Verwaltungsrecht

Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  M 22 E 17.776

Datum:
9.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
BayVwVfG BayVwVfG Art. 3 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Für eine sicherheitsrechtliche Anordnung zur Behebung von Obdachlosigkeit ist die Gemeinde örtlich zuständig, in der die aktuelle Obdachlosigkeit entstanden ist oder unmittelbar droht, und nicht die Gemeinde, in der der Obdachlose gemeldet ist oder war bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte (ebenso BayVGH BeckRS 1995, 22021). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zur Behebung ihrer Obdachlosigkeit eine Unterkunft zuzuweisen und vorläufig zur Verfügung zu stellen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft durch die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung.
Dazu hat die Antragstellerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Die Antragstellerin war zuletzt in … gemeldet, wo sie in einer Wohnung bis Herbst 2016 lebte. Aufgrund von Arbeitslosigkeit und fehlender finanzieller Mittel musste sie ihre Wohnung aufgeben und kam anschließend bei einer Bekannten in … unter. Nachdem die Bekannte der Antragstellerin am Abend des 16. Februars 2017 gegen 19 Uhr erklärt habe, dass die Antragstellerin nicht länger bei ihr wohnen könne, habe sie die Wohnung der Bekannten verlassen. Da sie sich in … nicht hinreichend ausgekannt habe, (um sich für die bevorstehende Nacht eine Unterkunft zu organisieren) sei sie nach München zum Marian Platz gefahren und habe sich dort vom 16. bis 21. Februar 2017 ein Zimmer in einer Pension genommen. Die Kosten habe sie mit eigenen finanziellen Mitteln bestritten. Da ihr Erspartes jedoch zur Neige gegangen sei, habe sie das Pensionszimmer aufgeben und seitdem in Notschlafplätzen in München nächtigen müssen.
Am 22. Februar 2017 sprach die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin vor und beantragte eine obdachlosenrechtliche Unterbringung.
Die Antragsgegnerin lehnte die Unterbringung der Antragstellerin ab, da sie sich nicht für örtlich zuständig hielt, und verwies die Antragstellerin im Hinblick auf eine obdachlosenrechtliche Unterbringung an die Gemeinde … Die Gemeinde … hat der Antragstellerin ebenfalls erklärt, dass sie ihr nicht helfen könne, da die Antragstellerin nie in … gemeldet gewesen sei.
Die von der Antragsgegnerin als Notmaßnahme angebotene Unterbringung im Rahmen des Kälteschutzprogramms wurde von der Antragstellerin abgelehnt.
Am 24. Februar 2017 beantragte die Antragstellerin zur Niederschrift, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verpflichten, ihr vorläufig eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
Mit beim Gericht am 2. März 2017 per Fax eingegangenem Schriftsatz beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor, dass sie zur obdachlosenrechtlichen Unterbringung der Antragstellerin nicht örtlich zuständig sei, da die Obdachlosigkeit der Antragstellerin bereits mit Verlassen der Wohnung der Bekannten in … eingetreten sei. Das kurzfristige viertägige Unterkommen in der Pension in München habe insbesondere aufgrund der absehbaren kurzen Zeitdauer die Obdachlosigkeit der Antragstellerin nicht behoben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder dro-hende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungs-grund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
2. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen hier vor, da die Antragstellerin einen gegen die Antragsgegnerin gerichteten Anordnungsanspruch auf (vorläufige) Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit sowie einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft machen konnte.
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf der Grundlage des glaubhaft gemachten Vorbringens der Antragstellerin gebotenen Prüfung ist die Antragsgegnerin für die Unterbringung der Antragstellerin insbesondere örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit für eine sicherheitsrechtliche Anordnung zur Behebung von Obdachlosigkeit auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVGrichtet sich gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG danach, wo der entscheidende Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Zuständig für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten zur Beseitigung der mit der Obdachlosigkeit einhergehenden Gefahr ist die Gemeinde, in der die aktuelle (streitgegenständliche) Obdachlosigkeit entstanden ist oder unmittelbar droht. Maßgeblich ist insoweit nicht, wo die Antragstellerin gemeldet ist oder war, bzw. wo sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, sondern wo sie aktuell obdachlos geworden ist (BayVGH, B.v. 26.4.1995 – 4 CE 95.1023 – BayVBl. 1995, 729). Indem ein Betroffener vom Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) Gebrauch macht, kann er in gewissem Umfang darauf Einfluss nehmen, wo die Obdachlosigkeit eintritt (BayVGH a.a.O.). Dies liegt in der Regelungsnatur des Sicherheitsrechts begründet, welches darauf gerichtet ist, die Gefahr dort zu bekämpfen, wo sie auftritt.
Das Ersuchen ist nur ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn sich der Betroffene beispielsweise allein deshalb an einen bestimmten Ort begibt, um dort Obdach zu beantragen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 30.7.2012 – 4 CE 12.1576 – juris Rn. 18; B.v. 7.1.2002 – 4 ZE 01.3176 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 26.4.1995, BayVBl 1995, 729/730; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Juli 2013, Art. 7 Rn. 174, 179).
Im vorliegenden Fall kann auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Antragstellerin treuwidrig nach München begeben hat, um dort rechtsmissbräuchlich Obdach zu beantragen. Unabhängig von dem Umstand, dass sich die Antragstellerin beim Verlassen der Wohnung ihrer Bekannten in … wohl auch an die dortige Gemeinde mit dem Begehren einer Obdachlosenunterbringung hätte wenden können, sind die Fahrt nach München sowie die Anmietung eines dortigen Pensionszimmers für wenige Tage jedenfalls vorliegend nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen, dass sie an dem Abend, als sie die Wohnung ihrer Bekannten verlassen musste, keine andere Möglichkeit sah, als sich in München ein Pensionszimmer zu nehmen. Auch der Umstand, dass die Antragstellerin wusste, dass ihre finanziellen Mittel nur wenige Tage für die Anmietung ausreichen würden, begründet keine Treuwidrigkeit. Die Antragstellerin war auf eine kurzfristige Lösung angewiesen.
3. Es sei aber darauf hingewiesen, dass diese Unterkunft nicht als Dauerlösung angesehen werden darf, sondern lediglich Überbrückungscharakter hat. Der Antragstellerin obliegt es daher gleichwohl, sich – gegebenenfalls mit Unterstützung des zuständigen Sozialleistungsträgers – im Rahmen der durch das SGB geschaffenen Möglichkeiten alsbald selbst eine geeignete Wohnmöglichkeit zu verschaffen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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