Verwaltungsrecht

Zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot wegen engmaschiger medizinischer Überwachungsbedürftigkeit

Aktenzeichen  W 2 S 17.30970

Datum:
6.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Ergibt sich aus fachlich fundierten und nachvollziehbaren medizinischen Gutachten, dass eine endgültige Diagnose über die schwere einer Erkrankung eine mehrmonatige engmaschige medizinische Überwachung erfordert, um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festzustellen, so bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (W 2 K 17.30969) gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2017 (Gz.: …) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller zu 1, ein am … 1976 in …Syrien geborener syrischer Staatsangehöriger, seine Ehefrau, die am … 1983 ebenfalls in … geborene Antragstellerin zu 2, sowie ihre am … 2007, am … 2011 und am … 2017 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3 bis 5, begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Androhung der Abschiebung nach Rumänien.
1. Die Antragsteller zu 1 bis 4 verließen Syrien nach eigenen Angaben am 10. Februar 2016 und reisten über die Türkei nach Griechenland ein. Von dort wurden sie nach Angaben der rumänischen Dublin-Behörde (Behördenakte, Bl. 187 und 190) im Rahmen des EU-internen Umverteilungsbeschlusses nach Rumänien umverteilt, wo man sie auf Antrag vom 6. Oktober 2016 am 15. November 2016 als Flüchtlinge anerkannte.
Am 17. Dezember 2016 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 21. Dezember 2016 einen Asylantrag.
Beim persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats am 21. Dezember 2016 gab die Antragstellerin zu 2 an, dass sie bereits am 6. Oktober 2016 in Rumänien internationalen Schutz beantragt habe und er ihr zugesprochen worden sei. Im Anschluss an die Befragung wurde ihr ein Fragebogen „Zum Sachstand des Verfahrens für die Zuerkennung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union“ in deutscher Sprache ausgehändigt, den sie noch vor Ort – mutmaßlich – mit Hilfe eines Übersetzers ausfüllte. Der Fragebogen enthielt folgenden Hinweis: „Wenn Ihrem Antrag im ersten Mitgliedstaat stattgegeben wurde und Sie internationalen Schutz erhalten haben, ist ein weiterer Antrag in Deutschland nicht mehr zulässig.“
Der Antragsteller zu 1 gab bei seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens (Zweitbefragung) am 3. Januar 2017 an, dass der Antragsteller zu 4 Angstzustände habe. Er habe vor allem, was laut sei, Angst. Er sei deswegen in Syrien in ärztlicher Behandlung gewesen. Der Antragsteller zu 1 legte dazu ein ärztliches Attest aus Syrien vor. Auf eine mögliche Überstellung nach Rumänien wurde der Antragsteller nicht hingewiesen.
Bei ihrer Zweitbefragung gab die Antragstellerin zu 2 ebenfalls am 3. Januar 2017 von sich aus an, dass es in Rumänien keine ärztlichen Untersuchungen für die Kinder und für sie als Schwangere gegeben habe.
Der am … 2017 geborene Antragsteller zu 5 wurde auf Antrag der Antragsteller zu 1 und 2 vom 16. Januar 2017 in das Asylverfahren einbezogen.
2. Mit Bescheid vom 23. Februar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlingsanerkennung (Bundesamt) den Asylantrag der Antragsteller als unzulässig ab (Ziffer 1), Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (Ziffer 2). In Ziffer 3 des Bescheides werden die Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen, andernfalls würden sie nach Rumänien abgeschoben. Die Antragsteller dürften nicht nach Syrien abgeschoben werden. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot werde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 23. Februar 2017 Bezug genommen. Die Behördenakte enthält keinen Zustellungsnachweis für den Bescheid.
3. Mit Schriftsatz vom 3. März 2017, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, ließen die Antragsteller Klage gegen den Bescheid erheben, die beim erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen W 2 K 17.30969 anhängig ist. Zugleich begehren sie einstweiligen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung nach Rumänien.
Der Antrag wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Gemeinschaftsrecht gebiete es, von einer Überstellung der Antragsteller nach Rumänien abzusehen. Die Antragsteller hätten selbst feststellen müssen, dass die Aufnahmebedingungen in Rumänien für politische Flüchtlinge so schlecht seien, dass ihnen ein menschenrechtskonformes Überleben kaum möglich sei. Asylsuchende könnten in einem Mitgliedstaat auch dadurch unmenschlich und erniedrigt behandelt werden, dass ihnen grundlegende Leistungen der Daseinsvorsorge vorenthalten blieben, die nach Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie gewährt werden müssten. Entsprechendes gelte für anerkannte Flüchtlinge. Zudem sei in der Bundesrepublik ein eheliches Kind zur Welt gekommen, das nicht reisefähig sei.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes lassen sie beantragen,
1.Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2017 wird angeordnet.
2.Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung der Antragsteller nach Rumänien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 3. April 2017 legten die Antragsteller ein ärztliches Gutachten des Klinikums …, Klinikum für Kinder und Jugendmedizin, vom 30. März 2017 für den Antragsteller zu 5 vor. Darin wird ausgeführt, dass sich bei dem am … 2017 geborenen Antragsteller zu 5 bei einer Echokardiographie eine valvuläre Pulmonalstenose bei Dysplasie der Pulmonalklappen gefunden hätte. Aktuell komme dem Befund keine hämodynamische Relevanz zu, so dass eine operative Intervention nicht notwendig sei. Es sei eine engmaschige Kontrolle notwendig, um eine Befundnahme mit eventuell notwendigem Interventionsbedarf nicht zu verpassen. Hierzu wäre, weitere Beschwerdefreiheit vorausgesetzt, in spätestens 3 Monaten eine erneute kinderkardiologische Untersuchung mit Echokardiographie notwendig. Würden keine weiteren Kontrollen durchgeführt und die Wandelung zu einer hämodynamisch relevanten Pulmonalstenose übersehen, drohe dem Säugling eine Rechtsherzdekompensation und bei eingeschränkter Lungendurchblutung eine ungenügende Sauerstoffversorgung. Ohne kompetente medizinische Versorgung sei die Erkrankung in diesem Fall potentiell tödlich. Die Familie benötige für den Antragsteller zu 5 zumindest in den nächsten Monaten einen niederschwelligen und verlässlichen Zugang zu einem adäquaten medizinischen Versorgungssystem.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren der Hauptsache (W 2 K 17.30970) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides.
Da sich die in der Hauptsache erhobene Klage generell (auch) gegen Ziffer 3 des Bescheides vom 23. Februar 2017 richtet, ist auch der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz dahin gehend auslegungsfähig, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung begehrt wird – auch wenn sich der Antrag dem Wortlaut nach auf eine Abschiebungsanordnung richtet.
Das in Ziffer 2 des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz formulierte Begehren, die Antragsgegnerin möge der zuständige Ausländerbehörde mitteilen, dass eine Abschiebung vorläufig nicht durchgeführt werden dürfe, legt das Gericht bei verständiger Würdigung als klarstellenden Annex zu Ziffer 1 des Antrags aus. Im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen eine Abschiebungsandrohung gerichteten Klage erhält die zuständige Ausländerbehörde schon regulär einen Abdruck der gerichtlichen Entscheidung und hat in diesem Zuge von weiteren Abschiebungsmaßnahmen abzusehen, ohne dass es weiterer Verfügungen bedarf. Für eine zusätzliche Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer gesonderten Erklärung verbleibt daneben grundsätzlich kein Raum.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung ist zulässig. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Abs. 1 VwGO statthaft. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG entfaltet die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die in Ziff. 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 23. Februar 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag wurde auch fristgerecht gestellt (§ 36 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 AsylG kann das Verwaltungsgericht die auf-schiebende Wirkung der Klage anordnen. Die Aussetzung der Abschiebung setzt gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Der Maßstab der ernstlichen Zweifel, der seine Grundlage in Art. 16a Abs. 4 GG findet, ist aufgrund der Änderungen der §§ 29, 36 AsylG durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939), auch auf Fälle anzuwenden, in denen ein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang von § 36 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG (VG Aachen, B.v. 5.12.2016 – 8 L 991/16.A – BeckRS 2016, 55820; s.a. Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand November 2016, § 36 AsylG Rn. 36 ff.). Ernstliche Zweifel nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG setzen voraus, dass erhebliche Gründe dafür vorliegen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 – juris).
Dies ist vorliegend der Fall. Die Androhung der Abschiebung der Antragsteller nach Rumänien gemäß § 35 AsylG begegnet bei Zugrundelegung der im vorliegenden Verfahren alleine möglichen und gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstlichen Zweifeln i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Voraussetzung einer Abschiebungsandrohung gem. § 35 AsylG ist mithin, dass die Asylanträge der Antragsteller rechtmäßiger Weise als gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt worden sind. Gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Für die Antragsteller zu 1 bis 4 trifft dies mit der Flüchtlingsanerkennung in Rumänien vom 15. November 2016 unmittelbar zu. Auf den Antragsteller zu 5 erstreckt sich dies nach dem auch in Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken, dass nachgeborene Kinder das asylrechtliche Schicksal ihrer sorgeberechtigten Eltern teilen. Sie sind aufgrund Art. 8 EMRK in rechtlich ausreichender Weise in den expliziten Flüchtlingsstatus der Eltern einbezogen (vgl. VG Ansbach, AN 11 K 15.50011).
Rechtliche Zweifel bestehen allerdings bereits an der formalen Rechtmäßigkeit der Ablehnung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist der Ausländer zu den Gründen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG persönlich anzuhören (zum Erfordernis der Anhörung Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand November 2016, § 29 AsylG Rn. 87). Mit einer möglichen Unzulässigkeit ihres Asylantrags aufgrund der bereits in Rumänien gewährten Flüchtlingsanerkennung wurden die Antragsteller lediglich schriftlich durch den Hinweis in dem am 21. Dezember 2016 an die Antragstellerin zu 2 ausgehändigten Fragebogen konfrontiert. Ob ein solcher Verfahrensmangel durch die tatsächlichen Einlassungen der Antragstellerin zu 2 bei ihrer Zweitbefragung am 3. Januar 2017 geheilt wurde oder er gem. § 46 VwVfG unbeachtlich ist, kann hier jedoch letztlich dahinstehen.
Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen darüber hinaus auch in materiell-rechtlicher Hinsicht: Denn mit der engmaschigen medizinischen Überwachungsbedürftigkeit des Antragstellers zu 5, wie sie sich plausibel aus dem ärztlichen Gutachten vom 30. März 2017 ergibt, liegen hinreichend Anhaltspunkte für ein mögliches zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG) vor. Zwar lässt sich – allein anhand der aktuell vorliegenden Diagnose – noch nicht mit abschließender Sicherheit bestimmen, ob der beim Antragsteller zu 5 festgestellte Herzfehler eine weitere (intensiv-) medizinische Behandlung notwendig macht. Jedoch ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes alleine gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht ohne weitere – allein dem Hauptsacheverfahren vorbehaltene – Sachaufklärung davon auszugehen, dass es sich bei den gesundheitlichen Problemen des Antragstellers zu 5 „lediglich“ um eine temporäre Reiseunfähigkeit handelt, die bei der allein zielstaatsbezogenen Prüfung der Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG unbeachtlich bleiben müsste. Das vorgelegte Gutachten legt fachlich fundiert und nachvollziehbar dar, dass eine endgültige Diagnose erst anhand einer sich über mehrere Monate erstreckenden engmaschigen medizinischen Überwachung des Antragstellers zu 5 möglich ist. Den zu den Aufnahmebedingungen in Rumänien vorliegenden Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass eine solche Überwachung – trotz medizinischer Indikation – für anerkannte Flüchtlinge bzw. die in den Flüchtlingsschutz einbezogenen Kinder, nicht zugänglich ist. Ein kostenfreier Zugang zu medizinischen Behandlungen wird für anerkannte Flüchtlinge nur in Notfällen gewährt (vgl. Silviu Mihai, Rumänien: Flüchtlinge im Land der Auswande…, Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung Bukarest von Februar 2016, S. 2). Laut US State Department Country Reports on Human Rights Practices for 2016, S. 21) sei der tatsächliche Zugang zur öffentlichen Gesundheitssystem für anerkannte Flüchtlinge nicht flächendeckend gewährleistet, sondern hänge von Faktoren wie dem Bewusstsein der öffentlichen und privaten Akteure vor Ort ab. Damit ist noch nicht einmal gewährleistet, dass der Antragsteller zu 5, der als Säugling mit Herzfehler um ein vielfaches vulnerabler ist, als die Vergleichsgruppe der übrigen anerkannten Flüchtlinge in Rumänien, überhaupt Zugang zu basismedizinischer Versorgung erlangen kann. Angesichts der Schwere der drohenden körperlichen Beeinträchtigung, der großen Bedeutung der mit Leib und Leben betroffenen Rechtsgüter und der besonderen Verletzlichkeit des Antragstellers zu 5 gebietet es Art. 3 EMRK – jedenfalls bezogen auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung – die Prüfung von zielstaatsbezogenen Rahmenbedingungen für die im Raum stehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits in diesem frühen Stadium der Diagnose vor zu verlagern. Denn schon die im ärztlichen Gutachten attestierte reale Möglichkeit einer Rechtsherzdekompensation und der fehlende Zugang zu einer entsprechenden diagnostischen Überwachung der Entwicklung berührt die von Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter in einem für das hiesige Verfahren relevantem Ausmaß. Somit begründet die derzeitige Ungewissheit des weiteren Krankheitsverlaufes bereits ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in der Hauptsache angegriffenen Abschiebungsandrohung bezogen auf den Antragsteller zu 5. Im Lichte von Art. 6 GG erstreckt sich dies auch auf die Antragsteller zu 1 bis 4, so dass insgesamt ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in der Hauptsache angegriffenen Abschiebungsandrohung bestehen.
Dies gilt jedoch allein aufgrund der besonderen gesundheitlichen Situation des als herzkranken Säugling besonders schutzbedürftigen Antragstellers zu 5 und ist – nach Auffassung des erkennenden Gerichts – nicht dahin gehend verallgemeinerungsfähig, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Rumänien für Familien mit minderjährigen Kindern – ohne entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigungen – generell schon so mangelhaft sind, dass sie ohne weiteres zu einer zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GR-Charta führen (bejahend aber: VG Bremen, B.v. 2.2.2017, 5 V 131/17 – juris; offen lassend: OVG NRW, B.v. 29.7.2016, 11 A 752/15.A).
Da mit dem ärztlichen Gutachten vom 30. März 2017 hinreichend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gem. § 60 Abs. 7 AufenthG beim Antragsteller zu 5 vorliegen und sich eine solches Abschiebungshindernis im Lichte von Art. 6 GG gem. § 60 Abs. 5 AufenthG auch auf die übrigen Antragsteller erstrecken würde, ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des im Verfahren W 2 K 17.30969 angegriffenen Bundesamtsbescheids vom 23. Februar 2017 wegen ernstlicher Zweifel an deren Rechtmäßigkeit mit der gesetzlichen Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 AsylG anzuordnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

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