericht dieses Vorbringen als gesteigerten Sachvortrag, der dem Kläger nicht geglaubt werden kann. Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 -juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris). In der mündlichen Verhandlung, zu der der Kläger 40 Minuten zu spät erschienen war, war er nicht in der Lage eine substantiierte Verfolgungsgeschichte vorzutragen. Zudem gab er an, nicht nach Georgien zurückzukehren, da er kasachischer Staatsbürger sei. Der Akte des … ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger Kasache ist. In der Niederschrift zum Asylantrag ist unter Staatsangehörigkeit „Georgien“, unter Geburtsort „Lagodechi“ vermerkt, dort habe er auch die Mittelschule besucht. Bei der Anhörung beim … gab der Kläger an, der Volksgruppe der Georgier zuzugehören. Weiter bestätigte er die Angaben im Teil 1 der Niederschrift als korrekt und gab an, der Personalausweis sei in Georgien (Blatt 27 und 28 der Behördenakte). Auch im Hinblick auf diesen neuen Sachvortrag, erscheinen die Äußerungen des Antragstellers zu einer angeblich bestehenden Verfolgung seiner Person in Georgien wenig glaubhaft.
4. National begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung von Art. 3 EMRK. Zutreffend ist das … insoweit davon ausgegangen, dass der Kläger prognostisch dazu in der Lage sein wird, sich eine zumindest existenzsichernde Lebensgrundlage zu erwirtschaften. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, dass er denke, dass er weiter in der Lage sei, als Fahrer zu arbeiten. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass in Georgien auch durch internationale Organisationen und Projekte (z.B. IOM und ICMPD) oder die „Targeted Initiative Georgia“ der EU-Mitgliedstaaten für Rückkehrer Beratung und finanzielle Unterstützung angeboten werden. Angesichts der bestehenden Auskunftslage, ist festzustellen, dass jedenfalls durch das Zusammenwirken des georgischen Staates mit internationalen und nationalen Hilfsorganisationen eine Grundversorgung mit Wohnraum, Nahrung und medizinischer Unterstützung gewährleistet ist (vgl. z.B. VG Gelsenkirchen, U.v. 19.05.2015 – 6a K 952/14.A – juris Rn. 40; VG Würzburg, U.v. 07.08.2017 – W 7 K 16.31851 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 02.11.2017 – 15 ZB 17.31494 – juris Rn. 21 und Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand 11. Dezember 2017, Seite 13).
Dass dem Kläger eine konkrete, erhebliche und individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), ist nicht ersichtlich. Zwar gab er an, dass er psychisch krank sei. Nach § 60 Abs. 2 c AufenthG hätte der Kläger die Erkrankung aber durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen müssen. Eine solche wurde von ihm nicht vorgelegt.
5. Zu Recht hat das … somit den Asylantrag des Klägers abgelehnt und ihm gestützt auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG die Abschiebung nach Georgien angedroht. Die Ausreisefrist von 30 Tagen folgt aus § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Auch die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG von Amts wegen vorzunehmende Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie hält sich im Rahmen des § 11 Abs. 3 AufenthG. Ermessensfehler sind nicht erkennbar (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 11.3.2016 – 17 L 472/16.A – juris). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
II.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 83b AsylG abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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