Aktenzeichen 1 HK O 311/10
HGB § 459
Leitsatz
1. Ein Frachtführer haftet nicht auf Schadensersatz, wenn die transportierte Ware nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall Schäden aufweist, ein gerichtliches Sachverständigengutachten aber zu dem – überzeugenden – Ergebnis gelangt, dass auf Grund der bei dem Unfall aufgetretenen Beschleunigungen keine Schäden an der Ware, weder physisch gegenwärtig, noch latent, entstanden sind. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Latenzschäden an Türsteuergeräten können ausgeschlossen werden, wenn auf diese auf Grund von Verzögerungen im Rahmen eines Unfallgeschehens eine Kraft von 4 g bis 7 g eingewirkt hat, während diese im regulären Einsatz bei dem Schließen von Kfz-Türen Beschleunigungen von bis zu 2g, bei einem „normalen“ Schließen der Türen von mindestens 6 g bis 9 g ausgesetzt werden. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Liegt eine Sachbeschädigung in Form eines hinreichend begründeten Schadensverdachts vor, kann der Eigentümer der Sache diese daraufhin untersuchen, ob unsichtbare oder latente Schäden tatsächlich vorhanden sind und diese zur Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der betroffenen Sache auch behoben werden müssen, wobei der Ersatzpflichtige die für die gebotene Untersuchung erforderlichen Kosten zu erstatten hat. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Übersteigen die voraussichtlichen Untersuchungskosten den Verkehrswert der betroffenen Sache, so kann ein wirtschaftlicher Totalschaden auch ohne einen festgestellten tatsächlichen Schaden bereits wegen des begründeten Schadensverdachts in Betracht kommen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 72.854,65 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz wegen Beschädigung des Frachtgutes (Art. 17, 23, 25, 29 CMR), da die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass ein Totalschaden an dem transportierten Gut vorliegt und die festgestellten Beschädigungen auf einem Mangel der Verpackung beruhen (Art. 17 Abs. 4 lit. b CMR).
1. Die Beklagte war als Fixkostenspediteurin beauftragt (§ 459 HGB), sie haftet daher grundsätzlich wie ein Frachtführer.
Es handelte sich um einen internationalen Straßentransport von Deutschland in die Türkei. Die Haftung der Beklagten richtet sich daher – da beide Staaten der CMR beigetragen sind – nach den Regelungen der CMR.
2. Die Haftung der Beklagten setzt voraus, dass das Transportgut während des Transportes beschädigt wurde und die Haftung des Frachtführers nicht ausgeschlossen ist.
Der LKW, auf dem sich die Ware befand, verunfallte auf der A 4 in Österreich, Gemeindegebiet -, Fahrtrichtung Ungarn. Der LKW fuhr auf einen auf dem Standstreifen vorausfahrenden LKW auf. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Dabei ist zumindest von einem Verschulden des Fahrers des auffahrenden LKW auszugehen. Auch wenn das vorausfahrende Fahrzeug zwischen Standstreifen und Fahrbahn gewechselt hätte, wäre der Führer des nachfolgenden Fahrzeuges verpflichtet gewesen, sein Fahrzeug soweit abzubremsen und sich so auf die Verkehrssituation einzustellen, dass einen Auffahrunfall vermieden wird. Die Handlung des Fahrers muss sich die Beklagte zurechnen lassen (Art. 3 CMR).
Im Rahmen des Unfalls wurde die Verpackung eines Teils der auf Paletten verladenen Ware beschädigt. Auch dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
3. Durch das Unfallgeschehen kann ein Teil der transportierten Ware beschädigt worden sein. Wegen der mangelhaften Verpackung scheidet jedoch eine Haftung der Beklagten insoweit aus (Art. 17 Abs. 4 lit. b CMR). Ein Totalschaden an den transportierten Türsteuergeräten liegt nicht vor.
Der Sachverständige Dr. W. kommt in seinem Gutachten zunächst zu dem Ergebnis, dass leichte Kratzspuren an dem Blechdeckel des Schneckengetriebegehäuses festgestellt wurden.
Ob diese Schäden auf Grund des streitgegenständlichen Unfallgeschehens eingetreten sind, kann dahingestellt bleiben, da nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. die Verpackung der Türsteuergeräte nicht geeignet war im Rahmen eines normalen Tarnsportvorgangs solche Schäden zu vermeiden.
Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Gutachtens des Sachverständigen Dr. W., denen sich das Gericht vollumfänglich anschließt.
Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass auf Grund der bei dem Unfall aufgetretenen Beschleunigungen keine Schäden an den Türsteuergeräten, weder physisch gegenwärtig, noch latent, entstanden sind.
Der Sachverständige hat sein Gutachten unter Berücksichtigung der Ausführungen der XY G.m.b.H., der Z GmbH und der D. GmbH, dem Unfallbericht der österreichischen Polizei und eigener Begutachtung des Transportgutes und unter Verwendung des unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen S. erstellt.
Den Ausführungen in diesen Gutachten folgt der Sachverständige weitgehend nicht. Er setzt sich mit den Gutachten auseinander und bemängelt insbesondere, dass in diesen Gutachten keine genauen Prüfungsparameter angegeben sind und dass auch keine konkreten Prüfungen der betroffenen Fensterheber erfolgten. Insbesondere die Annahme von Latenzschäden seien lediglich subjektive Vermutungen die durch keine Fakten gestützt werden.
Bruchschäden an den Sintermagneten hat der Sachverständige an von ihm untersuchten Türsteuergeräten nicht vorgefunden.
Der Sachverständige hat untersucht, welchen Beschleunigungskräfte auf die Türhebel in unterschiedlichen Situationen wirken. Der Sachverständige führt aus, dass auf Grund der Verzögerungen im Rahmen des Unfallgeschehens eine Kraft von 4 g bis 7 g auf das Transportgut einwirkte. Er bezieht sich dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen S., der für den Sachverständigen eine Unfallanalyse durchgeführt hat. Der Sachverständige S. hat die Berechnungen unter Berücksichtigung der Fahrbahnmarkierungen, der Blockierspruren, der Endstellung der kollidierten Nutzfahrzeuge und der Fahrzeugmassen erstellt. Er kommt dabei zu wahrscheinlichen Beschleunigungen zwischen 1,45 g und 5,08 g.
Der Sachverständige W. hat hierzu erklärt, dass dieses Gutachten für ihn auf Grund seiner eigenen unfallanalytischen Tätigkeit nachvollziehbar ist und von ihm vertreten werden könnte. In seinem Gutachten geht der Sachverständige W., auch um mögliche zusätzliche Beschleunigungen durch ein Verrutschen der Ladung zu berücksichtigen, von einer Höchstbeschleunigung von 7 g aus. Diese festgestellte Beschleunigungskraft ist nicht ausreichend, um einen Totalschaden bei dem Transportgut hervorzurufen. Der Sachverständige führt dabei aus, dass auf die Türsteuergeräte in anderen verkehrsbedingten Situationen, sowohl beim Transport des Gutes als auch bei der Nutzung der Türsteuergeräte, höhere Kräfte einwirken. Mittels eines Datenloggers hat der Sachverständige festgestellt, dass bei dem Schließen von KFZ-Türen Beschleunigungen bis zu fast 20g auftreten. Bei einem „normalen“ Schließen der Türen seien dies mindestens 6g bis 9g. Bei fallversuchen wurden Grenzbeschleunigungen bis 40g gemessen. Bei einer anschließenden Untersuchung der jeweilen Teil seien keine Risse festgestellt worden.
Der Sachverständige hat die Türsteuergeräte im weiteren auch Biegebruch-, Gehäusedeformations- und Schlagversuchen unterzogen. Auch hier wurden keine Latenzschäden festgestellt.
Die Türsteuergeräte müssen daher den entsprechenden Kräften, die durch die Verzögerung beim Unfallgeschehen eingetreten sind, standhalten.
Die Sintermagneten sind aus einem Werkstoff, der entweder bei einer Krafteinwirkung anreißt oder diese ist so niedrig, dass der Werkstoff hält. Latenzschäden können nicht auftreten.
Der Sachverständige hat weiterhin einzelne Türsteuergeräte untersucht und dabei keine Beschädigungen festgestellt. Von Brüchen von Teilen der Fensterheber, insbesondere in der Elektronik und an den Sintermagneten, wird auch in keinem der anderen Gutachten berichtet. Auch wurden keine Latenzschäden in Form von Haarrissen aufgefunden. Es handelt sich hierbei nur um bloße Vermutungen der jeweiligen Gutachter.
Den Ausführungen der D. im Schreiben vom 14.03.2008 folgt das Gericht nicht. Die D. führt dort auf, dass von 53 überprüften Steuergeräten 13 auffällig gewesen seien. Worauf sich diese Auffälligkeiten jeweils im Konkreten beziehen wird nicht dargetan. Auch wenn aus den Unterlagen der Versicherungsnehmerin – so führt die D. aus – hervorgeht, dass Bauteile, die einer erhöhten Beschleunigung ausgesetzt waren, aussortiert und verschrottet werden müssen, kann keine Haftung der Beklagten hergeleitet werden. Es fehlt hier bereits eine Angabe, um welche Beschleunigungen es sich tatsächlich handeln müsste. Solche wurden im Rahmen der Ausführung der D. auch nicht ermittelt.
Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass die Verpackung der Fensterheber keinerlei Gewähr dafür biete, dass die Teile während des normalen Transports – d.h. ohne ein Unfallereignis – nicht aneinander reiben und dabei Abschürfungen entstehen. Er folgert daraus, die Blechdeckel der Gehäuse vom großen Schneckenrad in der Verpackung am Antriebsritzel des Nachbargerätes reiben und daher abschürfen können. Der Sachverständige hat dabei die Verpackung mit den Fensterhebern aus dem original Transportgutes begutachtet.
Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen. Die Ausführungen sind nachvollziehbar und in sich schlüssig. Ob der von dem Sachverständigen verursachte Aufwand im Einzelnen tatsächlich erforderlich war, mag dahingestellt blieben. Den Ergebnissen des Gutachtens ist jedenfalls zu folgen. Die vorlegten Parteigutachten waren jedenfalls in keiner Weise ausreichend um den Sachvortrag der Klagepartei zu stützen.
4. Die Klägerin kann weiterhin auch keinen Totalschaden in Form eines Schadensverdachtes geltend machen, da die voraussichtlichen Untersuchungskosten nicht den Wert der betroffenen Ware übersteigt.
Die Geltendmachung eines Schadensersatzes setzt grundsätzlich eine Sachbeschädigung durch festgestellte Substanzverletzung voraus.
Besteht bei einer betroffenen Sache ein Schadensverdacht, so wird ein potentieller Erwerber – ohne vorherige Ausräumung des Verdachts – für die betroffene Sache den vollen Marktpreis nicht bezahlen oder von dem Erwerb vollständig Abstand nehmen. Ein begründeter Schadensverdacht führt daher in der Regel zur Minderung der Wertschätzung des betroffenen Gutes im wirtschaftlichen Verkehr (vgl. BGH TransPR 2002, 440).
Liegt eine Sachbeschädigung in Form eines hinreichend begründeten Schadensverdachts vor, kann der Eigentümer der Sache diese daraufhin untersuchen, ob unsichtbare oder latente Schäden tatsächlich vorhanden sind und die zur Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der betroffenen Sache auch behoben werden müssen. Eine solche berechtigterweise veranlasste Untersuchung steht der Reparatur einer tatsächlich beschädigten Sache gleich. Dementsprechend hat der Ersatzpflichtige grundsätzlich auch die für die gebotene Untersuchung erforderlichen Kosten zu erstatten, dies würde auch gelten, wenn die Untersuchung ergibt, dass keine unsichtbaren oder latenten Schäden entstanden waren (vgl. BGH TransPR a.a.O.). Übersteigen die voraussichtlichen Untersuchungskosten den Verkehrswert der betroffenen Sache, so kann ein wirtschaftlicher Totalschaden auch ohne einen festgestellten tatsächlichen Schaden bereits wegen des begründeten Schadensverdachts in Betracht kommen.
Diese Situation ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Nach dem eigenen Sachvortrag der Klägerin belief sich der Warenwert auf insgesamt 341.131,76 €. Dem stehen veranschlagte Untersuchungskosten von etwas über 23.000,00 € gegenüber. Bei diesem Verhältnis wäre es der Versicherungsnehmerin zumutbar gewesen, die Teile vor einer erneuten Lieferung an den Empfänger untersuchen zu lassen. Da eine solche Untersuchung nicht erfolgte, kann auch dahingestellt bleiben, ob auf Grund des Schadensbildes von einem entsprechenden Schadensverdacht ausgegangen werden konnte.
Der Umstand, dass durch die Versicherungsnehmerin keinerlei Garantie für die transportierten Fahrzeugteile mehr übernommen wird, führt nicht zu einer Haftung der Beklagten. Interne Regelungen der Versenderin, die nicht Vertragsbestandteil des Transportauftrages wurden, begründen keine Haftung.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.