Zivil- und Zivilprozessrecht

Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwangs

Aktenzeichen  W 9 K 17.332

Datum:
27.7.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17857
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein Maulkorbzwang kann zusätzlich zu einem Leinenzwang (nur dann) verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr unabdingbar ist, weil zB eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde (vgl. BayVGH BeckRS 2013, 50873 Rn. 5; VG Augsburg BeckRS 2012, 51328 Rn. 55). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 3. August 2017 ist – soweit er durch den Kläger angefochten wird – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger konnte den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 3. August 2017 in zulässiger Weise zum Gegenstand seiner Anfechtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO machen. Die mit Schriftsatz vom 22. August 2017 erfolgte Klageänderung nach § 91 VwGO in der Form einer Klageerweiterung war zulässig, da sie als sachdienlich zu bewerten war. Zudem hat sich die Beklagte im Sinne von § 91 Abs. 2 VwGO auf sie rügelos eingelassen.
2. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg, weil sich der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 3. August 2017, soweit er durch den Kläger bezüglich der darin enthaltenen Regelungen zum Maulkorbzwang angefochten wird, als rechtmäßig erweist.
2.1 Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit bestehen nicht und wurden durch den Kläger auch nicht geltend gemacht. Insbesondere hat die Beklagte vorliegend als zuständige Sicherheitsbehörde gemäß Art. 6 LStVG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) BayVwVfG, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VGemO gehandelt. Sie ist vorliegend im übertragenen Wirkungskreis (Art. 8 GO) tätig geworden.
2.2 Auch in materieller Hinsicht erweist sich der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2017 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 3. August 2017, soweit er angefochten ist, als rechtmäßig. Gegen die in Ziffern 2, 2.1 und 5 b getroffenen Regelungen zum Maulkorbzwang bestehen keine rechtlichen Bedenken.
2.2.1 Rechtsgrundlage für die Ziffern 2 und 2.1 ist Art. 18 Abs. 2 LStVG. Nach dieser Vorschrift können auch unter Bezugnahme auf den rechtlichen Maßstab im Beschluss vom 2. Mai 2017, W 5 S 17.333, die Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Letzteres ist dann der Fall, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden, d.h. einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter, kommt. Hierbei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist. Es ist für die Bejahung einer konkreten Gefahr nicht erforderlich, dass vor dem Erlass entsprechender Anordnungen bereits (Beiß-)Zwischenfälle stattgefunden haben (st. Rspr. d. BayVGH, s. U.v. 21.12.2011 – 10 B 10.2806 – juris). Ist es jedoch bereits zu einem Beißvorfall oder einem sonstigen Vorfall gekommen, bei dem ein Hund eine Person oder einen anderen Hund angegriffen hat, so hat sich die von jedem Hund ausgehende abstrakte Gefahr bereits realisiert. Es besteht dann die konkrete Gefahr weiterer derartiger Vorfälle, die Gefährlichkeit des Hundes bedarf dann keiner weiteren Nachprüfung mehr, etwa durch ein Gutachten (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Sept. 2015, Art. 18 Rn. 40, 42). Eine vollständige Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs eines Vorfalls ist als Voraussetzung für ein sicherheitsbehördliches Einschreiten nicht erforderlich (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 53, m.w.N.).
Für die Bejahung einer konkreten Gefahr kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des erkennenden Gerichts nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität gegen Menschen oder andere Hunde ausgeht oder ob es sich um ein hundetypisches Verhalten handelt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris, m.w.N.). Sinn der Ermächtigung des Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es, den Gemeinden die Befugnis zu geben, zur Verhütung jeglicher Gefahren für die in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG genannten Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden zu treffen, unabhängig davon, in welcher Weise diese von Hunden verursacht werden. Die Mehrheit der von Hunden ausgehenden Gefahren beruht nämlich gerade auf hundetypischem Verhalten. Auch wenn ein Schaden durch den Hund dadurch herbeigeführt wird, dass er durch ein „Fehlverhalten“ oder eine „Fehlreaktion“ einer anderen Person entstanden ist, sind nach der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung solche Vorfälle dennoch dem Hund zuzurechnen, da die Gefahr ausschließlich von diesem ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 und U.v. 15.3.2005 – 24 BV 04.2755 sowie B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688; alle juris). Von Passanten wird kein hundegerechtes Verhalten erwartet, vielmehr steht der Hundehalter in der Pflicht, wenn er seinen Hund in der Öffentlichkeit ausführt (BayVGH, B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris). Nur das bewusste und gezielte Reizen eines Hundes stellt kein (Fehl-)Verhalten eines Passanten dar, mit dem der Hundehalter jederzeit hätte rechnen und die Reaktion seines Hundes hierauf hätte verhindern müssen (vgl. BayVGH, B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris).
Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen (Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn.35). Sie darf auch polizeiliche Erkenntnisse heranziehen, ist allerdings an die im Ermittlungsverfahren getroffene Beurteilung nicht gebunden (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 39).
Gemessen an diesen Maßgaben ist die Gefahrenprognose der Beklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids sowie des Änderungsbescheids im Ergebnis nicht zu beanstanden. Von der streitgegenständlichen Hündin geht eine konkrete Gefahr für das Schutzgut Eigentum (an anderen Hunden) aus. Die Hündin war jedenfalls in einen Beißvorfall am 18. Juni 2016 mit einem anderen Hund verwickelt, wobei sie den anderen Hund schwer verletzt hat, wie sich den in der Behördenakte enthaltenen Lichtbildern entnehmen lässt. Dies reicht für die Bejahung einer konkreten Gefahr i.S.d. Art. 18 Abs. 2 LStVG aus.
Es kann dahinstehen, ob bei der erforderlichen Gefahrenprognose allein auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides abzustellen ist oder ob es sich bei der sicherheitsbehördlichen Anordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, für dessen gerichtliche Überprüfung auch hinsichtlich der Gefahrenprognose der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (offen gelassen in BayVGH, U.v. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris), denn auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist von einer weiter vom Hund des Klägers ausgehenden konkreten Gefahr auszugehen. Die vom streitgegenständlichen Hund ausgehende Gefahr ist nicht bereits deshalb entfallen, weil es seitdem zu keinen weiteren Zwischenfällen mehr gekommen ist. Von einem Wegfall der konkreten Gefahr kann allenfalls dann ausgegangen werden, wenn über den bloßen Zeitablauf hinaus Tatsachen vorliegen, aus denen der sichere Schluss gezogen werden kann, dass von dem Hund inzwischen keine Gefahr mehr ausgeht (BayVGH, U.v. 26.11.2014 – 10 B 14.1235 – juris). Solche konkreten Tatsachen sind im vorliegenden Fall aber nicht er-sichtlich.
Damit war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, Einzelfallanordnungen gegenüber dem Kläger bzgl. der Haltung der Hündin „S…“ zu erlassen.
2.2.2
Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 3. August 2017 erweist sich in den Ziffern 2 und 2.1 zudem als ermessensfehlerfrei.
Der Erlass von Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden nach Art. 18 Abs. 2 LStVG liegt im Ermessen der Behörde. Die von dieser zu treffende Entscheidung umfasst sowohl die Frage, ob sie handeln will (Entschließungsermessen) als auch die Frage, wie sie handeln will (Auswahlermessen). Dabei hat sie sowohl ihr Entschließungsermessen als auch ihr Auswahlermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG). Ob die Ermessensausübung im Einzelfall pflichtgemäß oder fehlerhaft erfolgte, lässt sich nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung des Bescheids ermitteln (Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 14 ff.). Liegt eine konkrete Gefahr vor, sind an die Begründung des Entschließungsermessens regelmäßig keine hohen Anforderungen zu stellen. Bei ihrer Auswahlentscheidung, welche Anordnungen konkret getroffen werden, hat die Behörde die entscheidungsrelevanten Belange abzuwägen, die von Art. 18 LStVG geschützten Rechtsgüter zu beachten und die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für die Bejahung der konkreten Gefahr maßgeblich sind (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 61 f.). Weiterhin müssen die getroffenen Anordnungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 8 LStVG) genügen, d.h. sie müssen zur Abwehr der festgestellten Gefahr geeignet und erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d.h. angemessen und zumutbar (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 63).
Ein Maulkorbzwang zusätzlich zu einem Leinenzwang, also eine Kombination beider Mittel ist vorliegend auch verhältnismäßig. Ein zusätzlicher Maulkorbzwang kann (nur dann) verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr unabdingbar ist, weil z.B. eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706; VG Augsburg, B.v. 26.4.2012 – Au 5 S 12.316; beide juris; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 70). Die von der Beklagten in ihrem Änderungsbescheid vom 3. August 2017 (erstmals) in Bezug genommenen weiteren Vorfälle mit dem klägerischen Hund „S…“ begründen eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des auch durch den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigten Vorfalls mit dem Hund des Herrn H* … vom Juli 2014, bei dem der Hund des Klägers aus dem Halsband geschlupft ist. Die Beklagte hat diesen Vorfall im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen ausdrücklich zum Anlass genommen, zusätzlich zum Leinenzwang auch einen Maulkorbzwang anzuordnen. Ob es dabei, wie die Beklagte vorgetragen hat, zu einem Beißvorfall gekommen ist oder dies entsprechend den Ausführungen des Klägers unterblieb, kann dahinstehen, weil durch diesen Vorfall jedenfalls belegt ist, dass der klägerische Hund schon einmal aus einem Halsband geschlupft ist und dieses daher allein nicht zur Gefahrenabwehr ausreichend ist. Dass sich dieser Vorfall bereits vor mehreren Jahren zugetragen hat, steht einer Berufung hierauf durch die Beklagte nicht entgegen. Allein durch Zeitablauf ist eine andere Bewertung mit Blick auf den Schutz der in Rede stehenden Rechtsgüter nicht veranlasst (vgl. Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 18 Rn. 57). Dies gilt vorliegend umso mehr, als in der Folgezeit weitere Vorfälle mit dem klägerischen Hund gegeben waren.
Durch die Regelung in Ziffer 2.1, welche eine Ausnahme zum grundsätzlichen Leinen- und Maulkorbzwang für einen bestimmten Bereich vorsieht, ist die Anordnung auch insgesamt verhältnismäßig, weil hierdurch dem Wohl des Tieres entsprochen wird. Der festgelegte Bereich, in dem der Hund sich grundsätzlich ohne Leine und Maulkorb bewegen kann, erscheint der Kammer für diesen Zweck im Allgemeinen zudem nicht als schlechterdings ungeeignet; insbesondere kann ein Hundehalter in der freien Natur nicht erwarten, für seinen Hund ein (ausreichend) natürliches Wasservorkommen vorzufinden. Vielmehr ist es ihm zumutbar, bei größeren Spaziergängen Wasser für die Versorgung seines Tieres mitzunehmen. Eine Ungeeignetheit der ausgewiesenen Fläche aufgrund des Vorkommens von Wild ist nicht ausreichend substantiiert vorgetragen worden und ergibt sich auch nicht aus den in der mündlichen Verhandlung durch die Parteien gegebenen Erläuterungen.
2.2.3
Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 5 b erweist sich als rechtmäßig, da die Voraussetzungen nach Art. 19, 29 Abs. 1 u. 2, 30, 31, 36 VwZVG gegeben waren. Bedenken hiergegen wurden durch die Klägerseite auch nicht geltend gemacht.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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