Aktenzeichen 19 CE 16.2204
Leitsatz
1. Begehrt ein Asylbewerber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Zulassung zum Integrationskurs, so steht die Vorwegnahme der Hauptsache einer Stattgabe des Eilantrags grundsätzlich nicht entgegen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Solange die Asylentscheidung des Bundesamts noch nicht ergangen ist, muss die Frage, ob die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts als Voraussetzung für die Zulassung zum Integrationskurs begründet ist, grundsätzlich anhand der Gesamtschutzquote des Landes, aus dem der Asylbewerber kommt, beantwortet werden. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Annahme, bereits ab einer Gesamtschutzquote von 50 % sei die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts begründet, erscheint vor dem Hintergrund der Ziele des Gesetzgebers zweifelhaft. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 6 E 16.01312 2016-10-04 Bes VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird unter Abänderung der Nr. 5 des Beschlusses vom 4. Oktober 2016 für beide Rechtszüge auf 1.350 EUR festgesetzt.
IV.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt MacLean, Berlin, gewährt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, eine Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, betreibt seit dem 29. Februar 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Asylverfahren.
Mit Formblattantrag vom 29. Februar 2016 beantragte die Antragstellerin gemäß § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG beim Bundesamt die Zulassung zu einem Integrationskurs. Mit Bescheid vom 18. April 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag mit der Begründung ab, die Antragstellerin komme nicht aus einem Herkunftsland mit einer hohen Schutzquote (dies seien nur Syrien, Eritrea, Iran und Irak).
Den Widerspruch wies das Bundesamt mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2016 zurück; nur Asylbewerber aus Syrien, Eritrea, dem Iran und Irak kämen aus Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote.
Durch Klage gegen den Bescheid verfolgte die Antragstellerin ihr Ziel einer Zulassung zu einem Integrationskurs weiter. Zusätzlich beantragte sie die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit dem gleichen Ziel.
Mit Beschluss vom 2. September 2016 lehnte das Verwaltungsgericht den vorläufigen Rechtsschutzantrag und die Gewährung von Prozesskostenhilfe ab; die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache sei nicht zulässig. Der Beschluss trägt zwei Unterschriften und einen Verhinderungsvermerk (§ 117 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
Mit Schriftsatz vom 26. September 2016 erhob die Antragstellerin Beschwerde (19 CE 17.105), machte die Unwirksamkeit des Beschlusses geltend und hielt (unter Auseinandersetzung mit den Gründen des Beschlusses vom 2. September 2016) am einstweiligen Rechtsschutzbegehren fest.
Mit Beschluss vom 4. Oktober 2016 stellte das Verwaltungsgericht die Unwirksamkeit der Entscheidung vom 2. September 2016 fest (Nr. 1) und lehnte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Nr. 2) sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (Nr. 4) ab.
Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2016 erhob die Antragstellerin gegen den Beschluss vom 4. Oktober 2016 Beschwerde (hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Ablehnung einer Gewährung von Prozesskostenhilfe vgl. den Senatsbeschluss vom selben Tag im Verfahren 19 C 16.2230), und beantragte Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren. Zur Begründung bezog sie sich auf das Beschwerdevorbringen vom 26. September 2016. Die Antragstellerin macht geltend, der Zugang zu Integrationskursen sei nicht auf Asylsuchende aus vier Herkunftsstaaten beschränkt. Ihr Schutzbegehren habe gute Erfolgsaussichten, denn sie komme aus Afghanistan und gehöre zur Minderheit der Hazara, die von der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit diskriminiert und von den Taliban verfolgt werde. Wegen einer heimlichen Heirat habe es Probleme mit der Familie ihres „Brautkäufers“ gegeben.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Aufhebung der Nr. 2 der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vom 4. Oktober 2016 die Antragsgegnerin zur Zulassung der Antragstellerin zu einem Integrationskurs zu verpflichten.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
II.
1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1.1 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stünde der Umstand, dass eine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wohl zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde, einer Antragsstattgabe nicht entgegen, weil vorliegend dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG), sonst nicht genügt werden könnte.
Die Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG ist – weil sie eine Aufenthaltsgestattung voraussetzt – nur während des Asylverfahrens anwendbar. Auch wenn Asylverfahren derzeit eine erhebliche Zeitdauer beanspruchen können, ist äußerst fraglich, ob das Hauptsacheverfahren betreffend die Zulassung zum Integrationskurs vor dem Asylverfahren abgeschlossen wird (in Fällen, in denen das Bundesamt irgendeinem Teil des Asylbegehrens stattgibt, findet meist nicht einmal ein Asylklageverfahren statt), sich also nicht durch dessen Beendigung erledigen wird (mit der Folge einer vollziehbaren Ausreisepflicht oder eines Anspruchs nach § 44 Abs. 1 AufenthG). Nachdem Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht effektiv gewährt werden kann, verbleibt hierfür nur das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (im diesem Sinn auch BVerfG, B.v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – NVwZ 2005,927 ff., juris Rn. 18 ff. betreffend den Anspruch auf Grundsicherung sowie BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9/12 – BVerwGE 146,189/198, juris Rn. 22 betreffend einen Anspruch auf Familiennachzug, der wegen seines Bestehens während nur weniger Lebensjahre des Ausländers in aller Regel am Ende des Hauptsacheverfahrens nicht mehr besteht). Diese Konzentration auf das einstweilige Rechtsschutzverfahren ist letztlich durch das Gesetz vorgegeben. Die Bestimmung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG regelt die Integrationskurszulassung im Vorgriff auf die bestandskräftige Asylentscheidung, aus der sich dann endgültig ergibt, ob eine Integrationsförderung veranlasst ist. Im Rahmen dieser Bestimmung müssen daher Schwierigkeiten bewältigt werden, wie sie typischerweise mit einer vorläufigen, vor der endgültigen Klärung des Anspruchs zu treffenden Regelung verbunden sind.
1.2 Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Anordnungsanspruch nach § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nicht zu.
1.2.1 Nach § 44 Abs. 4 AufenthG in der bis zum 23. Oktober 2015 gültigen Fassung konnte ein Ausländer, der einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs nicht oder nicht mehr besitzt, im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen werden (Satz 1) und fand diese Regelung entsprechende Anwendung auf bestimmte deutsche Staatsangehörige mit Integrationsbedarf (Satz 2). Durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl I S. 1722) ist die Festlegung in Satz 2 (entsprechende Anwendung des Satzes 1) auf Ausländer erweitert worden, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (Nr. 1; außerdem auf Ausländer, die eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 besitzen – Nr. 2, sowie auf Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 besitzen – Nr. 3). Gleichzeitig wurde Satz 3 angefügt, demzufolge bei einem Asylbewerber, der aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a AsylG stammt, vermutet wird, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt nicht zu erwarten ist.
Die Neufassung deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber auf die Zulassung der von der Erweiterung des Satzes 2 erfassten Personengruppen einen gewissen Wert legt. Für diese Personengruppen ist die in Bezug genommene Vorschrift des Satzes 1 möglicherweise nicht mehr eine Ermessensvorschrift, sondern eine Sollvorschrift; auch eine Verpflichtung zur vorrangigen Berücksichtigung könnte gewollt sein. Um diesen Personengruppen eine ermessensabhängige Zulassung zu ermöglichen, hätte es nämlich der Erweiterung des Satzes 2 nicht bedurft. Die in den Nrn. 1, 2 und 3 des Satzes 2 erfassten Ausländer besitzen keinen Teilnahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 AufenthG und fallen deshalb sämtlich schon unter § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach Ausländer ohne Teilnahmeanspruch zugelassen werden können. Satz 2 der Vorschrift ist somit hinsichtlich des erfassten Personenkreises die speziellere Regelung. Verbliebe es bei der wörtlichen Auslegung, wonach sich Satz 2 in der Rechtsfolge (Ermessenszulassung) nicht von Satz 1 unterscheidet, gingen der spezielle Beschleunigungsansatz des Gesetzgebers und seine Absicht ins Leere, Asylbewerber nicht zuzulassen, die einen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt nicht zu erwarten haben. Überdies werden durch § 5 Abs. 4 Satz 2 IntV (nunmehr in der Fassung der Änderungsverordnung zum Integrationsgesetz vom 31.7.2016, BGBl I S. 1950, mit Wirkung vom 6.8.2016) bestimmte Personengruppen hervorgehoben; diese Bestimmung fordert ausdrücklich eine vorrangige Berücksichtigung. Die hier genannten Personengruppen sind mit den von der Erweiterung des Satzes 2 des § 44 Abs. 4 AufenthG erfassten Personengruppen nicht vollständig identisch (beispielsweise sind in § 5 Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 IntV Unionsbürger und deren Familienangehörige genannt, die zwar in § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, nicht aber in § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG Erwähnung finden; in § 44 Abs. 4 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AufenthG – nicht aber in § 5 IntV – werden Ausländer erwähnt, die eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 besitzen bzw. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG). Die Frage, in welchem Verhältnis diese beiden Hervorhebungen inkongruenter Personengruppen zueinander stehen, kann vorliegend jedoch ebenso offenbleiben wie die Frage, ob § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG eine Sollvorschrift ist oder eine Bevorzugung vorschreibt. Ausländer, die – wie die Antragstellerin – eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen sich die Frage stellt, ob bei ihnen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, sind sowohl in der Gesetzesbestimmung als auch in der Verordnungsbestimmung – die das Bevorzugungsgebot deutlich zum Ausdruck bringt – aufgeführt (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG und § 5 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 IntV). Die Antragsgegnerin hat ihre Ablehnungsentscheidung nicht auf Ermessenserwägungen oder auf Kapazitätserwägungen (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG: „… im Rahmen verfügbarer Kursplätze…“) gestützt. Sie geht vielmehr davon aus, die Antragstellerin habe als Asylbewerberin aus Afghanistan keinen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt zu erwarten, hält also diese Tatbestandsvoraussetzung für nicht erfüllt.
Die demnach entscheidungserhebliche Frage, ob bei der Antragstellerin „ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist“ (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG), ist von der Behörde und vom Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend beantwortet worden.
Für diese Formulierung finden sich in der Entwurfsbegründung (BT-Drs. 18/6185, Seiten 1 und 48) die Umschreibungen „gute Bleibeperspektive“, „Asylbewerber, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen“ und „Asylbewerber, bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht“. Auf Seite 30 geht die Entwurfsbegründung davon aus, dass für die Entscheidung über den Zulassungsantrag eines Asylbewerbers eine Abfrage zum Status des Asylbewerbers aus dem Asylbereich des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge notwendig ist.
Daraus ergibt sich, dass die Frage, ob die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts begründet ist, grundsätzlich anhand der Gesamtschutzquote des Landes, aus dem der Asylbewerber kommt, zu beantworten ist, solange die Asylentscheidung des Bundesamtes noch nicht ergangen ist. Ein Verzicht von Bundesländern auf Abschiebungen (mit Schriftsatz vom 17.2.2017 weist die Antragstellerin auf entsprechende Länderbeschlüsse hin) ist kein Kriterium zur Beurteilung dieser Erwartung, denn ein solcher zeitlich unbestimmter Vollzugsverzicht unterliegt keiner rechtlichen Überprüfung und indiziert daher nicht die Rechtmäßigkeit des weiteren Aufenthalts.
Der Sachstand des Asylverfahrens vor Bescheidserlass ist keine geeignete Grundlage für die Beurteilung, ob die genannte Erwartung begründet ist. Gegen die Bildung einer Überzeugung betreffend die Erfolgsaussichten des Asylbegehrens spricht, dass regelmäßig unterschiedliche Spruchkörper für die Asylsache und für die ausländerrechtliche Entscheidung nach § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG zuständig sind und deshalb für diese Überzeugungsbildung die Erfahrungen aus der asylrechtlichen Entscheidungspraxis nicht genutzt werden können. Überdies wäre in vielen Fällen eine diesbezügliche Überzeugung nicht kurzfristig zu gewinnen, so dass dem Ziel des Gesetzes nicht genügt würde, mit der Integration – soweit sinnvoll – möglichst frühzeitig zu beginnen. Auch dem Gesetz und der Entwurfsbegründung ist nicht zu entnehmen, dass im Rahmen der Entscheidung nach § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG eine an den Einzelfallumständen orientierte Überzeugung betreffend die Erfolgsaussichten des Asylbegehrens gebildet werden soll. Die Anwendung eines groben Kriteriums wie der Anerkennungsquote ist auch nicht unverhältnismäßig, weil die Regelung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nur während des Asylverfahrens Bedeutung hat und ein in dieser frühen Phase nicht zum Integrationskurs zugelassener, letztlich aber doch aufgenommener Asylbewerber den Zulassungsanspruch nach § 44 Abs. 1 AufenthG besitzt.
Hat das Bundesamt aber eine aufnehmende Entscheidung getroffen, ist die in § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG bezeichnete Erwartung mangels eines Klagebefugten (betreffend den aufnehmenden Ausspruch) begründet. Im Fall einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes in allen Punkten liegt (ebenfalls) eine Einzelfallwürdigung der zuständigen Behörde vor, die bei der Anwendung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG grundsätzlich nicht zu überprüfen ist. Von der genannten Erwartung kann in einem solchen Fall auch dann nicht ausgegangen werden, wenn sie generell wegen der Gesamtschutzquote des betreffenden Landes begründet sein sollte.
Die in der Entwurfsbegründung angesprochene Abfrage zum Status des Asylbewerbers hat somit den Zweck festzustellen, ob die Bundesamtsentscheidung bereits ergangen ist (als Vorgabe für die Frage der Erwartung) oder ob sie noch aussteht mit der Folge, dass es auf die Gesamtschutzquote ankommt. Ist im Asylverfahren bereits Bestandskraft eingetreten, hat dies entweder den Ausschluss eines Teilnahmeanspruchs oder sein Entstehen nach § 44 Abs. 1 AufenthG zur Folge und kommt es auf § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nicht mehr an.
Lediglich wenn das Ergebnis des Asylverfahrens (insgesamt negativ oder wenigstens zu einem Teil positiv) offensichtlich ist, etwa weil der Sachverhalt feststeht und keinerlei differenzierende Würdigung erforderlich ist, kann die Beurteilung, ob ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, anhand des konkreten, vom Bundesamt noch nicht entschiedenen Asylverfahrens vorgenommen werden. Dasselbe gilt, wenn substantiierte Zweifel an der vom Asylbewerber behaupteten Herkunft bestehen. In einem solchen Fall ist die Erwartung nach § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG bereits deshalb nicht begründet, weil die Anerkennungsquote eines bestimmten Landes nicht zu Grunde gelegt werden kann und auch sonst von einem wenigstens teilweise erfolgreichen Asylverfahren nicht ausgegangen werden kann.
1.2.2 Vorliegend ist eine Entscheidung im Asylverfahren noch nicht getroffen worden und dessen Ergebnis auch nicht offensichtlich. Nachdem die Überprüfung der Identitätsdokumente der Antragstellerin keine Anhaltspunkte für eine Fälschung ergeben hat und auch sonst keine substantiierten Zweifel an ihrer Herkunft aus Afghanistan bestehen, kommt es darauf an, ob aufgrund der Gesamtschutzquote für Afghanistan bei der Antragstellerin ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt im Sinne des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG zu erwarten ist. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Antragsgegnerin geht offensichtlich davon aus, dass bei einer Gesamtschutzquote von mehr als 50% die in § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG genannte Erwartung begründet ist, diese Quote jedoch eine gewisse Stabilität aufweisen muss. Sie führt in ihrem Internetauftritt (http: …www.bamf.de/DE/Infothek/Fragen Antworten/IntegrationskurseAsylbewerber/integrationskurse-asylbewerber-node.html) aus, es werde halbjährlich festgelegt, welche Herkunftsländer das Kriterium Schutzquote (>/= 50) erfüllen, und hat das Zulassungsbegehren der Antragstellerin abgelehnt, die aus dem Land Afghanistan kommt, für das nach der Asylgeschäftsstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Gesamtschutzquote im Jahr 2016 einschließlich September noch 47,0% betragen hat und erst danach die 50%-Grenze überschritten hat (2016 einschließlich Oktober: 51,3%; 2016 einschließlich November: 55,5%, 2016 einschließlich Dezember: 55,8%). Im Januar 2017 hat die Gesamtschutzquote für Afghanistan wieder bei 45,2% gelegten.
Das Stabilitätskriterium des Beurteilungsmaßstabes der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden, denn der Frage, ob die geforderte Gesamtschutzquote stabil erreicht ist, kommt hohes Gewicht zu. Die Gesamtschutzquote kann, wie die dargestellte Entwicklung dieser Quote für das Herkunftsland Afghanistan belegt, erheblichen Schwankungen unterworfen sein; dies kann auf Entwicklungen im Heimatland des Asylbewerbers, auf einem Wandel der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, auf fallgruppenorientierten Arbeitsabläufen des Bundesamtes und auf sonstigen Gründen beruhen. Nur bei einer „hohen Anerkennungsquote“, die über längere Zeit hin erreicht wird, führen Veränderungen der Gesamtschutzquote nicht zu einem Wechsel von Entstehen der Anwendbarkeit des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG und Wegfall seiner Anwendbarkeit innerhalb kurzer Fristen (möglicherweise sogar innerhalb der Zeit, die ein Integrationskurs dauert) und wird einigermaßen vermieden, dass es bereits wegen des Umgangs mit der Gesamtschutzquote zu Fehlförderungen in einem Ausmaß kommt, das den Zielen des Gesetzgebers (vgl. Nr. 2) widerspricht.
1.3 Gelegentlich des vorliegenden Verfahrens weist der Senat darauf hin, dass die Annahme der Antragsgegnerin, die Bestimmung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG sei bereits ab einer Gesamtschutzquote von 50% anwendbar, vor dem Hintergrund der Ziele des Gesetzgebers zweifelhaft ist.
Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist durch die sogenannte Flüchtlingskrise veranlasst worden, also durch die tatsächliche, rechtliche und gesellschaftliche Problematik im Zusammenhang mit der massenhaften Einreise von Flüchtlingen und Migranten in den Jahren 2015 und 2016 nach Europa und vor allem nach Deutschland. Ziel des Gesetzes ist es vor allem (ausweislich der Entwurfsbegründung, BT-Drs. 18/6185 S. 1), die Asylverfahren zu beschleunigen. Weiterhin soll einerseits die Rückführung vollziehbar Ausreisepflichtiger vereinfacht und sollen Fehlanreize, die zu einem weiteren Anstieg ungerechtfertigter Asylanträge führen können, beseitigt werden; andererseits soll die Integration derjenigen, die über eine gute Bleibeperspektive verfügen, verbessert werden. Diesen Zielen liegt offensichtlich der Wille zu Grunde, nicht nur das Asylverfahren zu beschleunigen, sondern auch das voraussichtliche Ergebnis des Asylverfahrens jeglicher Art effektiv und beschleunigt umzusetzen, also die Nachteile zu verringern, die mit einem während längerer Zeit offenen Asylverfahren verbunden sind. Dies spricht für eine Gleichgewichtigkeit des Integrations- und des Rückführungs-Ziels (auch das letztgenannte Ziel liegt offensichtlich weiterhin im Fokus des Gesetzgebers, wie die zwischenzeitlich fortgeschrittenen Bemühungen um ein „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ zeigen). Mit dem Begriff der Asylbewerber, die einen „rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt zu erwarten“ haben (§ 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG), sollen zur Minderung der Nachteile langdauernder Asylverfahren möglichst frühzeitig diejenigen Asylbewerber grob erfasst werden, die in irgendeiner Form Aufnahme finden werden, um sie baldmöglich in die Integrationsförderung einzubeziehen. Dem Gesetz und der Entwurfsbegründung ist zu entnehmen, dass diese grobe Prognose auch bezweckt, voraussichtlich nicht aufzunehmende Asylbewerber möglichst von Integrationsleistungen fernzuhalten, denn eine Einbeziehung solcher Asylbewerber in die Integrationsförderung widerspräche im Grundsatz dem Ziel, die Rückführung vollziehbar Ausreisepflichtiger zu vereinfachen, sowie dem Ziel, Fehlanreize zu beseitigen, die zu einem weiteren Anstieg ungerechtfertigter Asylanträge führen können (zu diesem Zielkonflikt vgl. Thym, NVwZ 2015,1625/1627). Die Praxis des Bundesamtes, die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts im Sinne des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG bereits bei einer Gesamtschutzquote von 50% anzunehmen, führt bei Herkunftsländern, bei denen diese Quote gerade erreicht wird, dazu, dass in fast 50% der Fälle eine Integrationsförderung stattfindet, obgleich später eine Rückführung aufgrund erfolglosen Asylverfahrens ansteht. Die Gemeinwohlvorteile einer Integration der Asylbewerber, die im Endergebnis Aufnahme finden, würden (nicht anders als bei einer Kurszulassung nach dem Zufallsprinzip) mindestens aufgewogen zum einen durch die Gemeinwohlnachteile, die aus der Erschwerung der Rückführung vollziehbar Ausreisepflichtiger, aber in einem Integrationsprogramm befindlicher Asylbewerber bestehen, sowie aus den Fehlanreizen, die mit einer Integrationsförderung vollziehbar Ausreisepflichtiger verbunden sind (auf die Bedeutung dieses „Pull-Faktors“ weist auch Thym, a.a.O. hin), und zum anderen durch den Gemeinwohlnachteil, den die erheblichen, im Falle einer Aufenthaltsbeendigung nutzlos und sogar zielwidrig aufgewendeten Haushaltsmittel für den Integrationskurs (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 3 und S. 30) darstellen. Auf der Basis der Annahme einer Gleichgewichtigkeit des Integrationsziels und des Rückführungsziels dürfte es zu einer signifikant positiven Gemeinwohlbilanz nur kommen, wenn die in der Bestimmung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG geforderte Erwartung erst bei einer Gesamtschutzquote von 70% oder 80% als begründet angesehen wird. Der Umstand, dass dann in vielen Fällen die Zulassung zum Integrationskurs erst nach der endgültigen Aufnahme erfolgt, ist den Unsicherheiten einer vorläufigen, auf grober Prognose beruhenden Kurszulassung geschuldet. Der Versuch des Bundesamtes, die Zahl dieser Fälle durch eine Kurszulassung ab einer Gesamtschutzquote von 50% zu minimieren, verkleinert – wie erwähnt – nach Auffassung des Senats den Gemeinwohlvorteil der Regelung, weil dann das Rückführungsziel, das bei einer Gesamtschutzquote von 70% oder 80% ebenfalls nicht unbeschadet bleibt, unverhältnismäßig zurückgesetzt wird. Diese Überlegungen werden dadurch bestätigt, dass die Begründung des Gesetzentwurfs (S. 2 Absatz 3 und S. 48) von einer „guten Bleibeperspektive“ spricht, also nicht nur von einer Bleibeperspektive als solcher, und dass sie von Ländern „mit hoher Anerkennungsquote“ spricht, also nicht nur mit mittlerer Anerkennungsquote. Auch die in der Entwurfsbegründung erhobene Forderung nach einer „belastbaren Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag“ kann als Forderung nach einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit des Antragserfolgs als 50% verstanden werden. Allerdings sind die Ausführungen in der Entwurfsbegründung diesbezüglich widersprüchlich. Als infrage kommende Länder werden (S. 30 der Entwurfsbegründung) nicht nur Syrien, Eritrea und Irak genannt, sondern auch der Iran, dessen Gesamtschutzquote (entsprechend der Asylgeschäftsstatistik des Bundesamtes in den Monaten der Abfassung der Entwurfsbegründung vom 29. September 2015 knapp unter 60% gelegen hat, und Afghanistan, dessen Gesamtschutzquote in diesen Monaten unter 50% gelegen hat. Die letztgenannte Gesamtschutzquote repräsentiert weder eine „gute Bleibeperspektive“, noch überhaupt eine Bleibeperspektive, sondern eher eine Rückführungsperspektive.
Nach Auffassung des Senats wäre nicht nur wegen der Unsicherheiten der Zielabwägung eine normative Festlegung der Herkunftsländer, bei denen die in der Bestimmung des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG geforderte Erwartung begründet ist, zu begrüßen. Bei der in § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG geforderten Erwartung handelt es sich wohl um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden muss; das ihm innewohnende prognostische Element und die dargestellte Notwendigkeit einer Zielabwägung könnten auch einen Beurteilungsspielraum begründen, der aber einer ermessensähnlichen Prüfung zu unterziehen wäre. Es fehlt jedoch an Darlegungen der Antragsgegnerin betreffend ihre Gründe für die grundsätzliche Annahme einer 50-%-Grenze und für deren konkrete Anwendung im Einzelfall. Die oben dargelegten Überlegungen sowie die Frage, ob nicht neben der Gesamtschutzquote auch weitere generelle Umstände bei der Beurteilung der in § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG geforderten Erwartung einzubeziehen sind (beispielsweise aktuelle Entwicklungen im Herkunftsland oder in der Asylrechtsprechung, die eine baldige entscheidende Veränderung der Gesamtschutzquote wahrscheinlich machen) sprechen dafür, dass es in der gerichtlichen Praxis zu divergierenden Entscheidungen kommen kann, die sich angesichts der Vielzahl der innerhalb kurzer Zeit zu treffenden Kurszulassungsentscheidungen ungünstig auswirken. Die zitierte Äußerung der Antragsgegnerin in ihrem Internetauftritt („…wird halbjährlich festgelegt“) deutet darauf hin, dass auch sie eine generelle Festlegung der Herkunftsländer für erforderlich hält, bei denen von der in § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG geforderten Erwartung auszugehen ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG, wobei der Streitwert im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu halbieren ist. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist nach § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG entsprechend dem sich aus der ständigen Rechtsprechung des Senats ergebenden Streitwert (vgl. B.v. 5.12.2016 – 19 C 16.2326) zu reduzieren.
2. Trotz der Erfolglosigkeit in der Sache ist der mittellosen Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Nach § 166 VwGO, § 114 Abs. 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht dürfen nicht überspannt werden. Diese liegt unter anderem vor, wenn im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags ein Obsiegen oder Unterliegen gleichermaßen in Betracht kommt oder wenn die Entscheidung von einer schwierigen, ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2016, § 166 Rn. 29; Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 166 Rn. 26 Möwen. auch zur RPs. des BVerfG).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Schwierigkeit der Rechtssache gebietet auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Mit § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber Integrationskurse für Ausländer geöffnet, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist. Als Zielgruppen dieser Maßnahme bezeichnet die Entwurfsbegründung Asylbewerber, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder Asylbewerber, bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht. Weitere Erläuterungen zur Rechtsanwendung werden nicht gegeben. Weder die Literatur noch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung haben bisher gesicherte Kriterien für die Beurteilung der nach dem Gesetz maßgeblichen Erwartung entwickelt. Der Senat äußert sich vorliegend zum ersten Mal zur Anwendung des § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Die Praxis des Bundesamtes hinsichtlich der maßgeblichen Gesamtschutzquote ist fragwürdig; die Gesetzesbegründung enthält diesbezüglich unstimmige Andeutungen (vgl. Nr. 1.3). Auch die ausschließlich am Herkunftsland orientierte Entscheidungspraxis des Bundesamtes in Ausgangs- und Widerspruchsbescheid versetzt die Antragstellerin nicht in die Lage, die Gesetzmäßigkeit der getroffenen Entscheidung zu beurteilen. Die Begründungen der Bescheide verhalten sich weder zu den Modalitäten bei der Bestimmung der Länder mit einer hohen Anerkennungsquote noch zu den Voraussetzungen einer belastbaren Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag; die Begründung des Widerspruchsbescheids setzt sich nicht ansatzweise mit dem Widerspruchsvortrag der Antragstellerin auseinander. Auf das vom Bundesamt offensichtlich zu Grunde gelegte Stabilitätskriterium wird nicht eingegangen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).