Verwaltungsrecht

Zuckerkrankheit begründet kein Abschiebungsverbot bezüglich Pakistan

Aktenzeichen  M 1 K 16.35663

Datum:
21.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 u Abs. 7 S. 1 u 5

 

Leitsatz

Die Zuckerkrankheit ist in Pakistan behandelbar und begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG, noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Im Klageverfahren haben sich keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Der Vortrag des Klägers, so er glaubhaft sein sollte, betrifft private Probleme und hat nichts mit politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG und des § 3 AsylG zu tun. Ebenso begründet der Vortrag keinen Anspruch auf subsidiären Schutz wegen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG durch einen rechtlich relevanten Akteur.
Im Übrigen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht –, Stand Mai 2016, S. 21). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Der Kläger kann in den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen. Der Kläger war nach seinen Angaben in Pakistan selbständig tätig, hat als Elektriker gearbeitet und außerdem Industriebekleidung verkauft.
Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Insbesondere begründen die Erkrankungen des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1 der Vorschrift). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2 der Vorschrift). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (Satz 3 der Vorschrift). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4 der Vorschrift). Gefahren nach Satz 1 der Vorschrift, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Satz 5 der Vorschrift). § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG stellen Anforderungen an den qualifizierten ärztlichen Nachweis der geltend gemachten Leiden; diese Anforderungen sind hier bis auf das in den Attesten nicht näher ausgeführte depressive Leiden erfüllt.
Die Erkrankungen entsprechen nicht den genannten hohen gesetzlichen Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen. Die Zuckererkrankung ist nach der Auskunftslage in Pakistan ausreichend behandelbar (siehe nur Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 30.5.2016, Ziffer IV. 1.2.; VG Freiburg, U.v. 24.2.2016 – A 6 K 2938/14 – juris Rn. 19 ff.). Im Übrigen kann auch der Kläger selbst zur Bewältigung des Leidens durch Änderung seines Lebensstils beitragen; nach dem ärztlichen Attest vom 20.9.2017 wurde bereits eine Ernährungsberatung durchgeführt. Davon abgesehen handelt es sich bei der Zuckererkrankung um eine allgemeine Gefahr in Pakistan im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, deren Berücksichtigung dem Vorbehalt einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt, welche nicht existiert. Wie das VG Freiburg aaO. unter ausführlicher Sichtung der einschlägigen Erkenntnisquellen und auch der Rechtsprechung ausführt, lag die Zahl der an Zucker Erkrankten in Pakistan in den Jahren 2010 und 2011 bei mindestens 10 Prozent der Bevölkerung, was bei einer Bevölkerungsgröße von ca. 200 Millionen Menschen zu einer im Millionenbereich liegenden Zahl von Zuckerkranken in Pakistan führt. Es wird weltweit allgemein und ferner speziell für Pakistan von einer Zunahme der Erkrankung ausgegangen. Damit handelt es sich bei der Zuckerkrankheit in Pakistan um keine den Kläger individuell treffende Situation, sondern um eine Lage, die eine ganze Bevölkerungsgruppe betrifft (VG Freiburg aaO. Rn. 18 und 19) und deshalb nur nach Maßgabe des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden darf. Eine Ausnahme für den extremen Fall, dass die Abschiebung für den Kläger „gleichsam sehenden Auges“ den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen bedeuten würde, ist bei der geschilderten Behandlungslage in Pakistan bei weitem nicht gegeben (VG Freiburg aaO. Rn. 19 ff.).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen