Aktenzeichen M 21 S 17.43186
Leitsatz
Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen des Asylsuchenden in der Regel kein Glauben geschenkt werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 21. Februar 2015 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. Mai 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 6. Oktober 2016 brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, er habe in seinem Heimatdorf ein Mädchen kennengelernt, in das er sich verliebt und mit dem er geschlafen habe. Das Mädchen sei schwanger geworden. Ende 2013 hätten die Islamisten dann die Scharia eingeführt, nach der vorehelicher Geschlechtsverkehr verboten sei. Sein Vater sei daraufhin zusammengeschlagen worden und an seinen Verletzungen gestorben. Sein Onkel habe ihn daraufhin davongejagt. Der Antragsteller sei selbst von den Assawad und dem Dorfchef bedroht worden. Diese hätten angekündigt, dass ihm dasselbe passieren würde, was seinem Vater passiert sei. Er sei nicht zur Polizei gegangen, da die Polizei ihm nicht helfen könne und seine Tat sogar im Radio gesendet worden sei. Zudem habe er starke, psychisch bedingte Kopfschmerzen, weswegen er nicht abgeschoben werden könne.
Mit Bescheid vom 19. Mai 2017, zugestellt am 26. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht (Nr. 5). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, aus dem Vorbringen des Antragstellers ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass ihm asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen drohten. Es sei nicht ersichtlich, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes aufhalte oder bei Rückkehr mit politischen Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Dem Antragsteller könne es zugemutet werden, sich in anderen Landesteilen aufzuhalten. Der Antragsteller könne seine Existenz auch dort neu beginnen. Der Antragsteller gehöre zur Gruppe der jungen und arbeitsfähigen Männer, bei denen grundsätzlich davon auszugehen sei, dass interne Schutzmöglichkeiten in den anderen Städten beispielsweise in der Hauptstadt Bamako oder in diversen Dörfern bestünden und sie dort das erforderliche Existenzminimum erlangen könnten. Auch in der Vergangenheit sei es dem Antragsteller möglich gewesen, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Der Antragsteller hat am 30. Mai 2017 privatschriftlich Klage erhoben (M 21 K 17.43185), mit der er (sinngemäß) beantragt, den Bescheid vom 19. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung lässt er durch seinen Bevollmächtigten vortragen, er habe keine innerstaatliche Schutzalternative, da über sein Verhalten landesweit im Radio berichtet worden sei. Zudem befinde er sich in neurologisch-nervenärztlicher Behandlung. Es sei eine schwere akute posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Er werde mit Medikamenten behandelt, die in Mali nicht zur Verfügung stünden.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 12. Juni 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Eilantrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B. v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B. v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B. v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C-141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Dies vorausgeschickt hat das Gericht erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der vom Antragsteller geschilderten Umstände seiner Flucht. Die Schilderungen des Antragstellers sind durchweg widersprüchlich. So erklärt der Antragsteller, er habe die Mutter seines Kindes im Jahr 2010 kennengelernt. Sein Sohn sei 2011 geboren. Als die Schwangerschaft seiner Freundin nicht mehr zu verbergen gewesen sei, also vermutlich in der ersten Hälfte des Jahres 2011, sei sein Vater vor den Rat des Dorfes zitiert und ihm unter Aufsicht des Assawad schwere Vorwürfe gemacht worden. Er sei dann zusammengeschlagen worden und verstorben. Zugleich erklärt der Antragsteller jedoch mehrfach und auch auf Nachfrage, erst Ende 2013/Anfang 2014, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sein Sohn bereits zwei Jahre alt gewesen sein muss, seien die Islamisten in sein Dorf gekommen und hätten den bis dahin praktizierten liberalen Islam abgeschafft. Hierzu passt auch die bei seiner Einreise getätigte Aussage des Antragstellers, er habe sein Heimatland im Jahr 2014 verlassen. Allerdings stellt dies auch die Verfolgungsgeschichte des Antragstellers, wonach das seine Flucht auslösende Ereignis noch in der Schwangerschaft seiner Freundin, also jedenfalls im Jahr 2011, stattgefunden haben muss, massiv in Frage. Der weitere Vortrag des Antragstellers, es sei landesweit mit Hilfe von Radiomeldungen nach ihm gefahndet worden, ist in seinem Wahrheitsgehalt ebenfalls zweifelhaft. Die vom Antragsteller hierzu vorgelegten Auszüge einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung bestätigen zwar, woran das Gericht keinen Zweifel hatte, dass es Radiosendungen in Mali gibt und dort auch über nichtstaatliche Angelegenheiten berichtet wird. Dass allerdings noch Jahre nach der nichtehelichen Zeugung eines Kindes landesweit über eine nichteheliche Liebesbeziehung berichtet wird, wagt das Gericht ebenso zu bezweifeln wie den Einwand des Antragstellers, er werde deshalb bei einer Rückkehr landesweit erkannt und verfolgt werden, zumal bei einer Fahndung durch Radiomeldungen offensichtlich auch kein Foto des Antragstellers veröffentlicht werden konnte.
Der Antragsteller kann sich überdies nicht mit Erfolg auf ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot berufen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c) Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass seiner Abschiebung nach Mali gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht erfolgreich widerlegt. Das vorgelegte psychiatrische Attest vom 1. Juni 2017 entspricht schon nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, die aus formeller Sicht an es zu stellen sind. Denn es lässt jegliche Aussage zur Tatsachenerhebung, dem Schweregrad der Erkrankung sowie den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, jedenfalls insoweit vermissen, als es das materiell von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangte Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung betrifft, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Soweit der Antragsteller vortragen lässt, die von ihm derzeit eingenommenen Medikamente stünden ihm in seinem Heimatland nicht zur Verfügung, ist ihm zwar zuzugestehen, dass die medizinische Versorgung in Mali mit der in Europa nicht zu vergleichen ist. Allerdings ist in Bamako ärztliche Versorgung möglich. Zudem haben Apotheken in Bamako ein ausreichendes Sortiment aller wichtigen Standardmedikamente, häufig französischer Herkunft (vgl. die medizinischen Hinweise in der Länderinformation unter http://www.auswaertiges-amt.de), so dass das Gericht davon ausgeht, dass der Antragsteller auch seine derzeit eingenommene Medikation dort erhalten kann.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).