Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für ein den Glauben in der Öffentlichkeit lebendes Mitglied der Ahmadiyya Glaubensgemeinschaft

Aktenzeichen  M 23 K 16.30422

Datum:
16.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 3c, § 3d, § 3e

 

Leitsatz

1. Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Pakistan sind nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ahmadi, die ihren Glauben öffentlich leben und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, haben in Pakistan mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen. (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggf. auch zu werben oder zu missionieren, steht auch – entgegen der Ansicht des Bundesamts – kein interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. (redaktioneller Leitsatz)
4. Es besteht keine inländische Schutzalternative für einen mit seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggf. auch zu werben oder zu missionieren. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
II. Der Bescheid des Bundesamts für … vom 15. Februar 2016 wird in den Nummern 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Mangels Vorliegen eines Zustellungsnachweises geht das Gericht von einer zulässigen, insbesondere fristgerechten Klagerhebung aus, vgl. § 4 VwZG.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts erweist sich daher insoweit als rechtswidrig, war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, da er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb seines Herkunftslands befindet.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, vgl. § 3a Abs. 1 AsylG. Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt gelten (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG), oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG). Die Prüfung der Verfolgungsgründe ist in § 3b AsylG näher geregelt. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es danach unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. In § 3a Abs. 3 AsylG ist geregelt, dass eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG und den Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m § 3a Abs. 1 und 2 AsylG bestehen muss.
Die Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Schutz vor Verfolgung kann gemäß § 3d Abs. 1 AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG. Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 – in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie – der humanitäre Charakter des Asyls – verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – NVwZ 2009, 1308).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989, a.a.O.). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Wer durch Vortrag eines Verfolgungsschicksals um Asyl nachsucht, ist in der Regel der deutschen Sprache nicht mächtig und deshalb auf die Hilfe eines Sprachmittlers angewiesen, um sich mit seinem Begehren verständlich zu machen. Zudem ist er in aller Regel mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Aufnahmelands, mit Behördenzuständigkeiten und Verfahrensabläufen sowie mit den sonstigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, auf die er nunmehr achten soll, nicht vertraut. Es kommt hinzu, dass Asylbewerber, die alsbald nach ihrer Ankunft angehört werden, etwaige physische und psychische Auswirkungen einer Verfolgung und Flucht möglicher-weise noch nicht überwunden haben, und dies ihre Fähigkeit zu einer überzeugen-den Schilderung ihres Fluchtgrunds beeinträchtigen kann (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – NVwZ 1996, 678).
Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger als bekennender Ahmadi sein Herkunftsland aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner religiösen Überzeugung verlassen hat und ihm im Fall einer Rückkehr nach Pakistan weiterhin Verfolgung droht.
Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung davon aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Pakistan nicht allein wegen ihres Glaubens und der Praktizierung ihres Glaubens einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind (vgl. ausführlich VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12; BayVGH, B.v. 5.2.2016 – 21 ZB 16.30014; OVG NRW, B.v. 21.1.2016 – 4 A 715/15.A – jeweils juris). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bedingungen wesentlich verschlechtert haben, sind nicht vorgetragen und sind auch den Erkenntnismitteln, die Gegenstand des Verfahrens sind, nicht zu entnehmen. Auch der aktuelle Lagebericht führt zwar aus, dass die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt werde und Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert würden. So sei es ihnen etwa verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder wie Muslime zu verhalten. Verstöße würden strafrechtlich geahndet. Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebe jedoch friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, im Folgenden: Lagebericht, Stand: Mai 2016, S. 14f.).
Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden. Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (vgl. ausführlich VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 116; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12; VG Wiesbaden, U.v. 12.6.2015 – 2 K 1300/14.WI.A; – VG Augsburg, U.v. 9.2.2015 – Au 6 K 14.30276 – juris). Ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya aus Pakistan, für den das Leben und Bekennen seines Glaubens in der Öffentlichkeit identitätsbestimmender Teil seines Glaubensverständnisses ist, besitzt die Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn er im Falle der Rückkehr sein öffentliches Glaubensbekenntnis unterlassen würde (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 117).
Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts ein mit seinem Glauben eng verbundener Ahmadi, für den die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit ein zentrales persönliches Anliegen und Teil seiner religiösen Identität ist. Dies folgt aus den unmittelbaren persönlichen Eindrücken aus der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 8. März 2017 sowie den dem Gericht vorliegenden Dokumenten und Lichtbildern.
Die vorgelegten Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 1. Dezember 2012 und 4. Juli 2016 bestätigen, dass der Kläger seit Geburt Mitglied der Gemeinde und „Musi“ sei. Er habe bereits in Pakistan guten Kontakt zur Gemeinde gepflegt. Der Kläger nehme auch in Deutschland regelmäßig an den Gebeten in der Moschee sowie an den lokalen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teil. Er entrichte seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Er helfe seiner örtlichen Gemeinde bei ehrenamtlichen Aufgaben, wie der Mithilfe von Informationsständen, sozialen Aktivitäten und ehrenamtlichen Gemeindetätigkeiten. Zusammenfassend wurde das Verhalten des Klägers der Gemeinde gegenüber als zufriedenstellend beschrieben.
Im Rahmen der Anhörung des Klägers durch das Bundesamt wurde der Kläger zu seiner Religiosität nicht befragt. Lediglich der von dem Kläger geschilderte Vorfall wurde thematisiert und im Ergebnis als unglaubwürdig zurückgewiesen. Hingegen unterblieb – wie der Bevollmächtigte zu Recht rügt – die Klärung der Religiosität des Klägers und sein Bedürfnis sich zu dieser Religion öffentlich zu bekennen. Dementsprechend konnte der Kläger hierzu erstmals im Rahmen der informatorischen Anhörung durch das Gericht Auskunft geben. Der Kläger schilderte hierbei nachvollziehbar und glaubhaft, dass er bereits in Pakistan aktiv in seiner Religionsgemeinschaft eingebunden war und dort auch über drei Jahre den Jugendunterricht täglich in der Moschee abgehalten habe. Er habe auch weitere soziale Arbeiten für die Gemeinde gemacht. Vieles was er gern gemacht hätte, sei jedoch in Pakistan nicht erlaubt gewesen. Er habe sich mit ca. 20 Jahren bewusst für die Abgabe der Musi-Erklärung entschieden, es sei für ihn ein schöner Weg, die Religion zu gehen. Aufgrund des Gelöbnisses sei er noch religiöser und achtsamer geworden. In Deutschland lebe er außerhalb von einer größeren Ahmadiyya Gemeinde. Dennoch treffe er sich regelmäßig bei dem örtlichen Präsidenten zum Gebet und versuche auch möglichst am Freitagsgebet in München teilzunehmen. Die Religion sei ihm das Wichtigste. Auch die sozialen Arbeiten, sowie die Mitarbeit an den Informationsständen mache er gerne. Er diene dabei Gott und seinem Glauben und könne Information über seinen Glauben weitergeben. Er hätte diese Öffentlichkeitsarbeit auch gerne in Pakistan getan, dort sei es aber nicht erlaubt; darunter habe er sehr gelitten. Als er das erste Mal bei der Jalsa Salana gewesen sei, habe er sich sehr gefreut und sei tief berührt gewesen, insbesondere, dass er den Kalif endlich persönlich gesehen habe. In Pakistan habe er sich nicht vorstellen können, dass er so etwas einmal erleben werde. Ergänzend wurde in der mündlichen Verhandlung das von dem Kläger vorgelegte Bildmaterial, das den Kläger bei verschiedenen Tätigkeiten zeigt, erörtert.
Die informatorische Anhörung des Klägers hat zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass der Kläger ein mit seinem Glauben eng verbundener Mensch ist. Zwar antwortete der Kläger zum Teil nur zögerlich auf die Fragen des Gerichts und konnte auch keine ausführliche Auskunft über Religionsunterschiede und Glaubensinhalte geben. Dennoch kommt das Gericht aufgrund des Gesamteindruckes den der Kläger hinterlassen hat, zu dem Ergebnis, dass der Kläger zwar nicht über profunde Religionskenntnisse verfügt, seinen Glauben jedoch in der Form wie er ihn von Geburt an kennengelernt hat als absolut betrachtet und in den Mittelpunkt seines Lebens stellt. Auch das von dem Kläger vorgelegte Bildmaterial bestätigt die Aussagen des Klägers. Unter Berücksichtigung des geringen Bildungsstandes des Klägers erscheint auch die zum Teil mangelhafte inhaltliche Kenntnis und kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben noch für nachvollziehbar – Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger auch nicht nachträglich zur Glaubensgemeinschaft konvertiert ist, sondern dieser seit Geburt angehört. Das Gericht ist im Ergebnis der Überzeugung, dass es sich bei dem Kläger um einen bekennenden Ahmadi handelt, für den insbesondere auch das Leben seines Glaubens in der Öffentlichkeit ein echtes Anliegen ist. Der Kläger wäre daher bei einer Rückkehr nach Pakistan unmittelbar einem realen Verfolgungsrisiko ausgesetzt (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 116ff).
Da dem Kläger somit bereits als bekennendem Ahmadi die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, ist es nicht mehr entscheidungserheblich, ob die von dem Kläger angeführten Überfälle auf ihn in Pakistan tatsächlich stattgefunden haben und auf seine Religionszugehörigkeit zurückzuführen sind.
Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht auch – entgegen der Ansicht des Bundesamts – kein interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 121; VG Augsburg, U.v. 9.2.2015 – Au 6 K 14.30276 – juris Rn. 45).
Nach alledem war der Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Aufhebung der entgegenstehenden Nummer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 15. Februar 2016 stattzugeben, so dass über die hilfsweise gestellten Anträge nicht mehr zu entscheiden war. Infolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft waren auch die Nummern 3, 4, 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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