Aktenzeichen 6 ZB 16.679
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 4 S. 4
Leitsatz
Eine bloße Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Würdigung von Sachverständigengutachten erfüllt nicht die Anforderungen an den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 21 K 14.2147 2016-02-12 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Februar 2016 – M 21 K 14.2147 – wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 45.468,48 €
festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, sind entweder nicht hinreichend dargelegt oder liegen in der Sache nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zweitens ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, drittens erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und viertens darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B. v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 26; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Der Zulassungsantrag erfüllt diese Anforderungen nicht, weil es schon an der ausdrücklichen oder zumindest sinngemäßen Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage fehlt. Der Kläger macht geltend, dass das Verwaltungsgericht seine Klage nach Maßgabe der rechtlichen Anforderungen an ärztliche Gutachten im Zwangspensionierungsverfahren, wie sie in mehreren, näher bezeichneten obergerichtlichen Entscheidungen aufgestellt worden seien, nicht hätte abweisen dürfen; denn die vom Dienstherrn herangezogenen betriebsärztlichen Gutachten seien widersprüchlich und hätten zumindest eigene gerichtliche Ermittlungen auslösen müssen. Der Sache nach zielt diese Argumentation auf die verwaltungsgerichtliche Würdigung der in Streit stehenden Gutachten und kann schon deshalb keine grundsätzliche, über den Einzelfall des Klägers hinausgehende Bedeutung aufzeigen.
2. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dieser Zulassungsgrund wäre begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B. v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B. v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG setzt voraus, dass der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen dauernd unfähig ist. Als dienstunfähig kann der Beamte gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG auch dann angesehen werden, wenn er infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate seine Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nicht das von dem Beamten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. BVerwG, U. v. 26.3.2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297/300 Rn. 14; U. v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1 Rn. 14 f.).
Grundlage für die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit ist die ärztliche Untersuchung nach Maßgabe des § 48 BBG, die nur einer Amtsärztin oder einem Amtsarzt übertragen werden kann oder – wie hier – einer Ärztin oder einem Arzt, die oder der als Gutachterin oder Gutachter zugelassen ist (Abs. 1 Satz 1). Der Arzt teilt der Behörde auf Anforderung im Einzelfall die tragenden Gründe des Gutachtens mit, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die von ihr zu treffende Entscheidung erforderlich ist (Abs. 2 Satz 1). Die Verantwortung zur Feststellung der Dienstunfähigkeit hat freilich die Behörde, nicht der Arzt. Sie muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen inhaltlich nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (vgl. BVerwG, U. v. 21.6.2007 – 2 A 6.06 – juris Rn. 23; B. v. 6.3.2012 – 2 A 5.10 – juris Rn. 2).
Das Verwaltungsgericht (S. 10 f. des Urteils) ist zu Recht und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 20.1.2011 – 2 B 2.10 – juris) und des Senats (z. B. BayVGH, U. v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 21; B. v. 13.8.2014 – 6 ZB 14.50 – juris Rn. 9) davon ausgegangen, dass ärztliche Gutachten zur Frage der Dienstunfähigkeit hinreichend und nachvollziehbar begründet sein müssen. Das Gutachten muss sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d. h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, enthalten als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben. Wie detailliert die Ausführungen sein müssen, ist im Hinblick auf die Funktion des Gutachtens zu beantworten. Eine (amts-)ärztliche Stellungnahme im Zwangspensionierungsverfahren soll dem Dienstherrn die Entscheidung darüber ermöglichen, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist (§ 44 Abs. 1 BBG) und gegebenenfalls welche Folgerungen aus einer bestehenden Dienstunfähigkeit zu ziehen sind. Zugleich muss das Gutachten es dem Beamten ermöglichen, sich mit den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Arztes und mit der darauf beruhenden Entscheidung des Dienstherrn auseinanderzusetzen und sie gegebenenfalls substantiiert anzugreifen. Deshalb darf sich das Gutachten nicht auf die bloße Mitteilung einer Diagnose und eines Entscheidungsvorschlages beschränken, sondern muss die für die Meinungsbildung des Arztes wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennen lassen. Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BVerwG, B. v. 20.1.2011 – 2 B 2.10 – juris Rn. 5).
In Anwendung dieses Maßstabs ist das Verwaltungsgericht mit überzeugenden Erwägungen zum Ergebnis gelangt, dass die Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen der als Gutachterin zugelassenen Frau Dr. E. (vom 29.8.2013, 22.1.2014, 17.4.2014) unter Berücksichtigung der von dieser verwerteten privatärztlichen Atteste (insbes. Dr. W vom 6.6.2013, 23.10.2013) diesen Anforderungen genügen und die Zurruhesetzung des Klägers wegen Dienstunfähigkeit durch Bescheid vom 31. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. April 2014 rechtfertigen. Dem hält der Zulassungsantrag keine stichhaltigen Einwände entgegen, die näherer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürften.
Inwiefern die Feststellung einer dauernden Dienstunfähigkeit deshalb ausscheiden solle, weil sie „auf Grundlage einer Einsatzuntersuchung für einen konkreten Einsatz des Klägers getroffen“ worden sei, ist nicht nachvollziehbar. Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs wurde der Kläger im Anschluss an eine am 13. Juni 2013 durchgeführte „Eignungsuntersuchung“ (Bl. 2-5) auf entsprechende Aufforderung des Dienstherrn (vom 13.8.2013, Bl. 7-9) aus „begründetem Anhalt für das Vorliegen einer dauernden Dienstunfähigkeit“ durch Frau Dr. E. erneut (am 23.8.2013, Bl. 10-15) untersucht, und zwar ausdrücklich zum Zweck einer „Prüfung der dauernden Dienstunfähigkeit entsprechend den beamtenrechtlichen Regelungen“. Auf diese Prüfung beziehen sich die nachfolgenden gutachterlichen Stellungnahmen von Frau Dr. E. Warum das Verwaltungsgericht bei deren Würdigung hätte berücksichtigen müssen, dass Ausgangspunkt „nur“ eine Untersuchung für einen konkreten Einsatz gewesen ist, erschließt sich nicht.
Der Einwand, ein Einsatz des Klägers sei möglich, weil „in nahezu allen Punkten“ Leistungsvermögen vorhanden und durch die Betriebsärztin in einem Ankreuzbogen bestätigt worden sei, geht ebenfalls fehl. Die Gutachterin hat vielmehr für die – deutlich – überwiegenden Tätigkeiten eine Leistungsminderung oder fehlendes Leistungsvermögen ermittelt (Bl. 14 f., 81). Das Verwaltungsgericht hat darauf die plausible Feststellung gestützt, dass die Leistungsbeeinträchtigungen ihre Ursache jedenfalls im Wesentlichen in der mentalen und neurologischen Konstitution des Klägers hätten und seine Fähigkeit, sein von Geistesarbeit und Kommunikation geprägtes abstrakt-funktionelles Amt (Aufgabenkreis eines Technischer Fernmeldeamtmanns bei der Telekom) auszuüben, insgesamt erfassten und in der Gesamtschau zur Dienstunfähigkeit führt. Dem hält der Zulassungsantrag nichts Stichhaltiges entgegen.
Schließlich kann der Einwand, die Stellungnahmen der Gutachterin genügten nicht den Mindestanforderungen und hätten das Verwaltungsgericht zumindest zur Einholung eines weiteren gerichtlichen Gutachtens veranlassen müssen, nicht die Zulassung der Berufung rechtfertigen. Zwar mag dem Ausgangsgutachten vom 29. August 2013 nur bedingte Aussagekraft zukommen (mehr allerdings als in dem mit Senatsurteil vom 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – zugunsten des Beamten entschiedenen Fall). Der Dienstherr hat sich indes damit nicht begnügt, sondern ergänzende Stellungnahmen und im Widerspruchverfahren eine erneute Begutachtung unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Atteste eingeholt. Bei einer Gesamtschau dieser – sich keineswegs auf bloßes begründungsloses Ankreuzen beschränkenden – gutachterlichen Stellungnahmen begegnet es keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht auf ihrer Grundlage eine Dienstunfähigkeit des Klägers bejaht und von einer weiteren Sachverhaltsaufklärung abgesehen hat. Die Einholung eines – weiteren – Sachverständigengutachtens hat sich ihm jedenfalls nicht aufdrängen müssen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).