Aktenzeichen VII R 15/09
§ 50 Abs 1 MinöStV
§ 27 Abs 2 Nr 1 EnergieStG
§ 60 Abs 4 Nr 1 EnergieStV
§ 60 Abs 4 Nr 2 EnergieStV
Art 14 Abs 1 Buchst b S 1 EGRL 96/2003
Leitsatz
1. NV: Wer ein aufgetanktes Flugzeug lediglich verchartert ist kein entlastungsberechtigter Verwender des bei den Charterflügen verbrauchten Luftfahrtbetriebsstoffs, denn er überlässt die Sachherrschaft über das Flugzeug einem Dritten. Dabei ist es unbeachtlich, ob das Flugzeug mit oder ohne Piloten verchartert wird .
2. NV: Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Vertragsklausel bestimmt, dass durch den Charter-Vertrag die “volle Verantwortung” für das Flugzeug übertragen wird .
3. NV: Verwender kann nur sein, wer die mittelbare oder unmittelbare Sachherrschaft über das verwendete Mineralöl ausübt .
4. NV: Eine GmbH, die ein gechartertes Flugzeug lediglich zu unternehmensinternen Werkflügen einsetzt, erbringt keine mineralölsteuerrechtlich begünstigte Luftfahrt-Dienstleistung .
Verfahrensgang
vorgehend FG Düsseldorf, 4. März 2009, Az: 4 K 3182/08 VM, Urteil
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der im Streitjahr weder über eine Betriebsgenehmigung nach § 20 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) noch über eine Genehmigung nach Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 240/1) verfügte, ist Eigentümer eines Luftfahrzeugs, das er im Kalenderjahr 2006 einschließlich des Luftfahrtbetriebsstoffes (Flugbenzin) an eine GmbH vercharterte, deren Gegenstand die Herstellung und der Vertrieb von … ist. Die GmbH setzte das Flugzeug im Werkverkehr für eigenbetriebliche Zwecke ein. Für die Durchführung der Flüge einschließlich eines Probeflugs von einer Dauer von insgesamt 85 Minuten bezog der Kläger im Kalenderjahr 2006 im Steuergebiet insgesamt … Liter versteuertes Flugbenzin.
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Im Dezember 2007 beantragte er beim Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt –HZA–) für das Kalenderjahr 2006 die Vergütung von Mineralöl- und Energiesteuer für das auf den geschäftlichen Flügen verwendete Flugbenzin. Mit der Begründung, das Luftfahrzeug sei nicht zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen oder Sachen durch ein Luftfahrtunternehmen genutzt worden, lehnte das HZA den Antrag ab. Den Einspruch wies das HZA als unbegründet zurück. Die daraufhin erhobene Klage hatte zum überwiegenden Teil Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) urteilte, dem Kläger stehe hinsichtlich der betrieblich veranlassten Flüge ein Anspruch auf Vergütung der Mineralölsteuer unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 der Richtlinie 2003/96/EG (EnergieStRL) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 283/51) zu. Eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf Luftfahrtunternehmen oder ein Ausschluss des Werkverkehrs sei dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Infolgedessen habe Deutschland das Gemeinschaftsrecht nur unvollständig umgesetzt, da gemäß § 50 Abs. 1 der Mineralölsteuer-Durchführungsverordnung (MinöStV) i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG 1993) sowie nach § 52 Abs. 1 Satz 1 und § 27 Abs. 2 Nr. 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) i.V.m. § 60 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes (EnergieStV) –jeweils in den im Streitjahr geltenden Fassungen– nur Luftfahrtunternehmen eine Entlastung beantragen könnten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Steuerbefreiung für Schiffsbetriebsstoffe (Urteil vom 1. April 2004 C-389/02, Slg. 2004, I-3537) auf Art. 14 EnergieStRL übertragen werden könne. Die Vercharterung eines Flugzeugs einschließlich der Luftfahrtbetriebsstoffe gegen Entgelt sei als entgeltliche Erbringung einer Dienstleistung anzusehen und daher begünstigt. Auch bei Werkflügen werde das Flugzeug zu kommerziellen Zwecken genutzt. Nicht begünstigt seien jedoch reine Probeflüge, so dass insoweit ein Vergütungsanspruch nicht bestehe.
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Mit seiner Revision rügt das HZA, die Entscheidung des FG widerspreche dem klaren Wortlaut der nationalen Vorschriften. Die Beschränkung der Steuerbefreiung für Flugbenzin auf Luftfahrtunternehmen und der Ausschluss des Werkverkehrs entsprächen den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Die in Art. 14 Abs. 1 EnergieStRL festgelegte Begünstigung trage den Regelungen in internationalen Abkommen –insbesondere dem Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 (Chicagoer Abkommen)– Rechnung und erfasse mit dem Ziel der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen nur die Luftverkehrsbranche. Soweit der Kläger sein Flugzeug an die GmbH verchartert habe, sei damit ein steuerbegünstigter Tatbestand nicht erfüllt. Allein durch die Vermietung seines Flugzeugs verwende der Kläger keinen Luftfahrtbetriebsstoff für die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen. Somit sei er auch nicht entlastungsberechtigt. Hinsichtlich der Begünstigung sei ausschließlich auf die Mieter des Flugzeugs abzustellen, die zur Gewährung der Steuerbefreiung selbst Luftfahrtunternehmen sein müssten, anderenfalls eine steuerbegünstigte Vercharterung an Sportflieger möglich sei.
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Das HZA beantragt, das erstinstanzliche Urteil insoweit aufzuheben, als es verpflichtet wird, dem Kläger für das Jahr 2006 … € Mineralölsteuer und … € Energiesteuer zu vergüten.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er schließt sich hinsichtlich der Steuerbefreiung für Werkflüge und für die Fälle der Vercharterung weitgehend der Auffassung des FG an. Im Streitfall sei er als derjenige anzusehen, der eine unmittelbar mit dem Flug des Luftfahrzeugs zusammenhängende entgeltliche Dienstleistung erbringe. In seiner Klageerwiderung vom 6. November 2008 habe das HZA ausgeführt, die vertragliche Vereinbarung sehe vor, dass er das betankte Flugzeug und den Piloten gegen Entgelt zur Verfügung stelle. Aus den Ausführungen des HZA ergebe sich, dass er wie vom EuGH verlangt selbst eine Luftfahrt-Dienstleistung erbringe. Nur in einigen Fällen habe ein dritter Pilot das Flugzeug für ihn als Vercharterer geflogen. Ohne Belang sei es, für welche Zwecke der Charterer das Flugzeug nutze.
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Der erkennende Senat hat das Revisionsverfahren in analoger Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und in einem anderen Verfahren dem EuGH mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 VII R 9, 10/09 (BFHE 227, 564, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern –ZfZ– 2010, 80) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
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Auf die erste Frage hat der EuGH mit Urteil vom 1. Dezember 2011 C-79/10 (ZfZ 2012, 20) Folgendes geantwortet:
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“Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Steuerbefreiung für Kraftstoff, der für die Luftfahrt verwendet wird, einem Unternehmen wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, das zur Anbahnung von Geschäften ein ihm gehörendes Flugzeug nutzt, um Mitarbeiter zu Kunden und Messen zu befördern, nicht zugutekommt, da diese Beförderung nicht unmittelbar der entgeltlichen Erbringung von Luftfahrt-Dienstleistungen durch dieses Unternehmen dient.”
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Mit Beschluss vom 12. Mai 2010 4 K 4605/08 VE (ZfZ 2010, Beilage Nr. 3, 42) hat das FG Düsseldorf auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats Bezug genommen und dem EuGH die weitere Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob auch einem Vermieter oder Vercharterer, der sein Luftfahrzeug einschließlich des von ihm zu stellenden Flugturbinenkraftstoffs vermietet oder verchartert, die Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EnergieStRL zustehe.
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Auf diese Frage hat der EuGH mit Urteil vom 21. Dezember 2011 C-250/10 (ZfZ 2012, 98) wie folgt geantwortet:
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“Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung für Lieferungen von Energieerzeugnissen zur Verwendung als Kraftstoff für die Luftfahrt mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Luftfahrt einem Unternehmen wie dem am Ausgangsverfahren beteiligten nicht zugute kommen kann, wenn es ein ihm gehörendes Luftfahrzeug einschließlich des Kraftstoffs an Unternehmen vermietet oder verchartert, deren Luftfahrttätigkeiten nicht unmittelbar der entgeltlichen Erbringung von Luftfahrt-Dienstleistungen durch diese Unternehmen dienen.”