Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Äthiopien

Aktenzeichen  M 12 K 17.33781

Datum:
20.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10898
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Opfer staatlicher Repressionen haben in Äthiopien grundsätzlich die Möglichkeit, ihren Wohnsitz in andere Landesteile zu verlegen und so der lokalen Bedrohungssituation zu entgehen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2019 entschieden werden, obwohl außer dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten niemand erschienen ist. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Februar 2017 in seinen Nr. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus oder Feststellung von Abschiebungsverboten hat (vgl. Antrag des Klägers vom … Februar 2017 und des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG. Zudem liegen beim Kläger keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG vor. Auch Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht festzustellen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist beim Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien oder im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Die vom Kläger geschilderten Vorfluchtgründe sind zum einen nicht asylrelevant, zum anderen unsubstantiiert, widersprüchlich und unglaubhaft, so dass das Gericht davon ausgeht, dass sich der geschilderte Sachverhalt nicht ereignet hat.
Der Kläger trug im Wesentlichen vor, er habe unter der strengen Erziehung seines Vaters, der angeblich ein Tyrann gewesen sein soll (Bl. 44 BA), gelitten. Dass der Vater Mitglied der Regierung gewesen sein soll, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Bei diesem Vortrag handelt es sich schon nicht um eine Verfolgung gem. § 3 AsylG.
Darüber hinaus hat der Kläger einen verworrenen, widersprüchlichen und unglaubhaften Sachverhalt zu seiner Vorverfolgung vorgetragen.
Die Einlassung, er sei „Tag und Nacht“ von ihm unbekannten Oromo geschlagen worden, überzeugt nicht. Es ist schon nicht nachvollziehbar, wer diese gewesen sein sollen und welches Interesse sie am Kläger hätten haben sollen. Die Einlassung, er hätte „wegen des Vaters betraft werden sollen“, überzeugt nicht. Körperverletzung stellt auch in Äthiopien eine Straftat dar, die bei der Polizei anzuzeigen und von den Strafverfolgungsbehörden zu ahnden ist. Dies gilt umso mehr, als der Kläger behauptete, von Schülern auf der Straße geschlagen worden zu sein (Bl. 44 BA). Dass es dem Kläger nicht möglich gewesen sein soll, deren Namen ausfindig zu machen, überzeugt nicht. Da offenbar weder der Kläger noch sein Vater Anstrengungen unternommen haben, die Personen, die den Kläger angeblich geschlagen haben, ausfindig zu machen und diese anzuzeigen, kann der Leidensdruck des Klägers unter den behaupteten Schlägen nicht so groß gewesen sein und erreicht nicht die Schwelle der Asylrelevanz. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, welchem Zweck die „Bestrafung“ des Klägers in Bezug auf seinen Vater hätte dienen sollen und wozu der Kläger hätte eingeschüchtert werden sollen. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, gegen ihn hätten mehrere Mordversuche von oppositionellen Gruppen stattgefunden, er wisse aber nicht von welchen, überzeugt nicht und stellt eine erhebliche Steigerung des bisherigen Vorbringens beim Bundesamt dar. Dort hat der Kläger nicht von „Mordversuchen“, sondern von „Morddrohungen“ berichtet (Bl. 43 und 44 BA). Eine erhebliche Steigerung des Vorbringens stellt auch die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung dar, im September 2015 sei er geschlagen und in die Kanalisation geworfen worden. Davon hat er beim Bundesamt nichts erwähnt.
Völlig unsubstatiiert ist auch der Vortrag, der Kläger habe „Morddrohungen“ bekommen. Der Kläger kann dazu keine näheren Angaben machen. Er trug vor, er wisse nicht, „wer diese Leute seien“ (Bl. 44 BA). Auf die Frage, wie er die Morddrohungen erhalten habe, schilderte er nur die obengenannten Schläge (Bl. 44 BA). Die Einlassung in der mündlichen Verhandlung, er sei mit dem Tode bedroht worden, weil sein Vater eine Führungsposition gehabt habe, überzeugt nicht.
Eine erhebliche Steigerung des Vorbringens stellt auch der Bericht des Klägers über die Vorgänge vom November 2015 in der mündlichen Verhandlung dar. Er trug vor, in der Schule seien Demonstranten gewesen, die mit Gewehren geschossen hätten. Mitarbeiter des Vaters hätten dem Kläger eine Schutzweste gegeben. Der Kläger sei mit dem Auto nach Hause gefahren, das Auto sei beschossen worden. Davon hat der Kläger beim Bundesamt nichts berichtet, so dass es den gesamten geschilderten Sachverhalt unglaubhaft macht.
Der Kläger hat zu der von ihm behaupteten Vorverfolgung auch weitere widersprüchliche Angaben gemacht. Am *. Februar 2016 hat der Kläger im Rahmen der polizeilichen Sachbearbeitung in … (Bl. 3 BA) eine völlig andere Fluchtgeschichte vorgetragen* Er hat dort angegeben, die Polizei habe versucht, ihn umzubringen. Er habe friedlich für die Freiheit demonstriert und die Polizei habe ihn geschlagen und mit Waffen bedroht. Er sei sechs Monate im Gefängnis gewesen. Aus diesem sei er geflohen. Seine Einlassung zu dem Widerspruch, er sei nicht „klar im Kopf und durcheinander“ gewesen (Bl. 44 BA) sowie er sei „krank und durcheinander“ gewesen (mündliche Verhandlung), überzeugt nicht. Wenn man krank und „durcheinander“ ist, denkt man sich nicht eine nicht existierende Verfolgungsgeschichte aus. Das gesamte Vorbringen des Klägers zeigt, dass er offenbar Geschichten erfindet, um sich ein Bleiberecht im Bundesgebiet zu sichern.
Insgesamt ist der vom Kläger geschilderte Sachverhalt widersprüchlich und unglaubhaft, so dass kein Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG besteht.
Darüber hinaus haben Opfer staatlicher Repressionen in Äthiopien grundsätzlich die Möglichkeit, ihren Wohnsitz in andere Landesteile zu verlegen und so der lokalen Bedrohungssituation zu entgehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien v. 6.3.2017, II. 3; vom 17.10.2018, II.3; inländische Fluchtalternative). Auch deshalb ist dem Kläger kein Flüchtlingsschutz gem. § 3 AsylG zuzuerkennen.
Darüber hinaus haben sich die politischen Verhältnisse in Äthiopien grundlegend verändert, so dass – selbst wenn der Kläger vorverfolgt wäre – stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung der Verfolgung bestehen. Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Die Mehrheit des Kabinetts besteht nunmehr aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte, stellt nur noch zwei Minister. Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach Amtstritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen. Im August 2018 wurde auch das berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen. In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Metera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018, S. 9f.), weiterhin der Anführer der Ginbot7, Berhane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah. Am 20. Juli 2018 wurde ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die sich bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an den BayVGH v. 7.2.2019 – im Folgenden: AA 7.2.2019). Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslandsoppositionsgruppierung Ginbot7, OLF und ONLF als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und dien Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (AA 7.2.2019 und Bericht des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2018, S. 18f., The Danish Immigrations Service S.5, S.14f.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (The Danish Immigrations Service S.5, 14 f.). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (AA 7.2.2019). Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben (vgl. u.a. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris).
Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklung ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit noch Furcht vor Verfolgung bestehen kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren politischen Betätigung des Vaters oder seiner selbst verfolgt werden könnte.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – auch nach den Angaben des Klägers – nicht ersichtlich, dass ihm bei einer Rückkehr nach Äthiopien Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen könnte. Im Übrigen wird auf obige Ausführungen verwiesen.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Bei dem Kläger liegt auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Kläger kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Die Hilfskosten wurden für 2014 auf 451,9 Mio. US-$ beziffert, darin enthalten sind neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch Non Food Items wie Kosten für Hygiene und Gesundheit. Zusätzlich werden 7.8 Mio. Menschen über das Productive Safety net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigen würden (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4.3.2015, IV.1.1.1 und vom 24.5.2016., IV.1.11 Lagebericht 2018). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen. Es ist dem Kläger zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür er als Rückkehrer gute Chancen hat.
Die Stellung eines Asylantrags im Bundesgebiet bzw. die illegale Ausreise aus Äthiopien bleiben ohne Konsequenzen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Äthiopien vom 24.5.2016, II.,1.9, vom 6.3. 2017, IV. 2 und 17.10.2018, II.1.9).
Die auf § 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter bzw. international Schutzberechtigter anerkannt.
Soweit sich der Kläger mit seiner Klage gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate wenden, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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