Verwaltungsrecht

Zum erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat

Aktenzeichen  M 5 K 16.35733

Datum:
2.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153659
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
VwVfG § 51
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Ein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat ist erst mit einer rechtskräftigen negativen Sachentscheidung erfolglos abgeschlossen. Der negative Ausgang des Asylverfahrens im Drittstaat muss festgestellt werden und feststehen, bloße Vermutungen sind nicht ausreichend.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags ab-wenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in glei-cher Höhe leistet.

Gründe

Das Urteil kann nach dem Verzicht der Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren ergehen (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsord-nung/VwGO).
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach dem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt somit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22 ff.; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24 ff.). Erfolglos abgeschlos-sen in diesem Sinne ist ein Asylverfahren erst mit der rechtskräftigen negativen Entscheidung in der Sache, nicht aber bereits bei Abschluss eines Asylverfahrens durch Einstellung oder Rücknahmefiktion für den Fall der Ausreise oder des Nichtbetreibens des Verfahrens durch den Antragsteller.
Für den Kläger lag laut der Akten zwar ein Eurodac-Treffer vor, aber keine sonstigen Erkenntnisse über die Durchführung eines Erstverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat. Der Antragsteller hat lediglich angegeben, dass er sich in Italien elf Monate in einem Flüchtlingslager aufgehalten habe. Über einen Antrag auf internationalen Schutz ist nichts angegeben. Dass ein Asylverfahren mit negativem Ausgang durchgeführt worden sein soll, basiert auf bloßer Spekulation der Antragsgegnerin.
Entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Beklagten muss der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Es ist mithin nicht ausreichend, wenn das Bundesamt ohne gesicherte Erkenntnis einen negativen Ausgang lediglich vermutet. Überdies muss das Bundesamt zur Prüfung von Wiederaufnahmegründen Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags in dem anderen Mitgliedsstaat haben (vgl. VG München B.v. 27.12.2016 – M 23 S 16.33585 – juris; VG Schleswig-Holstein, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, Schönenbroicher in BeckOK AuslR, AsylG, 2. Aufl. 2016, § 71a Rn. 2).
Im streitgegenständlichen Bescheid hat das Bundesamt ausgeführt, dass von einer sonstigen Erledigung ohne Schutzgewährung auszugehen sei, da keine Erkenntnisse über den Verfahrensstand vorlägen. Dem Bundesamt lagen somit gerade keine ausreichenden Erkenntnisse über ein in der Sache erfolglos durchgeführtes Asylverfahren in Italien vor.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird zur Begründung auf den bereits zitierten Beschluss vom 13. Juni 2017 (M 5 S 16.35736) verwiesen, soweit darin nicht Besonderheiten des vorläufigen Rechtsschutzes behandelt werden.
2. Eine Entscheidung über den Hilfsantrag ist nicht geboten.
Ein „Durchentscheiden“, also die gerichtliche Prüfung der Verpflichtung des Bundesamtes, die materiell-rechtliche Stellung der Klagepartei hinsichtlich des geltend gemachten Schutzes zu gewährleisten, ist in der vorliegenden Konstellation nicht erforderlich, in der der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in einem anderen Land nicht nachgewiesen ist. Nach Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids, mit dem das Bundesamt abgelehnt hat, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, ist automatisch über den geltend gemachten materiellen Schutzstatus durch die Behörde zu entscheiden (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – ZAR 2017, 236, juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – NVwZ 2016, 625, juris Rn. 22).
3. Die Beklagte hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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