Aktenzeichen M 22 E 17.3537
Leitsatz
1 Obdachlos ist derjenige, der ohne Unterkunft ist bzw. dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar droht, etwa infolge anstehender Zwangsräumung nach mietrechtlichen Streitigkeiten (ebenso VG Würzburg BeckRS 2013, 53264). (redaktioneller Leitsatz)
2 Zusätzlich setzt das Vorliegen von Obdachlosigkeit voraus, dass es dem Betroffenen nicht möglich ist, die Wohnungslosigkeit aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln zu beseitigen (ebenso BayVGH BeckRS 2008, 27444). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller sowie dessen Ehefrau und Kindern ab … August 2017 zur Behebung der diesen drohenden Obdachlosigkeit eine Notunterkunft zuzuweisen und vorläufig zur Verfügung zu stellen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers nach § 123 VwGO ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht, vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
1. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zu Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Danach ist die Sicherheitsbehörde zum Tätigwerden verpflichtet, um die in der Obdachlosigkeit bestehende Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen abzuwehren.
Obdachlos ist derjenige, der ohne Unterkunft ist bzw. dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft, etwa infolge anstehender Zwangsräumung nach mietrechtlichen Streitigkeiten, unmittelbar droht (VG Würzburg, B.v. 1.7.2013 – W 5 E 13.525 – juris Rn. 4). Ob Obdachlosigkeit vorliegt, ist anhand objektiver Kriterien zu bestimmen, insbesondere ist aus sicherheitsrechtlicher Sicht nicht zu prüfen, ob und inwieweit der Zustand der Obdachlosigkeit auf einem Verschulden des Antragstellers beruht (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2015 – 4 CE 15.2102 – juris Rn. 2). Zusätzlich setzt das Vorliegen von Obdachlosigkeit voraus, dass es dem Betroffenen nicht möglich ist, die Wohnungslosigkeit aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln zu beseitigen. Dies folgt aus dem Subsidiaritätsgrundsatz, wonach die Selbsthilfe Vorrang vor dem Einschreiten der Sicherheitsbehörde nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG besitzt (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2008 – 4 CE 07.2893 – juris Rn. 7; VG Augsburg, B.v. 1.12.2016 – Au 7 E 16.1669).
2. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung verpflichtet, den Antragsteller und seine Familie vorübergehend obdachlosenrechtlich unterzubringen.
2.1 Ein Anordnungsgrund ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus der bevorstehenden Zwangsräumung der vom Antragsteller und seiner Familie derzeit bewohnten Mietwohnung am kommenden …, den … August 2017. Anhaltspunkte dafür, dass die Zwangsräumung nicht stattfindet, sind nicht erkennbar.
2.2 Der Antragsteller kann auch einen Anordnungsanspruch auf obdachlosenrechtliche Unterbringung hinreichend glaubhaft machen. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich nach Ansicht des Gerichts nichts dafür, dass der Antragsteller die drohende Obdachlosigkeit mit eigenen Mitteln und aus eigener Kraft beseitigen könnte. Für eine Abwendung der Obdachlosigkeit durch ein vorübergehendes Unterkommen bei Freunden oder Bekannten ist – schon aufgrund der Größe der Familie – nichts ersichtlich. Auch eine Anmietung einer Wohnung oder eines Zimmers dürfte für den Antragsteller gegenwärtig nicht zu bewerkstelligen sein. Zum einen erscheint bereits zweifelhaft, dass der Antragsteller bis zum Greifen der ab 1. September 2017 erfolgten Zimmerreservierung kurzfristig überhaupt eine geeignete Unterkunftsmöglichkeit beschaffen kann. Aus den Akten ergibt sich, dass der Antragsteller in der Vergangenheit – auch unter Zuhilfenahme der Antragsgegnerin sowie der Wohnungsnothilfe – vergeblich versucht hat, eine angemessene Wohnung für sich und seine Familie zu finden (vgl. Bl. 77 der Behördenakte). Auch die Antragsgegnerin hat sich ausweislich Blatt 118 der Behördenakte bislang schwer getan, kurzfristig eine Wohnungsmöglichkeit für eine vierköpfige Familie zu finden. Zum anderen geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller selbst bei Vorhandensein einer geeigneten Wohnung oder eines geeigneten Pensionsbzw. Hotelzimmers eine Anmietung nicht möglich ist, da er nicht über genügend finanzielle Mittel hierfür verfügt. Dem Antragsteller und seiner Familie stehen ausweislich der vorgelegten Abrechnungen der Brutto/Netto-Bezüge sowie einer telefonischen Auskunft von Herrn … (* … – Wohnungsnotfallhilfe) vom 8. August 2017, der die Familie aufgrund von Sprachschwierigkeiten auch bei der Stellung der Anträge nach SGB II betreut, insgesamt monatlich ca. 1.430,- Euro (netto) zur Verfügung. Für Lebensunterhalt und Unterbringung einer vierköpfigen Familie dürften diese finanziellen Mittel nicht ausreichen, zumal das günstigste Unterbringungsangebot, das die Antragsgegnerin einholen konnte, einen Mietpreis von 963,- Euro brutto ausweist.
Der Bejahung eines Anordnungsanspruchs steht auch nicht entgegen, dass dem Antragsteller ggf. Hilfeleistungen nach dem SGB II zustehen und er diese mittlerweile beantragt hat. Solange diese (unter Berücksichtigung etwaiger Unterkunftskosten) nicht gewährt werden und eine entsprechende Unterkunft nicht zur Verfügung steht, bleibt die Antragsgegnerin weiterhin zur Abwehr einer bestehenden oder drohenden Obdachlosigkeit verpflichtet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.