Verwaltungsrecht

Zum Meistbegünstigungsgrundsatz – Folgenbeseitigungsanspruch

Aktenzeichen  S 17 AS 82/16

Datum:
6.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131942
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I § 44
SGB X § 44

 

Leitsatz

Der Folgenbeseitigungsanspruch umfasst nur die Beseitigung der unmittelbaren Folgen eines Eingriffs, nicht jedoch einen weitergehenden Schadensersatzanspruch. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen (zusätzlichen) Anspruch auf die Zahlung von 3.500,00 € unter dem Gesichtspunkt des Folgenbeseitigungsanspruchs.
1. Die Kammer durfte in der Besetzung entscheiden, in der sie letztlich entschieden hat. Das Ablehnungsgesuch der Kläger vom 22.02.2016 wegen Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden der 17. Kammer nach § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) ist mit Beschluss vom 03.03.2016 (Az. S 1 SF 48/16 AB) zurückgewiesen worden.
2. Die Entscheidung konnte ohne die Kläger in der Hauptsache ergehen, weil die Kläger in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung vom 02.09.2016 auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind. Zwar hat das Gericht in der Ladung das persönliche Erscheinen der Kläger angeordnet, jedoch nur zum Zweck der Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten, um etwa eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits herbeizuführen. Die Anordnung ist in mündlicher Verhandlung durch Kammerbeschluss aufgehoben worden, nachdem die Kläger unentschuldigt nicht zum Termin erschienen sind. Aus der Anordnung des persönlichen Erscheinens ist im vorliegenden Fall nicht darauf zu schließen gewesen, dass ohne das Erscheinen der Kläger eine Sachentscheidung nicht ergehen durfte (vgl. dazu BSG, Beschl. vom 31.01.2008, B 2 U 311/07 B, juris, Rdrn. 4 f.).
3. Streitgegenstand ist ein Zahlungsanspruch der Kläger gegen den Beklagten in Höhe von 3.500,00 €, wie von den Klägern ursprünglich beantragt. Dies folgt aus der Auslegung des Vortrages der Kläger.
Gemäß § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Durch diese Vorschrift wird unter anderem der wesentliche Grundsatz auch des sozialgerichtlichen Verfahrens zum Ausdruck gebracht, dass das Gericht nur über die vom Kläger zur Entscheidung gestellten Anträge entscheiden darf. Diese Bindung des Gerichts bezieht sich auf den erhobenen Anspruch, nicht auf die Fassung der Anträge. Wenn die Klage keinen im Sinne des § 92 SGG bestimmten Antrag enthält, der eine zweifelsfreie Bestimmung des Gewollten ermöglicht, muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Erforderlichenfalls muss der Antrag entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgelegt werden; hiernach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind das gesamte Vorbringen und alle bekannten Umstände zu berücksichtigen.
Vorliegend ergibt die Auslegung, dass die Kläger einen Betrag in Höhe von 3.500,00 € als Folgebeseitigungsanspruch für den Zeitraum vom 01.07.2013 bis zur Klageerhebung am 29.01.2016 begehren. Den höheren Betrag von 4.445,00 € haben die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 26.09.2016 explizit nur im Eventualis für den Fall geltend gemacht, dass das Gericht den darin gemachten neuen Sachvortrag als Klageänderung ansieht und sie nach Rücknahme der Klage eine neue Klage erheben würden.
Die innerprozessuale Bedingung ist jedoch nicht eingetreten. Es handelt sich bei dem Vortrag vom 26.09.2016 nicht um eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG, da die Kläger ihre bisherigen rechtlichen Ausführungen lediglich um weitere Ausführungen ergänzt haben, § 99 Abs. 3 Nr. 1 SGG.
Weiter ist der Antrag der Kläger, der einerseits auf „Folgenbeseitigung“, andererseits auf „Schadensersatz“ abstellt, nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz dahingehend auszulegen, dass die Kläger nicht Schadensersatz, sondern Folgenbeseitigung begehren. Für einen Schadensersatzanspruch bestünde keine Rechtswegzuständigkeit des Sozialgerichts Bayreuth, da Amtshaftungsansprüche nach § 839 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 34 GG vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden müssten. Hierfür wäre eine Verweisung des Rechtsstreits mit der Folge der Gerichtskostenpflichtigkeit der Klage erforderlich.
4. Statthaft ist vorliegend die isolierte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG, weil die Kläger die Verurteilung zu einer Leistung begehren, auf die sie einen Rechtsanspruch zu haben behaupten.
5. Die Klage ist unbegründet. Beim allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch handelt es sich um einen gewohnheitsrechtlich anerkannten Anspruch auf Wiederherstellung eines Zustandes nach einem öffentlich-rechtlichen Eingriff. Rechtsfolge ist die Wiederherstellung des früheren Zustandes vor einem hoheitlichen Handeln, durch das ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist. Der Folgenbeseitigungsanspruch umfasst nur die Beseitigung der unmittelbaren Folgen eines Eingriffs, nicht jedoch einen weitergehenden Schadensersatzanspruch. Die Folgenbeseitigung, falls im Bereich der sozialrechtlichen Leistungserbringung eine rechtswidrige Leistungskürzung vorgenommen wird, findet jedoch ausschließlich über § 44 SGB X durch nachträgliche Erbringung der Leistungen und über § 44 SGB I durch Verzinsung einer fälligen Forderung statt. Jedoch begehren die Kläger explizit eine über die nachträgliche Leistungserbringung hinausgehende zusätzliche Beseitigung von Vollzugsfolgen. Einen solchen Anspruch begründet das gewohnheitsrechtlich anerkannte Institut der Folgenbeseitigung jedoch nicht.
Die Klage war daher abzuweisen, wie geschehen.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; sie entspricht im Ergebnis dem Ausgang des Rechtsstreits.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen