Aktenzeichen M 17 K 16.34068
Leitsatz
Wird ein mittelloser Kläger, der eine schwere genetische Hauterkrankung hat, die in Bangladesch nicht operiert werden kann, ohne die notwendige Behandlung abszessartige Hautveränderungen und beträchtliche Schmerzen zu erwarten haben, liegt eine erhebliche konkrete Gefahr und ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Oktober 2016 wird in den Nrn. 4 bis 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich Bangladesch vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger ¾, die Beklagte ¼.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig und insoweit begründet, als die Beklagte verpflichtet ist, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, im Übrigen jedoch unbegründet.
1. Das Bundesamt hat zu Recht die Anerkennung als Asylberechtigter, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus abgelehnt.
1.1 Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung oder Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit – insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit – abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U. v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 – juris).
1.2 Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da der Vortrag des Klägers sehr widersprüchlich war:
Abgesehen davon, dass er in der mündlichen Verhandlung auf Frage nach den besonderen Merkmalen der Rohingya angab, dass auch Rohingya Bengali sprechen, obwohl die Rohingya eine eigene Sprache bzw. zumindest einen eigenen Dialekt haben (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rohingya), sagte er z. B. bei der Anhörung vor dem Bundesamt, dass er nach seinen Schwierigkeiten in seinem Heimatort versucht habe, in … und anderen Orten zu leben, während er vor Gericht lediglich angab, eine Zeit lang in Dhaka gelebt zu haben. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt berief er sich auf Schwierigkeiten mit Bangladeschern wegen seiner Erkrankung und dass ihm als Rohingya niemand habe Arbeit geben wollen. Die Nachbarn hätten ihn vertrieben und wegen seiner Krankheit versucht, seine Hütte anzuzünden. In der mündlichen Verhandlung steigerte er sein Vorbringen und erzählte, jeden Tag geschlagen worden zu sein, auch, weil er Rohingya sei. Zudem hätte ihn die Polizei fünfzig- bis sechzigmal angehalten und Geld von ihm verlangt, ihn ab und zu mitgenommen und geschlagen sowie drei- bis viermal für ein bis zwei Tage inhaftiert. Beim Bundesamt sagte er dagegen, dass er keine Probleme mit der Polizei gehabt habe. In der mündlichen Verhandlung gab er erst an, als Spüler gearbeitet zu haben, als er 6/7 Jahre alt gewesen sei, dann, dass dies 5/6 Jahre nach dem Tod der Mutter gewesen sei, schließlich, dass dies 6/7 Jahre nach deren Tod gewesen sei. Da die Mutter ca. 1999 starb, hätte er somit frühestens 2004 mit seiner Arbeit als Spüler begonnen, die er laut seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt fünf Jahre ausübte. Anschließend sei er fünf Jahre arbeitslos gewesen. Dies wäre dann mindestens bis 2014 gewesen, obwohl der Kläger nach eigenen Angaben bereits 2012 aus Bangladesch ausreiste. Dem Bundesamt erzählte er, das erste Mal Ende 2011/Anfang 2012 vertrieben worden zu sein, während er in der mündlichen Verhandlung angab, bereits 2010 nach Dhaka gegangen zu sein. Dass der Kläger, wie er beim Bundesamt ausführte, in Bangladesch zuletzt – unbehelligt – als Fischer arbeitete, erwähnte er vor Gericht mit keinem Wort.
Aufgrund dieses sehr widersprüchlichen Vorbringens des Klägers erachtet das Gericht seine Schilderungen nicht als glaubwürdig.
2. Es liegt jedoch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
a) Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u. a. – juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B. v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
b) Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis ausgegangen werden:
Beim Kläger liegt laut den vorgelegten Attesten Steatocystoma multiplex, eine schwere genetische Hauterkrankung, vor. Diese wurde bereits 2016 operiert, weitere Operationen werden jedoch in nächster Zeit erforderlich sein. Es ist nicht davon auszugehen, dass der mittellose Kläger in Bangladesch operiert werden kann. Ohne derartige Operationen würde sich bei den abzessartigen Hautveränderungen jedoch nicht nur Eiter bilden, sondern diese auch zu beträchtlichen Schmerzen führen.
Nach alledem war der Klage daher hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG stattzugeben (Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids). Dementsprechend waren auch die Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben (Nrn. 5 und 6 des Bescheids).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z. B. B.v. 29.6.2009 – 10 B 60/08 – juris); Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.