Verwaltungsrecht

Zur Frage der Erforderlichkeit eines Haftgrundes bei Zurückweisungen

Aktenzeichen  33 T 513/18

Datum:
30.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 37252
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 15 Abs. 5, Abs. 6, § 62 Abs. 3
RL 2008/115/EG Art. 2 Abs. 2 lit. a, Art. 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Haftgrund nach § 62 Abs. 3 AufenthG ist bei Zurückweisungen nicht erforderlich, zumal § 15 Abs. 5 S. 2 AufenthG nicht auf diese Norm verweist. Dies steht mit der Rückführungsrichtlinie der EU 2008/115/EG vom 16.12.2008 (2008/115/EG) in Einklang. § 15 AufenthG ist eine Mitgliedstaatsvorschrift iSd Art. 2 Abs. 2 lit. a der Rückführungsrichtlinie, die die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und Abs. 6 AufenthG ausschließt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 XIV 14/18 2018-02-24 Bes AGKEMPTEN AG Kempten

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 18.03.2018 (Az. 4 XIV 97/18) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft spätestens endet am 15.05.2018.
2. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 24.02.2018 (Az. 2 XIV 14/18) wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.
4. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
5. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 5000 €.

Gründe

I.
Der Betroffene ist pakistanischer Staatsangehöriger. Der Betroffene versuchte am 23.02.2018 gegen 14. 30 h als Mitreisender in einem Fernreisebus über die Bundesautobahn A 96, Anschlussstelle Sigmarszell in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Der Betroffene führte keine Identitätsdokumente und aufenthaltslegitimierenden Dokumente mit sich. Beamte der Bundespolizeiinspektion Rosenheim verweigerten dem Betroffenen die Einreise. Eine EURODAC-Recherche ergab eine Registrierung des Betroffenen in Italien seit 28.11.2017. Auch für Griechenland und Ungarn liegen jeweils EURODAC-Treffer vor.
Ein vom Betroffenen seit 16.11.2015 in Deutschland betriebenes Asylverfahren wurde durch Bescheid vom 07.12.2017, zugestellt am 14.12.2017, durch negative Entscheidung abgeschlossen (BAMF 7175426-461). Auch in den Verfahren in Griechenland und Ungarn wurden kein Asyl gewährt oder ein Schutzstatus zuerkannt. Die Antragstellerin Bundespolizeiinspektion Rosenheim hat mit Antrag vom 24.02.2015 mitgeteilt, der Betroffene solle nach Pakistan zurückgewiesen werden.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung bei der beteiligten Behörde gab der Betroffene an, nicht nach Pakistan zurückkehren zu wollen und auch nicht bei einer Passbeschaffung mitzuwirken. Eine Zurückweisung nach Pakistan werde er durch Schreien zu verhindern versuchen.
Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion Rosenheim vom 24.0 2.2018 und nach Anhörung des Betroffenen wurde der Betroffene durch Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 24.02.2018 bis längstens 09.03.2018 in vorläufige Zurückweisungshaft genommen (Amtsgericht Kempten Aktenzeichen 2 XIV 14/18). Das Verfahren wurde aufgrund Inhaftierung des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt Eichstätt an das Amtsgericht Ingolstadt abgegeben.
Mit Antrag der Bundespolizeiinspektion Kempten vom 05.03.2018 wurde eine Verlängerung der Zurückweisungshaft für längstens zehn Wochen bis zum 22.05.2018 beantragt. Es wird ausgeführt, dass in diesem Verfahren der Betroffene durch die antragstellende Behörde dem zuständigen Staat angeboten werde. Das hierfür erforderliche Konsultationsverfahren werde unverzüglich eingeleitet und dauere im Regelfall zehn Wochen, diese Frist setze sich zusammen für eine Zeitdauer von acht Wochen für die Bearbeitung durch die pakistanischen Behörden für Passersatz Ausstellung ohne Sachbeweise. Die entsprechenden Dokumente habe die Antragstellerin am 28.02.2018 bei der Botschaft eingereicht. Es schließe sich eine Bearbeitungszeit bei der Antragstellerin für die Organisation einer unbegleiteten Rückführung, Flugbuchung und tatsächliche Rückführung an, gefolgt von einem Tag Sicherheitsreserve für den Fall des Scheiterns der Maßnahme. Auf den Antrag vom 05.03.2018 wird verwiesen.
Am 07.03.2018 hat das Amtsgericht Ingolstadt nach persönlicher Anhörung des Betroffenen vom selben Tage Haft zur Zurückweisung des Betroffenen bis längstens 22.05.2018 angeordnet (Aktenzeichen 4 XIV 97/18).
Mit Schreiben vom 06.03.2018 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 24.02.2018 Beschwerde ein. Es erfolgt nachfolgend Umstellung auf Feststellung der Rechtsverletzung mit Schriftsatz vom 18.03.2018. Auf die Begründung wird verwiesen. Nichtabhilfeentscheidungen des Amtsgerichts Ingolstadt liegen unter den 13.03.2018 sowie nachfolgend unter den 23.03.2018 vor.
Mit Schreiben vom 18.03.2018 legt der Verfahrensbevollmächtigte gegen den Beschluss vom 07.03.2018 Beschwerde ein mit dem weiteren Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. Die Beschwerde wird unter den 20.03.2018 weitergehend begründet. Hierauf wird verwiesen.
II.
Die Beschwerden des Betroffenen sind gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 58 FamFG statthaft, sie sind auch zulässig.
Die eingelegten Beschwerden sind jedoch nicht begründet. Die Anordnung der Zurückweisungshaft beruht auf § 15 V 1 AufenthG. Danach soll der Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung in Zurückweisungshaft genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Der Betroffene ist gemäß § 13 II Satz 1 AufenthG an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle erst dann eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. Die Verbringung des Betroffenen zur Anhörung zur Polizeidienststelle stellt keine Einreise im Sinne des Gesetzes dar.
Der Anordnung der Haft lagen zulässige und ausreichend begründete Haftanträge der beteiligten Behörde zugrunde. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung ist von den Verwaltungsgerichten zu klären und bleibt einer Prüfung im Beschwerdeverfahren verschlossen. Die angefochtenen Anordnungen sowie die Verlängerung der Zurückweisungshaft sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zurückweisung von Deutschland nach Pakistan richtet sich nach Art. 14 VO (EG) Nr. 399/2016 in Verbindung mit § 15 AufenthG nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan über die Rückübernahme von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung.
Durchführungshindernisse im Hinblick auf das geplante Zielland der Zurückweisung sind nicht ersichtlich. Mit Antrag vom 24.02.2018 hat die beteiligte Behörde zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung ausgeführt, das Verfahren könne innerhalb der nächsten drei Monate erfolgversprechend betrieben werden. Zunächst müsse das anzuwendende Verfahren und der endgültige Zielstaat bestimmt werden. Obwohl der Betroffene seit 2015 in Deutschland lebt und dort ein Asylverfahren betrieben hat, besitzt er keine Identitätsdokumente. Er hat auch keine Anstrengungen unternommen, solche zu beschaffen oder hieran mitzuwirken. Dieses Verhalten erfüllt die Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 14 Nrn. 2 und 3 AufenthG. Der Betroffene hat auch gegenüber dem beauftragten Richter der Beschwerdekammer angegeben, sich für die Zurückschiebung nach Pakistan nicht zur Verfügung zu halten. Es sei richtig, dass er diese durch Schreien zu verhindern versuchen werde. Auch die Tatbestandsmerkmale der Entziehung von der Aufenthaltsbeendigung nach § 2 Abs. 14 Nummer 5 AufenthG sind deshalb erfüllt. Die Haft ist verhältnismäßig, die Staatsanwaltschaft Kempten wurde am Tag der Antragstellung gehört, § 72 IV AufenthG.
Nicht heilbare Rechtsfehler der Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt, Aktenzeichen 4 XIV 97/18, liegen nicht vor. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen rügt, der Anhörungstermin vom 07.03.2018 sei auf seinen Antrag hin zu verschieben gewesen, führt das Amtsgericht Ingolstadt aus, eine Verlegung könne aufgrund des organisatorischen Aufwandes der Ladung und Bereitstellung des Betroffenen sowie des Dolmetschers nicht erfolgen. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Am 07.03.2018 wurde der Betroffene vor dem Amtsgericht angehört. Er bestätigt die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen seines Aufenthaltes und fehlender Beschaffung von Identitätspapieren sowie Verhinderung seiner Zurückschiebung.
Die Haftanträge genügen den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung. Für Abschiebehaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, den Zurückschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung und zur notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3-5 FamFG). Bei einer Abschiebung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin-III-Verordnung) gehören zu den erforderlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Abschiebung auch Ausführungen dazu, dass und weshalb der Zielstaat nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist.
Der Haftantrag ausreichende Grundlage zur Verhängung der Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5, 71 III Nr. 1 AufenthG. Die Zurückweisungsentscheidung der Bundespolizei konnte nicht unmittelbar vollzogen werden, zumal der Betroffene Reisedokumente nicht besitzt. Ein Haftgrund nach § 62 Abs. 3 AufenthG ist bei Zurückweisungen nicht erforderlich, zumal § 15 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht auf diese Norm verweist (BGH Beschluss vom 22.06.2017, V ZB 127/16). Dies steht mit der Rückführungsrichtlinie der EU 2008/115/EG vom 16.12.2008 (2008/115/EG) in Einklang. § 15 AufenthG ist eine Mitgliedstaatsvorschrift im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a, der Rückführungsrichtlinie, die die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und Abs. 6 AufenthG ausschließt (BGH Beschluss vom 10.03.2016).
Die Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt wurde dem Verfahrensbevollmächtigten auf rechtlichen Hinweis der Kammer vom 16.03.2018 hin ordnungsgemäß bekannt gemacht.
Auf Veranlassung der Beschwerdekammer vom 11.04.2018 hat die Antragstellerin Bundespolizeiinspektion Kempten unter dem 16.04.2018 Stellung zu den Beanstandungen der Beschwerdebegründung genommen. Darin wird zunächst nachgeliefert die Postzustellungsurkunde hinsichtlich der Zustellung des Bescheides vom 07.12.2017, die Zustellung erfolgte am 14.12.2017, der Ausländer hat sicherzustellen, dass ihm Posteingänge während der Postausgabe- und Postverteilungszeiten in der Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt werden können. Zustellungen und formlose Mitteilungen sind mit der Aushändigung an den Ausländer bewirkt; im Übrigen gelten sie am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt, § 10 II. 4 AsylVerfG.
Eine Zurückweisung des Betroffenen hat nicht zwingend in den Staat zu erfolgen, aus dem heraus die versuchte Einreise erfolgt ist. Die Antragstellerin weist hin auf Punkt.15.0.5.2 der AVwV zum Aufenthaltsgesetz, wonach die Grenzbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen auch einen anderen Staat bestimmen kann. Als solcher ist das Heimatland des Betroffenen völkerrechtlich zur Aufnahme verpflichtet.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt war lediglich insoweit zu korrigieren, als eine Haftdauer lediglich bis Dienstag, 15.05.2018, ausgesprochen werden konnte. Diese Berechnung schließt sich an die Antragstellung der beteiligten Behörde vom 05.03.2018, in der eine Haftdauer von zehn Wochen und einem Tag als notwendig dargestellt wird.
Mangels Erfolgsaussicht des Vorbringens war der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zurückzuweisen, § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO. In der Abkürzung der Haftdauer um eine Woche liegt kein durchgreifender Erfolg der Beschwerde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewertes stammt aus § 61 I 1, 36 III GNotKG.

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