Aktenzeichen 10 ZB 20.2091
Leitsatz
1. Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer kommt auch grds. eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden, eine Abweichung von der strafgerichtlichen Entscheidung bedarf allerdings einer substantiierten Begründung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 10 K 18.6036 2020-07-23 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine Klage gegen die mit Bescheid des Beklagten vom 22. November 2018 angeordnete Ausweisung weiter.
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor beziehungsweise sind nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
a) Die Berufung ist insbesondere nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
bb) Das Zulassungsvorbringen zeigt keine derartigen Zweifel auf.
(1) Nicht durchdringen kann der Kläger insbesondere mit dem gegen die Gefahrenprognose gerichteten Einwand, das Verwaltungsgericht sei unzutreffender Weise davon ausgegangen, dass er seine Therapie nicht beendet habe. So habe die Therapeutin L. mit Schreiben vom 21. Juni 2020 festgestellt, dass die Therapieziele erreicht worden seien und die Therapie erfolgreich vorzeitig habe beendet worden können. Die Gutachterin sei in dem forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 24. Juni 2020 (im Folgenden: Sachverständigengutachten) zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung erfüllt seien. Die Befürchtungen des Verwaltungsgerichts, der Kläger werde den Kontakt zu seiner Therapeutin nicht suchen oder nicht aufrechterhalten, seien deshalb entkräftet, das Restrisiko sei gering.
Tatsächlich besteht nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts bei dem bereits mehrfach wegen einschlägiger Gewaltdelikte (zuletzt wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) vorgeahndeten Kläger weiter erkennbar ein erheblicher Therapiebedarf. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass nach dem Schreiben der Therapeutin L. vom 21. Juni 2020 der Kläger einen Abschnitt der Therapie absolviert, nicht aber die Therapie als ganze abgeschlossen habe, und dass auch die Gutachterin in ihrem Sachverständigengutachten einen weiteren Therapiebedarf festgestellt habe (vgl. UA S. 7). Zum einen geht die Zulassungsschrift hierauf nicht substantiiert ein, zum anderen ist dies in der Sache nicht zu beanstanden, da sich der Behandlungsbedarf ohne Weiteres aus dem Sachverständigengutachten (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 152: „benötigt er psychotherapeutische Unterstützung, die er durch Fortsetzung der in der Haft begonnenen Einzeltherapie erhalten kann“ u. Bl. 153: „Die Therapie ist noch nicht abgeschlossen“) sowie dem inzwischen ergangenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 17. August 2020 hervorgeht (vgl. Senatsakte, Bl. 46: „Er hat sich … zur Fortsetzung der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung bei …persönlich vorzustellen. Er hat sich dort hinsichtlich der deliktsrelevanten Selbstwertproblematik … der Entwicklung von Copingstrategien als auch der Gegensteuerung von Belastungssituationen behandeln zu lassen“). Letztlich geht die Klägerseite selbst von einem weiteren Therapiebedarf des Klägers aus (vgl. Senatsakte, Bl. 33: „Auf diese Weise ist gesichert, dass der Kläger die Therapie weiter fortführen wird“ u. Bl. 37: „Aufgrund der … zu absolvierenden Therapien“).
Zwar nimmt die Klägerseite an, dass der Kläger sich in Zukunft kontinuierlich behandeln lassen werde und es daher an einer Wiederholungsgefahr mangele. Dabei übergeht sie indes die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, wonach in diesem Zusammenhang erforderlich sei, dass der Kläger auch nach Entlassung aus der Haft den Kontakt zu der Therapeutin aufrechterhalte und sowohl generell als auch im Einzelfall wirksame Strategien zur Gewaltvermeidung finde, so dass der Erfolg von mehreren Faktoren abhänge (vgl. UA S. 7), wobei nach Auffassung des Verwaltungsgerichts insbesondere ungewiss sei, ob sich ein Wegzug aus M1. realisieren lasse und der Kläger eine neue Arbeitsstelle außerhalb von M1. finden werde (vgl. UA S. 8). Diese Erwägungen sind in der Sache nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Stütze in dem Sachverständigengutachten (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 152: „Sollte Herr D. ) in einer anderen Stadt als M1. … zeitnah Arbeit und Wohnung finden, würden hinsichtlich der … Risikofaktoren keine Bedenken … bestehen“ u. Bl. 156: „… sollte … binnen eines halben Jahres den Wohnort zu wechseln, um zu verhindern, dass sich ungelöste Konflikte reaktualisieren“ u. „sollte eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausüben, um seinen Tag zu strukturieren und sein Selbstwerterleben zu stabilisieren“). Der Kläger, der sich seit dem 19. August 2020 in Freiheit befindet, hat dem Senat mittlerweile, mithin seit über sechs Monaten, weder mitgeteilt, dass er aus M1. weggezogen ist, noch darüber informiert, dass er an einem anderen Ort eine neue Arbeitsstelle angetreten hat. Dabei ist zu berücksichtigten, dass in dem vom Beklagten vorgelegten Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. Dezember 2020 (AN 6 K 18.31417) als ladungsfähige Adresse weiterhin „… … … …“ angeführt ist (vgl. Senatsakte, Bl. 65).
(2) Nicht zum Erfolg verhilft dem Kläger der Einwand, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, ein Rückfallrisiko sei nur dann als gering anzusehen, wenn es dem Kläger gelänge, alle potentiellen Risikofaktoren auszuschließen, sei durch nichts belegt und auch unmöglich, weil kein Mensch sämtliche Risikofaktoren ausschließen könne. Das Verwaltungsgericht ist damit erkennbar nicht davon ausgegangen, wie die Klägerseite nahelegt, dass eine Wiederholungsgefahr nur dann nicht besteht, wenn das Restrisiko Null ist. Das Verwaltungsgericht hat insoweit lediglich die Argumentation in dem Sachverständigengutachten aufgegriffen, wonach die im Fall des Klägers identifizierten Risikofaktoren unter bestimmten Bedingungen, einem Wegzug aus M1. und einer zeitnahen Aufnahme einer neuen Arbeit beziehungsweise dem Bezug einer neuen Wohnung, nicht mehr zum Tragen kämen. Das Verwaltungsgericht hat sodann den Eintritt der dieser Bedingungen als unrealistisch angesehen (vgl. UA S. 8). Dies ist angesichts der genannten Umstände (s.o.) nicht zu beanstanden.
(3) Gleiches gilt für den Einwand des Klägers, die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass ein Wegzug des Klägers ungewiss sei, weil nicht sicher sei, ob er eine neue Arbeitsstelle finden werde, sei durch nichts belegt. Zum einen ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger eine neue Bleibe außerhalb von M1. nur mit einer neuen Arbeitsstelle realisieren könne, weil ein Umzug mit zusätzlichen Kosten verbunden sei, bei lebensnaher Betrachtung nicht zu beanstanden. Zweitens setzt die Klägerseite dem in der Sache nichts entgegen. Drittens ist festzustellen, dass sich die Annahme des Verwaltungsgerichts im Ergebnis bestätigt hat (s.o.).
(4) Der Kläger hat die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts auch nicht dadurch ernsthaft in Zweifel gezogen, dass er rügt, dieses habe zu Unrecht darauf abgestellt, dass er sich außerhalb der Haft noch nicht im Alltag bewährt habe.
Zwar ist der Kläger nunmehr − nach dem im Anschluss an das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts ergangenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 17. August 2020 − seit über sechs Monaten in Freiheit. Es ist anzuerkennen, dass er in diesem Zeitraum straffrei geblieben und sich nichts hat zuschulden kommen lassen.
Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer kommt auch grundsätzlich eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden, eine Abweichung von der strafgerichtlichen Entscheidung bedarf allerdings einer substantiierten Begründung. Bei einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse eines Ausländers können die Verwaltungsgerichte eine Wiederholungsgefahr nur dann abweichend von einer vorangehenden Strafaussetzungsentscheidung einer Strafvollstreckungskammer bejahen, wenn sie über eine breitere Tatsachengrundlage verfügen als erstere (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 − 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21 u. Rn. 24).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Es ist zu ermitteln, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2020 – 10 ZB 20.249 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist zunächst zu konstatieren, dass der Kläger nach dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 17. August 2020 weiterhin unter dem nicht unerheblichen Druck der Bewährung steht. Dies gesteht die Klägerseite in der Zulassungsschrift selbst ein, wenn sie anführt, dass der Kläger sich vor weiteren Auseinandersetzungen hüten werde, weil sonst der Widerruf der Bewährung drohe (vgl. Senatsakte, Bl. 35). Die Strafvollstreckungskammer hat die zulässige Dauer der Bewährungszeit von maximal fünf Jahren vollends ausgeschöpft und sie nicht verkürzt (vgl. § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB). Die Bewährungshilfe zeichnet sich zudem, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, durch eine engmaschige Betreuung und eine intensive Überwachung aus (vgl. LG Regensburg, B.v. 17.8.2020 – 3 SR StVK 178/18 − Nrn. 3 u. 4. b), c), d) g) u. h) d. Tenors).
Bei der Prognose der Wiederholungsgefahr ist zudem zu berücksichtigen, in welcher Phase der Bewährung der Betroffene sich befindet (vgl. zu der − hier nicht möglichen, vgl. § 68 StGB − Führungsaufsicht: BayVGH, U.v. 23.7.2019 – 10 B 18.2464 – juris Rn. 27 m.w.N.). Der Kläger befindet sich in einer vergleichsweise frühen Phase der fünfjährigen Bewährungszeit und der Unterstellung unter die Bewährungshilfe, so dass noch nicht ohne Weiteres von einem dauerhaften Einstellungswandel und einer längerfristigen Änderung der Verhaltensmuster in Freiheit ohne den genannten Druck und die erwähnte erforderliche Unterstützung ausgegangen werden kann.
Dazu liegt auch die für eine abweichende Gefahrenprognose erforderliche breitere Tatsachengrundlage vor. Die Strafvollstreckungskammer hat sich bei der Prognose bezüglich des Klägers, der über ein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG verfügt (vgl. UA S. 9), in ihrem Beschluss vom 17. August 2020 den Feststellungen des Sachverständigengutachtens angeschlossen (vgl. Senatsakte, Bl. 50) und hierbei ausdrücklich die Argumentation aufgegriffen, wonach die identifizierten Risikofaktoren unter bestimmten Bedingungen, namentlich einem Wegzug aus M1. und einer zeitnahen Aufnahme einer neuen Arbeit beziehungsweise dem Bezug einer neuen Wohnung, nicht zum Tragen kämen (vgl. Senatsakte, Bl. 52 f.: „Erst bei einem längeren Verbleib wird dies einen eigenständigen Risikofaktor für künftige Gewaltdelikte darstellen, da sich in M1. nach wie vor Personen aufhalten würden, wie auch der Geschädigte, mit denen ungelöste Konflikte fortbestehen würden. Es sei zu erwarten, dass der Verurteilte alsbald eine Arbeit finden würde und diese zudem von großer Bedeutung sei für die Selbstwertstabilisierung des Probanden“). Inzwischen hat sich indes gezeigt, dass die Bedingungen für eine dem Kläger günstige Gefahrenprognose nicht eingetreten sind und im Gegenteil die Risikofaktoren für die Anwendung von Gewalt persistieren (s.o.).
(5) Ernstliche Zweifel an der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts hat die Klägerseite des Weiteren nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den erheblichen Aufwand verweist, mit dem der Kläger es noch in der Haft erreicht habe, in ein Anti-Gewalt-Trainings-Programm aufgenommen zu werden. Zwar sind diese Bemühungen des Klägers durchaus anzuerkennen. Dies ändert jedoch erkennbar nichts an dem diagnostizierten erheblichen Therapiebedarf in Bezug auf die Anwendung von Gewalt als eingeübtem Verhaltensmuster (s.o.). Das Anti-Gewalt-Trainings-Programm kann die noch ausstehende Absolvierung einer ordnungsgemäßen Therapie nicht kompensieren. Das trägt im Übrigen auch die Klägerseite selbst nicht vor.
(6) Gleiches gilt für das Zulassungsvorbringen, dass sich mittlerweile das Tatopfer des letzten Gewaltdelikts mit dem Kläger und auch die beiden Familien untereinander mittels eines Treffens des Bruders des Klägers mit dem Bruder des Tatopfers am 8. Oktober 2020 im Kosovo versöhnt und einander vergeben hätten, so dass selbst bei einem erneuten Aufeinandertreffen zwischen dem Kläger und dem Tatopfer kein Konflikt entstünde. Dies vermag allerdings die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entscheidend zu entkräften. Die Aussagekraft des Zulassungsvorbringens ist herabgemindert, weil die Klägerseite die geltend gemachte Versöhnung weder substantiiert noch nachgewiesen hat. Die geltend gemachte Versöhnung würde auch im Übrigen nicht sämtliche im Sachverständigengutachten genannten Risikofaktoren eliminieren, weil unter den zu meidenden Personen das letzte Tatopfer nur beispielhaft genannt wird (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 145: „Personen“). Dazu berührt die geltend gemachte Versöhnung nicht den Risikofaktor der derzeit noch nicht austherapierten eingeübten Verhaltensmuster des Klägers. Gleichzeitig fehlt es weiterhin an anderen stabilisierenden Bedingungen, wie etwa einer geregelten Arbeit (s.o.).
(7) Ernstliche Zweifel an der Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerseite auch nicht – zusammengefasst – mit dem Vorbringen aufgezeigt, dass der Kläger als Asylberechtigter hohen Schutz genieße und über gefestigte familiäre Bindungen im Bundesgebiet verfüge, da die Ehefrau und die Kinder ihn regelmäßig in der Haft besucht hätten, die Ehefrau zu ihm halte und die Tochter sich in der mündlichen Verhandlung für seinen Verbleib im Bundesgebiet ausgesprochen habe, mithin der Fall erheblich von den Fällen sonstiger Art abweiche, sodass eine Neuabwägung zu einem Überwiegen des Bleibeinteresses führe.
In Bezug auf die familiären Bindungen setzt sich die Zulassungsschrift nicht mit den ausführlichen und differenzierten Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinander (vgl. UA S. 9 i.V.m. VG München, B.v. 27.10.2020 – M 10 K 18.6036 – S. 17 ff., insbesondere S. 19: „dass diese Beziehungen mit Problemen behaftet sind“ u. „Auch die Beziehung des Klägers zu seiner Ehefrau ist nicht frei von Problemen“). Außerdem ist das Verwaltungsgericht zu Gunsten des Klägers von dessen Asylberechtigung und insoweit erhöhten Anforderungen an eine Ausweisung ausgegangen (vgl. UA S. 8). Mittlerweile hat das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. Dezember 2020, mit dem dieses die Klage des Klägers gegen den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter abgewiesen hat, Rechtskraft erlangt (vgl. Senatsakte, Bl. 72), so dass sich der Kläger auf eine Asylberechtigung nicht mehr stützen kann.
Insgesamt zeigt das Zulassungsvorbringen substantiiert keine Anhaltspunkte auf, die darauf hindeuten würden, dass das Ergebnis der von dem Verwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägung unverhältnismäßig wäre.
b) Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO oder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache sind mit dem pauschalen Verweis auf „komplexe Vernetzungen zwischen Ausländer-, Asylverfahrens- und Strafrecht“ nicht dargetan. Genauso wenig sind besondere tatsächliche Schwierigkeiten damit aufgezeigt, dass die Klägerseite auf die Komplexität des Verfahrensgangs wegen der – im Übrigen nicht näher erläuterten − verzögerten Bearbeitung durch den Beklagten verweist. Im Hinblick auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung fehlt es gänzlich an Ausführungen, insbesondere hat die Klägerseite keine Frage formuliert.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.