Verwaltungsrecht

Wohnungsdurchsuchung zur Abgabe eines Führerscheins

Aktenzeichen  M 26 X 16.4320

Datum:
19.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwZVG BayVwZVG Art. 37 Abs. 3 S. 1
GG GG Art. 13 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Vorschrift des Art. 37 Abs. 3 S. 1 BayVwZVG, wonach die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt sind, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen, ist im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 GG in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einer Zustellung des Antrags auf gerichtliche Gestattung der Wohnungsdurchsuchung und von einer Anhörung kann trotz Art. 103 Abs. 1 GG nach richterlichem Ermessen abgesehen werden, wenn dadurch der Vollstreckungserfolge gefährdet würde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegnerin mit Nebenräumen in der …straße …, …, durch Polizeibeamte sowie Bedienstete des Landratsamtes Traunstein werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden. Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses und nur zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins der Antragsgegnerin mit der Nr. …, ausgestellt durch die Fahrerlaubnisbehörde …
II. Das Landratsamt Traunstein wird mit der Zustellung dieses Beschlusses sowie des Beschlusses zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vom 19. Oktober 2016 an die Antragsgegnerin beauftragt. Die Zustellung hat unmittelbar vor Durchführung der unter Nr. I gestatteten Maßnahmen zu erfolgen.
III. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

I.
Der Antragsteller erkannte der Antragsgegnerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 7. Juni 2016 das Recht ab, Kraftfahrzeuge der Klasse B auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu führen und gab ihr auf, unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids, deren Führerschein vorzulegen (Nr. 2 a des Bescheids) bzw. alternativ eine eidesstattliche Erklärung über den Verbleib des Führerscheins abzugeben (Nr. 2 b des Bescheids). Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Führerscheins bzw. Abgabe der Erklärung wurde der Antragsgegne rin ein Zwangsgeld in Höhe von 750 Euro angedroht (Nr. 4 des Bescheids). In Nr. 3 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 angeordnet.
Die Fahrerlaubnisbehörde mahnte bei der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12. Juli 2016 unter Hinweis auf das angedrohte Zwangsgeld die Abgabe des Führerscheins und kündigte die erneute Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von nunmehr 1.500 Euro an, falls der Antragsgegner der Aufforderung unter der Nummer 2a) bzw. 2b) des Bescheids vom 7. Juni 2016 nicht bis zum 22. Juli 2016 nachkomme. An. Mit Schreiben bzw. Bescheid vom 25. Juli 2016 stellte die Fahrerlaubnisbehörde das Zwangsgeld in Höhe von 750 Euro fällig und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 Euro an, falls die Antragsgegnerin der Aufforderung unter der Nummer 2a) bzw. 2b) des Bescheids vom 7. Juni 2016 nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheids nachkomme. Mit Schreiben bzw. Bescheid vom 8. August 2016 stellte die Fahrerlaubnisbehörde das Zwangsgeld in Höhe von 1.500 Euro fällig und drohte nunmehr unmittelbaren Zwang an, falls die Antragsgegnerin der Aufforderung unter der Nummer 2a) bzw. 2b) des Bescheids vom 16. Oktober 2015 nicht binnen einer Woche ab Zustellung dieses Bescheids nachkomme.
Da auch dieser Bescheid nicht zur Abgabe des Führerscheins führte, beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 16. September 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen der Antragsgegnerin zu gestatten.
Mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung durch richterliche Anordnung ist statthaft. Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungsund Vollstreckungsgesetz – VwZVG – sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz – GG -, wonach Wohnungsdurchsuchungen außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen (BVerfG, B.v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05 – NJW 2009, 2516).
2. Der Antrag ist auch begründet.
2.1 Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG liegen vor.
Da der Bescheid vom 7. Juni 2016, der in seiner Nummer 2a) die Verpflichtung für die Antragsgegnerin enthielt, ihren Führerschein innerhalb der gesetzten Frist abzuliefern (bzw. alternativ nach Nr. 2b) eine eidesstattliche Versicherung über dessen Verbleib abzugeben), mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung:der Antrags gegnerin am 28. Juni 2016 ordnungsgemäß zugestellt wurde und diese nach Zurückweisung des hiergegen eingelegten Widerspruchs keinen weiteren Rechtsbehelf eingelegt hat, ist er bestandskräftig geworden (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG).
Der Antragsteller hat ferner glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bisher nicht nachgekommen ist (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Angesichts der erfolglosen Androhung und Fälligstellung zweier Zwangsgelder in Höhe von insgesamt 2.250 Euro und des aktenkundigen Verhaltens der Antragsgegnerin versprach eine erneute und ggf. erhöhte Zwangsgeldandrohung keinen Erfolg. In der Folge drohte deshalb der Antragsteller gemäß Art. 36 Abs. 1 VwZVG der Antragsgegnerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Anwendung unmittelbaren Zwangs an und verband diese Androhung mit einer angemessenen Frist zur freiwilligen Erfüllung der zu vollstreckenden Anordnung (Abgabe des Führerscheins bzw. einer eidesstattlichen Versicherung). Bei der Verpflichtung zur Herausgabe einer Urkunde wie dem Führerschein handelt es sich nicht um eine vertretbare Handlung im Sinne von Art. 32 VwZVG, wie auch aus § 887 Abs. 3 der Zivilprozessordnung – ZPO – deutlich wird (Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Loseblattkommentar, Art. 32 VwZVG, II.2.; i.E. ebenso BayVGH, B.v. 23.5.2012 – 11 C 12.729; a.A. VGH Kassel, B.v. 30.07.1993 – 7 TM 498/92 – ZfSch 1994, 192), so dass nicht die Ersatzvornahme anstatt des unmittelbaren Zwangs das Zwangsmittel der Wahl gewesen wäre.
2.2 Die – nötigenfalls – zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung ist erforderlich. Nach Aktenlage ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin ihren Führerschein freiwillig herausgibt, auch nicht, wenn sie hierzu von Polizeibeamten aufgefordert werden sollte. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem gesamten aktenkundigen Verhalten der Antragsgegnerin, insbesondere ihrer völligen Ignoranz hinsichtlich der ergangenen behördlichen Schreiben und Bescheide.
Umstände, aufgrund derer eine Wohnungsdurchsuchung als nicht verhältnismäßig erscheinen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere muss das Recht der Antragsgegnerin auf die Unverletzlichkeit ihrer Wohnung (Art. 13 GG) angesichts der vom Antragsteller hier im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzenden öffentlichen Interessen an einer effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr zurücktreten.
2.3 Von einer Zustellung des Antrags an die Antragsgegnerin und ihre Anhörung vor Erlass des Beschlusses konnte nach Ausübung des dem Gericht hierbei zustehenden Ermessens abgesehen werden. Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen (ständige Rechtsprechung des VG München, u.a. B.v. 24.6.2014 – M 6a X 14.2593; vgl. auch VG Augsburg, B.v. 10.1.2013 – AU 7 V 12.1669). Gerade bei einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzuspüren, was der Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 9. Aufl., Art. 13 Rn. 14). Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden.
Angesichts des vom Antragsteller glaubhaft dargelegten Vorverhaltens der Antragsgegnerin muss nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass ihre Anhörung vor Erlass dieses Beschlusses den Vollstreckungserfolg gefährden würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, dass die Antragsgegnerin, der bisher überhaupt nicht auf die behördlichen Schreiben und Bescheide reagiert hat und der sich bisher sowohl von den ihr gegenüber fällig gestellten Zwangsgeldern von insgesamt immerhin 2.250 Euro als auch von der Androhung unmittelbaren Zwangs gänzlich unbeeindruckt gezeigt hat, auch dazu bereit wäre, ihren Führerschein beiseite zu schaffen, sobald sie von der beabsichtigten Durchsuchung erfahren würde. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden.
2.4 Aus denselben Gründen ist auch die in Nr. II des Tenors ausgesprochene Regelung sinnvoll, die Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an die Antragsgegnerin zu beauftragen (§ 168 Abs. 2 ZPO analog). Würde er der Beschluss vor der Durchsuchung zugestellt, wäre der Vollstreckungserfolg ebenso gefährdet wie bei einer vor Beschlusserlass erfolgten Anhörung.
2.5 Weil die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, war die Durchsuchungsanordnung zu befristen (vgl. VG München, B.v. 24.6.2014 – M 6b X 14.2593; VG Augsburg, B.v. 1.3.2012 – Au 7 V 12.271).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es nicht, weil keine streitwertabhängigen Gebühren entstehen.

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