Aktenzeichen S 1 KA 4/16
Ärzte-ZV § 16b, § 18 Abs. 1, Abs. 2
SGB X § 13 Abs. 1 S. 1
BPlR-Ä § 26 Abs. 1, Abs. 4
Leitsatz
1 Gemäß § 26 Abs. 4 Nr. 2 BPIR-Ä ist auch die Frist bekannt zu machen, innerhalb der potentielle Bewerber um einen Vertragsarztsitz ihre Zulassungsanträge abzugeben haben. Bei dem Auswahlverfahren sind dann auch nur die fristgerecht und vollständig eingereichten Zulassungsanträge zu berücksichtigen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine analoge Anwendung des § 103 Abs. 4 S. 10 SGB V scheidet aus. Die Vorschrift enthält bereits nach ihrem Wortlaut keine Regelungen über das Antragsverfahren und die formellen Voraussetzungen eines wirksamen Antrages auf eine freie Stelle nach partieller Entsperrung. Die Bestimmungen des BPIR-Ä sind für die Zulassungsgremien bindend (Anschluss an BSG BeckRS 2005, 42556). (Rn. 40 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Streitwert wird auf 134.982,39 Euro festgesetzt.
Gründe
Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen SG A-Stadt (§§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 57 a Abs. 1, 10 Abs. 2 SGG i. V. m. § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit in Bayern – BayRS-33-A) erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) ist zulässig. Gegenstand der streitbefangenen Zulassungssache ist dabei nicht der ursprüngliche Verwaltungsakt des ZA, sondern allein der Bescheid des BA vom 21.07.2016 (Beschluss: 23.06.2016; Az.: 43/16), denn mit der Anrufung des BA nach § 96 Abs. 4 SGB V wird ein besonderes, der organisatorischen Eigenständigkeit des Zulassungs- und Berufungsausschusses entsprechendes Verfahren eingeleitet, das nicht mit dem Widerspruchsverfahren nach den §§ 78 ff. SGG identisch ist (vgl. dazu BSG in SozR 1500 § 96 Nr. 32, Seite 42; BSGE 62, 24, 32; BSG vom 27.01.1993 – 6 RKa 40/91). Der BA trifft danach eine eigene Sachentscheidung. Die Entscheidung des ZA geht in der Entscheidung des BA auf (vgl. BSG 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 26 Randn. 18 m. w. N.), die wiederum alleiniger Gegenstand des nachfolgenden Klageverfahrens wird (vgl. BSG SozR 3-2500 § 96 Nr. 1, Seite 6; BSG in SozR 3-2500 § 116 Nr. 6 Seite 39). Das SG A-Stadt hat deshalb über die Zulassungssache in der Gestalt zu entscheiden, die sie im Bescheid des BA gefunden hat.
In der Sache ist jedoch der Bescheid des Beklagten vom 21.07.2016 (Beschluss: 23.06.2016; Az.: 43/16) im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
Der angefochtene Bescheid ist nicht aus formellen Gründen rechtswidrig. Der BA konnte am 23.06.2016 in der Sache entscheiden. Er hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 10.04.2007 – XI B 58/06; BFH in NV 2007 1672; BFH vom 18.12.2009 III B 118/08) dem Terminverlegungsgesuch zu Recht nicht entsprochen. Abgesehen von den vom BFH gestellten Anforderungen an ein ärztliches Attest zur Begründung der Verhandlungsunfähigkeit aufgrund von Reiseunfähigkeit ist hier zu beachten, dass es auf die Reiseunfähigkeit des Geschäftsführers L. zum Zeitpunkt der Entscheidung des BA nicht ankam. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten war dieser nämlich ein vollmachtsloser Vertreter. Die Vollmacht von Herrn L. ergab sich weder aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Angestelltenvertrag vom 28.11.2014, denn danach war Herr L. lediglich allgemein zur Vertretung des MVZ im Außenverhältnis berechtigt. Diese Vollmacht war zwar der Beigeladenen zu 1) angezeigt, nicht jedoch dem organisatorisch selbständigem Beklagten.
Herr L. war auch nicht als GmbH-Geschäftsführer bevollmächtigt, denn Träger des klagenden MVZ ist eine Einzelperson, Herr Dr. N..
Ferner konnte auch nicht aus der Fassung des Widerspruchsschreibens „wir“ legen Widerspruch ein, eine Vollmacht für Herrn L. unterstellt werden, so dass es sich bei ihm zum Zeitpunkt der Entscheidung des BA um einen vollmachtslosen Vertreter handelte. Seine Reiseunfähigkeit zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Beklagten war deshalb aus Sicht des Beklagten letztlich nicht entscheidend. Vielmehr hätte Grund für eine Terminverlegung nur dann bestanden, wenn auch der alleinige Einrichtungsträger, Herr Dr. N., an diesem Tage aus entschuldbaren Gründen verhindert gewesen wäre. Dies schon deshalb, weil dieser bereits vor dem ZA aufgetreten war und auch die Ladung zum Termin vom 23.06.2016 auch ihm gegenüber erfolgte. In den Terminverlegungsgesuchen war jedoch nicht dargelegt, dass auch Herr Dr. N. an diesem Tage verhindert war, so dass die Ablehnung der Terminverlegungsgesuche vom 17.06.2016 und 23.06.2016 nicht zu beanstanden ist.
Darüber hinaus ist auch bezüglich des Antrages vom 20.11.2015 und der Einlegung des Widerspruches gegen den Bescheid des ZA im Schreiben vom 16.06.2016 davon auszugehen, dass es sich bei Herrn L. zunächst um einen vollmachtslosen Vertreter handelte. Das Vorliegen einer Vollmacht des Geschäftsführers L. konnte nach den vorangegangenen Ausführungen weder durch ein beigefügtes Schreiben von Herrn Dr. N. belegt, noch aus der Formulierung „wir“ im Schreiben vom 16.06.2016, das lediglich von Herrn L. unterschrieben war, abgeleitet werden. Ein MVZ selbst ist eine unselbständige Einrichtung. Es ist kein Rechtsträger, dem subjektive Rechte zugeordnet sein können, sondern eine unselbständige Organisationseinheit des Trägers (vgl. dazu BayLSG vom 21.10.2015 – L 12 KA 65/15; BayLSG vom 26.08.2015 – L 12 KA 69/15 B ER). Lediglich der Einrichtungsträger – hier Herr Dr. N. – ist beteiligtenfähig im Sinne des § 70 SGG.
Der Beklagte hat im Bescheid vom 21.07.2016 (Beschluss: 23.06.2016; Az.: 43/16) darüber hinaus zutreffend auf die Rechtsprechung des BSG zur Anscheinsvollmacht und die Tatsache hingewiesen, dass diese auch nach den anwendbaren Grundsätzen im Zivilrecht lediglich zu Lasten des Vertretenden wirkt, nicht jedoch zu Lasten eines Dritten, hier also des Beklagten (vgl. BSG vom 23.04.2009 – B 9 VJ 1/08 R; BSG vom 15.10.1981 – 5 b/5 RJ 90/80).
Der BA hätte jedoch bei Zweifeln an der Bevollmächtigung des Geschäftsführers L. von der Möglichkeit nach § 13 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) Gebrauch machen können. Der Beklagte war zwar nicht verpflichtet, hätte jedoch bei pflichtgemäßer Ausübung des eingeräumten Ermessens von der Bestimmung des § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X Gebrauch machen müssen, wenn – wie im vorliegenden Fall – Anhaltspunkte für das Fehlen oder eine wesentliche Einschränkung der Vollmacht vorhanden waren (vgl. von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 6. Auflage § 13 Randnr. 4 m. w. N.).
Das Fehlen der Vollmacht für den Geschäftsführer L. wurde jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG A-Stadt vom 25.01.2017 nachträglich durch die Genehmigung des Einrichtungsträgers, Herrn Dr. N., geheilt (vgl. von Wulffen, a. a. O.). Damit wurden die von Herrn L. vorgenommenen Rechtshandlungen wirksam.
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Beklagte den Antrag des Klägers vom 20.11.2015 auf Genehmigung zur Anstellung der Beigeladenen zu 8) für den Vertragsarztsitz in Neustadt/Aisch, Planungsbereich L. – B. mangels Vollständigkeit zu Recht nicht zu berücksichtigen hatte.
Der BA hat im angefochtenen Bescheid vom 21.07.2016 (Beschluss: 23.06.2016; Az.: 43/16) zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäß § 26 Abs. 4 Nr. 2 BPlR-Ä in der Veröffentlichung des Beschlusses des Landesausschusses über die Aufhebung von Zulassungssperren die Entscheidungskriterien nach Nr. 3 und die Frist bekannt zu machen waren, innerhalb der potentielle Bewerber ihre Zulassungsanträge abzugeben und die hierfür erforderlichen Unterlagen gemäß § 18 Abs. 1 und 2 Ärzte-ZV beizubringen haben. Der Beklagte konnte bei dem Auswahlverfahren nur die nach dieser Bekanntmachung fristgerecht und vollständig abgegebenen Zulassungsanträge berücksichtigen und war nicht verpflichtet, die übrigen Zulassungsanträge gleichzeitig und zusammen in derselben Sitzung zu verbescheiden.
Die Bewerbung des Klägers vom 20.11.2015 war auch nicht aufgrund einer analogen Anwendung des § 103 Abs. 4 Satz 10 SGB V zu berücksichtigen. Diese Vorschrift enthält bereits nach ihrem Wortlaut keine Regelungen über das Antragsverfahren und die formellen Voraussetzungen eines wirksamen Antrages auf eine freie Stelle nach partieller Entsperrung, sondern ermöglicht bei Vorliegen einer Bewerbung auf die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes gemäß § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V anstelle der dort genannten Auswahlkriterien die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebotes des MVZ zu berücksichtigen.
Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes, sondern um die Vergabe einer nach partieller Entsperrung frei gewordenen Vertragsarztstelle. Hierfür ist in § 26 Abs. 4 der BPlR-Ä das Antrags- und Auswahlverfahren abschließend geregelt, so dass die Zulassungsgremien bei dem Auswahlverfahren nur die nach Bekanntmachung fristgerecht und vollständig abgegebenen Zulassungsanträge zu berücksichtigen sind. Hierauf hatte der Landesausschuss in seiner Bekanntmachung auch ausdrücklich hingewiesen (vgl. BSG vom 23.02.2005 – B 6 KA 81/03 R Randnr. 32).
Von einer unbewussten Regelungslücke, zu der es der Normgeber im Bereich der Teilentsperrung hätte kommen lassen, kann nach Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht die Rede sein. Die Bestimmungen des BPlR-Ä sind für die Zulassungsgremien bindend (vgl. BSG vom 23.02.2005 – B 6 KA 81/03 R, Randnr. 32). Die Auswahlentscheidungen in § 103 Abs. 4 Satz 5 SBG V und nach § 26 Abs. 4 BPlR-Ä unterscheiden sich allein schon vom Regelungszweck grundlegend. § 26 Abs. 4 BPlR-Ä betrifft den Normalfall einer Nachbesetzung eines durch Entsperrung des betreffenden Planungsbereiches frei gewordenen Vertragsarztsitzes und stellt den Regelfall dar. Dagegen betrifft die Bestimmung des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V einen Ausnahmefall, der Regelungen dazu enthält, wenn ein Vertragsarztsitz in den dort benannten Fällen nachzubesetzen ist. § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V enthält insbesondere Bestimmungen, die auch die Interessen der Erben des Vertragsarztes bzw. der von ihm bevorzugten Personen für eine Nachbesetzung seines Vertragsarztsitzes berücksichtigen sollen. Er regelt damit die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einem Ausnahmefall.
Die analoge Anwendung der Bestimmungen des § 103 Abs. 4 Satz 10 SGB X auf Fälle der Besetzung eines Vertragsarztsitzes in einem entsperrten Planungsbereich würde damit die Anwendung der Bestimmungen des Ausnahmefalles auf einen Regelfall bedeuten, die nach Auffassung des erkennenden Gerichtes einer analogen Anwendung entgegensteht.
Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, denn in der vom Bevollmächtigten des Klägers zitierten Gesetzesmaterialie (vgl. BT-DRS 18/4095, 109) ist ausdrücklich ausgeführt, dass eine Konzeptbewerbung eines MVZ lediglich im Nachbesetzungsverfahren geprüft werden kann, wobei damit die Nachbesetzung nach § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V gemeint ist.
§ 103 Abs. 4 Satz 10 SGB V kann deshalb nicht entsprechend auf das Besetzungsverfahren nach § 26 Abs. 4 BPlR-Ä angewandt werden.
Mangels Anwendbarkeit der Bestimmung des § 103 Abs. 4 Satz 10 SGB V hat das erkennende Gericht auch von einer Richtervorlage nach Art. 100 GG abgesehen, weil die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist.
Eine Verletzung des in § 12 Abs. 1 GG normierten Verbotes der Beschränkung der Berufswahlfreiheit (vgl. BVerfGE 11, 30, 42 ff) durch die Nichtberücksichtigung der Konzeptbewerbung des Klägers ist für die Kammer nicht ersichtlich, da darin kein Ausschluss von der vertragsärztlichen Versorgung gesehen werden kann. Die Nichteinhaltung der im Gesetz vorgesehenen Formvorschriften durch den Kläger begründet einen solchen nicht.
Nach alledem konnte die Klage hinsichtlich des gestellten Antrages und des Hilfsantrages keinen Erfolg haben.
Gehören in Verfahren – wie im vorliegenden Fall – weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen, werden nach § 197 a SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind dabei entsprechend anzuwenden. Im vorliegenden Fall waren danach dem Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterliegendem Teil die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Von der Auferlegung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) hat die Kammer aus Billigkeitsgründen abgesehen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Bezüglich des Streitwertes in Zulassungssachen finden nach § 197 a SGG ebenfalls die Vorschriften des GKG Anwendung. Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG ist in den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert nach der für den Kläger sich ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei ist der Streitwert in Höhe der Einnahmen anzusetzen, die der Kläger im Falle der Genehmigung der Beschäftigung der Beigeladenen zu 8) auf einen hälftigen Vertragsarztsitz in den nächsten drei Jahren hätte erzielen können (vgl. BSG vom 01.09.2005 – B 6 KA 41/01 R), wobei die erzielten Einkünfte um die durchschnittlichen Praxiskosten zu vermindern sind (vgl. BSG vom 07.01.1998 in MDR 1998, Seite 186). Kann – wie im vorliegenden Fall – nicht auf die eigenen Umsatzzahlen des Klägers zurückgegriffen werden, ist auf den durchschnittlichen Umsatz abzustellen. Orthopäden erzielten nach der Umsatzstatistik der Beigeladenen zu 1) im Jahr vor der Klageerhebung durchschnittliche Honorarumsätze in Höhe von 252.776,00 Euro, bezüglich eines halben Vertragsarztsitzes also in Höhe der Hälfte (= 126.388,00 Euro). Abzüglich eines Betriebsausgabensatzes von 64,04% (= 81.393,87 Euro) ergibt sich ein Einnahmeüberschuss in Höhe von 44.994,13 Euro, bezogen auf einen Zeitraum von drei Jahren somit ein Betrag in Höhe von 134.982,39 Euro, der als Streitwert festzusetzen war.