Verwaltungsrecht

Zulassung der Berufung bei Unzulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs

Aktenzeichen  10 ZB 17.87

Datum:
7.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 989
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 154 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 5
ZPO § 41, § 45, § 512
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Macht ein Rechtsmittelführer geltend, sein Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden, kann er damit die Zulassung der Berufung grundsätzlich nicht erreichen, denn ein derartiger Verfahrensmangel unterliegt nicht der Beurteilung durch das Berufungsgericht (§ 173 S. 1 VwGO iVm § 512 ZPO). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 14.3776 2016-09-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung in dem Bescheid des Beklagten vom 31. Juli 2014 weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergibt sich kein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ordnungsgemäß dargelegt worden.
1. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.
Der Kläger trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht sei bei Erlass des angefochtenen Urteils nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Seine Bevollmächtigte habe am 6. September 2016 die Verlegung der für den 8. September 2016 angesetzten mündlichen Verhandlung beantragt, was die Vorsitzende Richterin mit Schreiben vom 7. September 2016 abgelehnt habe. Die Bevollmächtigte habe darauf am 7. September 2016 die Vorsitzende wegen Befangenheit abgelehnt. Das Ablehnungsgesuch habe die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Vorsitzenden Richterin abgelehnt, ohne der Bevollmächtigten zuvor deren dienstliche Stellungnahme zuzuleiten, wodurch die mitwirkenden Richter das rechtliche Gehör verletzt hätten. Sie habe deshalb am 8. September einen erneuten Befangenheitsantrag gegen alle drei mitwirkenden Richter gestellt, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung, wiederum unter Mitwirkung der drei abgelehnten Richter, ebenfalls verworfen habe. Die „Selbstentscheidung“ über das Ablehnungsgesuch sei jedoch unzulässig gewesen, so dass das Gericht bei der Entscheidung über die Klage fehlerhaft besetzt gewesen sei.
Jedoch stellt nur die Mitwirkung eines nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41, § 45 ZPO ausgeschlossenen oder erfolgreich abgelehnten Richters einen Verfahrensmangel dar, der nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO die Zulassung der Berufung (sowie der Revision, § 138 Nr. 2 VwGO) begründen kann. Macht ein Rechtsmittelführer dagegen geltend, sein Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden, kann er damit die Zulassung der Berufung nach dieser Bestimmung grundsätzlich nicht erreichen, denn ein derartiger Verfahrensmangel unterliegt nicht der Beurteilung durch das Berufungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 512 ZPO); Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen sind nämlich nach der ausdrücklichen Regelung in § 146 Abs. 2 VwGO unanfechtbar. Eine Ausnahme besteht insoweit nur dann, wenn die Entscheidung über die Ablehnung zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt; dies ist jedoch nicht schon bei jeder fehlerhaften Rechtsanwendung der Fall, sondern nur dann, wenn die Entscheidung objektiv willkürlich ist. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG, B.v. 18.12.2007 – 1 BvR 1273/07 – juris Rn. 10 f.; BVerwG, B.v. 15.5.2008 – 2 B 77/07 – juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 9.11.2001 – 6 B 59/01 – juris Rn. 8; Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 54 Rn. 128 ff.; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 54 Rn. 28).
Nach diesen Maßstäben liegt kein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel vor; die Verwerfung der beiden klägerischen Ablehnungsgesuche durch das Verwaltungsgericht war nicht willkürlich.
Das (erste) Befangenheitsgesuch vom 7. September 2016 gegen die Vorsitzende Richterin wurde damit begründet, dass diese dem Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 8. September 2016 nicht entsprochen hatte. Die Bevollmächtigte des Klägers war der Meinung, die Ablehnung der Terminsverlegung sei rechtswidrig, da ihr die Teilnahme an dem Termin unzumutbar sei, weil sich die Gewährung von Prozesskostenhilfe „verzögere“. Dieses Befangenheitsgesuch lehnte die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Vorsitzenden Richterin mit Beschluss vom 7. September 2016 als unzulässig ab, weil das Vorbringen von vornherein ersichtlich ungeeignet sei, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Verständiger Anlass zu einem aus der Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags hergeleiteten Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters bestehe erst dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung offensichtlich vorlägen, die Zurückweisung eines solchen Antrags für die betroffene Partei schlechthin unzumutbar sei und somit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzen würde oder sich aus der Ablehnung der Terminsverlegung der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdränge. Derartige Umstände seien hier nicht im Ansatz zu erkennen, da die Klägerseite zu keiner Zeit erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung vorgetragen habe. Insbesondere sei das Prozesskostenhilfeverfahren durch den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Juni 2016 abgeschlossen gewesen; daran könne auch das nachträgliche Ablehnungsgesuch und die Anhörungsrüge nichts ändern.
Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar. Ein erheblicher Grund für eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung war in dem Schreiben vom 6. September 2016 nicht dargelegt; die Vorsitzende Richterin hat den Antrag mit einem ausführlich begründeten Schreiben vom 7. September 2016 abgelehnt und dabei unter anderem auch darauf hingewiesen, dass sich die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht verzögere, sondern dass das Verfahren durch den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Juni 2016 bereits abgeschlossen sei. Da die Anhörungsrüge des Klägers gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel darstellt und weder einen Devolutiv- noch einen Suspensiveffekt entfaltet, ist dieser Beschluss auch in formelle Rechtskraft erwachsen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 152a Rn. 2 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht konnte das Ablehnungsgesuch auch unter Mitwirkung der abgelehnten Vorsitzenden Richterin als unzulässig ablehnen; es war rechtsmissbräuchlich, weil das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wurde, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen konnte (BVerfG, B.v. 18.12.2007 – 1 BvR 1273/07 – juris Rn. 19; BVerwG, B.v. 21.8.2017 – 8 PKH 1/17 – juris Rn. 5).
Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch für das (zweite) Befangenheitsgesuch vom 8. September 2016 gegen die drei Berufsrichter der erkennenden Kammer. Dieses wurde damit begründet, dass diese über das erste Befangenheitsgesuch entschieden hätten, ohne die Bevollmächtigte des Klägers zur dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Vorsitzenden Richterin anzuhören; eine derartige Verletzung des rechtlichen Gehörs begründe stets die Besorgnis der Befangenheit. Auch dieses Befangenheitsgesuch hat die entscheidende Kammer unter Mitwirkung der drei abgelehnten Berufsrichter in der mündlichen Verhandlung am 8. September 2016 als unzulässig abgelehnt; zur Begründung wurde angegeben, der Umstand, dass diese das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende Richterin abgelehnt hätten, sei von vornherein ersichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen.
Auch in diesem Fall ist die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richter als unzulässig trotz der kurzen Begründung nicht willkürlich. Der Umstand, dass der Klägerseite keine dienstliche Äußerung der abgelehnten Vorsitzenden Richterin zugeleitet worden ist (54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO), verletzt weder das rechtliche Gehör noch begründet er die Besorgnis der Befangenheit begründet. Die dienstliche Äußerung dient der weiteren Sachaufklärung; sie ist verzichtbar, wenn der Sachverhalt geklärt ist (BVerwG, B.v. 8.3.2006 – 3 B 182/05 – juris Rn. 5; BVerwG, B.v. 25.7.2008 – 3 B 69/08 – juris Rn. 4). Dies war hier der Fall. Die Missbräuchlichkeit des Ablehnungsgesuch ergibt sich im Übrigen auch aus dem letzten Satz des Schreibens vom 8. September 2016, wonach die Bevollmächtige des Klägers es als „anerkennenswertes Ziel eines Befangenheitsantrages“ ansieht, „mit ihm eine Vertagung erreichen zu wollen“.
2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO innerhalb der Frist von zwei Monaten dargelegt worden. Das vollständige Urteil wurde der Bevollmächtigten des Klägers am 13. Januar 2017 zugestellt, die Begründungsfrist lief daher am 13. März 2017 ab.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hat die Bevollmächtigte des Klägers erstmals in dem Schreiben vom 21. Januar 2018 geltend gemacht. Eine derartige „nachträgliche Erweiterung der Begründung des Berufungszulassungsantrags“ ist nicht zulässig. Die Zulassungsgründe können nach Ablauf der Begründungsfrist nur noch ergänzt werden, soweit der konkrete zu ergänzende Zulassungsgrund in offener Frist bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt worden ist. So kann ein rechtzeitig geltend gemachter und dargelegter Zulassungsgrund nach Ablauf der Begründungsfrist noch weiter ausgeführt werden; der Vortrag neuer, selbständiger Zulassungsgründe nach Ablauf der Frist ist jedoch ausgeschlossen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 133).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil der Antrag auf Zulassung der Berufung aus den dargelegten Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen