Aktenzeichen M 2 K 16.31567
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4
AsylG AsylG § 3 c, 3 d, 3 e, § 4 Abs. 3
Leitsatz
1 Es kann dahinstehen, ob bei einer Bedrohung durch die Taliban ganz allgemein und generell davon auszugehen ist, die grundsätzlich schutzwillige afghanische Regierung sei nicht in der Lage, wirksamen Schutz zu bieten. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einzelfall, in dem der afghanische Staat und in § 3c Nr. 2 AsylG genannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, im Sinne des § 3d Abs. 2 AsylG wirksamen Schutz vor einem ersthaften Schaden durch die regierungsfeindlichen Gruppierungen der Taliban zu bieten. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3 Selbst in Fällen einer Bedrohung durch die Taliban wird man – abgesehen von exponierten Betroffenen – nicht ganz allgemein und generell davon ausgehen können, ein Betroffener könne zB in einer Großstadt wie etwa Kabul keinen asylrechtlich hinreichenden internen Schutz im Sinne des § 3e AsylG erlangen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13.06.2016 wird in den Nrn. 3 bis 6 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der ordnungsgemäß geladenen Beklagten entschieden werden. Die Regierung von Oberbayern ist zwar aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses Verfahrensbeteiligter. In diesen Erklärungen hat die Regierung von Oberbayern allerdings darum gebeten, ihr aus-schließlich die jeweilige Letzt- und Endentscheidung zu übersenden und damit unter anderem auch auf eine Ladung zur mündlichen Verhandlung verzichtet.
Die zuletzt im Hauptantrag nur mehr auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2016 war in Ziffern 3. bis 6. aufzuheben, weil er insoweit diesem Anspruch entgegensteht (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Hingegen ist die Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16 a GG) und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) in Ziffern 1. und 2 des Bescheids bestandskräftig geworden. Da mithin die Klage bereits im Hauptantrag erfolgreich ist, war über den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nicht mehr zu entscheiden.
Der Kläger hat gegen die Beklagten Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, da er zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland Afghanistan ein ernsthafter Schaden droht (sogleich 1.). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens geht von den Taliban als nichtstaatlichen Akteuren aus, wobei der afghanische Staat und in § 3 c Nr. 2 AsylG genannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen jedenfalls im Einzelfall des Klägers erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor einem ernsthaften Schaden zu bieten (§ 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. §§ 3 c Nr. 3, 3 d AsylG; dazu sogleich 2.). Im Einzelfall des Klägers besteht auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 e AsylG (sogleich 3.).
1. Dem Kläger droht in Afghanistan ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 AsylG). Zur Überzeugung des Gerichts würde der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan dort von den Taliban ernsthaft mit dem Tode bedroht. Eine solche Tötung stellte zweifellos eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. Der Kläger war vor seiner Ausreise in Afghanistan von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht (sogleich a)), es gibt keine stichhaltigen Gründe, die dagegen sprächen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan erneut von einem solchen Schaden bedroht würde (sogleich b)).
a) Zur Überzeugung des Gerichts war der Kläger vor seiner Ausreise aus Afghanistan unmittelbar von einer Tötung durch die Taliban bedroht.
Zwar hatte der Kläger bei seiner Anhörung beim Bundesamt – worauf die Beklagte im Bescheid zu Recht hinweist – noch davon gesprochen gehabt, er selbst habe in Afghanistan keine Probleme gehabt, und nur auf die Tötung seines Bruders M. und recht allgemein auf große Probleme seines Vaters hingewiesen. Im Gerichtsverfahren hat der Kläger indes dann von Anfang neben einer Konkretisierung seines Vorbringens beim Bundesamt darüber hinaus u.a. auch neu vorgetragen, die Taliban hätten seinem Vater bei der Trauerfeier für den verstorbenen Bruder M. 40 Tage nach dessen Tötung durch die Taliban damit gedroht, auch die weiteren Söhne des Vaters und damit u.a. auch ihn selbst umzubringen, woraufhin der Vater beschlossen habe, die ganze Familie müsse aus Afghanistan fliehen. Das Gericht verkennt nicht, dass diesem Vorbringen im Gerichtsverfahren vor allem bezüglich der eigenen Bedrohung eine nicht unerhebliche Steigerungstendenz gegenüber jenem im behördlichen Asylverfahren innewohnt, mithin nach dem ersten Anschein insoweit Zweifel am Wahrheitsgehalt des klägerischen Vorbringens aufkommen könnten. Indes ist das Gericht nach umfassender Aufklärung des Sachverhalts bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere aufgrund der glaubhaften Einlassung des glaubwürdigen Klägers in der mündlichen Verhandlung und vor allem auch den glaubwürdigen Einlassungen der glaubhaften Eltern des Klägers beim Bundesamt (vgl. die beigezogenen Behördenakten) sowie in der mündlichen Verhandlung als Zeugen, ferner aufgrund weiterer Beweismittel wie insbesondere des Fotos von dem Grabmal des Getöteten M. und der Bestätigung des Q., zu der Überzeugung gelangt, dass das vom Kläger im gerichtlichen Verfahren behauptete individuelle Schicksal der Wahrheit entspricht und auch er selbst von einem ernsthaften Schaden in Gestalt einer Tötung durch die Taliban unmittelbar bedroht war. Im Einzelnen:
aa) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass sein Bruder M. am 15. Januar 2012 ermordet wurde: Diesen Umstand hatte der Kläger bereits bei seiner Anhörung beim Bundesamt vorgebracht gehabt (Bl. 44 BA). Auch sein Vater und seine Mutter hatten bereits bei ihrer Anhörung beim Bundesamt, die am gleichen Tag wie jene des Klägers stattfand, von der Ermordung des M. berichtet gehabt (Bl. 79 BA, Bl. 84 BA). Auch hat der Vater des Klägers die genauen Umstände der Geschehnisse im Zusammenhang mit der Tötung des M am 15. Januar 2012 – bei der im Protokoll des Bundesamts, Bl. 79, 84 BA, angegebenen Jahreszahl 2011 handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um einen Umrechnungs- oder Schreibfehler – beim Bundesamt und als Zeuge in der mündlichen Verhandlung detailliert, plausibel und im Wesentlichen widerspruchsfrei geschildert (Bl. 79 BA, S. 8 ff. des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2017 – SP 2). Gleiches gilt für die Schilderung der Geschehnisse durch den Kläger aus dessen Sicht (Bl. 44 BA, S. 8 f. des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2017 – SP 1). Die Angaben des Klägers und seines Vaters stimmen auch im Wesentlichen überein, z.B. hinsichtlich der Angabe, dass der Vater den Kläger telefonisch über den Tod des M. unterrichtet hatte und dass sich der Kläger anschließend mit dem Vater am Fundort der Leiche getroffen hatte (S. 8 f. SP 1, S. 9 SP 2). Einen zusätzlichen Nachweis für den gewaltsamen Tod des M. am 15. Januar 2012 bringt auch das vom Kläger vorgelegte Foto, das dessen Grabmal zeigt: Dieses Foto hatte der Kläger bereits mit der Klagebegründung vom 28. Juli 2016 erstmals vorlegen lassen. Auf gerichtliche Aufforderung hin hat er dann anschließend an die erste mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 11. Juli 2017 u.a. eine Vergrößerung des das Grabmal zeigenden Bereichs dieses Fotos mit nunmehr lesbarer Grabinschrift vorlegen lassen. Der Grabinschrift lässt sich entnehmen, dass der M. am 25.10.1390 – das entspricht dem 15. Januar 2012 – ermordet wurde. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 11. Juli 2017 eine entsprechende Übersetzung der Grabinschrift in die deutsche Sprache vorgelegt. Der gerichtliche Dolmetscher hat in der mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2017 eine sinngemäß übereinstimmende Übersetzung der Grabinschrift vorgenommen.
bb) Das Gericht glaubt dem Kläger auch, dass sein Bruder M. von den Taliban ermordet wurde und dass dies geschah, weil sein beim afghanischen Landwirtschaftsministerium beschäftigter Vater nicht mit diesen zusammengearbeitet hatte.
Dies ergibt sich vor allem aus der glaubwürdigen Einlassung des Vater des Klägers: Schon beim Bundesamt hatte dieser darüber berichtet gehabt, dass er für das afghanische Landwirtschaftsministerium zuletzt in Nangarhar tätig gewesen sei und in diesem Zusammenhang Mitte 2011 eine Notiz der Taliban mit der Aufforderung zur Zusammenarbeit erhalten habe und sich die Taliban zu dem Mord an M. bekannt hätten (Bl. 79 BA). Bei seiner Befragung als Zeuge in der mündlichen Verhandlung konnte der Vater des Klägers dann noch weitaus detaillierter und in jeder Hinsicht plausibel seine Tätigkeit als Mitarbeiter des afghanischen Landwirtschaftsministeriums in verschiedenen Provinzen u.a. zuletzt im Rahmen einer Daueranstellung in der Provinz Nangarhar beschreiben (S. 4, S. 6 f. SP 2), gleiches gilt hinsichtlich Art und Weise, Zeitpunkt sowie Ziel der Kontaktaufnahme bzw. der Drohungen der Taliban (S. 4 ff. SP 2) und das Bekenntnis der Taliban zu dem Mord an M. (S. 8, S. 9 SP 2). Scheinbare Widersprüche und Ungereimtheiten konnte der Vaters des Klägers auf gerichtlichen Vorhalt hin ausräumen: So hat er etwa hinsichtlich des zeitlichen Beginns der Drohungen durch die Taliban die auf den ersten Blick bestehende Diskrepanz zwischen den wiederholten Angaben im Gerichtsverfahren – Anfang 2010 hätten die Drohungen begonnen (z.B. S. 5 SP 2) – und beim Bundesamt – (erst) Mitte 2011 habe er eine Notiz der Taliban erhalten (Bl. 79 BA) – plausibel erklären können: Danach bezieht sich der beim Bundesamt erwähnte Zeitpunkt des Erhalts der Notiz Mitte 2011 auf die Zeit, nachdem er in der Provinz Nangarhar die Daueranstellung erhalten hatte (vgl. S. 5 SP 2). Diese Einlassung auf Vorhalt des Gerichts steht im Einklang mit der in der mündlichen Verhandlung zuvor getätigten Aussage des Vaters, nachdem er die Daueranstellung in der Provinz Nangarhar erhalten habe, hätten ihm die Taliban über ein kleines Kind eine Notiz geschickt (S. 4 f. SP 2). Der Beginn der Drohungen schon Anfang 2010 (S. 5 SP 2) stimmt wiederum überein mit der anderen, zuvor getätigten Angabe des Vaters, er sei bereits zuvor während seiner Tätigkeit in den Provinzen Ghazni und Helmand gelegentlich nach Nangarhar geschickt worden und dort von den dortigen Taliban kontaktiert worden (S. 4 SP 2).
Die Angaben des Vaters des Klägers stehen ferner auch im Einklang mit den hierzu seitens des Klägers getätigten Aussagen in der mündlichen Verhandlung, soweit dieser hierzu Angaben machen konnte (S. 4 f. SP 1). Der Umstand, dass der Kläger selbst beim Bundesamt noch keine näheren Angaben zu den Problemen seines Vaters und zum Hintergrund der Tötung des M. machen konnte, steht der Glaubwürdigkeit der Angaben des Vaters beim Bundesamt und bei Gericht sowie jener des Klägers im Gerichtsverfahren nicht entgegen: Der Vater des Klägers hat bei seiner Zeugeneinvernahme bekräftigt, dass er u.a. den Kläger zunächst nicht bzw. nur rudimentär über die Hintergründe der Tötung des M informiert hatte (S. 10 SP 2). Diese Angabe steht mit der diesbezüglichen Einlassung des Klägers (S. 3 f. SP 1) im Einklang. Die Aussagen des Vaters und des Klägers sind vor dem Hintergrund der stärker patriarchalisch geprägten afghanischen Familientraditionen (vgl. dazu auch die Einlassung des Vaters zu seiner Stellung als Familienoberhaupt S. 11 f. SP 2) und der offenbar innerhalb der Familie bestehenden Konfliktsituation nach der Tötung des M. (vgl. S. 4 SP 1, S. 10 SP 2) auch plausibel. Stimmig ist auch die Einlassung des Klägers, sein Vater habe zunächst gesagt, er wolle im Interview alles selbst sagen, erst nach Ergehen des verfahrensgegenständlichen Ablehnungsbescheides habe der Vater den ganzen Hintergrund erzählt (S. 3 SP 1). In der Tat hatte der Vater des Klägers bereits bei seiner Anhörung beim Bundesamt, die am selben Tag wie jene des Klägers stattfand, über die Hintergründe der Tötung des M. ausführlich berichtet.
Schließlich ist der geschilderte Geschehensablauf, Ermordung des M. als Familienangehöriger eines Regierungsmitarbeiters durch Taliban, gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln (z.B. UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, S. 47) auch uneingeschränkt plausibel, wobei vorliegend gefahrerhöhend noch hinzukam, dass der Vater als Regierungsmitarbeiter dem Verlangen der Taliban nach einer Zusammenarbeit nicht entsprochen hatte.
cc) Zur Überzeugung des Gerichts ist ferner davon auszugehen, dass die Taliban auch den Kläger selbst mit dem Tode bedroht hatten: Der Vater des Klägers hatte bereits beim Bundesamt (Bl. 79 BA) und auch als Zeuge bei Gericht (S. 8 SP 2) glaubwürdig ausgesagt, dass ihm die Taliban bei der Trauerfeier 40 Tage nach dem Tod des M. gedroht hätten, neben M. würden auch seine weiteren Söhne und damit u.a. auch der Kläger als nächstältester Sohn umgebracht werden. Auch der Kläger selbst hatte bereits in der Klagebegründung mit Schriftsatz vom 28. Juli 2016 und hat erneut in der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2017 (S. 9 SP 1) von dieser u.a. gegen ihn gerichteten Drohung der Taliban berichtet. Der Umstand, dass der Kläger bei seiner eigenen Anhörung beim Bundesamt noch nicht von einer gegen ihn persönlich gerichteten Drohung gesprochen hatte, erweckt keine durchgreifenden Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Einlassung: Gemessen an den Aussagen des Vaters des Klägers beim Bundesamt und als Zeuge bei Gericht wurde diese Drohung nur gegenüber ihm persönlich ausgesprochen. Dies steht im Einklang mit der Einlassung des Klägers, er habe diese Drohung bei der Trauerfeier nicht selbst mitbekommen (S. 9 SP 1). Auch hat der Vater des Klägers als Zeuge in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig ausgesagt, er habe den Kläger nicht weiter damit beschäftigen wollen und ihm nichts darüber sagen wollen (S. 10 SP 2). Wie oben bereits näher ausgeführt wurde, ist ein solches Verhalten angesichts der patriarchalischen Familientradition und der bestehenden Konfliktsituation auch plausibel. Stimmig ist auch insoweit die Einlassung des Klägers, sein Vater habe zunächst gesagt, er wolle im Interview alles selbst sagen, erst nach Ergehen des verfahrensgegenständlichen Ablehnungsbescheides habe der Vater den ganzen Hintergrund erzählt (S. 3 SP 1). In der Tat hatte der Vater des Klägers auch über die Drohung der Taliban gegen den Kläger auf der Trauerfeier bereits bei seiner Anhörung beim Bundesamt berichtet.
dd) Darüber hinaus spricht auch das weitere Verhalten der Familie des Klägers bis zur Ausreise aus Afghanistan am 1. Oktober 2012 für die Glaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens, er selbst sei von den Taliban mit dem Tode bedroht gewesen: Für das Fortbestehen einer Bedrohung durch die Taliban auch nach der Tötung des M spricht schon, dass die Familie des Klägers vergleichsweise zeitnah nach der Drohung u.a. gegen den Kläger auf der Trauerfeier 40 Tage nach der Ermordung des M. Afghanistan verlassen hatten. Zudem hatte die Familie des Klägers bereits wenige Wochen nach der Drohung auf der Trauerfeier ihr Haus verlassen und war in eine Mietwohnung gezogen. Die letzte Tage vor der Ausreise verbrachte die Familie des Klägers bei dem Freund des Vaters Q., der dem Vater des Klägers überdies bei der Organisation der Ausreise behilflich war. Auch diese rasch nach der Drohung der Taliban eingeleiteten Maßnahmen sprechen dafür, dass unverändert eine Bedrohungssituation für die Familie vorlag. Dass sich die Geschehnisse so abgespielt hatten, ergibt sich aus den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung (S. 10 SP 1) und der vom Kläger mit Schriftsatz vom 28. Juli 2016 vorgelegten Bestätigung des Q. Der gerichtliche Dolmetscher hat in der mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2017 bestätigt, dass die vom Kläger beigebrachte Übersetzung dieser Bestätigung des Q. in die deutsche Sprache sinngemäß richtig ist. Für die Glaubwürdigkeit dieser Bestätigung spricht, dass sich deren Ersteller Q. auf eine Beschreibung der ihm bekannten Tatsachen beschränkt und davon abgesehen hat, der Familie des Klägers scheinbar nützlich Umstände wie z.B. das Bestehen eine Bedrohung durch die Taliban zu bestätigen, obwohl Q. hierüber aus eigener Anschauung nichts Wesentliches hätte wissen können. Für eine tatsächlich bestehende Bedrohung u.a. auch des Klägers selbst durch die Taliban streitet schließlich auch der Umstand, dass dessen Vater ihm in der Zeit bis zur Ausreise verboten hatte, die Wohnung zu verlassen. Auch dies ergibt sich übereinstimmend aus den auch insoweit glaubwürdigen Angaben des Klägers (S. 9 SP 1) und dessen Vaters (S. 12 SP 2).
ee) Keine durchgreifende Bedeutung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens misst das Gericht den im gerichtlichen Verfahren zusätzlich vorgebrachten Vorkommnissen im Herbst 2010 (den Kläger betreffend) und im April 2011 (einen jüngeren Bruder des Klägers betreffend) zu. Zwar mag insbesondere der gegen den Kläger gerichtete gewaltsame Angriff im Herbst 2010 tatsächlich stattgefunden haben, was vor allem die Angaben des Entwicklungshelfers H. in der eidesstattlichen Versicherung und in der mündlichen Verhandlung bestätigten dürften. Ob dieser Vorfall indes tatsächlich im Zusammenhang mit einer Bedrohung durch die Taliban wegen der beruflichen Tätigkeit des Vaters stand, ist indes fraglich geblieben. Beim Bundesamt hatten jedenfalls weder der Kläger noch dessen Vater diesen Vorfall erwähnt gehabt. Dies lässt darauf schließen, dass der Kläger und dessen Vater noch zum Zeitpunkt der Anhörungen am 17. September 2014 keine Verknüpfung zwischen diesem Vorfall und der späteren Ermordung des M. durch die Taliban und der sich anschließenden Drohung u.a. gegenüber dem Kläger hergestellt hatten. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass vor allem der Vater des Klägers aber auch dieser selbst diesen Vorfall nachträglich in einen Gesamtzusammenhang mit den Vorkommnissen Anfang 2012 einzuordnen versuchen, was wohl mit der offenbar erst nach Ergehen der ablehnenden Bescheide erstmals in Gang gekommenen gemeinsamen Aufarbeitung dieser lebensprägenden Vorkommnisse zusammenhängen könnte. Ob diese subjektive klägerische Einschätzung objektiv richtig ist, kann indes dahingestellt bleiben: Denn der Umstand, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Afghanistan unmittelbar von einer Tötung durch die Taliban bedroht war, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts allein schon aus den Vorkommnissen Anfang 2012, als der Bruder des Klägers M. von den Taliban ermordet wurde und diese 40 Tage später auf der Trauerfeier eine Todesdrohung u.a. gegenüber dem Kläger ausgesprochen hatten.
b) Es ist auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan erneut ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer Tötung durch die Taliban drohen würde.
Hierbei ist entscheidend zu berücksichtigten, dass dem vorverfolgten Kläger die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zu Gute kommt. Danach ist die u.a. die Tatsache, dass ein Antragsteller – wie hier der Kläger – von einem ersthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Vorliegend gibt es zur Überzeugung des Gerichts keine stichhaltigen Gründe, die dagegen sprächen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan erneut von den Taliban mit dem Tode bedroht wäre: Zwar ist seit den Vorkommnissen Anfang 2012 mittlerweile einige Zeit vergangen und ist auch der Vater des Klägers nicht mehr für das Landwirtschaftsministerium tätig. Gleichwohl darf vorliegend nicht übersehen werden, dass der Kläger ein erkennbar erhöhtes Risikoprofil für gegen ihn gerichtete Maßnahmen der Taliban hat, weil er selbst bereits direkt in deren Visier geraten war: Auf der Trauerfeier 40 Tage nach der Tötung des M. hatten die Taliban gegenüber dem Vater u.a. damit gedroht, neben dem M. konkret auch den Kläger als zweitältesten Sohn umzubringen. Ferner ist vor allem zu berücksichtigen, dass es im Fall der Familie des Klägers nicht nur bei bloßen Drohungen der Taliban geblieben ist, sondern dass diese ihre Drohung in Bezug auf den M. bereits in die Tat umgesetzt hatten. Dies belegt, dass die Taliban im Fall der Familie des Klägers ihre Todesdrohungen ernst meinen. Hinzu kommt noch, dass die Familie des Klägers nach den glaubwürdigen Angaben des Klägers sowie seiner Eltern (S. 3 SP 1, S. 10 f. SP 2, S. 13 SP 2) zumindest in Kabul durchaus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt waren. Dies exponiert den Kläger zusätzlich. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie sei durch „stichhaltige Gründe“ wiederlegt.
Der Kläger kann auch nicht mit der Hoffnung vertröstet werden, nach all den Jahren und weil sein Vater nicht mehr Regierungsmitarbeiter ist, hätten ihn die Taliban womöglich zwischenzeitlich vergessen und bedrohten ihn nicht mehr mit dem Tode. Hierfür mag es zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit geben. Dem Kläger kann indes nicht zugemutet werden, dieses Risiko einzugehen und womöglich doch das gleiche Schicksal wie sein getöteter Bruder zu erleiden, was zur Überzeugung des Gerichts beachtlich wahrscheinlich ist.
2. Auch die Voraussetzung des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 c AsylG sind gegeben: Die regierungsfeindlichen Gruppierungen der Taliban sind nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 3 c Nr. 3 AsylG. Der afghanische Staat und in § 3 c Nr. 2 AsylG genannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen sind gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln jedenfalls im Einzelfall des Klägers erwiesenermaßen nicht in der Lage, im Sinne des § 3 d Abs. 2 AsylG wirksamen Schutz vor einem ersthaften Schaden durch die nichtstaatlichen Akteure zu bieten. Die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich meist um Anführer von Milizen, die zwar nicht mit staatlichen Befugnissen, aber mit faktischer Macht ausgestattet sind, die sie häufig missbrauchen. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Personen kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des schwachen Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben diese Menschenrechtsverletzungen daher häufig ohne Sanktionen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand September 2016, vom 19. Oktober 2016, S. 17).
Dahingestellt kann bleiben, ob bei einer Bedrohung durch die Taliban ganz allgemein und generell davon auszugehen ist, die grundsätzlich schutzwillige afghanische Regierung sei nicht in der Lage, wirksamen Schutz zu bieten. Jedenfalls im Einzelfall des Klägers, der dadurch geprägt ist, dass dieser bereits selbst direkt ins Visier der Taliban geraten und mit dem Tode bedroht war, dass die Taliban im Fall der Familie des Klägers ihre Todesdrohungen durch die Ermordung des Bruders M. bereits in die Tat umgesetzt hatten und dass die Familie des Klägers zumindest in Kabul einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war (siehe dazu näher schon oben unter 1. b)), kann gemessen an den Erkenntnismitteln nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger wirksamen Schutz im Sinne des § 3 d AsylG erhalten könnte. Der Fall des Klägers hebt sich insbesondere deutlich ab von all jenen Fällen, in denen es nur zu allgemeinen Bedrohungen der Taliban gegen die Familie eines Betroffenen gekommen ist. Haben die Taliban den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan weiterhin im Visier und wollen sie ihn wie schon seinen Bruder M. töten, was zur Überzeugung des Gerichts beachtlich wahrscheinlich ist (siehe dazu schon oben unter 1. b)), stünde dem exponierten Kläger zur Überzeugung des Gerichts kein wirksamer Schutz im Sinne des § 3 d AsylG zur Verfügung.
3. Im Einzelfall des Klägers besteht auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 e AsylG. Danach wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen. Die Beurteilung, ob eine Fluchtalternative besteht, hängt deshalb auch maßgeblich davon ab, in welchem Ausmaß ein Betroffener vorverfolgt ist, und wie sehr er ins Visier seiner Verfolger gelangt ist (ebenso VG München, U. v. 20.6.2017 – M 26 K 17.30772 – juris Rdnr. 25).
Zwar wird man selbst in Fällen einer Bedrohung durch die Taliban nicht ganz allgemein und generell davon ausgehen können, ein Betroffener könne z.B. in einer Großstadt wie etwa Kabul keinen asylrechtlich hinreichenden internen Schutz im Sinne des § 3 e AsylG erlangen. Anders ist dies indes im Einzelfall für exponierte Betroffene wie vorliegenden den Kläger zu sehen: Hierbei ist zu berücksichtigten, dass die Taliban nach den Erkenntnismitteln auch in größeren Städten wie Kabul oder Herat agieren und im Einzelfall auch in der Lage sein dürften, eine Person zu finden, die sich in einer anderen Provinz niedergelassen hat. Das gilt insbesondere für das „Aufspüren ihrer wohl bekannten und gut aufgestellten Gegner“ wie beispielsweise Mitarbeiter der Regierung oder internationaler NGOs (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Whether the Taliban has the capacity to pursue individuals after they relocate to another region; their capacity to track individuals over the long term; Taliban capacity to carry out targeted killings, 15. Februar 2016). Laut dem Immigration and Refugee Board of Canada (Afghanistan: Whether the Taliban has the capacity to pursue individuals after they relocate to another region; their capacity to track individuals over the long term; Taliban capacity to carry out targeted killings, 15. Februar 2016) findet zwischen den höheren Ebenen innerhalb der Taliban durchaus Kommunikation und Koordination über Provinzen hinweg statt (vgl. VG München, U. v. 20.6.2017 – M 26 K 17.30772 – juris Rdnr. 25). Daran gemessen kann im Einzelfall des Klägers, der dadurch geprägt ist, dass dieser bereits selbst direkt ins Visier der Taliban geraten und mit dem Tode bedroht war, dass die Taliban im Fall der Familie des Klägers ihre Todesdrohungen durch die Ermordung des Bruders M. bereits in die Tat umgesetzt hatten und dass die Familie des Klägers zumindest in Kabul einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war (siehe dazu näher schon oben unter 1. b)), nicht von einer inländischen Fluchtalternative ausgegangen werden. Zwar mag es eine gewisse Wahrscheinlichkeit geben, dass der Kläger in einem anderen Teil Afghanistans von den Taliban nicht aufgespürt werden könnte. Dem Kläger kann indes auch insoweit nicht zugemutet werden, dieses Risiko einzugehen und womöglich doch das gleiche Schicksal wie sein getöteter Bruder zu erleiden, was zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der o.g. Umstände des Einzelfalls beachtlich wahrscheinlich ist (siehe dazu schon oben unter 1. b)).
Nach alldem war der gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO wie tenoriert stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.