Verwaltungsrecht

Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens zum Familiennachzug eines Vaters zu seinem minderjährigen deutschen Sohn

Aktenzeichen  10 C 19.2043

Datum:
21.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27525
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S.1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2
AufenthG § 25 Abs. 5, 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
MuSchG § 3 Abs. 1, Abs. 2
AufenthV § 31

 

Leitsatz

1. Es ist wegen des nur vorübergehenden Trennungszeitraums auch mit Blick auf die Bedeutung des persönlichen Kontakts und der Kontinuität emotionaler Bindungen des Kindes zum Vater für die Dauer des Visumverfahrens mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar, auf die Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Sohn zu verweisen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch die Gestaltung seiner Ausreise hat der Kläger es selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er bspw. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholt und eine Überprüfung seiner Personenstandsurkunden veranlasst. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 19.1166 2019-09-20 VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. September 2019 wendet, ist zulässig aber unbegründet.
Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger der den Streitgegenstand der Verpflichtungsklage allein bildende Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aufgrund der familiären Bindung mit seinem am 24. Juli 2018 geborenen Sohn mit deutscher Staatsangehörigkeit voraussichtlich schon deshalb nicht zusteht, weil ihm die (freiwillige) Ausreise auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK nicht unzumutbar und damit nicht im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG rechtlich unmöglich ist.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Beklagten ist es mit dem Schutz aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vereinbar, den Kläger auf die Ausreise (nach Pakistan) zur Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seinem minderjährigen deutschen Sohn (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu verweisen, weil nach gerichtsbekannter Auskunft der Deutschen Botschaft in Islamabad mit Vorabzustimmung und überprüften Personenstandsurkunden eine Visumerteilung innerhalb einer Woche bis maximal einem Monat möglich sei und das Visumverfahren somit eine nur vorübergehende, kurzfristige Trennung von seinem Sohn zur Folge habe. Der Umstand, dass der Kläger demnächst erneut Vater werde, ändere hieran nichts. Denn er habe es durch die Gestaltung des Visumverfahrens selbst in der Hand, seine Abwesenheit möglichst kurz zu halten und möglichst familienverträglich zu gestalten.
Im Beschwerdeverfahren legte der Kläger (fach-)ärztliche und psychologisch-psychotherapeutische Bescheinigungen vor, wonach seine Unterstützung und Anwesenheit für seine Partnerin und seine Familie unentbehrlich seien.
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der – wie der Kläger – vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Unter „Ausreise“ im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.11.2009 – 1 C 19.08 – juris Rn. 12, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 15 jeweils m.w.N.). Entscheidend ist damit die Möglichkeit der (freiwilligen) Ausreise insbesondere in den Herkunftsstaat. Dies ist bei einer Ausreise des Klägers nach Pakistan der Fall, auch wenn diese letztlich (nur) der Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug dient.
Eine freiwillige Ausreise ist, da tatsächliche Hindernisse beim Kläger nicht vorliegen, im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (z.B. nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG; vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 17). Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nicht nur die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben, sondern es ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG a.a.O. Rn. 17).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine freiwillige Ausreise nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sie mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar wäre. Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei ihren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familienrechtlichen Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 13 f.).
Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist die (freiwillige) Ausreise des Klägers nicht wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich unmöglich. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es in seinem Fall mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar, ihn auf die Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Sohn (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu verweisen, weil die damit zwangsläufig verbundene vorübergehende Trennung von seinem Sohn als zumutbar anzusehen ist. Der zu erwartende Trennungszeitraum für die Dauer des Visumverfahrens ist jedenfalls auch mit Blick auf die Bedeutung des persönlichen Kontakts und der Kontinuität emotionaler Bindungen des Kindes zum Vater noch zumutbar, weil in dieser kurzen Zeit nicht zu erwarten ist, dass das noch sehr kleine Kind des Klägers diese sehr kurze Trennung nicht begreifen und schon als endgültigen Verlust erfahren wird. Vorliegend kommt hinzu, dass es der Kläger durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand hat, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er bspw. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5) und eine Überprüfung seiner Personenstandsurkunden veranlasst (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5). Hierauf wurde der Kläger im Verwaltungsverfahren wiederholt hingewiesen (vgl. Schreiben v. 31.1.2019, BA Bl. 344; Vermerk über Vorsprache des Klägers v. 4.4.2019, BA Bl. 365).
An dieser Wertung ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger die Vaterschaft für ein weiteres Kind, dessen Geburt in wenigen Tagen zu erwarten ist, anerkannt hat. Denn aus den insofern im Beschwerdeverfahren vorgelegten ärztlichen und psychologisch-psychotherapeutischen Unterlagen vom 19. August 2019, 25. September 2019 und vom 2. Oktober 2019 geht zwar hervor, dass aus gesundheitlichen Gründen eine „dauerhafte Zusammenführung“ zur Unterstützung der Kindsmutter durch den Kläger dringend angeraten und seine Anwesenheit für erforderlich erachtet werden. Daraus lässt sich aber eine Unzumutbarkeit einer auch nur vorübergehenden Trennung des Klägers von seiner Familie zur Nachholung des Visumverfahrens nicht ableiten. Vielmehr liegt es, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht abgestellt hat, im Verantwortungsbereich des Klägers, die Nachholung des Visumverfahrens so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Somit kann auch die nach den Bescheinigungen für die Anfangszeit („bei Geburt und nach der Entbindung“) für unentbehrlich erachtete Anwesenheit grundsätzlich gewährleistet werden (zu den Schutzfristen vor und nach der Entbindung, vgl. § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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