Verwaltungsrecht

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes für Familie mit Kleinkindern aus dem Irak; Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen Krankheit

Aktenzeichen  Au 5 K 17.32201

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a

 

Leitsatz

1. Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht festgestellt werden, da aufgrund der Auskunftslage davon auszugehen ist, dass im Zentralirak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG stattfindet und auch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist; auch liegen keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände vor und es bstehen im Übrigen auch in anderen Teilen des Irak interne Schutzalternativen. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Irak ist auch wegen der äußerst angespannten, generellen medizinischen Versorgungssituation bei einem Kläger, der unter einem meningothelialer Tumor leidet, eine erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten. (Rn. 39 – 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für … vom 6. April 2017 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person des Klägers zu 3 ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner zu ¾, die Beklagte zu ¼. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger eine Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Kläger verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Für die Beklagte fehlt ein Ladungsnachweis. Die Beklagte hat jedoch mit Generalerklärung vom 27. Juni 2017 auf die Einhaltung von Ladungsfristen ausdrücklich verzichtet.
1. Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 6. April 2017 ist insoweit rechtswidrig, als er in Nr. 3 ein nationales Abschiebungsverbot für den Kläger zu 3 ablehnt. Im Übrigen ist der Bescheid des Bundesamtes vom 6. April 2017 rechtmäßig und nicht geeignet, die Kläger in ihren Rechten zu verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Soweit die Kläger mit ihrer Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage der §§ 3, 3b AsylG begehren, bleibt die zulässige Klage ohne Erfolg. Die Kläger besitzen keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Dies zugrunde gelegt besitzen die Kläger und hier insbesondere der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Vortrag sowohl gegenüber dem Bundesamt bei ihrer persönlichen Anhörung als auch in der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2017 knüpft bereits nicht an ein asylrechtlich relevantes Merkmal im Sinne der §§ 3, 3b AsylG an. Der Vortrag der Kläger zu 1 und 2 erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass Bedrohungen gegen den Kläger zu 1 aufgrund der Tatsache ausgesprochen wurden, dass dieser Informationen als Zeuge einer Ermordung seines Nachbarn durch die Terrormiliz Asaib Al el-Haq an die Polizei weitergegeben habe. In Folge dieser Umstände sei auch das noch in … vorhandene Haus der Familie mit einer Rakete angegriffen worden. Selbst wenn man den Vortrag der Kläger zu 1 und 2 als glaubwürdig erachtet, besitzt dieser keine flüchtlingsrechtliche Relevanz vor dem Hintergrund der in §§ 3, 3b AsylG genannten Flüchtlingsschutz vermittelnden Merkmale. Bei den gegen den Kläger zu 1 ausgesprochenen Bedrohungen, sofern man diese für wahrheitsgemäß erachtet, handelt es sich vielmehr um kriminelles Unrecht, bezüglich dessen der Kläger zu 1 um Schutz durch die irakischen Sicherheitskräfte bzw. die irakische Polizei nachsuchen muss. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an die Kläger war daher bereits aus diesem Grund abzulehnen.
3. Die Kläger besitzen aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage von § 4 AsylG. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren. Auch subsidiärer Schutz wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer internen Schutz in Anspruch nehmen kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG). Den Klägern droht bei einer Rückkehr in den Irak kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG. Eine derartige Gefährdung haben die Kläger bereits nicht aufgezeigt.
Die Gefahr eines ernsthaften Schadens in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG kann vorliegend nicht festgestellt werden. Für die Beurteilung der Frage des Bestehens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist, sofern der Konflikt nicht landesweit besteht, auf die Herkunftsregion der Kläger abzustellen, in die sie typischerweise zurückkehren werden. Ist für die maßgebliche Region eine individuelle Bedrohung entweder wegen gefahrerhöhender individueller Umstände oder ausnahmsweise wegen eines besonders hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen eines bewaffneten Konflikts anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Kläger in anderen Teilen des Irak, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz finden können (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris).
Die Kläger stammen aus … in Zentralirak. Das Gericht geht aufgrund der Auskunftslage davon aus, dass im Zentralirak (…) zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG stattfindet und auch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren in der Person der Kläger führen könnten, sind bei einer Rückkehr nach … nicht ersichtlich bzw. zu befürchten.
4. Entgegen der Feststellung im mit der Klage angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 6. April 2017 liegt in der Person des Klägers zu 3 ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur sogenannte „zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse erfasst werden, das heißt nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich dabei auch daraus ergeben, dass die im Abschiebezielstaat zu erwartende Rechtsgutbeeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten besteht, unter welcher der Ausländer bereits in der Bundesrepublik Deutschland leidet (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – DVBl 1998, 284; U.v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – NVwZ 1998, 526).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, die diesem alsbald nach seiner Rückkehr in die Heimat droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris).
Im Hinblick auf eine geltend gemachte Erkrankung und eine unzureichende medizinische Behandlungsmöglichkeit im Zielstaat der Abschiebung ist eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben zu bejahen, wenn im Zielstaat eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu befürchten ist, was dann der Fall ist, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern wird (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2.99 – juris).
Der Begriff der wesentlichen Verschlechterung liegt nur dann vor, wenn die befürchtete ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustandes nach Rückkehr derart gravierend sein wird, so dass außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden oder existenzbedrohende Zustände zu erwarten sind. Daraus folgt zugleich, dass eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann vorliegt, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nämlich nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des soziales Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner geschützten Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dementsprechend auch nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 116.05 – juris).
Nach diesen Maßstäben besteht in Bezug auf den Kläger zu 3 im Falle seiner Rückkehr in den Irak dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben im vorgenannten Sinne.
Der Kläger zu 3 leidet an einem atypischen Meningeom WHO Grad II links temporal, der zwischenzeitlich teilweise entfernt worden ist. Ein größenkonstanter Tumorrest ist im Kopf des Klägers zu 3 verblieben. Eine vollständige Resektion war nach fachärztlicher Feststellung aufgrund der Ummauerung der A. cerebri media durch den Tumor nicht möglich. Nach der pathologischen Untersuchung leidet der Kläger zu 3 an einem meningothelialer Tumor. Der Kläger bedarf diesbezüglich der intensiven ambulanten Nachbetreuung. Nach den im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Berichten sowohl des Klinikums … als auch des Klinikums der … bedarf der Kläger zu 3 intensiver neurochirurgischer ambulanter Nachbetreuung.
Das Gericht sieht die beim Kläger zu 3 vorhandene Tumorerkrankung nicht als „allgemeine Gefahr“, welche unter die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG fällt.
Trotz bestehender erheblicher Gefahr ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Verfahren eines einzelnen Ausländers dann gesperrt, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr einer Bevölkerungsgruppe, das heißt einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen in gleicher Weise droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt entschieden wird, sondern für die ganze Gruppe der potentiell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG. Zwar sind zielstaatsbezogene Krankheitsfolgen in der Regel als individuelle Gefahren anzusehen; ausnahmsweise stellen sie jedoch dann eine allgemeine Gefahr dar, wenn sie im Herkunftsland so weit verbreitet sind, dass viele Menschen hiervon betroffen sind, und wenn es deshalb – anders als bei zwar nicht singulären, aber weniger verbreiteten Krankheiten sowie solchen Erkrankungen, die unter ausländerpolitischen Gesichtspunkten eine Befassung der obersten Landesbehörden sowie eine bundeseinheitliche Praxis nicht erfordern – einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedarf, mit der Folge, dass die Sperrwirkung des § 66 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eingreift (BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 16/05 – juris; BayVGH B.v. 20.1.2011 -13 A ZB 10.302283 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat in derartigen Fällen stets darauf abgestellt, dass der Ausländer „sein Fluchtschicksal mit vielen anderen teilt“ (BVerwG, U.v. 18.3.1998 -9 C 36/97 – juris). Dies zugrunde gelegt handelt es sich bei der Erkrankung des Klägers zu 3 um eine singuläre Erkrankung, die nicht von der Sperrwirkung einer geltenden Erlasslage erfasst wird.
Das Gericht ist der Auffassung, dass eine adäquate Behandlungsmöglichkeit, wie sie für den Kläger zu 3 ausweislich der vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen nach wie vor erforderlich ist, im Irak nicht gewährleistet und eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers zu 3 zu befürchten ist. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die generelle medizinische Versorgungssituation im Irak äußert angespannt ist. Selbst in … arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten zwar generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land zwischenzeitlich verlassen. Während vor 2003 insgesamt 34.000 Ärzte landesweit registriert waren, gab es nach Angaben des Gesundheitsministeriums bereits im Jahr 2008 im Irak nur noch 19.343 Ärzte. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen 1.989 örtlichen Gesundheitszentren sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller oder Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Viele Krankenhäuser verfügen über eine mangelnde Energie- und Trinkwasserversorgung sowie schlechte hygienische Bedingungen, weil sie keinen geregelten Zugang zur Abwasser- und Müllentsorgung haben. Aus dieser allgemeinen Lage des Gesundheitssystems ist zu schließen, dass die für den Kläger zu 3 erforderliche spezifische Tumorbehandlung im Irak nicht gewährleistet sein dürfte. Dies gilt selbst für die Großstadt, aus der die Kläger stammen. Für den Kläger zu 3 ist ein umfangreiches ärztliches Monitoring zur ärztlichen Behandlung der nach wie vor vorhandenen Tumorerkrankung erforderlich. Aufgrund der zwischenzeitlich aufgetretenen Folgebeeinträchtigungen der Sehkraft und des Sprachvermögens, ist eine darüber hinausgehende ärztliche Betreuung aufgezeigt.
Für den Kläger zu 3 ist daher aufgrund der bei ihm vorhandenen spezifischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Insoweit war der entgegenstehende Bescheid des Bundesamtes vom 6. April 2017 teilweise aufzuheben und die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes zu Gunsten des Klägers zu 3 zu verpflichten.
5. Für die übrigen Kläger besteht hingegen kein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Beruft sich der Ausländer auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden auch Gefahren durch die desolate Versorgungslage neben Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiter in dem Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420). Demzufolge ist in Bayern die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin ausgesetzt (vgl. BayVGH, U.v. 10.5.2005 – 23 B 05.30217 – juris Rn. 30). Damit liegt aber eine Erlasslage im Sinne des § 60 a AufenthG vor, welche den Kläger n zu 1, 2 und 4 derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass den Klägern nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – nicht veröffentlicht; BVerwG, B.v. 1.9.2005 – 1 B 68/05 – juris; B.v. 22.3.2006 – 1 C 13.05 – veröffentlicht unter www.bverwg.de).
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind für die Kläger zu 1, 2 und 4 weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
6. Mit Blick darauf, dass der Kläger zu 3 Anspruch auf die Feststellung hat, dass in seiner Person ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich des Irak vorliegt, erweisen sich auch die diesbezügliche Abschiebungsandrohung nach §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG (Nr. 4 des angefochtenen Bescheides) sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG (Nr. 5 des angefochtenen Bescheides) als teilweise rechtswidrig.
Der Klage war daher teilweise stattzugeben; im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO und trägt dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten Rechnung. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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