Aktenzeichen 20 ZB 18.30060
EMRK Art. 3
Leitsatz
In Somaliland droht allein aufgrund der Zugehörigkeit zum Minderheiten-Clan der Madhiban keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 11 K 16.36346 2017-10-27 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht erfolgreich, da die geltend gemachten Zulassungsgründe entweder nicht in einer § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt wurden (hierzu 1.) oder aber nicht vorliegen (hierzu 2.).
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683).
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob Angehörige des Clans der Madhiban in Somalia im Landesteil „Somali-land“ eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten müssen.
Diese Frage zielt aufgrund der Verwendung der Formulierung „ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ auf die Feststellung der subsidiären Schutzberechtigung nach § 4 AsylG ab, da damit ein Teil der Gesetzesformulierung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG wiedergegeben wird. In der Begründung des Zulassungsantrags ist zwar ebenso von einer „begründeten Furcht vor Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ die Rede, was auf das Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG hindeuten könnte. Allerdings wurde im konkreten Verfahren die Klage auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2017 zurückgenommen, weshalb die Frage bei dieser Auslegung schon nicht entscheidungserheblich wäre.
Voraussetzung für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, auf den die formulierte Frage abzielt, ist, dass einerseits ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Januar 2014 (C-285/12, 1. Leitsatz, NVwZ 2014, 573) vorliegt und andererseits eine erhebliche Gefahr für eine Verletzung von Leib und Leben nach einer quantitativen und wertenden Betrachtung besteht (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22). Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Frage verlangt daher in einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts eine Darlegung, warum die vom Verwaltungsgericht im Ergebnis verneinte erhebliche Gefahr im Rahmen des behaupteten bewaffneten innerstaatlichen Konflikts vorliegen soll.
Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass aufgrund der im Somaliland allgemein (im Vergleich zu Süd- und Zentralsomalia) besseren Sicherheitslage eine individuelle konfliktbedingte Gefahr nicht glaubhaft gemacht sei. Eine sich damit auseinandersetzende Darlegung ist der Begründung des Zulassungsantrags nicht zu entnehmen. Aber auch wenn man die dortigen Ausführungen wohlwollend so verstehen würde, dass aufgrund der Zugehörigkeit des Klägers zum Minderheiten-Clan der Madhiban ein gefahrerhöhender Umstand im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG geltend gemacht werde, so fehlt es insoweit an einer Darlegung, wieso in der Zugehörigkeit zu diesem Clan ein Gefahr erhöhender Umstand gerade in Bezug auf einen etwaigen bewaffneten innerstaatlichen Konflikt in der Region Somaliland zu sehen sein könnte.
2. Daneben erachtet der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob für Angehörige des Clans der Madhiban in Somalia einschließlich des Landesteils „Somaliland“ die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang vom Berufungsgericht ungeklärte Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Happ a.a.O., § 124 Rn. 36).
Diese Voraussetzungen liegen hier ungeachtet der Darlegungsanforderungen nicht vor, da die Frage auch ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens eindeutig zu beantworten ist. Die Begründung des Zulassungsantrags gibt im Wesentlichen allgemeine Ausführungen zur Stellung der Minderheiten-Clans in der somalischen Gesellschaft wider, ohne konkrete Aspekte anzugeben, die im Einzelfall eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK begründen. Demgegenüber geht aus der allgemeinen Auskunftslage hervor, dass Angehörigen des Minderheiten-Clans der Madhiban generell eine solche Behandlung nicht droht. So führt das Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM) in seinem Bericht „Fokus Somalia: Clans und Minderheiten“ vom 31. Mai 2017 aus, dass Angehörige ethnischer Minderheiten und berufsständischer Gruppen in der somalischen Gesellschaft häufig diskriminiert und marginalisiert würden. Die Situation dieser auch mit dem Sammelbegriff „Gabooye“ bezeichneten Gruppen habe sich im Vergleich zur Zeit um die Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert (S. 38). Weder das traditionelle Recht Xeer noch Polizei und Justiz benachteiligten die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe könnten Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. In Hargeysa gebe es beispielsweise in einem Minderheitenquartier keine Polizeistation (S. 39). Dennoch hätten mehrere Gesprächspartner im Rahmen einer fact-finding-mission übereinstimmend erwähnt, dass Polizei und Gerichte Angehörige von Minderheiten nicht systematisch benachteiligten. Insbesondere in Somaliland seien die Minderheiten in den letzten Jahren vor Gericht mehrheitlich fair behandelt worden. Es gebe dort jedoch Spannungen mit der Polizei, die vielfach Vergehen gegenüber Minderheitenangehörigen nicht nachgehe. Die Polizei sei in den Minderheitenquartieren kaum präsent. Auch kämen ihre Fälle nur selten vor Gericht. Häufig seien die Minderheiten selbst nicht daran interessiert, da sie der Justiz nicht vertrauten. Teils seien Polizei und Justiz bestechlich. Dadurch würden wirtschaftlich weniger potente Gruppen tendenziell benachteiligt. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Schwäche treffe dieser Umstand auch die Minderheiten. Dies hänge aber nicht mit ihrem Stigma zusammen, sondern mit der schwächeren Finanzkraft und der geringeren Anzahl. Angehörige von Minderheiten seien gegenüber den staatlichen Schutzinstitutionen tendenziell misstrauisch (S. 41). Der gesellschaftliche Umgang mit den Angehörigen von Minderheiten habe sich in den letzten Jahren verbessert. Insbesondere unter jungen Leuten sei die Einstellung zu ihnen gemäß Erkenntnissen der fact-finding-mission positiver geworden. Obwohl ein gewisses Stigma weiterhin bestehe, sei es mittlerweile für viele Angehörige der Mehrheiten-Clans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten, wie mehrere befragte Quellen übereinstimmend aussagten. Dabei handle es sich nicht nur um einen oberflächlichen Wandel, sondern um einen „chance of mind-set“ selbst bei älteren Generationen. Die offizielle Anerkennung von Minderheiten-Clan-Ältesten in Somaliland habe ihren gesellschaftlichen Ruf dort generell verbessert. Ein Gesprächspartner der fact-finding-mission sei sogar davon ausgegangen, dass in den Städten Somalilands in den nächsten Jahren die Clans zunehmend an Bedeutung verlören und dafür die Gesellschaftsschichten bzw. soziale Klassen wichtiger werden könnten. Schon jetzt sei die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem (S. 42). Daher droht allein auf der Zugehörigkeit zu einem Minderheiten-Clan der Madhiban in Somaliland keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.