Verwaltungsrecht

Zugang eines zuzustellenden Dokuments durch eine Fotokopie

Aktenzeichen  5 ZB 17.31905

Datum:
22.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RÜ2 – 2018, 115
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZG § 2 Abs. 1, § 8
AsylG § 10, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 In der Rechtsprechung ist umstritten, ob auch eine Fotokopie des zuzustellenden Dokuments, die das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt und die dem Betroffenen mit Zustellungswillen der erlassenden Behörde zugeht, für den tatsächlichen Zugang iSd § 8 VwZG ausreichen kann. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat der Kläger eine solche Kopie zum Anlass genommen, Versagungsgegenklage zu erheben, ohne sich gegen die unterlassene Zustellung des Bescheids zu wenden, so hat er damit die ihn betreffende Regelungswirkung anerkannt, so dass der Bescheid ihm gegenüber, allerdings frühestens ab der Aushändigung, als wirksam angesehen werden muss (ebenso BVerwG BeckRS 2013, 51247). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird eine Bescheidskopie, die einem Dritten (zB dem minderjährigen Kläger) ausgehändigt wurde, nicht an die empfangsberechtigte Person weitergereicht, jedoch einem von der empfangsberechtigten Person bevollmächtigten Rechtsanwalt übergeben, ist die mangelhafte oder fehlende Zustellung durch tatsächliche Bekanntgabe ebenfalls geheilt (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 50683). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 17.32638 2017-09-19 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung (entscheidungserheblich) war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Der Kläger wirft sinngemäß die Frage auf, ob die Übergabe einer Kopie des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) an den Asylbewerber durch die zuständige Ausländerbehörde den tatsächlichen Zugang des Bescheids ersetzen bzw. ob ein Mangel der Zustellung nach § 8 VwZG – hier auch unter Berücksichtigung von § 6 Abs. 1 Satz 1 VwZG – geheilt werden kann.
Es kann offen bleiben, ob der Kläger die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage ausreichend dargelegt hat (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Er setzt sich zwar kritisch mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, nicht jedoch mit der zahlreich zu dieser Thematik vorhandenen Rechtsprechung auseinander. Denn die Frage ist hier nicht entscheidungserheblich, ihre Klärung in einem Berufungsverfahren daher nicht zu erwarten, weil der Bescheid des Bundesamts gegenüber dem Kläger jedenfalls hier rechtswirksam geworden ist.
a) Zwar wurde der Bescheid des Bundesamts vom 13. April 2017 nicht wirksam zugestellt. Der Kläger bzw. sein Vormund sind im Vorfeld und während der Zustellung des Bescheids mehrmals umgezogen bzw. es sind dem Bundesamt mehrmals andere Adressen des Klägers bzw. seines Vormund mitgeteilt worden, so dass auch der letzte Zustellversuch an die letztlich “gültige“ Adresse am 26. April 2017 scheiterte. Dabei kann offen bleiben, ob die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts, seine Wohnung sei bei dem (letzten) Zustellungsversuch am 26. April 2017 ordnungsgemäß „mit Namen und Klingelschild etc.“ ausgezeichnet gewesen, die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde hätte erschüttern bzw. widerlegen können, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat. Denn der Bescheid war zutreffend an den nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VwZG zuständigen Vormund adressiert, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Name des Klägers auf einem zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder einer ähnlichen Vorrichtung angebracht war. Die Zustellung ist hier schon deshalb fehlerhaft, weil die Zustellungsfiktion des § 10 AsylG bei Zustellung an einen Vormund, der sich – wie hier – nicht zusammen mit dem Kläger im Asylverfahren befindet, nicht greift, dem Vormund aber auch kein Bescheid zugestellt wurde.
b) Der Bescheid des Bundesamts ist dennoch gegenüber dem Kläger rechtswirksam geworden. Denn seine fehlerhafte Zustellung ist geheilt. Nach § 8 VwZG gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Nach § 2 Abs. 1 VwZG ist Zustellung die Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Dokuments in der in diesem Gesetz bestimmten Form.
aa) Die Frage, ob auch eine Fotokopie des zuzustellenden Dokuments, die das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt und die dem Betroffenen mit Zustellungswillen der erlassenden Behörde zugeht, für den tatsächlichen Zugang in diesem Sinn ausreichen kann, ist umstritten (vgl. bejahend z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – juris Rn. 29 zur früher gleichlautenden Vorschrift in § 9 Abs. 1 VwZG a.F. einerseits; andererseits die Gesetzesbegründung zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts durch Gesetz vom 12.8.2005, BGBl I S. 2354, in der BT-Drs. 15/5216 S. 11 zu § 2 VwZG: „Bei der Zustellung eines Dokuments ist wie bisher die Urschrift, eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift zu übermitteln; die Übersendung einer bloßen Fotokopie genügt somit nicht“). Auch die Rechtsprechung zu § 189 ZPO, dem die Vorschrift des § 8 VwZG weitgehend angepasst wurde (vgl. BT-Drs., a.a.O., S. 14), hierzu ist nicht einheitlich (vgl. z.B. OLG München, U.v. 14.9.2017 – 6 U 1864/17 – juris Rn. 46 m.w.N.; OLG Frankfurt, B.v. 6.2.2017 – 19 U 190/16 – juris Rn. 14 f.; vgl. auch BGH, U.v. 13.9.2017 – IV ZR 26/16 – juris Rn. 17 f.; B.v. 13.10.2016 – V ZB 174/15 – juris Rn. 21 ff. jeweils zur Zustellung einer Abschrift).
bb) Die Klärung dieser Frage kann hier aber offen bleiben. Denn der Kläger hat die Aushändigung einer Kopie des Bescheids des Bundesamts durch die Ausländerbehörde, die das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt, zum Anlass genommen, durch Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 20. Juni 2017 unter Vorlage einer Vollmacht seines Vormunds vom 6. Juni 2017 Versagungsgegenklage (Aufhebung des Bescheids und Gewährung des beantragten Schutzstatus) zum Verwaltungsgericht Würzburg zu erheben, ohne sich gegen die unterlassene Zustellung des Bescheids zu wenden. Damit dürfte er zwar nicht für die Vergangenheit auf das Recht, die fehlerhafte Bekanntgabe zu rügen, verzichtet haben; er hat damit aber die ihn betreffende Regelungswirkung anerkannt, so dass der Bescheid ihm gegenüber, allerdings frühestens ab diesem Zeitpunkt, als wirksam angesehen werden muss (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2013 – 3 C 19.12 – Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 21 = juris Rn. 17). Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung:steht der Vollständigkeit der Bescheidskopie nicht entgegen; daraus folgt lediglich, dass anstelle der vorgesehenen Rechtsbehelfsfrist die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gilt.
cc) Dass das Bundesamt Zustellungswillen hatte, ergibt sich ohne weiteres aus seinen missglückten Zustellungs- und Bekanntgabeversuchen. Zur Heilung ist nicht erforderlich, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten oder Empfangsberechtigten vom Willen der erlassenden Behörde erfasst wird, wenn der Bescheid mit Wissen und Wollen dieser Behörde in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen Bereich herausgegeben wurde (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 42.95 – juris Rn. 29 m.w.N.), was bereits bei einem Zustellungsversuch der Fall ist.
dd) Der Bescheid ist hier auch unabhängig davon wirksam geworden, ob die Kopie des Bescheids dem empfangszuständigen (vgl. § 6 Abs. 1 VwZG) Vormund des Klägers bekanntgeworden ist. Wird eine Bescheidskopie, die einem Dritten, hier dem minderjährigen Kläger, ausgehändigt wurde, nicht an die empfangsberechtigte Person weitergereicht, jedoch einem von der empfangsberechtigten Person bevollmächtigten Rechtsanwalt übergeben, ist die mangelhafte oder fehlende Zustellung durch tatsächliche Bekanntgabe ebenfalls geheilt (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 42.95 – juris Rn. 28).
c) Der Kläger war zwar nicht daran gehindert, in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 15. September 2017, nachdem er ursprünglich mit dem Klageschriftsatz vom 20. Juni 2017 die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts und Schutzgewährung begehrt hat, zu beantragen, festzustellen, dass der Bescheid des Bundesamts dem Kläger nicht zugestellt wurde und deshalb keine Rechtwirkungen gegenüber ihm entfaltet, und die Versagungsgegenklage nur hilfsweise zu erheben. Die Berufung auf die mangelnde Wirksamkeit des Bescheids erfolgte aber erst, nachdem der Kläger durch Erhebung der Versagungsgegenklage mit Schriftsatz vom 20. Juni 2017 dessen Rechtswirksamkeit anerkannt hatte. Sie kam daher zu spät und die Klage wurde insoweit zu Recht vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
2. Gegen die Abweisung der Klage im Hilfsantrag (Versagungsgegenklage) wurden in der Zulassungsbegründung keine Zulassungsgründe dargelegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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