Aktenzeichen XI R 26/18
§ 4 Nr 9 Buchst b UStG
§ 10 Abs 1 UStG
§ 16 UStG
Art 2 EWGRL 388/77
Art 11 Teil A Abs 1 Buchst a EWGRL 388/77
Art 13 Teil B Buchst f EWGRL 388/77
Art 1 Abs 2 EGRL 112/2006
Art 2 Abs 1 Buchst c EGRL 112/2006
Art 73 EGRL 112/2006
Art 135 Abs 1 Buchst i EGRL 112/2006
Art 267 Abs 3 EGRL 112/2006
Art 107 AEUV
Art 267 Abs 3 AEUV
UStG VZ 2010
Leitsatz
1. NV: Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit (Glücksspiel mit Geldeinsatz) sind umsatzsteuerbar .
2. NV: Ein Aufsteller von Geldspielautomaten kann sich für Umsätze ab dem 06.05.2006 nicht mehr auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG oder des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL berufen (Bestätigung des Senatsurteils vom 10.11.2010 – XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311).
3. NV: § 6 SpielbkV ist in Bezug auf die Umsatzsteuer zum 01.01.1968 außer Kraft getreten.
4. NV: Bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird, besteht die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen kann (Bestätigung des EuGH-Urteils Glawe vom 05.05.1994 – C-38/93, EU:C:1994:188, BStBl II 1994, 548).
5. NV: Die Umsatzsteuer und eine innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele dürfen kumulativ erhoben werden, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat (Anschluss an das EuGH-Urteil Metropol Spielstätten vom 24.10.2013 – C-440/12, EU:C:2013:687, HFR 2013, 1166).
6. NV: Ob es gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot verstößt, dass bei öffentlichen Spielbanken die Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe angerechnet wird, ist im Klageverfahren wegen Umsatzsteuer nicht entscheidungserheblich. Einer Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zum Abschluss des Beihilfeverfahrens SA.44944 bedarf es daher nicht .
Verfahrensgang
vorgehend FG Köln, 30. Januar 2018, Az: 8 K 2620/15, Urteilnachgehend BFH, 30. Juni 2020, Az: XI S 11/20, Beschluss
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 30.01.2018 – 8 K 2620/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten steuerbar und steuerpflichtig sind und ob eine Besteuerung der Umsätze gegen Unionsrecht verstößt.
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Limited, ist Automatenaufstellerin und Spielhallenbetreiberin. Im Jahr 2010 (Streitjahr) betrieb sie in X und Y insgesamt drei Spielhallen mit Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit sowie eine Gaststätte. Die Klägerin verwendete ausschließlich Geldspielautomaten mit einem sog. Hopper, die in Bauart und Technik identisch sind mit den in öffentlichen Spielbanken verwendeten Geräten. Ob ein Spieler, der an den Geldspielautomaten der Klägerin spielt, gewinnt oder verliert, ist vom Zufall abhängig.
3
In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr vom 17.02.2012 meldete die Klägerin ihre Umsätze in Höhe von ca. 354.000 € zum Regelsteuersatz an.
4
Mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Streitjahr vom 20.03.2015 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) nach Durchführung einer Außenprüfung die Umsatzsteuer um 179,93 € höher auf 50.732,16 € fest. Der nicht begründete Einspruch der Klägerin blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 04.09.2015).
5
Das Finanzgericht (FG) Köln wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 648 veröffentlichten Urteil vom 30.01.2018 – 8 K 2620/15 ab. Es entschied, die Umsätze der Klägerin seien steuerbar und nicht steuerfrei. Die Besteuerung der Umsätze sei richtlinienkonform und verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
6
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie bringt u.a. vor, ihre Umsätze seien bereits nicht steuerbar, jedenfalls aber steuerfrei. Überdies sei es unzulässig, dass die Umsatzsteuer bei den öffentlichen Spielbanken auf die Spielbankabgabe angerechnet werde. Außerdem macht sie unter Hinweis auf das Beihilfeverfahren SA.44944 der Europäischen Kommission geltend, die Anrechnung der Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe sei eine unzulässige staatliche Beihilfe.
7
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr des FA vom 20.03.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2015 insoweit aufzuheben und abzuändern, als hierin bislang zu Unrecht nicht steuerbare bzw. steuerbefreite Umsätze der Klägerin in Höhe von 397.378 € aus der Aufstellung von Geldspielautomaten (auch: Geldspielgeräte mit Gewinnfunktion genannt) erfasst worden sind, mithin die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf 0 € festzusetzen.
8
Hilfsweise regt sie an, den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu mehreren Fragen um Vorabentscheidung zu ersuchen.
9
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.