Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Wir leben Einrichten” – fehlende Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  29 W (pat) 544/18

Datum:
12.4.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:120419B29Wpat544.18.0
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
Spruchkörper:
29. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2018 103 483.7
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. April 2019 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Mittenberger-Huber sowie der Richterinnen Akintche und Seyfarth
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortfolge
2
Wir leben Einrichten
3
ist am 27. März 2018 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden für Waren und Dienstleistungen der
4
Klasse 11: Beleuchtungs-, Heizungs-, Dampferzeugungs-, Koch-, Kühl-, Trocken-, Lüftungs- und Wasserleitungsgeräte einschließlich Leuchten und Leuchtmittel aller Art und Zubehör dafür; sanitäre Anlagen; Elektrogeräte für Haushalt und Küche, nämlich elektrische Kochgeräte, Toaster, elektrische Abzugshauben für Küchen, elektrische Babyflaschenwärmer, elektrische Badeöfen, elektrische Brotbackautomaten, elektrische Christbaumbeleuchtungen, elektrische Dampfglätter, elektrische Wasserkessel, elektrische Fritteusen, Gefrierschränke und -truhen, elektrische Kühlapparate, elektrische Grillgeräte, elektrische Heißwassergeräte, elektrische Heizgeräte, elektrische Herde, elektrische Kaffeemaschinen und Kaffeefiltergeräte, elektrische Kühlschränke und Kühlvitrinen, elektrische Schnellkochtöpfe, elektrische Tauchsieder, elektrische Tiefkühlapparate und –anlagen, elektrische Waffeleisen, elektrische Warmhalteplatten, elektrische Warmwasserbereiter und Warmwassergeräte, elektrische Wäschetrockner;
5
Klasse 20: Möbel; Spiegel; Bilderrahmen; Kunstgegenstände und Dekorationsartikel aus Holz, Kork, Rohr, Binsen, Weide, Horn, Knochen, Elfenbein, Fischbein, Schildpatt, Bernstein, Perlmutter, Meerschaum und deren Ersatzstoffen oder aus Kunststoffen;
6
Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen im Bereich von Möbeln und Einrichtungsgegenständen, über das Internet, in Ladengeschäften, per Katalogversandhandel oder mittels Teleshoppingsendungen; Veranstaltung von Ausstellungen in Hallen, Verkaufs- und Ausstellungsräumen zu kommerziellen und Werbezwecken und Vorführung von Waren für Werbezwecke; Verkaufsförderung für Dritte.
7
Mit Beschluss vom 16. August 2018 hat die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der angemeldeten Wortfolge entnähmen die angesprochenen allgemeinen Endverbraucherkreise ohne Interpretationsaufwand die anpreisende Werbeaussage, dass der Anbieter der Waren und Dienstleistungen sich vollständig und mit ganzem Herzen dem Einrichten (der Ausstattung von Wohn- und Geschäftsräumen mit Möbeln, Hausrat, Geräten etc.) widme. Das Anmeldezeichen reihe sich mit der Angabe „Wir leben…“ ergänzt durch ein subsubstantiviertes Verb ohne weiteres in sprachlich und begrifflich ebenso gebildete übliche Wortfolgen ein, wie die Internetrecherche gezeigt habe. Es werde damit nur als eine anpreisende Aussage zum Angebotszweck und dem Engagement des Anbieters auf diesem Gebiet aufgefasst, so dass ihm kein betrieblicher Herkunftshinweis zukomme. Die von der Anmelderin zitierten Voreintragungen führten nicht zu einem anderen Ergebnis.
8
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
9
Sie ist der Ansicht, es handele sich bei dem Anmeldezeichen um einen den Regeln der deutschen Sprache fremden Ausdruck, der auf den Verkehr allenfalls eine gewisse Suggestivwirkung ausübe, jedoch weit von einer beschreibenden Angabe oder einer Angabe ohne Unterscheidungskraft entfernt sei. Das angemeldete Zeichen umfasse neben der Wortfolge „Wir leben…“ nicht lediglich ein der deutschen Sprache geläufiges Substantiv, sondern das substantivierte Verb „Einrichten“. Die Substantivierung allein stelle dabei eine gewisse Herausforderung dar, die hier insbesondere in der syntaktisch nicht korrekten Kombination einen gedanklichen Prozess erfordere, um diesen Ausdruck zunächst aus sprachlicher Sicht zu verstehen. Das substantivierte Verb sei grammatikalisch fehlerhaft ohne einen vorangestellten Artikel, eine vorangestellte Präposition oder ein Adjektiv in die Wortfolge eingebunden. Für das sprachliche Verständnis müsse das Anmeldezeichen zunächst ergänzt oder abgeändert werden, beispielsweise zu dem Ausdruck „Wir leben für das Einrichten“. Um die Wortfolge schließlich inhaltlich zu erfassen, sei zudem eine Interpretation dieses nicht ohne weiteres verständlichen Ausdrucks erforderlich. Insbesondere gehe nicht unmittelbar hervor, was darunter zu verstehen sei, dass ein Prozess, wie der vorliegende Prozess des „Einrichtens“ „gelebt“ werde, dieser könne durchgeführt oder ausgeführt, aber keinesfalls „gelebt“ werden. Um dem Zeichen damit die Bedeutung beizumessen „dass der Verwender des Slogans sich in intensiver Weise der Ausstattung von (Wohn)Räumen mit Möbeln oder Geräten widme/hingebe“, sei sowohl eine sprachliche wie auch inhaltliche Interpretation zwingend erforderlich. Allein der hierfür notwendige Denkprozess begründe die für die Eintragung erforderliche Unterscheidungskraft. Nicht zuletzt werde der Prozess des Einrichtens, wenn überhaupt, von Innenarchitekten gelebt, nicht aber von den Waren der Klasse 11 und 20 oder den Dienstleistungen der Klasse 35 bzw. den damit betrauten Personen.
10
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
11
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des DPMA vom 16. August 2018 aufzuheben.
12
Ferner regt sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.
13
Mit gerichtlichen Schreiben vom 14. November 2018 und vom 7. März 2019 sowie mit der Terminsladung vom 26. März 2019 ist die Beschwerdeführerin unter Beifügung von Recherchebelegen (Bl. 18-21 d. A., Bl. 49-56 d. A. und 65-71 d. A.) darauf hingewiesen worden, dass die angemeldete Wortfolge nicht für schutzfähig erachtet werde.
14
Zu dem von ihr hilfsweise beantragten Termin zur mündlichen Verhandlung ist die Beschwerdeführerin – wie schriftsätzlich angekündigt (Bl. 75 d. A.) – nicht erschienen.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
16
Die nach §§ 64 Abs. 6, 66 MarkenG zulässige Beschwerde ist unbegründet.
17
Der Eintragung der angemeldeten Wortfolge „Wir leben Einrichten“ als Marke steht in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen das absolute Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen. Die Markenstelle hat dem Anmeldezeichen daher zu Recht die Eintragung versagt (§ 37 Abs. 1 MarkenG).
18
1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rn. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2018, 932 Rn. 7 – #darferdas?; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rn. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke).
19
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rn. 11 – grill meister).
20
Werbeslogans und sonstige spruchartige Wortfolgen – wie die hier angemeldete Bezeichnung – sind bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft wie sonstigen Wortzeichen zu behandeln (EuGH GRUR Int. 2012, 914 Rn. 25 – Smart/HABM [WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH]; a. a. O. Rn. 36 – Audi/HABM [Vorsprung durch Technik]; GRUR 2004, 1027, Rn. 33 und 34 – Erpo Möbelwerk [Das Prinzip der Bequemlichkeit]; BGH a. a. O. Rn. 17 – for you; Rn. 14 – Gute Laune Drops; GRUR 2014, 565 Rn. 14 – smartbook). Sie unterliegen keinen strengeren Schutzvoraussetzungen und müssen insbesondere keine zusätzliche Originalität aufweisen (vgl. Ströbele/ Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 8 Rn. 241 m. w. N.). Es ist auch nicht erforderlich, dass sie einen selbständig kennzeichnenden Bestandteil enthalten oder in ihrer Gesamtheit einen besonderen phantasievollen Überschuss aufweisen (vgl. BGH GRUR 2002, 1070, 1071 – Bar jeder Vernunft). Vielmehr ist in jedem Fall zu prüfen, ob die Wortfolge einen ausschließlich produktbeschreibenden Inhalt hat oder ihr über diesen hinaus eine, wenn auch noch so geringe Unterscheidungskraft für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen zukommt (BGH GRUR 2009, 949 Rn. 10 – My World; GRUR 2009, 778 Rn. 11 – Willkommen im Leben; GRUR 2010, 935 Rn. 8 – Die Vision). Selbst wenn aber Marken, die aus Zeichen oder Angaben bestehen, die sonst als Werbeslogans, Qualitätshinweise oder Aufforderungen zum Kauf der in Bezug genommenen Waren und Dienstleistungen verwendet werden, eine Sachaussage in mehr oder weniger großem Umfang enthalten, ohne unmittelbar beschreibend zu sein, können sie dennoch geeignet sein, den Verbraucher auf die betriebliche Herkunft der in Bezug genommenen Waren oder Dienstleistungen hinzuweisen (EuGH a. a. O. Rdnr. 56 – Audi/HABM [Vorsprung durch Technik]). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn diese Marken nicht nur in einer gewöhnlichen Werbemitteilung bestehen, sondern eine gewisse Originalität oder Prägnanz aufweisen, ein Mindestmaß an Interpretationsaufwand erfordern oder bei den angesprochenen Verkehrskreisen einen Denkprozess auslösen (EuGH a. a. O. Rdnr. 57 – Audi/ HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. Rdnr. 17 – for you; GRUR 2013, 552 Rdnr. 9 – Deutschlands schönste Seiten; a. a. O. – My World). Der anpreisende Sinn einer angemeldeten Wortfolge schließt deren Eignung als Herkunftshinweis nur dann aus, wenn der Verkehr sie ausschließlich als werbliche Anpreisung versteht (BGH a. a. O. Rn. 23 – OUI).
21
Den vorgenannten Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt die angemeldete Wortfolge „Wir leben Einrichten“ nicht.
22
Sie ist zwar prägnant sowie einfach und kurz gehalten. In Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen der Klassen 11, 20 und 35 ist sie aber weder interpretationsbedürftig, noch löst sie einen Denkprozess aus. Die angesprochenen inländischen Verkehrskreise werden sie vielmehr ohne besonderen gedanklichen Aufwand nur und ausschließlich als gängige Werbeaussage verstehen, so dass sie sich nicht als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen eignet.
23
a) Bei der Beurteilung des Verständnisses des angemeldeten Zeichens ist hinsichtlich der beanspruchten Waren und Dienstleistungen auf breite Verkehrskreise, nämlich sowohl auf den Durchschnittsverbraucher als auch auf gewerbliche Kunden sowie den Möbel- und Einrichtungsfachhandel abzustellen. Ein Teil der Dienstleistungen der Klasse 35 wie z. B. Werbung, Unternehmensverwaltung oder Geschäftsführung richtet sich in erster Linie an ein unternehmerisch tätiges (Fach)Publikum.
24
b) Das Anmeldezeichen besteht aus einem Satz, der mit allgemein geläufigen deutschen Wörtern in werbeüblicher Art und Weise gebildet ist. Es wird von den angesprochenen Verkehrskreisen ohne weiteres dahingehend verstanden, dass die Anbieterin sich mit Begeisterung und Hingabe dem Einrichten widmet. Der Slogan impliziert dadurch eine besondere Kompetenz, da die Einrichtung zum Lebensinhalt gemacht wird.
25
Das Verb „leben“ hat u. a. die Bedeutungen „am Leben, lebendig sein“, „fortbestehen, weiterleben“, „sein Leben in bestimmter Weise verbringen“, seinen Lebensraum haben“ und auch „sich einer Sache widmen, hingeben“ (vgl. DUDEN Online unter www.duden.de). „Wir leben“ ist lediglich die 1. Person Plural des vorgenannten Infinitivs. In der Werbesprache ist „wir“ ein beliebtes Wort, das insbesondere in Verbindung mit einem Wert- und Tätigkeitsversprechen vielfach eingesetzt wird (vgl. Wörterbuch der Werbesprache, Rothfuss Verlag, 1991, Satzgestaltung, Stichwort: „wir“). Die Kombination von „Wir leben…“ mit einem sachlich konkretisierenden Begriff ist in der Werbesprache schon seit langem gängig; dies belegen – ergänzend zu den im angegriffenen Beschluss der Markenstelle genannten Beispielen – die der Beschwerdeführerin vorab übermittelten Rechercheunterlagen des Senats (Auszüge aus slogans.de, Bl. 18-21 d. A.); vgl. Aussagen wie „Wir leben Dokumente“, „Wir leben Zuverlässigkeit“, „Wir leben Landwirtschaft“, „Wir leben Aluminium“, „Wir leben Wissenschaft“, „Wir leben Gastlichkeit“, „Wir leben Sprachen“, „Wir leben Werbung“, „Wir leben Fotografie“, „Wir leben Ihr Textil“, „Wir leben Hygiene“, „Wir leben Kommunikation“, „Wir leben Software!“, „Wir leben Immobilien“, „Wir leben Sport“, „Wir leben Fundraising“, „Wir leben Logistik“, „Wir leben Dächer“, „Wir leben Natur“, „Wir leben Handwerk“, „Wir leben Film“ u. v. m.
26
Das Verb „einrichten“ kann bedeuten: „mit Möbeln, Geräten ausstatten“, „seine Wohnung o. Ä. gestalten“, im medizinischen Bereich „bei einem Bruch ein Glied o. Ä. wieder in seine normale anatomische Lage bringen“, „sich den Umständen anpassen; mit beschränkten Mitteln auskommen“, nach einem bestimmten Plan, auf ein Ziel hin gestalten, möglich machen, ermöglichen“, „(umgangssprachlich) sich auf jemanden, etwas einstellen, vorbereiten“, „zur öffentlichen Nutzung schaffen“ oder „nach bestimmten Gesichtspunkten umformen; für besondere Zwecke [um]gestalten, redigieren (vgl. unter www.duden.de). „Einrichten“ ist – was schon an der Großschreibung zu erkennen ist – hier nominalisiert. Die Hauptwortbildung von Verben ist spätestens ab der 6. Klasse Schulstoff; vor diesem Hintergrund vermag der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach schon die Substantivierung des Verbs „einrichten“ eine gewisse Herausforderung darstelle, nicht zu überzeugen.
27
In der Gesamtheit beinhaltet die Wortfolge „Wir leben Einrichten“ die Aussage, dass der Warenanbieter bzw. Dienstleister sich ganz/mit Hingabe dem Einrichten widmet.
28
Zwar beschreibt die Wortfolge in diesem Sinne nicht unmittelbar eine Eigenschaft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Dies ist jedoch nicht erforderlich. Denn auch nicht unmittelbar warenbeschreibende und auch sonst nicht unmittelbar auf die Waren und Dienstleistungen bezogene sloganartige Wortfolgen können – wie oben dargestellt – der erforderlichen Unterscheidungskraft entbehren, wenn die angesprochenen Verkehrskreise die Wortfolge lediglich als eine werbewirksame Anpreisung der Waren und Dienstleistungen verstehen, ohne dass sie hierfür einen Denkprozess auslösen bzw. ein Mindestmaß an Interpretationsaufwand aufwenden müssen. Von einem Mindestmaß an Interpretationsaufwand kann bei der angemeldeten Wortfolge im Zusammenhang mit den hier beanspruchten Waren und Dienstleistungen – anders als die Beschwerdeführerin meint – gerade nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist die in werbeüblich knapper Sprache gehaltene Wortfolge schon aus sich heraus als sachbezogener Spruch ohne weiteres dahingehend verständlich, dass die Passion des Anbieters das Einrichten/die Einrichtung von Gebäuden, Wohnungen o. Ä. ist.
29
Darüber hinaus wird der angesprochene Verkehr den Slogan auch deshalb ausschließlich als eine solche werbewirksame Anpreisung, aber nicht als betriebliches Herkunfts- und Unterscheidungsmittel verstehen, weil er bereits an entsprechend gebildete, mit dem angemeldeten Zeichen unmittelbar vergleichbare Werbeaussagen im Kontext der Möbel- und Einrichtungsbranche aus der Werbung gewöhnt ist bzw. vor dem Anmeldezeitpunkt war; dies zeigen die Internetrecherchen des DPMA und des Senats (Bl. 35-48 d. A.):
30
– Archivierte Webseite der Firma Homeplan mit Firmenprofil vom 17. August 2016 (über die way-back-machine „archive.org“): „Heute wissen wir genau, was wir können, besuchen mit Begeisterung die internationalen Möbelmessen, lieben die Arbeit auf den Baustellen, und gutes Design. Wir leben Einrichten!“ (Bl. 49/50 d. A.);
31
– Sonderheft des Einrichtungshauses Möbel Pinter aus dem Jahr 2014, in dem dessen Angebot unter dem Titel „Wir leben Wohn(t)räume“ u. a. wie folgt beschrieben wird: „Wir leben „Einrichten“ vor und begeistern die Kunden mit Ideen“ oder „Wir sind von unseren Produkten selbst begeistert und leben das auch“ (Bl. 51-56 d. A.);
32
– Auf der Webseite der Firma WIBU ObjektPlus – Objekteinrichtung und Komplettausstattung findet sich die Aussage „Wir leben Einrichtung. Seit 1920!“ (Bl. 65 d. A.);
33
– Ein „Einrichter aus Leidenschaft“ bewirbt, wie schon der archivierten Webseite vom 16. September 2017 zu entnehmen ist, sein Angebot wie folgt: „Wir leben Möbel! – Der Werbeslogan des Einrichtungs-Hauses Möbel Bartels ist Programm“ (Bl. 66 d. A.);
34
– Auf ihrer Webseite stellt sich die Firma Möbel Preuß vor: „Wir machen Unmögliches möglich – Wir lieben und wir leben Möbel. … Die Begeisterung für stilvolles Einrichten und schönes Wohnen wurde bei uns offensichtlich von Generation zu Generation weiter gegeben.“ (Bl. 67 d. A.);
35
– Der Eventausstatter bzw. Vermieter von Mobiliar für Messen, Kongresse und Events „expofair“ stellte sein Angebot in seiner Unternehmenspräsentation 2016 unter dem Slogan „WIR LEBEN MÖBEL“ vor (Bl. 68/69 d. A.);
36
– Über die Polsterei Ott finden sich auf ihrer Homepage folgende Erläuterungen: „Wir leben Polstermöbel und freuen uns, unseren Kunden die gut „gepolsterte“ Vielfalt an Designs unseres mittelständischen Traditionsunternehmens vorstellen zu dürfen.“ (Bl. 70 d. A.);
37
– Archivierte Webseite der Firma „himmlisch wohnen“ vom 13. Februar 2018: „Über uns – Wir lieben Küchen, wir leben Möbel.“ (Bl. 71 d. A.);
38
– Nicht zuletzt hatten sich Firmen aus der hier relevanten Einrichtungs- und Möbelbranche den vergleichbaren Slogan „Einrichten ist unsere Leidenschaft“ – mithin eine Aussage unter Verwendung des substantiierten Verbs „Einrichten“ – bereits vielfach vor dem hier maßgeblichen Anmeldezeitpunkt zunutze gemacht (vgl. Bl. 81/85 d. A.).
39
Die angemeldete Wortfolge reiht sich zwanglos in diese Werbeanpreisungen ein und weist keine Besonderheit auf, die den Verkehr veranlassen könnte, in ihr in Kenntnis ähnlich gebildeter Werbeversprechen einen betrieblichen Herkunftshinweis zu sehen. In Folge der Verwendung vergleichbar gebildeter Werbeanpreisungen fehlt es ihr an Originalität. Zur Erfassung ihres werbenden Begriffsgehalts im Sinne eines Tätigkeits- und Wertversprechens bedarf es auch keiner gedanklichen Analyse und/oder Interpretation.
40
Mit der Wortfolge „Wir leben Einrichten“ wird damit werblich das eigene Warensortiment der Klasse 11 und 20 und damit verbundene Dienste der Klasse 35 dahingehend angepriesen, dass mit Freude und Leidenschaft zur Gestaltung Einrichtungen bzw. Einrichtungsgegenstände zusammengestellt und angeboten werden. In Bezug auf die weiteren Dienstleistungen der Klasse 35 gibt die angemeldete Wortfolge einen werblich gestalteten Hinweis auf die Einrichtungsbranche.
41
Das Anmeldezeichen wird nach alledem als bloße Werbebotschaft und nicht als individualisierender Herkunftshinweis wahrgenommen.
42
2. Da schon das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorliegt, kann dahinstehen, ob das angemeldete Zeichen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG auch freihaltungsbedürftig ist.
43
3. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Voreintragungen beim DPMA und beim EUIPO rechtfertigen keine andere Entscheidung.
44
Abgesehen davon, dass auch im Unionsrecht die Unterscheidungskraft fehlt, wenn ein Slogan ausschließlich als Werbeformel aufgefasst wird, sind die im Ausland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf der Grundlage des harmonisierten Markenrechts oder vom Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) aufgrund der Unionsmarkenverordnung getroffenen Entscheidungen über absolute Eintragungshindernisse für Verfahren in anderen Mitgliedstaaten unverbindlich (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 63 – Henkel; GRUR 2004, 674 Rn. 43 f. – Postkantoor). Sie vermögen nicht einmal eine Indizwirkung zu entfalten (BGH GRUR 2014, 569 Rn. 30 – HOT; GRUR 2009, 778 Rn. 18 – Willkommen im Leben). Im Übrigen hat ohnehin auch das EUIPO (mit noch nicht bestandskräftigem Teilzurückweisungsbeschluss vom 23. Oktober 2018) die identisch angemeldete Unionsmarke UM 017 881 060 „Wir leben Einrichten“ im überwiegenden Umfang wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen.
45
Schließlich bleibt darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung auch inländische Voreintragungen nicht bindend sind. Denn auch unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz darf nicht von einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Entscheidung abgesehen werden (vgl. EuGH GRUR 2009, 667 Rn. 18 – Bild-digital und ZVS Zeitungsvertrieb Stuttgart; BGH GRUR 2014, 569 Rn. 30 – HOT). Diese nach den rechtlichen Vorgaben vorgenommene Prüfung hat im vorliegenden Fall aber ergeben, dass das Zeichen im beanspruchten Umfang nicht unterscheidungskräftig ist.
46
4. Gründe für die – von der Beschwerdeführerin angeregte – Zulassung der Rechtsbeschwerde sind weder konkret vorgetragen worden noch erkennbar. Weder war über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (§ 83 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) noch ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung als erforderlich zu erachten (§ 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Der Senat hat bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit des Slogans die hierfür von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien angewendet.

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