Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage des Familienasyls

Aktenzeichen  Au 5 K 17.35634

Datum:
26.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2208
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1, § 26 Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 1

 

Leitsatz

Besteht ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter auf der Grundlage des abgeleiteten Familienasyls nach § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG, hat das Bundesamt nicht mehr über den Antrag auf originäre Asylberechtigung bzw. auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden. (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Dezember 2017 (Gz.: *) wird in Nr. 2 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2018 form- und fristgerecht geladen worden.
1. Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Das Gericht legt die Klage der Klägerin insoweit aus, dass diese sich lediglich gegen die sie beschwerende Ablehnung ihres Asylantrages im Übrigen im Bescheid des Bundesamtes vom 1. Dezember 2017 (dort Nr. 2) wendet. Da der Klägerin in Nr. 1 des mit der Klage angegriffenen Bescheides der subsidiäre Schutzstatus gemäß § 4 AsylG gewährt wurde, fehlt es insoweit bereits an einer rechtlichen Beschwer der Klägerin.
2. Die in Nr. 2 des mit der Klage angegriffenen Bescheides getroffene Ablehnung des Asylantrages der Klägerin im Übrigen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin besitzt einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Grundgesetz (GG). Zwar hat die Klägerin den Irak im August 2017 unverfolgt verlassen, nachdem sie sich bereits seit dem Jahr 2014 in einem Flüchtlingscamp in der Provinz * in der Region Irak-Kurdistan aufgehalten hat und im Übrigen die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung der Yeziden selbst in der Provinz Ninive, aus der die Klägerin ursprünglich stammt, im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) nicht mehr vorliegen (vgl. hierzu VG Augsburg, U.v. 15.1.2018 – Au 5 K 17.35594 – juris Rn. 51 ff. m.w.N.).
Jedoch kann sich die Klägerin entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auf die Grundsätze des Familienasyls in § 26 Abs. 3 AsylG berufen.
Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Art. 2 j) der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag auf Asylberechtigte anerkannt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist (Nr. 1), die Familie im Sinne des Art. 2 j) der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (Nr. 2), sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben (Nr. 3), und die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (Nr. 4) und sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben (Nr. 5). Diese Voraussetzungen liegen zu Gunsten der Klägerin vor.
Strittig unter den Beteiligten ist insoweit lediglich, ob zu Gunsten der Klägerin die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 AsylG vorliegen, was erfordert, dass die Klägerin ihren Asylantrag unverzüglich nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (hier am 29. August 2017 auf dem Luftweg von * nach *) gestellt hat. Diese Voraussetzung erachtet das Gericht zu Gunsten der Klägerin als gegeben, da diese am 7. September 2017 schriftlich über ihre Bevollmächtigten um Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nachgesucht hat. Auch die Beklagte geht ausweislich der von ihr im Verfahren vorgelegten Akte (dort Bl. 53) aus, dass die Klägerin nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland Anfang September schriftlich beim Bundesamt um Asyl nachgesucht habe.
Nach § 13 Abs. 1 AsylG liegt ein Asylantrag bereits dann vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder das er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Ein so verstandener Asylantrag muss „gestellt“ werden (sogenannter Asylantrag im engeren Sinne, vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1997 – 1 B 219.97 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 11). Gestellt werden kann der Asylantrag grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur bei der Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, und ausnahmsweise unter den in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Voraussetzungen bei einer anderen Außenstelle oder in den in § 14 Abs. 2 AsylG genannten Fällen bei dem Bundesamt (vgl. zum Ganzen NdsOVG, B.v. 8.12.2016 – 8 ME 183/16 – juris Rn. 6).
Dies zugrunde legend konnte die Klägerin am 7. September 2017 ihren Asylantrag schriftlich beim Bundesamt stellen. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist der Asylantrag beim Bundesamt zu stellen, wenn der Ausländer im Zeitpunkt der Antragstellung einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzt. Ausweislich der im Verfahren von der Beklagten vorgelegten Akte (dort Bl. 54) verfügte die Klägerin seit dem 4. September 2017 über eine bis zum 4. September 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Da mithin ein Aufenthaltstitel für die Klägerin mit einer Gesamtgeltungsdauer von einem Jahr vorliegt, war die Klägerin nicht darauf verwiesen, ihren Asylantrag gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der für sie zuständigen Außenstelle des Bundesamtes zu stellen. Die Klägerin hat mithin bereits Anfang September 2017 (7. September 2017) einen rechtskonformen Asylantrag beim Bundesamt gestellt.
Dieser war auch unverzüglich im Sinne des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 AsylG. Unverzüglich bedeutet – wie im Zivilrecht – „ohne schuldhaftes Zögern“ (Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26 Rn. 16). Erforderlich ist nicht eine sofortige, aber eine alsbaldige Antragstellung. Dies setzt grundsätzlich eine Antragstellung binnen zwei Wochen nach der Ersteinreise in die Bundesrepublik Deutschland voraus (vgl. VG Hamburg, U.v. 5.2.2014 – 8 A 1236/12 – juris Rn. 27 m.w.N.). Wie lange das Zögern mit einer Antragstellung dauern darf, bevor es schuldhaft wird, hängt grundsätzlich von einer Würdigung der besonderen Verhältnisse im konkreten Fall ab. Jedenfalls muss auch die Möglichkeit gewährleistet sein, Rechtsrat einzuholen (VG Leipzig, U.v. 7.1.2004 – A 6 K 30241/01 – juris Rn. 18). Nach diesen Grund-sätzen erfolgte die schriftsätzlich mögliche Asylantragstellung am 7. September 2017 unverzüglich und im Zusammenhang mit der Ersteinreise der Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland am 29. August 2017. Demnach hatte die Beklagte nicht mehr zu prüfen, ob für die Klägerin ein Rechtsanspruch auf Prüfung eigener Verfolgungsgründe gegeben war. Die Beklagte hatte nur noch über den abgeleiteten Status der Klägerin und nicht über den Antrag auf originäre Asylberechtigung bzw. auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden (vgl. Marx, a.a.O. § 26 Rn. 44).
Demzufolge besitzt die Klägerin einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte auf der Grundlage des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 1. Dezember 2017 war in Folge dessen teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.
3. Die Kosten des Verfahrens hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Beklagte zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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