Aktenzeichen 4 CE 16.1939
BayGO BayGO Art. 23, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1
VwZVG VwZVG Art. 29 Abs. 2, Art. 32
PAG Art. 27
ZPO ZPO § 885, § 885a
Leitsatz
1. Eine Satzung über die Benutzung einer gemeindlichen Einrichtung (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO) kann auch “nachwirkende” Handlungs- oder Duldungspflichten der früheren Einrichtungsbenutzer und entsprechende Eingriffsbefugnisse des Einrichtungsträgers enthalten. (amtlicher Leitsatz)
2. Eine Regelung, wonach das nach der Räumung einer Obdachlosenunterkunft in gemeindliche Verwahrung genommene und nicht fristgerecht abgeholte Räumungsgut an Dritte weitergegeben oder entsorgt werden darf, ist mit der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) vereinbar, wenn es die Satzung ermöglicht, die wirtschaftlich verwertbaren Gegenstände zu verkaufen oder zu versteigern und den Reinerlös an den bisherigen Eigentümer auszukehren. (amtlicher Leitsatz)
Verfahrensgang
M 22 E 16.1415 2016-09-07 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. September 2016 wird abgeändert. Er erhält in Nr. 1 folgende Fassung:
„Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig untersagt, die bei ihr eingelagerten Sachen der Antragstellerin, soweit sie nicht offenbar wertlos sind bzw. aus ihrer Versteigerung oder ihrem Verkauf kein Reinerlös zu erwarten ist, karitativen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen oder zur Müllverwertung zu geben. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.“
II.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Antragstellerin zu drei Vierteln, die Antragsgegnerin zu einem Viertel. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin je zur Hälfte.
IV.
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird auf 5.000 Euro, der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Mit ihrem Eilrechtsschutzbegehren wendet sich die Antragstellerin gegen die von der Antragsgegnerin bekundete Absicht, die von der Antragstellerin nach Beendigung ihres Aufenthalts in einer städtischen Obdachloseneinrichtung („Clearinghaus“) zurückgelassenen Gegenstände, die sich in 28 vorläufig in Verwahrung genommenen Umzugskartons und einer Reisetasche befinden, an Dritte weiterzugeben oder zu vernichten.
Die „Satzung über die Benutzung der Clearinghäuser der Landeshauptstadt München (Clearinghäuser-Benutzungssatzung)“ vom 9. April 2014 (MüABl S. 450; im Folgenden: Benutzungssatzung) enthält in § 11 Abs. 2 im Zusammenhang mit der Räumungspflicht nach Beendigung des Benutzungsverhältnisses folgende Regelungen:
„1 Wird diese Verpflichtung nicht termingemäß erfüllt und ist die Androhung eines Zwangsgeldes erfolglos geblieben bzw. lässt die Androhung keinen Erfolg erwarten, so kann die Landeshauptstadt München anordnen, dass die erforderliche Räumung auf Kosten und Gefahr der/des Verpflichteten vorgenommen wird (Ersatzvornahme). 2 Dabei werden nur brauchbar erscheinende und einlagerungsfähige Gegenstände zur Einlagerung in ein städtisches Lager zur vorübergehenden Verwahrung gebracht. 3 Müll und unbrauchbar erscheinende sowie nicht einlagerungsfähige Gegenstände werden zur Mülldeponie transportiert. 4 Sofern die Benutzerin/der Benutzer die eingelagerten Gegenstände nicht binnen einer Frist von drei Monaten nach der erfolgten Räumung trotz schriftlicher Aufforderung abholt, gehen sie entschädigungslos in das Eigentum der Landeshauptstadt München, Amt für Wohnen und Migration – Soziale Wohnraumversorgung, Fachbereich Unterkünfte über. 5 Die Gegenstände werden dann vom Amt für Wohnen und Migration karitativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt oder zur Müllverwertung gegeben. 6 In begründeten Einzelfällen kann die Landeshauptstadt München, Amt für Wohnen und Migration – Soziale Wohnraumversorgung, Fachbereich Unterkünfte hiervor abweichen und den Verkauf der Sachen – auch durch Versteigerung – und die Hinterlegung des Erlöses anordnen.“
Die Antragstellerin war im Jahr 2012 befristet im Clearinghaus der Antragsgegnerin aufgenommen worden. Nach mehrmaliger Verlängerung und nachfolgender Duldung ihres Aufenthalts wurde sie mit Bescheid vom 17. März 2015 zur unverzüglichen Räumung verpflichtet. Mit weiterem Bescheid vom 8. Juni 2015 drohte die Antragsgegnerin ihr an, ihre Möbel und sonstigen Gegenstände aus der Unterkunft zu räumen, falls sie dieser Verpflichtung nicht bis zum 18. Juni 2015 nachkomme. Am 22. Juni 2015 wurde die Räumung im Wege der Ersatzvornahme durchgeführt. Mit Schreiben vom 7. Juli 2015 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, ihre Gegenstände seien vorübergehend eingelagert worden; bei Nichtabholung binnen einer Frist von drei Monaten gingen sie entschädigungslos in das Eigentum der Antragsgegnerin über und würden karitativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt oder zur Müllverwertung gebracht.
In der Folgezeit lehnte die Antragstellerin die von der Antragsgegnerin angebotenen Unterkunftsmöglichkeiten ab und beantragte die Wiederaufnahme ins Clearinghaus.
Am 19. November 2015 beantragte sie beim Amtsgericht München den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihre Umzugskartons für ein weiteres Jahr, längstens bis zum Einzug in eine dafür geeignetere Wohnung einzulagern, ihr Zugang zu den Kartons zu gewähren und sie wieder im Clearinghaus wohnen zu lassen. Das ihr bisher angebotene Zimmer von 6 m² mit Gemeinschaftsdusche und -toilette lehne sie ab, da dort kein Platz für die Umzugskartons sei und sie außerdem dafür 600 Euro zahlen solle. Sie wohne derzeit in ihrem Auto und plane die Rückkehr nach Polen. Unter den eingelagerten Sachen befänden sich viele Wertgegenstände; im Falle einer Vernichtung entstehe ihr ein großer Vermögensschaden.
Den an das Verwaltungsgericht verwiesenen Antrag (Az. M 22 E 15.5757) nahm die Antragstellerin am 29. Februar 2016 zurück. Am 23. März 2016 beantragte sie zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Verwaltungsgericht München, das Verfahren mit dem Aktenzeichen M 22 E 15.5757 „wieder aufzunehmen“.
Mit Beschluss vom 7. September 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, die persönlichen Gegenstände der Antragstellerin vorläufig weiter einzulagern; im Übrigen wurde der Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung für die Teilstattgabe wurde ausgeführt, die angekündigten Maßnahmen (Veräußerung/Vernichtung) bedürften als Eingriffe in das Eigentum einer Rechtsgrundlage. Ob die diesbezüglich in der Benutzungssatzung getroffenen Regelungen von der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage (Art. 23 und 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GO) gedeckt seien, erscheine fraglich, da es sich der Sache nach um Vollstreckungsmaßnahmen handeln dürfte. Die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage, nach welchem Verfahren und auf welche Weise das Verwahrverhältnis hinsichtlich der bei der Räumung zurückgelassenen Sachen beendet werden könne, bedürfe einer gesonderten Prüfung, so dass es nach den Umständen geboten sei, dem Begehren vorläufig stattzugeben.
Mit der vorliegenden Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen die Verpflichtung, die persönlichen Gegenstände der Antragstellerin vorläufig weiter einzulagern. Diese sei über die am 1. Juni 2014 in Kraft getretene Benutzungssatzung schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. Mit Schreiben vom 7. Juli 2015 sei sie darauf hingewiesen worden, dass die eingelagerten Gegenstände, wenn sie nicht binnen einer Frist von drei Monaten nach der erfolgten Räumung abgeholt würden, nach § 11 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Satzung entschädigungslos ins Eigentum der Antragsgegnerin übergingen und dann karitativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt oder zur Müllverwertung verbracht würden. Mit Schreiben vom 23. November 2015 sei der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass die Einlagerungsfrist letztmalig bis zum 21. Dezember 2015 verlängert werde. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet, die persönlichen Gegenstände der Antragstellerin weiter einzulagern. Die in § 11 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Benutzungssatzung genannten Maßnahmen seien von der Ermächtigungsgrundlage in Art. 23 und 24 Abs. 1 Nr. 1 GO gedeckt. Die Gemeinden könnten danach Bestimmungen über sämtliche Vorgänge erlassen, die im weitesten Sinn als Benutzung gelten könnten und die sie für die Ordnung des Benutzungsverhältnisses für erforderlich hielten. Bei der Regelung zur Behandlung der von den Benutzern eingebrachten persönlichen Gegenstände handle es sich nicht um neue, eigenständige (Vollstreckungs-)Maßnahmen, sondern um eine Folge bzw. einen Annex der vorangegangenen Räumung. Die Regelung sei geeignet und erforderlich, da eine längerfristige Lagerung der Gegenstände nach Auszug bzw. Räumung die vorhandenen knappen Flächen innerhalb kürzester Zeit überbeanspruchen und den ordnungsgemäßen Betrieb der Einrichtung erheblich beeinträchtigen würde. Abstellräume stünden nur in geringem Umfang zur Verfügung. Es sei der Antragsgegnerin aus organisatorischen und personellen Gründen nicht möglich und nicht zumutbar, die persönliche Habe der Betroffenen über einen längeren Zeitraum einzulagern und zu verwalten. Die getroffene Regelung sei verhältnismäßig, da die persönlichen Gegenstände erst nach dreimonatiger Einlagerung verwertet oder vernichtet würden, wenn sie trotz schriftlicher Aufforderung nicht abgeholt würden. Da die Antragstellerin seit der Räumung am 22. Juni 2015 nicht bereit gewesen sei, sich um die ordnungsgemäße Abholung ihrer Sachen zu kümmern, könne aus der damit verbundenen Besitzaufgabe auf einen Verzichtswillen geschlossen werden. Auch im Mietrecht dürfe der Vermieter zurückgelassene Gegenstände des Mieters nach einer angemessenen Frist und nach vorheriger Androhung verwerten oder gegebenenfalls vernichten. Es bestehe im Übrigen keine Verpflichtung zu einer Einlagerung von Gegenständen der geräumten Benutzer; die Regelung des § 11 Abs. 2 der Benutzungssatzung stelle ein Entgegenkommen der Antragsgegnerin dar.
Die Antragstellerin erklärte in einem an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Schreiben vom 9. November 2016, sie lebe nach wie vor in ihrem Auto. Der Mietpreis der ihr angebotenen Unterkünfte sei selbst für Münchner Verhältnisse irrsinnig; auch passten in diese Unterkünfte keine 30 Kartons, um die es hier gehe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II. 1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), hat teilweise Erfolg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Antragsgegnerin nicht allgemein, sondern nur hinsichtlich der wirtschaftlich noch verwertbaren Gegenstände gehindert, von einer Veräußerung oder Vernichtung des der Antragstellerin gehörenden Räumungsguts abzusehen, so dass dem Eilrechtsschutzbegehren nur insoweit stattzugeben war.
Die Antragsgegnerin kann als Einrichtungsträgerin satzungsrechtliche Regelungen auch über den Umgang mit den nach einer (Zwangs-)Räumung zurückgelassenen Gegenständen eines früheren Nutzers treffen, wobei sie im Hinblick auf den grundrechtlichen Eigentumsschutz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten hat (a). Diesen Anforderungen werden die Vorschriften der Benutzungssatzung über die Weitergabe oder abfallrechtliche Entsorgung sowie über die Versteigerung oder den Verkauf des Räumungsguts bei verfassungskonformer Auslegung gerecht (b). Die Antragsgegnerin ist danach beim Umgang mit zurückgelassenem Räumungsgut zu einem differenzierenden Vorgehen verpflichtet (c).
a) Die von der Antragsgegnerin im Jahr 2014 erlassene Satzung über die Benutzung ihrer sog. Clearinghäuser, die der vorübergehenden Unterbringung wohnungsloser Personen dienen, reicht als rechtliche Grundlage für eigentumsbeschränkende Maßnahmen auch gegenüber früheren Benutzern dieser gemeindlichen Einrichtung grundsätzlich aus.
Die in Art. 23 und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO enthaltene Ermächtigung zum Erlass von Satzungen über die „Benutzung“ öffentlicher Einrichtungen ist nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift weit zu verstehen (vgl. BayVGH, U. v. 22.1.1992 – 20 N 91.2850 u. a. – VGH n. F. 45, 65/70 = BayVBl 1992, 337/338; U. v. 14.7.2011 – 4 N 10.2660 – BayVBl 2012, 90/91). Eine Benutzungssatzung kann daher Regelungen auch über „nachwirkende“ Handlungs- oder Duldungspflichten der Einrichtungsbenutzer und damit korrespondierende Eingriffsbefugnisse des Einrichtungsträgers enthalten, soweit sie mit der Abwicklung eines früheren Benutzungsverhältnisses in einem engen Zusammenhang stehen. Dies ist bei den Bestimmungen des § 11 Abs. 2 Satz 2 bis 6 der Benutzungssatzung der Fall, die sich auf die bei einer Zwangsräumung von der Antragsgegnerin in Besitz genommene bewegliche Habe des Räumungsschuldners beziehen und deren Verwahrung (Satz 2), Entsorgung (Satz 3), eigentumsrechtliche Zuordnung (Satz 4 und 5) sowie Veräußerung bzw. Versteigerung (Satz 6) betreffen. Die Vorschriften sollen verhindern, dass die der Obdachlosenunterbringung gewidmeten Räume nach dem Auszug eines Bewohners durch unerlaubtes Zurücklassen von Möbeln oder anderem Eigentum bestimmungswidrig als (unentgeltlicher) Aufbewahrungsplatz genutzt werden. Sie knüpfen damit unmittelbar an eine zurückliegende Benutzung an und finden demgemäß in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO eine hinreichende gesetzliche Grundlage.
Dem Erlass solcher Satzungsbestimmungen steht nicht der abschließende Katalog der Zwangsmittel in Art. 29 Abs. 2 VwZVG entgegen. Denn im Unterschied zu § 11 Abs. 2 Satz 1 der Benutzungssatzung, der bei Nichterfüllung einer vollziehbaren Räumungsanordnung die Ersatzvornahme gemäß Art. 32 VwZVG zulässt (und insofern nur deklaratorische Bedeutung besitzt), werden in den Sätzen 2 bis 6 keine selbstständigen Zwangsmittel aufgeführt, mit denen ein zuvor ergangener Verwaltungsakt vollstreckt werden könnte. Es geht bei diesen Regelungen nicht (mehr) um die zwangsweise Durchsetzung der Verpflichtung, die in der Unterkunft zurückgelassenen Eigentumsgegenstände zu entfernen, sondern um den amtlichen Umgang mit solchen Gegenständen, nachdem sie infolge einer Zwangsräumung in die tatsächliche Gewalt und damit in den unmittelbaren Besitz der Antragsgegnerin (§ 854 Abs. 1 BGB) gelangt sind.
Ein unabweisbarer Regelungsbedarf besteht hier dann, wenn der private Eigentümer – ohne auf das Eigentum zu verzichten (§ 959 BGB) – zur erneuten Inbesitznahme seiner Sachen (einstweilen) nicht bereit oder nicht fähig ist, so dass diese (vorläufig) beim Träger der Obdachloseneinrichtung verbleiben und dort Lagerfläche beanspruchen. Dass die Antragsgegnerin diese Belastung nicht auf Dauer hinzunehmen bereit ist und daher Satzungsbestimmungen getroffen hat, die in das Eigentumsrecht des früheren Bewohners eingreifen und unter Umständen sogar zum völligen Verlust der Eigentümerbefugnisse an den betreffenden Gegenständen führen, begegnet auch im Hinblick auf die grundrechtliche Garantie des Eigentums (Art. 14 GG) keinen prinzipiellen Bedenken (a. A. Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand September 2006, Art. 7 Rn. 96). Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG kann auch durch eine auf einer gesetzlichen Grundlage beruhende untergesetzliche Rechtsnorm und somit durch eine auf Art. 24 GO gestützte Satzung erfolgen (vgl. BVerfG, B. v. 10.7.1958 – 1 BvF 1/58 – BVerfGE 8, 71/76; BGH, U. v. 22.5.1980 – III ZR 186/78 – NJW 1980, 2705/2706 m. w. N., Hölzl/Hien/Huber, GO, Stand Mai 2016, Erl. 4.1 zu Art. 24).
Bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums hat der kommunale Satzungsgeber sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) als auch der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) Rechnung zu tragen. Er muss die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (vgl. zuletzt BVerfG, U. v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – Rn. 268 m. w. N., juris). Wird durch eine Satzungsregelung ein bestehendes Eigentumsrecht entzogen, so müssen die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, so schwerwiegend sein, dass sie Vorrang haben vor dem durch die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gesicherten Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts (vgl. BVerfG, B. v. 9.1.1991 – 1 BvR 929/89 – BVerfGE 83, 201/211 ff. m. w. N.).
b) Hiernach sind die Vorschriften des § 11 Abs. 2 Satz 2 bis 6 der Benutzungssatzung insgesamt mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie greifen – bei verfassungskonformem Verständnis – nicht in unverhältnismäßiger Weise in das Eigentumsrecht derjenigen ein, denen das von der Antragsgegnerin in Besitz genommene Räumungsgut gehört.
aa) Dass nach den Bestimmungen in Satz 2 und 3 grundsätzlich zwischen „brauchbar erscheinende(n) und einlagerungsfähige(n) Gegenstände(n)“ einerseits und „Müll und unbrauchbar erscheinende(n) sowie nicht einlagerungsfähige(n) Gegenstände(n)“ andererseits unterschieden wird, wobei letztere zur Mülldeponie transportiert und somit ohne weiteres als Abfall entsorgt werden können, trägt dem öffentlichen Interesse an einer zügigen Beendigung der Verwahrpflicht in angemessener Weise Rechnung und stellt eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässige Eigentumsinhaltsbestimmung dar. Die Möglichkeit einer Vernichtung von Gegenständen, die nicht verwertet werden können bzw. an deren Aufbewahrung offensichtlich kein Interesse besteht, ist im geltenden Recht z. B. bei der Zwangsräumung von Grundstücken und Wohnungen (§ 885 Abs. 4 Satz 4, § 885a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 4 ZPO) und beim Umgang mit polizei- oder straßenrechtlich sichergestellten Sachen (Art. 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 PAG; Art. 18a Abs. 3 Satz 3 BayStrWG) ausdrücklich vorgesehen. Der darin liegende Entzug des Eigentums ist geeignet und notwendig, um die mit einer weiteren Verwahrung verbundenen Belastungen der öffentlichen Hand zu vermeiden. Er ist dem Betroffenen auch zumutbar, da der fehlende Wert der Sache in Verbindung mit dem freiwilligen Besitzverzicht auf ein allenfalls geringes Bestands- und Nutzungsinteresse des bisherigen Eigentümers hindeutet.
Die genannten Gesetzesregelungen setzen allerdings bei Gegenständen, die nicht von vornherein als objektiv wertlos bzw. völlig unverwertbar erscheinen, zumindest den Versuch einer öffentlichen Versteigerung, eines freihändigen Verkaufs oder einer sonstigen Verwertung voraus (§ 885 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 885a Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO; Art. 27 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 PAG), so dass ein etwaiger Erlös – nach Abzug der Vollstreckungs- und Veräußerungskosten – für den Eigentümer hinterlegt (§ 885 Abs. 4 Satz 1, § 885a Abs. 4 Satz 2 ZPO) oder aufbewahrt werden kann (Art. 27 Abs. 3 Satz 3 PAG). Diese aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gebotene Vorgehensweise, bei welcher der wirtschaftliche Wert des Eigentums dem bisher Berechtigten (teilweise) erhalten bleibt, muss auch bei § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 der Benutzungssatzung gelten. „Nicht einlagerungsfähige“ Gegenstände im Sinne dieser Bestimmungen dürfen daher nicht in allen Fällen und damit unabhängig von ihrem Verkehrswert zur Mülldeponie gebracht werden, sondern nur dann, wenn ein Verkauf bzw. eine Versteigerung aufgrund der objektiven Gegebenheiten von vornherein aussichtlos erscheint bzw. nicht kostendeckend erfolgen könnte (vgl. Ehmann, Obdachlosigkeit, 2. Aufl. 2006, 88). Handelt es sich dagegen um werthaltige Gegenstände, so liegt ein „begründeter Ausnahmefall“ im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 6 der Benutzungssatzung vor; die Antragsgegnerin muss dann – um den Eigentumseingriff so schonend wie möglich zu halten – ihr Ermessen dahingehend ausüben, dass sie den Verkauf der Sache (z. B. durch Versteigerung) und die Hinterlegung des Erlöses anordnet.
bb) Um unverhältnismäßige Eingriffe in das Eigentumsgrundrecht zu vermeiden, bedürfen auch die Bestimmungen zum Umgang mit den in öffentliche Verwahrung genommenen „brauchbar erscheinenden und einlagerungsfähigen“ Gegenständen (§ 11 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Benutzungssatzung) einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung.
Die genannten Vorschriften sehen vor, dass die eingelagerten Gegenstände, wenn sie trotz schriftlicher Aufforderung nicht innerhalb von drei Monaten nach erfolgter Räumung abgeholt werden, entschädigungslos in das Eigentum der Antragsgegnerin übergehen (Satz 4) und von ihr karitativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt oder zur Müllverwertung gegeben werden können (Satz 5). Dies hätte bei wörtlichem Verständnis zur Folge, dass das grundrechtsgeschützte Sacheigentum selbst an offenkundig verwertbaren und besonders wertvollen Objekten (z. B. Schmuck, Antiquitäten) ohne finanziellen Ausgleich vollständig verloren ginge, wenn der bisherige Eigentümer diese aus welchen Gründen auch immer (etwa aus Unkenntnis oder persönlichem Unvermögen) nicht wieder an sich nimmt. In dieser satzungsrechtlich verfügten Umwandlung von privatem in fiskalisches Eigentum liegt, da sie nicht auf eine Güterbeschaffung zur Durchführung eines der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienenden konkreten Vorhabens abzielt, zwar keine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, B. v. 21.7.2010 – 1 BvL 8/07 – BVerfGE 126, 331 Rn. 87; U. v. 6.12.2016, a. a. O., Rn. 247 ff.), sondern wiederum nur eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese würde sich jedoch für die betroffenen Eigentümer übermäßig belastend auswirken, wenn ihnen damit nicht nur die zivilrechtliche Verfügungsbefugnis über die zurückgelassenen Gegenstände, sondern auch deren wirtschaftlicher Restwert gänzlich entzogen werden könnte. Für letzteres besteht kein hinreichender sachlicher Grund, da die Antragsgegnerin zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit ihrer Einrichtung nur ein legitimes Interesse daran haben kann, sich der in Verwahrung genommenen Sachen wirksam zu entledigen, nicht hingegen daran, sich selbst oder Dritte auf diesem Wege zu bereichern. Eine hierauf gerichtete Vorschrift wäre von der gesetzlichen Ermächtigung zur Regelung des Benutzungsverhältnisses nicht mehr gedeckt und schon deshalb unzulässig.
Soweit eine gewinnbringende Veräußerung einzelner Gegenstände objektiv in Betracht kommt, muss demzufolge auch hier ein „begründeter Ausnahmefall“ nach § 11 Abs. 2 Satz 6 der Benutzungssatzung angenommen und von der dazu vorgesehenen Möglichkeit eines Verkaufs bzw. einer Versteigerung mit nachfolgender Hinterlegung des Reinerlöses Gebrauch gemacht werden. Legt man dieses verfassungsrechtlich geforderte restriktive Verständnis der Vorschrift zugrunde, so können gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 der Benutzungssatzung die von der Antragsgegnerin in Verwahrung genommenen Sachen nur dann karitativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt oder der Müllverwertung zugeführt werden, wenn ihr zu erwartender Veräußerungserlös hinter den Verkaufs- oder Versteigerungskosten zurückbleiben würde. In den übrigen Fällen tritt der Anspruch auf Auskehrung des Reinerlöses als Surrogat an die Stelle des nach Satz 4 entzogenen Eigentums an den nicht fristgerecht abgeholten Sachen (vgl. Huttner, Die Unterbringung Obdachloser durch die Polizei- und Sicherheitsbehörden, 2014, S. 191).
c) Entsprechend dieser Differenzierung kann die Antragsgegnerin auch im vorliegenden Fall mit dem Räumungsgut – ungeachtet des nach Ablauf der Abholungsfrist eingetretenen Eigentumsübergangs – nicht nach Belieben verfahren, sondern muss bei Gegenständen, die einen (anzunehmenden) Verkehrswert besitzen, dem wirtschaftlichen Verwertungsinteresse der Antragstellerin Rechnung tragen. Sie darf also deren in Verwahrung genommene Sachen entgegen ihrer Ankündigung im Schreiben vom 7. Juli 2015 nicht unbesehen und unterschiedslos an Dritte weitergeben oder entsorgen, sondern nur dann, wenn sie objektiv wertlos sind oder jedenfalls nicht mit Gewinn veräußert werden können. Dass dies zum Zeitpunkt der Entledigung der Fall gewesen ist, muss die Antragsgegnerin in einem möglichen Streitfall nachvollziehbar darlegen und ggf. beweisen können, z. B. durch geeignetes Bildmaterial und durch Aussagen ihrer mit der Verwaltung des Räumungsguts betrauten Mitarbeiter.
Für die Antragstellerin ergibt sich daraus zwar nicht der mit dem Eilantrag primär geltend gemachte Anspruch auf weitere Einlagerung ihrer Umzugskartons für einen bestimmten Zeitraum oder bis zum Eintritt einer bestimmten Bedingung. Mit ihrem Rechtsschutzbegehren verfolgt sie aber erkennbar (§ 88 VwGO) auch das Ziel, die Antragsgegnerin bis auf weiteres daran zu hindern, von den in § 11 Abs. 2 Satz 5 der Benutzungssatzung geregelten Befugnissen Gebrauch zu machen. Dieses Anliegen ist aus den vorgenannten Gründen nur berechtigt, soweit es sich um Gegenstände handelt, die weder offenbar wertlos sind noch im Falle einer Versteigerung oder eines Verkaufs keinen Reinerlös erwarten lassen. Der darüber hinausgehende stattgebende Teil des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 7. September 2016 war daher auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch insoweit abzulehnen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zum Streitwert ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren mit ihrem Antrag auf Wiedereinweisung in die bisherige Unterkunft und auf weitere Einlagerung der Umzugskartons zwei voneinander unabhängige Rechtsschutzbegehren verfolgt hat, so dass insgesamt zweimal der – aufgrund des Eilverfahrens halbierte – Regelstreitwert anzusetzen war.