Verwaltungsrecht

Wohnsitzregelung für anerkannten Flüchtling

Aktenzeichen  19 CE 18.364

Datum:
7.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11844
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 12a Abs. 1, Abs. 5
VwGO § 123

 

Leitsatz

1 Die Verpflichtung, für den Zeitraum von 3 Jahren ab Flüchtlingsanerkennung den Wohnsitz in Bayern zu nehmen, stellt für einen transsexuellen Somali keine besondere Härte dar, auch wenn sein Bruder in Hamburg lebt. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einer behaupteten Bedrohung durch die somalische Community hätte der Antragsteller durch die Inanspruchnahme vorhandener Unterstützungsangebote begegnen können; eine bayernweite Gefährdung ist angesichts der Größe der Community nicht plausibel. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 6 E 18.85 2018-02-09 Ent VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Dem Antragsteller, somalischer Staatsangehöriger, ist nach der Einreise am 3. Januar 2016 und der Stellung eines Asylantrags am 21. Januar 2016 in Hamburg mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. April 2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Der Antragsteller ist Inhaber einer bis zum 31. Mai 2020 geltenden Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 wurde der Antragsteller gemäß § 12a Abs. 2 AufenthG verpflichtet, im bayerischen Landkreis B. seinen Wohnsitz zu nehmen; ihm wurde die Wohnberechtigung für eine Unterkunft in P. eingeräumt.
Auf Antrag des Antragstellers wurde der Bescheid vom 20. Juli 2017 mit Bescheid vom 4. Januar 2018 mit sofortiger Wirkung widerrufen, weil der Antragsteller als Person mit transsexueller Geschlechtsidentität im Bereich von Stadt und Landkreis B. nicht mehr sicher leben könne.
Am 24. Januar 2018 beantragte der Antragsteller die Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung für den Freistaat Bayern mit der Begründung einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben im gesamten Gebiet des Freistaates Bayern. Der Antragsteller und ein Begleiter seien als Personen transsexueller Geschlechtsidentität erkannt worden und sie würden von Landsleuten (aus der „somalischen Community“) mit dem Tode bedroht. Eine Entscheidung über den gestellten Aufhebungsantrag erfolgte bislang nicht.
Den am 25. Januar 2018 eingereichten vorläufigen Rechtsschutzantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2018 mit der Begründung ab, die Dringlichkeit fehle. Die Wohnungslosigkeit und die Mittellosigkeit seien vom Antragsteller selbst verschuldet und die Eilbedürftigkeit sei provoziert. Der Antragsteller habe es selbst in der Hand, die geschaffenen Probleme ohne unzumutbaren Mehraufwand und ohne Eigengefährdung abzuwenden; er könne im gesamten Freistaat Bayern Wohnsitz nehmen. Der Vortrag über eine Bedrohung durch die somalische Community sei nicht nachvollziehbar, denn in Hamburg sei der Antragsteller nicht sicherer und auch in Bayern gebe es Auffangstrukturen für den besonderen Personenkreis, dem der Antragsteller angehöre.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller die Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung weiter.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist bereits wegen fehlender Angabe einer ladungsfähigen Anschrift als notwendiger Inhalt einer Klagebzw. Antragsbzw. Beschwerdeschrift nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig.
Die Zulässigkeit der Beschwerde ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 2 ZPO). Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der für das Antragsverfahren im einstweiligen Rechtsschutz gleichermaßen wie für das Beschwerdeverfahren gilt (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 59; BayVGH, B.v. 30.12.2011 – 8 CE 11.2813 – juris Rn. 2; OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.7.2016 – OVG 11 S 32.16 – juris Rn. 6), ist eine Beschwerde nur zulässig, wenn der Antragsteller eine ladungsfähige Anschrift angibt. Das Verfügen über eine ladungsfähige Anschrift, d.h. eine Wohnanschrift, unter der der Ausländer tatsächlich zu erreichen ist, bzw. die Mitteilung einer etwaigen Anschriftsänderung gehört zu den sich aus § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden, für Beschlussverfahren analog geltenden Pflichten eines Ausländers und ist auch dann erforderlich, wenn dieser anwaltlich vertreten ist (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.7.2016 a.a.O.). Eine ladungsfähige Anschrift wurde vom Antragsteller trotz schriftlicher Aufforderung durch das Gericht nicht mitgeteilt.
Darüber hinaus rechtfertigen die zur Begründung der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, in der Sache keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, den Antragsgegner zur Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung des Antragstellers für den Freistaat Bayern gemäß § 12a Abs. 5 Nr. 2c AufenthG zu verpflichten. (Die Verpflichtung des Antragstellers zur Wohnsitznahme in Stadt und Landkreis B. ist bereits am 4. Januar 2018 aufgehoben worden.)
Die Verpflichtung des Antragstellers, für einen Zeitraum von drei Jahren ab seiner Flüchtlingsanerkennung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern zu nehmen, folgt unmittelbar aus § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG; die Rechtmäßigkeit dieser gesetzlichen Verpflichtung hat der Antragsteller nicht in Frage gestellt. Gemäß § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sind Wohnsitzregelungen nach § 12a AufenthG auf Antrag des Ausländers zur Vermeidung einer Härte aufzuheben; eine Härte liegt insbesondere vor, wenn Leistungen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe mit Ortsbezug beeinträchtigt würden (Buchst. a), wenn aus anderen dringenden persönlichen Gründen die Übernahme durch ein anderes Land zugesagt wurde (Buchst. b) oder wenn für den Betroffenen aus sonstigen Gründen vergleichbare unzumutbare Einschränkungen entstehen (Buchst. c).
Eine Härte in diesem Sinn liegt nicht vor. Es fehlt an belastbaren Anhaltspunkten dafür, dass dem Antragsteller als Person transsexueller Geschlechtsidentität unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (insbesondere der Behauptung einer Bedrohung durch Landsleute) eine Wohnsitznahme im Freistaat Bayern nicht zugemutet werden kann.
1. Der Antragsteller hat nicht ansatzweise dargelegt, aus welchen Gründen er seine transsexuelle Geschlechtsidentität im gesamten Freistaat Bayern nicht leben könne. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass im Freistaat Bayern seine Integration nicht möglich wäre. Der Antragsteller hat weder dargelegt, inwieweit er nach sicheren Wohnorten in Bayern gesucht hat, noch – gegebenenfalls – die Gründe des Scheiterns. Nach Aktenlage hat er den bayerischen Behörden vor seinem Wegzug nach Hamburg nicht die Möglichkeit gegeben, sich mit der geltend gemachten Sondersituation zu befassen. Nach der unverzüglich erfolgten Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung für Stadt und Landkreis B. kann der Antragsteller seinen Wohnsitz in Bayern frei wählen und in diese Wahl die vorhandenen Unterstützungsangebote für Personen transsexueller Geschlechtsidentität einbeziehen. Hätte er sich vor dem Weggang nach Hamburg ernsthaft mit der Möglichkeit von Hilfestellungen beschäftigt, wäre ihm nicht verborgen geblieben, dass es auch in der Stadt B. eine Selbsthilfegruppe gibt. Auf entsprechende Angebote und Möglichkeiten in Bayern haben sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht – vom Antragsteller unwiderlegt – hingewiesen. Dass sein Bruder, wie er im Asylverfahren angegeben hat, in Hamburg lebt, begründet keine die Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung rechtfertigende Härte, nachdem er den Freistaat Bayern jederzeit ohne Erlaubnis zwecks Urlaubs, Abstatten von Besuchen usw. verlassen kann.
Die Rückkehr nach Bayern erfordert vom Antragsteller nicht mehr an Fähigkeiten als sein Umzug nach Hamburg oder auch seine Flucht.
2. Eine bayernweite Gefährdung des Antragstellers durch somalische Staatsangehörige, die die Notwendigkeit eines Umzugs nach Hamburg begründen könnte, ist weder schlüssig dargelegt noch glaubhaft gemacht. Obwohl der Antragsteller von zwei Personen ernsthaft mit dem Tode bedroht worden sein will, hat er nichts unternommen, um dieser angeblichen Bedrohung durch die Einzelpersonen oder durch die „somalische Community“ mit rechtsstaatlichen Mitteln wirksam zu begegnen. Eine bayernweite Bedrohung ist auch deshalb nicht plausibel, weil die somalische Community – wie der Antragsteller ausführt – relativ klein ist. Wenn der Antragsteller sicherstellen will, dass seine Familie nichts von seiner transsexuellen Geschlechtsidentität erfährt, ist die Wahl von Hamburg als Wohnort denkbar ungünstig. Laut den Angaben im Asylverfahren wohnt dort sein Bruder und die Gefahr einer Entdeckung ist in Hamburg folglich am Größten. Insgesamt erscheint dem Senat die Behauptung einer Bedrohung durch eine „somalische Community“ als vorgeschoben, um eine aus unbekannten Motiven beabsichtigte Wohnsitzverlegung nach Hamburg kurzfristig zu erzwingen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 3 Nr. 2, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs 2013, wobei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Halbierung stattfindet.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 2 Satz 6, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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