Aktenzeichen 6 CE 18.2332
VwGO § 123
Leitsatz
1. Ein Ausgleichsanspruch ist spätestens dann verwirkt, wenn der Beamte länger als ein Jahr mit der Geltendmachung weiteren Freizeitausgleichs zuwartet, vgl. auch § 88 S. 2 BBG. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verwirkung steht nicht entgegen, wenn der Antragsteller im Unklaren über die Rechtslage gewesen ist und erst ein späteres Urteil Klarheit darüber geschaffen hat, da dies nichts an der Obliegenheit des Beamten ändert, weitergehende Ansprüche auch bei entgegenstehender Erlasslage jedenfalls innerhalb des Jahreszeitraums geltend zu machen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 5 E 18.1023 2018-10-29 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2018 – B 5 E 18.1023 – geändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, der sich noch bis 30. November 2018 im aktiven Dienstverhältnis als Polizeivollzugsbeamter in der Bundespolizei befindet, begehrt im Weg der einstweiligen Anordnung die weitere Anerkennung von Bereitschaftszeiten als Dienstzeiten.
Ihm war Mehrarbeit, die er in Form von Bereitschaftsdienst als Beamter vom Dienst (B.v.D.) geleistet hatte, nach der damaligen Verfügungslage mit Wertung zu 50% je geleisteter Bereitschaftsdienststunde in Freizeit ausgeglichen worden. Mit Schreiben vom 18. April 2017 beantragte er unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016 (BVerwGE 156, 262) bei seiner Dienststelle vollen Freizeitausgleich im Verhältnis von 1 zu 1 durch „Abänderung und Neuberechnung aller von mir geleisteten Dienste als B.v.D., welche noch nicht einer Verjährung der Antragsfrist unterliegen“. Mit Verfügung der Bundespolizeiabteilung Bayreuth vom 13. Dezember 2017 in Gestalt des – teilweise abhelfenden – Widerspruchsbescheids der Direktion Bundesbereitschaftspolizei vom 21. Februar 2018 wurden unter Hinweis auf die neue Erlasslage die vom Antragsteller ab dem 18. November 2015 geleisteten Bereitschaftszeiten „mit einer Abrechnung von 100% nachberechnet“, woraus sich eine Zeitgutschrift in Höhe von 27 Stunden und 16 Minuten ergab; für die vor diesem Zeitpunkt (zwischen 11.3.2015 und 9.11.2015) erbrachten Zeiten des Bereitschaftsdienstes wurde hingegen ein voller Freizeitausgleich abgelehnt.
Der Antragsteller hat daraufhin Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, mit der er auch für die 2015 geleisteten Bereitschaftsdienstzeiten vollen Freizeitausgleich durch Gutschrift von 99,75 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto verlangt. Darüber ist bislang nicht entschieden
Unter Hinweis auf den bevorstehenden Eintritt in den Ruhestand und die dadurch drohende Erledigung seines Klagebegehrens hat der Antragsteller am 1. Oktober 2018 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. Oktober 2018 die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller auf dessen Arbeitszeitkonto 99,75 Stunden gutzuschreiben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die mit der Anordnung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache sei wegen des bevorstehenden Eintritts in den Ruhestand ausnahmsweise gerechtfertigt. Der Antragsteller habe nach § 88 Satz 2 BBG einen Anspruch auf vollen Freizeitausgleich auch der im Jahr 2015 erbrachten Mehrarbeit. Dieser Anspruch sei nicht verwirkt, weil der Antragsteller ihn erst in zumutbarer Weise habe geltend machen können, nachdem er Kenntnis von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016 erlangt habe.
Die Antragsgegnerin beantragt mit ihrer am 2. November erhobenen und am 12. November 2018 begründeten Beschwerde, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2018 abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Der Antragsteller verteidigt den angegriffenen Beschluss und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.
Die Beschwerdegründe, die die Antragsgegnerin innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegt hat, führen zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist abzulehnen, weil dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch zur Seite steht.
Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht zwar davon aus, dass der Antragsteller für geleistete Mehrarbeit in Form des Bereitschaftsdienstes im Jahr 2015 nach § 88 Satz 2 BBG einen Anspruch auf vollen Freizeitausgleich im Verhältnis 1 zu 1 erworben hat. Es sprechen indes gute Gründe dafür, dass dieser Anspruch bereits verwirkt ist. Diese Gründe sind so gewichtig, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache durch einstweilige Anordnung des Ausgleichs in der dem Antragsteller noch verbleibenden aktiven Dienstzeit bis 30. November 2018 nicht gerechtfertigt ist.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung, einer besonderen Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB), gilt auch im öffentlichen Recht, namentlich im öffentlichen Dienstrecht (etwa BayVGH, B.v. 1.2.2018 – 6 ZB 17.1863 – juris Rn. 17 f m.w.N.). Tatbestandlich setzt Verwirkung voraus, dass ein verwirkbares Recht, wie hier der Anspruch auf Gewährung von Dienstbefreiung nach § 88 Satz 2 BBG, nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten daraus erwachsenen Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist dann der Fall, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (sog. Umstandsmoment, vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2018 – 2 C 10.17 – juris Rn. 21 m.w.N). Ab wann ein Untätigsein als vertrauensbildend und damit als für eine Verwirkung relevant gewertet werden kann, lässt sich letztlich nur durch Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls ermitteln (BVerfG, B.v. 4.3.2008 – 2 BvR 2111/07 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 1.2.2018 – 6 ZB 17.1863 – juris Rn. 18).
Gemessen an diesen Grundsätzen dürfte der Anspruch des Antragstellers aus § 88 Satz 2 BBG auf vollen Freizeitausglich für die 2015 erbrachte Mehrarbeit bereits verwirkt gewesen sein, als er ihn mit Schreiben vom 18. April 2017 erstmals geltend gemacht hat. Denn der Antragsteller ist unter Umständen untätig geblieben, unter denen der Dienstherr ein Handeln erwarten durfte, wenn der Antragsteller weiteren Freizeitausgleich beanspruchen will. Denn ihm war für das Jahr 2015 wegen anerkannter Mehrarbeit teilweiser Freizeitausgleich gewährt worden. Ein Beamter ist in einem solchen Fall verpflichtet, anlässlich vom Dienstherrn anerkannter Mehrarbeitszeiten und auf dieser Basis erfolgter Gewährung von Freizeitausgleich darauf hinzuweisen, dass nach seiner Meinung für den fraglichen Zeitraum noch weitere Ansprüche wegen Mehrarbeit bestehen. Kommt der Beamte dieser Pflicht nicht nach, so hat er einen etwaigen Anspruch verwirkt (BayVGH, B.v. 23.11.1982 – 3 B 82 A.1793 – ZBR 1983, 152; B.v. 5.10.2016 – 3 ZB 14.2462 – juris Rn. 9). Dem Antragsteller hätte es daher oblegen, wohl schon bei Inanspruchnahme der ihm (unvollständig) gewährten Dienstbefreiung weitergehenden Ausgleich zu beantragen. Jedenfalls aber dürfte der Ausgleichanspruch spätestens dann verwirkt sein, wenn der Beamte – wie hier – länger als ein Jahr mit der Geltendmachung weiterer Dienstbefreiung zuwartet. Denn das Gesetz bestimmt in § 88 Satz 2 BBG ausdrücklich einen Zeitraum von einem Jahr, innerhalb dessen der Freizeitausgleich zu gewähren ist. Damit wird der Ausgleichsanspruch nicht zuletzt im Interesse einer geordneten und vorhersehbaren Einsatz- und Personalplanung in einer Weise konkretisiert, auf die sich sowohl der Beamte als auch der Dienstherr einzustellen haben. Der Verwirkung steht nicht entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht erst mit Urteil vom 17. November 2016 – 2 C 23.15 – (BVerwGE 156, 262) entschieden hat, dass auch bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes – wie bei Volldienst – Anspruch auf vollen Freizeitausgleich im Verhältnis 1 zu 1 besteht. Auch wenn der Antragsteller vor diesem Urteil im Unklaren über die Rechtslage gewesen sein mag, ändert das nichts an seiner Obliegenheit, weitergehende Ansprüche auch bei entgegenstehender Erlasslage jedenfalls innerhalb des Jahreszeitraums geltend zu machen.
2. Der Antragsteller hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).